Titel
Uhland
,
1) Johann Ludwig, hervorragender Dichter und Litteraturforscher, geb. zu Tübingen, [* 2] besuchte Gymnasium und Universität seiner Vaterstadt und studierte 1802-1808 die Rechte, neben diesem Studium das der mittelalterlichen Litteratur, namentlich der deutschen und französischen Poesie, pflegend. Seine eignen poetischen Versuche und Regungen standen in dieser Zeit durchaus unter dem Einfluß der Romantik, von der er freilich nur diejenigen Elemente in sich aufnahm, welche einem tiefern Bedürfnis des Gemüts entsprangen und zum Humanitätsideal unsrer klassischen Dichtung eine Ergänzung, aber keinen Gegensatz bildeten.
Bereits während seiner Tübinger Studienzeit begann er, einzelne Gedichte (zum Teil unter dem Pseudonym Volker) in Zeitschriften und Musenalmanachen zu veröffentlichen. 1810 unternahm er eine mehrmonatliche Reise nach dem kaiserlichen Paris, [* 3] wo er auf der Bibliothek dem Studium altfranzösischer und mittelhochdeutscher Manuskripte jedenfalls eifriger oblag als dem des Code Napoléon, welches der ursprüngliche Zweck seiner Reise war. Heimgekehrt widmete er sich dann, wenn auch halb mit innerm Widerstreben, in Stuttgart [* 4] der Advokatur.
Sein patriotischer
Sinn jauchzte den Ereignissen der
Befreiungskriege, die er als rheinbündischer
Württemberger nur mit
Wünschen
und
Hoffnungen begleiten konnte, freudig entgegen; im Vollgefühl der errungenen
Befreiung veröffentlichte
er die erste
Ausgabe der Sammlung seiner »Gedichte« (Stuttg.
1815, 60. Aufl. 1875). Sie enthielt zwar viele
Perlen seiner
Lieder- und Romanzendichtung, die in den spätern
Auflagen hinzukamen,
noch nicht, trug aber im ganzen bereits das charakteristische Gepräge der Uhland
schen
Dichtung.
»Die Eigentümlichkeit seiner dichterischen
Anschauung beruht wesentlich in seinem lebendigen
Sinn für die
Natur. Diese wurde
ihm zum
Symbol der sittlichen
Welt, er lieh ihr das
Leben seines eignen
Gemüts und machte die
Landschaft, dem echten
Maler gleich,
zum
Spiegel
[* 5] seiner dichterischen
Stimmung. Wie aber die beseelte
Landschaft die menschliche Gestalt als
notwendige Ergänzung fordert, so belebt und individualisiert auch Uhland
das
Bild der
Natur durch den
Ausdruck menschlichen
Seins
und
Handelns. Und hier macht sich nun seine Vorliebe für die
Erinnerungen deutscher Vorzeit geltend. Die
Empfindungen, welche
ausgesprochen werden, die
Situationen, die
Charaktere gehören nicht der Vergangenheit an, sie haben die
ewige, jugendfrische
Wahrheit aller echten
Poesie; aber der Dichter sucht mit
Recht diese einfachen Gestalten von allgemeiner
Geltung dem gewöhnlichen
Kreis
[* 6] der täglichen
Erfahrung zu entheben und hüllt sie in den
Duft mittelalterlicher
Reminiszenzen.
Seine
Kunst, die verschiedenen
Elemente der gemütlichen
Stimmung, des landschaftlichen
Bildes und der mittelalterlichen
Staffage zum Ganzen einer künstlerischen
Komposition im knappsten
Rahmen mit den einfachsten
Mitteln zusammenzuschließen, ist
bewunderungswürdig, und auf ihr beruht wesentlich der
Reiz seiner vollendetsten und beliebtesten Gedichte. Auch ist sie seinen
Liedern und
Balladen gleichmäßig eigen; die nahe
Verwandtschaft beider ist darin begründet, nur die Mischung der
Elemente
ist eine
¶
mehr
etwas andre.« (O. Jahn.) Während die »Gedichte« anfänglich langsam, dann schneller
und schneller ihren Weg ins deutsche Publikum fanden, versuchte sich Uhland
auch als Dramatiker. Seine beiden dramatischen Werke:
»Ernst, Herzog von Schwaben« (Heidelb. 1818) und »Ludwig der Bayer« (Berl. 1819), denen bei allen dichterischen Vorzügen die
unerläßliche Lebensfülle und die Energie spannender, vorwärts drängender Leidenschaft abgehen, errangen
nur einen mäßigen Erfolg. Seit 1816 begannen die politischen Kämpfe und die ausgebreiteten wissenschaftlichen Forschungen
den Dichter von größern Schöpfungen abzuziehen. Uhland
beteiligte sich an dem Ringen um die württembergische Verfassung und
gehörte später als Abgeordneter zur Ständekammer der freisinnigen Partei an. Seine Schrift über »Walther von der Vogelweide«
(Stuttg. 1822) bekundete ihn als so feinsinnigen Kenner und Forscher der mittelalterlichen Litteratur, daß der Wunsch immer
lebhafter erwachte, ihn auf einem Lehrstuhl für seine Lieblingswissenschaften zu erblicken.
Mit seiner 1829 erfolgenden Ernennung zum Professor der deutschen Litteratur an der Universität Tübingen ward
dieser Wunsch erfüllt. Uhlands
Lehrthätigkeit erfreute sich der reichsten Wirkung. Aber bereits 1832, als ihm die Regierung
den Urlaub zum Eintritt in die Ständekammer verweigern wollte, legte er seine Professur nieder. Vor äußern Lebenssorgen
namentlich auch seit seiner sehr glücklichen Ehe mit Emilie Vischer (der »Unbekannten« seiner Gedichte) völlig gesichert,
teilte er fortan seine Zeit zwischen der ständischen Wirksamkeit und seinen wissenschaftlichen Arbeiten. 1839 legte er sein
Mandat als Abgeordneter nieder, und erst die Bewegungen des Jahrs 1848 rissen ihn wieder aus seiner frei erwählten Zurückgezogenheit.
Als Abgeordneter zur ersten deutschen Nationalversammlung der Linken angehörig, stimmte er gegen das Erbkaisertum, hielt auf seinem Posten bis zur Auflösung der Nationalversammlung aus und begleitete noch das Rumpfparlament nach Stuttgart. Von 1850 an zog er sich wieder ganz nach Tübingen zurück, eifrig mit der Vollendung jener wissenschaftlichen sagen- und litteraturgeschichtlichen Arbeiten beschäftigt, als deren Zeugnisse zu verschiedenen Zeiten die Schriften: »Über den Mythus von Thor« (Stuttg. 1836) und »Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder« (das. 1844, 2 Bde.; 2. Aufl., das. 1881 ff.) hervorgetreten waren.
Alle äußern Ehrenbezeigungen konsequent ablehnend, in der schlichten Einfachheit seines Wesens und der fleckenlosen Reinheit
seines Charakters von allen Parteien hochgeachtet, verlebte Uhland
ein glückliches kräftiges Alter und starb in
Tübingen. Seine poetischen Werke wurden wiederholt als »Gedichte und Dramen« (Jubiläumsausgabe, Stuttg. 1886),
seine wissenschaftlichen,
geordnet und revidiert von Adalb. v. Keller, W. Holland und Franz Pfeiffer, als »Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage«
(das. 1866 bis 1869, 8 Bde.) herausgegeben.
Die letztern brachten zum erstenmal jene vorzüglichen Tübinger Vorlesungen, welche Uhland
zwischen 1829 und 1832 über
die »Geschichte der altdeutschen Poesie«, die »Geschichte der deutschen Dichtung im 15. und 16. Jahrhundert« und die »Sagengeschichte
der germanischen und romanischen Völker« gehalten hatte.
Alle diese Arbeiten lassen beim höchsten wissenschaftlichen Ernste den Dichter erkennen, welcher neben
der wissenschaftlichen Methode und dem Forschereifer das künstlerische Verständnis und die feinste Mitempfindung für Volks-
und Kunstdichtung, für den Zusammenhang von Dichtung und Mythe besaß. Eine Statue
(von G. Kietz) wurde Uhland
1873 in seiner Vaterstadt
Tübingen errichtet.
Vgl. K. Mayer, L. Uhland
, seine Freunde und Zeitgenossen (Stuttg. 1867, 2 Bde.);
»Uhlands
Leben«, aus dessen Nachlaß und eigner Erinnerung zusammengestellt von seiner Witwe (das. 1874);
die biographischen Schriften von O. Jahn (Bonn [* 8] 1863), Fr. Pfeiffer (Wien [* 9] 1862), Notter (Stuttg. 1863), Dederich (Gotha [* 10] 1886), Holland (Tübing. 1886), H. Fischer (Stuttg. 1887), Hassenstein (Leipz. 1887);
Weismann, L. Uhlands
dramatische Dichtungen erläutert (Frankf.
1863);
Düntzer, Uhlands
Balladen und Romanzen (Leipz. 1879);
Keller, Uhland
als Dramatiker, mit Benutzung seines handschriftlichen
Nachlasses (Stuttg. 1877).
2) Wilhelm Heinrich, Ingenieur, geb. zu Nordheim in Württemberg, [* 11] begründete 1865 das Technikum Mittweida, die erste Privatlehranstalt für Maschinentechniker, und 1868 das Technikum Frankenberg bei Chemnitz. [* 12] Für die Stärkefabrikation gab er wesentliche Verbesserungen an und errichtete eine Versuchsstation mit vollständig fabrikmäßigem Betrieb und Lehrkursus. Seit 1870 lebt er in Leipzig. [* 13] Er lieferte mehrere technische Kalender und schrieb zahlreiche technische Werke, von denen besonders hervorzuheben sind: »Handbuch für den praktischen Maschinenkonstrukteur« (Leipz. 1883-86, 4 Bde. und Supplementband);
»Die Corliß- und Ventildampfmaschinen« (das. 1879);
»Skizzenbuch für den praktischen Maschinenkonstrukteur« (2. Aufl., das. 1886);
auch redigiert er die von ihm begründeten Zeitschriften: »Der praktische Maschinenkonstrukteur« und »Wochenschrift für Industrie und Technik« (Leipzig).