Tyrus
(grch. Tyros, semit. Sûr, in der Bibel [* 3] Zor, d. i. Fels), die berühmteste unter den Seestädten Phöniziens, jünger als Sidon (s. d.), aber doch sehr alt, wurde eine der bedeutendsten und reichsten Handels- und Industriestädte der Alten Welt, blühend zugleich durch Kunst und Wissenschaft. Durch die Tyrier lernten die Israeliten Baukunst [* 4] und Schiffahrtskunde. Den Tyriern werden auch die verbesserte Bauart der Schiffe, [* 5] das Segeln in der Nacht nach der Stellung der Gestirne und andere Erfindungen in der Schiffahrt zugeschrieben.
Sie besuchten nicht nur alle
Küsten des Mittelländischen
Meeres, sondern drangen auch in den Atlantischen Ocean, holten Zinn
aus Britannien und vielleicht auch
Bernstein
[* 6] ans der Ostsee.
Gades, das heutige
Cadix in
Spanien,
[* 7] und
Karthago
[* 8] in
Afrika
[* 9] waren tyrische
Kolonien. Die
Blüte
[* 10] datiert von dem
Ausbau des angeblich von Alttyrus
aus gegründeten Inseltyrus durch
Hiram (s. d.) im 10. Jahrh.
v. Chr. Alttyrus
(Palaityros), das man an dem gegenüber liegenden Festland ansetzt, dessen Existenz
aber nicht sicher fest steht, sowie das ältere Sidon treten der Inselstadt gegenüber zurück. Der ursprünglich
über 700 m vom
¶
mehr
Festland entfernte Inselfelsen (heute ist er durch Anschwemmung an den Damm Alexanders d. Gr. [s. unten] zur Halbinsel geworden)
war mit riesigen, nach dem Festland hin gegen 50 m hohen Quadermauern befestigt und hatte einen Umfang von 4 km. Er besaß
zwei künstlich verbesserte Häfen, im Norden
[* 12] den «sidonischen», im Süden den «ägyptischen». Das Hauptheiligtum
der Stadt war der Tempel
[* 13] des Melkart. Weder Salmanassar von Assyrien (727-722), noch der babylon. König Nebukadnezar, der
Tyrus
13 Jahre (585-572 v. Chr.) belagerte, vermochte es zu nehmen.
Auf dem Siegeszuge Alexanders d. Gr. widerstand ihm das auf seine feste Lage trotzende Tyrus
ganz allein und erst
nach sechs Monaten vermochte er es (322) zu bezwingen. Entscheidende Hilfe leistete ihm dabei der Übergang eines Teiles der
pers. Flotte zu ihm und ein großartiger Dammbau vom Festland zur Insel. 315 wurde Tyrus
von Antigonus erst nach einer Belagerung
von 14 Monaten der ägypt. Besatzung des Ptolemäus entrissen; 40 v. Chr. belagerte es der Partherkönig
Pacorus.
Unter der Herrschaft der Römer [* 14] wurde die Stadt vom Kaiser Severus zu einer röm. Kolonie mit lat. Rechte erhoben. Auch hatte sich in ihr schon im apostoliscben Zeitalter eine christl. Gemeinde gebildet. 335 wurde daselbst ein Konzil wegen den Athanasianischen Streitigkeiten gehalten. 638 fiel in die Hände der Araber. Zur Zeit der Kreuzzüge erscheint es als eine Hauptfestung und als ein wichtiger Handelsplatz. Es war 1089 dem Sultan von Aleppo durch den Sultan von Ägypten [* 15] entrissen worden.
König Balduin I. von Jerusalem
[* 16] belagerte es bis in den April 1112 vergeblich, Balduin II. vom 15. Febr. bis
wo es mit Hilfe des Dogen von Venedig
[* 17] in die Hände der Christen kam. Es wurde nun der Sitz einer Grafschaft und eines Erzbistums,
das 13 Bistümer umfaßte, und dessen Inhaber seit 1174 der berühmte Geschichtschreiber der Kreuzzüge, Wilhelm von Tyrus
, war.
Saladin belagerte Tyrus
im Sommer 1187 und wieder vom 2. Nov. bis Ende Juli 1188 ohne Erfolg. Erst 1191 fiel es für immer in die
Hände der Mohammedaner.
Unter der türk. Herrschaft sank es ganz herab. Die Stelle der alten Inselstadt nimmt jetzt der elende Flecken Sûr ein, 38 km im Süden von Saida (Sidon) und 8 km südlich von der Mündung des Nahr el-Kâsimijeh oder el-Litâni (Lontes der Alten). Der Hafen ist versandet, und der Handel hat sich nach Beirut gezogen. Der Ort hat etwa 6000 E., zur Hälfte Mohammedaner oder Metâwileh, die andern Christen, Griechen, Maroniten und griech. Katholiken und einige wenige Juden. Von alten Bauwerken findet sich nur eine stattliche Kirchenruine aus dem Mittelalter, wo Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) 1190 beerdigt sein soll. -
Vgl. Prutz, Aus Phönizien.
Geogr. Skizzen und histor. Studien (Lpz. 1876);
ders., Kaiser Friedrichs I. Grabstätte (Danz. 1879);
Sepp, Meerfahrt nach Tyrus
zur Ausgrabung der Kathedrale mit Barbarossas Grab (Lpz. 1879): A.
Jeremias, Tyrus
bis zur Zeit Nebukadnezars (ebd. 1891);
Lucas, Geschichte der Stadt Tyrus
zur Zeit der Kreuzzüge (Marb. 1895).