Turnen
,
die Gesamtheit der zu zweckbewußter, geregelter, harmonischer Ausbildung des Körpers dienenden Leibesübungen. Die Turnkunst ist demnach wesentlich verschieden von dem Sportswesen, welchem die einseitige Ausbildung einzelner Bewegungsarten bis zu der höchsten Steigerung bezweckt, und von der Athletik, bei der dergleichen Bestrebungen berufs- und handwerksmäßige Arbeit sind.
Bei Einführung des in das Ganze der Erziehung lehnte man sich unter Benutzung der Überlieferungen aus den Fecht- und Voltigiersälen
der Ritterakademien und
Universitäten an das von den alten Griechen hierüber Bekannte an, und daher
nannte man auch anfangs diesen neuen Unterrichtszweig Gymnastik.
Fr. L.
Jahn gebrauchte zuerst dafür das Wort Turnen
, indem er
glaubte, daß es ein urdeutsches Wort sei, das von dem altdeutschen turnan (drehen) herkomme; es ist jedoch im
Altdeutschen
nicht nachzuweisen (dies kennt nur turnei
[Turnier] und turnieren) und wahrscheinlich erst im Neuhochdeutschen
aus franz. tourner entlehnt.
Wenn auch alle Kulturvölker des Altertums die Leibesübungen als förderlich für die Führung der Waffen [* 2] schätzten, so wurden sie doch nur bei den alten Griechen als Volkserziehungsmittel gepflegt. (S. Gymnastik.)
Bei den alten Deutschen waren mancherlei Leibesübungen im Gebrauch. Im Mittelalter war die Erziehung der Ritterjugend eine vorwiegend turnerische. Ritterbuben und Knappen hatten eine schwere und harte Schule durchzumachen, um den Grad von Gewandtheit, Kraft [* 3] und Ausdauer sich zu verschaffen, der für die in Ritt, Kampf und Turnier gipfelnde ritterliche Waffenkunst unentbehrlich war. Darauf aber trat eine Periode der Vernachlässigung ein; erst das Wiederaufblühen der klassischen Studien führte zu besserer Erkenntnis. Unter den Humanisten wiesen wiederholt Männer von Bedeutung auf die Wichtigkeit der von den Griechen eifrig gepflegten Gymnastik hin. Luther und Zwingli lobten und empfahlen die Leibesübungen. Der ital. Arzt Hieron. Mercurialis (gest. 1606) gab in seinem Kaiser Maximilian II. gewidmeten Werke «De arte gymnastica» (Vened. 1569 u. ö.; Amsterd. 1672) eine ausführliche Darstellung der antiken Gymnastik und wies auf die nützliche Wirkung der einzelnen Übungen hin.
Comenius, der franz. Philosoph Montaigne, der engl. Arzt Locke, J. J. Rousseau in seiner Erziehungsschrift «Émile ou l'éducation» (1762) traten für die Wichtigkeit der Leibesübungen bei dem Werke der Erziehung ein. Schon 1758 hatte Basedow in der von ihm verfaßten «Praktischen Philosophie für alle Stände» bei der Besprechung der Erziehung und des Unterrichts die Leibesübungen nicht vergessen. Er fügte daher dieselben auch, als zum Ganzen der Erziehung gehörig, in den Unterrichtsplan seines 1774 in Dessau [* 4] eröffneten Philanthropin ein.
Die nach diesem Vorbild bald anderwärts begründeten Erziehungsanstalten thaten ein Gleiches. Unter diesen wurde besonders die von Salzmann 1784 in Schnepfenthal bei Gotha [* 5] geschaffene für die Turngeschichte dadurch von Bedeutung, daß von 1786 an GutsMuths (s. d.) als Turnlehrer an ihr wirkte. Dessen praktische, vor allen Dingen aber seine schriftstellerische Thätigkeit gab weithin Anregung zur Aufnahme des in den Schulen. Seine «Gymnastik für die Jugend» (Schnepfenthal 1793; 2. Aufl. 1804) wurde in mehrere Sprachen übersetzt, und die ähnliche oder gleiche Ziele verfolgenden Bestrebungen von Nachtegall in Dänemark, [* 6] Ling in Schweden, [* 7] Clias in der Schweiz, [* 8] Amoros in Frankreich sind auf GutsMuths zurückzuführen. Nicht ohne Bedeutung verblieb das von seinem Zeitgenossen Vieth in Dessau herausgegebene Werk «Versuch einer Encyklopädie der Leibesübungen» (2 Tle., Berl. 1794-95; 2. Aufl., 3 Tle., Lpz. 1818) und Pestalozzis Schrift «Über Körperbildung. Als Einleitung auf den Versuch einer Elementargymnastik» (Aarau [* 9] 1807).
War man bisher meist bemüht gewesen, den
Leibesübungen besonders in geschlossenen Erziehungsanstalten
das Feld zu ebnen, so ging
Fr. L.
Jahns Bestreben dahin, das Turnen
zur allgemeinen Volksangelegenheit zu machen. In seinem Werke
«Deutsches Volkstum» (Lüb. 1810; neu hg. in Reclams
«Universalbibliothek») hatte er den
Plan zu einer volkstümlichen Erziehung
entworfen. Geleitet von dem
Gedanken, die Volkskraft zu stärken und den Volksgeist zur
Befreiung
Deutschlands
[* 10] vom Franzosenjoch zu heben, eröffnete er im
Frühjahr 1811 in der Hasenheide bei
Berlin
[* 11] den ersten öffentlichen Turnplatz.
Das Vorgehen fand großen Anklang, und in andern Orten wurden nach diesem
Muster gleiche Anstalten errichtet. Die
Befreiungskriege
entvölkerten die Turnstätten, indem die
Turner zu den Waffen griffen.
Neuen Aufschwung nahm die Turnsache
nach den Feldzügen, zumal die preuß. Regierung derselben besondere
Aufmerksamkeit widmete. Von wesentlicher Bedeutung für
die
Verbreitung und einheitlichere Gestaltung des Turnen
wurde das von
Jahn und E. Eiselen veröffentlichte, in seiner Art vorzügliche
und epochemachende Werk «Die deutsche
Turnkunst, zur Einrichtung der Turnplätze dargestellt» (Berl. 1816).
Eigentümlich war dem Jahnschen Turnen
die
Einteilung der drei- bis vierstündigen Turnzeit in
Turnschule, Turnkür und
Turnspiel.
Neben der streng systematischen
Leibesübung legte
Jahn großen Wert auf das
Turnspiel, bei dem sich die
Turner in größern
Massen nach einfachen Gesetzen zu freier Thatäußerung vereinigten. Das Gerätturnen
herrschte jedoch
vor, und hier traten Reck und
Barren als neu auf.
Die sich bald nach den Befreiungskriegen fühlbar machende Reaktion richtete ihr Augenmerk auch auf die Turnkunst, weil Jahn und seine Anhänger die Gewährleistung der vor den Kämpfen gegebenen Versprechungen auf freiheitliche Gestaltung Deutschlands ¶
mehr
forderten. Daher versuchte man die Turnsache durch allerlei Verdächtigungen in Mißkredit zu bringen, wozu Jahns derbes Wesen, seine rücksichtslose Sprache [* 13] in seinen Vorträgen über Volkstum im Winter 1817 und die sich in einigen äußerlichen Absonderlichkeiten ergebenden Turner willkommene Angriffspunkte boten. Die sog. «Turnfehde» in Breslau [* 14] bewog die Regierung zur vorläufigen Schließung der Turnplätze in Breslau und Liegnitz. [* 15] Als darauf die Kunde von der erfolgten Ermordung Kotzebues durch Sand, der Burschenschafter und Turner war, nach Berlin kam, glaubte man an eine staatsgefährliche Verschwörung. Friedrich Wilhelm III. unterschrieb nun nicht den ihm schon vorliegenden Organisationsplan zur Einrichtung von Turnanstalten in Preußen; [* 16] Jahn und andere Patrioten wurden verhaftet und sämtliche öffentliche preuß. Turnanstalten geschlossen.
Nur wenige Turnanstalten blieben von der Turnsperre unberührt. Doch gründeten sich trotz der Ungunst der Zeitumstände bald
wieder neue. In Stuttgart
[* 17] geschah dies 1822 durch den spätern Oberstudienrat von Klumpp, der sich auch durch die Schriften:
«Das Turnen.
Ein deutsch-nationales Entwicklungsmoment» (Stuttg.
1842),
«Die Erziehung des VolKs zur Wehrhaftigkeit» (1866) verdient machte. König Ludwig I. von Bayern [* 18] berief bald nach seinem Regierungsantritt Maßmann (s. d.) nach München [* 19] znr Übernahme des Turnunterrichts beim Kadettenkorps und bei den königl. Kindern, und 1828 wurde eine öffentliche Turnanstalt in München errichtet. Zu gleicher Zeit geschah dies vom Oberbürgermister und Landrat Frank in Magdeburg; [* 20] unterstützt wurde derselbe von C. F. Koch, der mit seiner schätzenswerten Schrift «Die Gymnastik aus dem Gesichtspunkt der Diätetik und Psychologie» (Magdeb. 1830) besondere Dienste [* 21] leistete.
Eiselen hatte es dahin gebracht, daß er schon 1825 in Berlin wieder einen Fecht- und Voltigiersaal eröffnen
durfte. Vielen Anklang fand Werner in Dresden
[* 22] mit seinem von 1831 an erteilten, auf Äußerlichkeiten großen Wert legenden
Turnunterricht. Von nachhaltigerer Bedeutung wurde Heubners turnerische Thätigkeit in Plauen
[* 23] i. V.,
indem die von ihm 1833 gegründete Anstalt für viele Orte Anregung zu gleichem Vorgeben gab. Großen Vorschub
leistete weiter dem Turnen
der durch Lorinsers Schrift «Zum Schutze der Gesundheit in den Schulen» (Berl.
1838) hervorgerufene Schulstreit, der mit einem Siege der Turnsache endigte. Zu allgemeinem Aufschwung gelangte dieselbe aber,
als König Friedrich Wilhelm IV. am durch Kabinettsorder das Turnen
«als
notwendigen und unentbehrlichen Bestandteil der gesamten männlichen Erziehung» bezeichnete.
Maßmann wurde für die Oberleitung des Turnwesens in Preußen nach Berlin berufen. An vielen Orten beeilte man sich, das an den
Schulen einzuführen, auch traten nunmehr häufiger Erwachsene zu gemeinsamem Turnen
zusammen und bildeten Turnvereine. 1816 stellten
sich denselben vier Zeitschriften als Vereinsorgane zur Verfügung, von denen «Der Turner», von Steglich
in Dresden redigiert, das bedeutendste war und das sich auch am längsten, bis 1852, erhielt.
Die Jahnsche Turnschule hatte zwar ihrer Zeit genug gethan; allein man fühlte das Bedürfnis, der Turnsache andere Stütz- und Zielpunkte zu geben. Mancherlei Lücken und Schwächen traten zu Tage; das vorwiegende an künstlichen Vorrichtungen wollte namentlich nicht für die jüngern Altersstufen als geeignet erscheinen, und die Anhäufung großer Schülermassen auf den Turnplätzen wurde für die turnerische und harmonische Entwicklung des Einzelnen als wenig ausgiebig erachtet. Es war daher ein Fehler, daß Maßmann 1844 das Turnwerk in Preußen genau so wieder aufnahm, wie es 1819 liegen geblieben war, und sich gegenüber den Neuerungen und Verbesserungen von Ad. Spieß ablehnend verhielt. Da die preuß. Regierung Maßmanns Richtung wenig fruchtbringend fand, begünstigte sie die schwedische Gymnastik (s. Heilgymnastik), auf die man in Deutschland [* 24] namentlich durch H. E. Richters Schrift «Die schwed., nationale und mediz. Gymnastik» (Dresd. 1845) aufmerksam geworden war.
Der vom preuß. Kriegsminister zum Studium dieser Gymnastik nach Schweden entsendete Rothstein wurde ein so fanatischer Vertreter
derselben, daß er als Leiter der 1851 begründeten Centralturnanstalt zu Berlin alle Mittel in Bewegung setzte, um das deutsche
Turnen
ganz zu verdrängen. Als er sich jedoch anschickte, die Hauptgeräte Reck und Barren zu verwerfen, traten
die Hauptvertreter des deutschen aus den Kreisen der Ärzte und Turnlehrer gegen ihn auf. Als auch in höchster Instanz die
wissenschaftliche Deputation für das preuß. Medizinalwesen sich in einem umfänglichen Gutachten
im Sinne der Vertreter des deutschen Turnen
ausgesprochen hatte, endigte dieser zur Aufklärung der verschiedenen
Anschauungen und auch den Reformen der deutschen Turnkunst förderliche Turnstreit.
Mittlerweile hatte Ad. Spieß durch seine glückliche Erfindungsgabe und sein bedeutendes Lehrgeschick die Turnkunst stofflich
bereichert und methodisch vervollkommnet, und zwar in Berücksichtigung der Eigenartigkeit beider Geschlechter. Er trat
mit ganz neuen Forderungen für das Turnen
der Schulen auf: Turnhaus und Turnplatz sollten in unmittelbarer Nähe der Schulen
vorhanden sein, damit die Turnstunden in die übrigen Schulstunden eingereiht werden könnten;
jede Schulklasse sei auch als Turnklasse zu behandeln, deren turnerische Unterweisung nicht durch Vorturner, sondern unmittelbar durch den Lehrer zu erfolgen habe;
das Princip der Gemeinthätigkeit sei nicht bloß bei den Frei- und Ordnungsübungen, sondern womöglich auch bei den Gerätübungen anzuwenden, wozu die Geräteausstattung des Turnraums passen müsse;
die Turnstunden seien auf die Tage zu verlegen, in denen sich Schul- und Arbeitsstunden häuften.
Die Spießschen Grundsätze haben sich allmählich allgemeine Anerkennung verschafft.
Für die weitere Entwicklung des Schulturnens
war die Gründung von Turnlehrerbildungsanstalten von großem Einfluß. In Dresden
geschah dies von der sächs. Regierung 1850 unter Berufung von Kloß als Direktor. Seit 1881 ist dort dessen Nachfolger W.
Bier erfolgreich thätig. Preußen gründete 1851 die Centralturnanstalt in Berlin für Militär- und Civilturnlehrer
zugleich. Bis 1863 stand derselben H. Rothstein vor, der ausschließlich das schwed. System begünstigte. Nach seiner Entfernung
zog allgemach das deutsche Turnen
ein. Bei der 1877 erfolgten Trennung in eine besondere Militärturnanstalt, in welcher ein Turnen
, wie
es den Vorschriften über Militärturnen
entspricht, getrieben wird, und in eine besondere Civilturnlehreranstalt
wurde Schulrat Dr. Euler (s. d.) zum Dirigenten der
letztern ernannt. Für Württemberg
[* 25]
¶
mehr
besteht seit 1863 eine Turnlehrerbildungsanstalt, der bis August 1890 O. Jäger vorstand. Dieser machte sich zunächst einen
Namen durch seine Preisschrift «Die Gymnastik der Hellenen» (Eßling. 1857). Durch seine «Turnschule für die deutsche Jugend»
(Lpz. 1861) und «Neue Turnschule» (Stuttg. 1876) strebt derselbe die Gründung eines besondern Systems an, bei
welchem das Gerätturnen
bis zum 14. Jahre der Schüler zurückzuhalten sei, dafür aber Eisenstab-, Hantel- und Ordnungsübungen
sowie die Übungen eines deutschen Pentathlon, bestehend in Lauf, Sprung, Weitwurf, Zielwurf und Ringen, vorzunehmen seien.
Da das Turnen
die Wehrhaftmachung des Volks als Ziel habe, so müsse alles militär. Charakter zeigen.
Außerhalb Württembergs haben diese Anschauungen wenig Anklang gefunden, nur die durch Jäger herbeigeführte Bereicherung der Stabübungen hat allgemeine Aufnahme erlangt. Nachfolger Jägers wurde Fritz Keßler. Än der 1869 begründeten Turnlehrerbildungsanstalt zu Karlsruhe [* 27] wirkt A. Maul (s. d.) und in der in München 1872 eröffneten G. H. Weber. In den höhern Schulen ist jetzt das in ganz Deutschland und Österreich [* 28] so gut wie allgemein eingeführt, auch schon in vielen städtischen Knabenschulen findet es sich vor, wenn auch nicht immer die Einrichtungen befriedigender Art sind; selbst mit dem Mädchenturnen haben eine beträchtliche Anzahl Städte den Anfang gemacht, dagegen ist man mit der Einführung des in den Dorfschulen meist noch sehr zurück. Der Aufschwung des Schulturnens in den vierziger Jahren veranlaßte in vielen Orten die Gründung von Turnvereinen, besonders günstig waren hierfür die J. 1817 und 1818. Gleichzeitig mischten sich jedoch in jener aufgeregten polit. Zeit in die Vereine polit. Elemente hinein. Daher fegte die in den fünfziger Jahren herrschende Reaktion viele Vereine hinweg, so daß 1860 von den mehr als 300 Vereinen des Jahres 1819 kaum noch der dritte Teil vorhanden war.
Das erste Deutsche [* 29] Turnfest in Coburg [* 30] 1860 brachte einen Umschwung, und seitdem ist das Vereinswesen stetig weiter gewachsen. Im ganzen fanden bisher acht deutsche Turnfeste statt: in Coburg 16. bis in Berlin 10. bis in Leipzig [* 31] 2. bis in Bonn [* 32] 3. bis in Frankf. a. M. 21. bis in Dresden 18. bis in München 28. bis in Breslau 21. bis Über die gegenwärtigen Turnvereinsverhältnisse s. Turnerschaft.
Das Wiederaufblühen des Turnvereinslebens wirkte in vielen Orten befruchtend auf die Einführung und Entfaltung des in den Schulen. Gleichzeitig blieb hierbei nicht ganz ohne Einfluß die Bildung von Orts- und Landes- (Provinzial-) Turnlehrervereinen zwecks gegenseitiger Anregung und gemeinschaftlicher Weiterbildung des Turnlehrfaches sowie öffentlicher Erörterung turnerischer Fragen. In gleicher Weise geschah dies auch durch die bisher abgehaltenen 12 deutschen Turnlehrerversammlungen.
Auf der letzten derselben (Hof [* 33] 1893) fand die Gründung eines deutschen Turnlehrervereins statt, der «die Hebung [* 34] des Schulturnens und die Herstellung des richtigen Verhältnisses zwischen Geistes- und Körperpflege in der Schule bezweckt». Die eigenartige Gestaltung des Mädchenturnens ließ es als zulässig erscheinen, diesen Unterricht durch besonders vorzubildende Lehrerinnen erteilen zu lassen. Zu diesem Behufe erhalten schon seit Jahren auch Lehrerinnen in den Turnlehrerbildungsanstalten entsprechende Unterweisungen. Bei Einführung des Turnen durch Jahn waren es auf den Universitäten besonders die Burschenschaften, die dasselbe eifrig betrieben. Während der Turnsperre fristete sich das in einzelnen Hochschulen mühsam hin, auch in den folgenden beiden Jahrzehnten fand es in Studentenkreisen wenig Anhänger. Erst mit dem Aufschwunge in den sechziger Jahren erwachte auch hier neues Leben und bildeten sich akademische Turnvereine (s. d.).
Zur Erreichung der gestellten Ziele werden beim Unterricht Freiübungen (s. d.), Ordnungsübungen (s. d.), Spiel (s. d.) und Gerätübungen (s. d.) getrieben, zu welchen sich noch das Ringen (s. d.) und die Turnfahrten, d. h. Dauermärsche in die Umgegend, gesellen. Bei Benutzung des vorhandenen reichen Übungsstoffes ist sowohl auf die Alters- als auch auf die Geschlechtsunterschiede, auf die geistige Fassungskraft und die körperliche Beschaffenheit der Übenden eingehend Rücksicht zu nehmen.
Demzufolge kennt die neuere Unterrichtsmethode, gleichzeitig damit den Charakter der besondern Turnart hervorhebend, ein Knaben-, ein Mädchen- und ein Männerturnen. Insbesondere ist zu Gunsten des Mädchenturnens, dem vielfach noch konventionelle Vorurteile entgegenstehen, zu sagen, daß es allgemeine Muskel- und Nervenschwäche, Bleichsucht, Wachstumsfehler, Engbrüstigkeit, Verkrümmungen der Wirbelsäule, die den Mädchen besserer Stände bei vorwiegend sitzender Lebensweise und massenhaften Unterrichtsstunden drohen, wirksam zu verhüten vermag; eine harmonische kraftvolle Ausbildung des Körpers befähigt aber erst das Weib zu ihren schweren Pflichten als Gattin und Mutter. Da für die Armee die Turnübungen besonders begrenzt sind und bei deren Ausführung, infolge der Vorschrift, daß «nie von dem Wege strengster militär. Zucht und Ordnung abzuweichen sei», bestimmte militär. Gepflogenheiten zu Tage treten, so spricht man auch von einem Militärturnen. Durch die Bestrebungen der Turnlehrer Kluge in Berlin (gest. 1882), Zettler in Chemnitz [* 35] u. a. ist die Konstruktion der Turngeräte wesentlich vervollkommnet worden.
Aus der reichen Litteratur sind hervorzuheben:
1) Allgemeines und Geschichtliches: Lange, Die Leibesübungen (Gotha 1863);
Brendicke, Grundriß zur Geschichte der Leibesübungen (Cöthen [* 36] 1882);
Iselin, Geschichte der Leibesübungen (Lpz. 1886);
C. Euler, Geschichte des Turnunterrichts (Gotha 1891);
ders., Encyklopäd. Handbuch des gesamten Turnwesens und der verwandten Gebiete (3 Bde., Wien [* 37] 1893-96);
Hirth, Das gesamte Turnwesen (2. Aufl. durch Gasch, Hof 1893; Ergänzungsband 1895);
F. A. Schmidt, Die Leibesübungen nach ihrem körperlichen Übungswert (Lpz. 1893);
Rühl, Entwicklungsgeschichte des Turnen (ebd. 1895).
2) Methodisches: Heeger, Anleitung für den Turnunterricht in Knabenschulen (2 Tle., Lpz. 1880);
Zettler, Methodik des Turnunterrichts (2. Aufl., Berl. 1881);
Hausmann, Das in der Volksschule (1. Aufl., Weim. 1882);
Maul, Anleitung für den Turnunterricht an Knabenschulen (3 Tle., Tl. 1, 3. Aufl., Karlsr. 1883; Tl. 2, 5. Aufl. 1895; Tl. 3, 2. Aufl. 1888);
Zettler, O. Schettlers Turnschule für Knaben (2 Tle., 2. und 3. Aufl., Plauen 1883 u. 1895);
Maul, Der Turnunterricht in Mädchenschulen (4 Tle., Tl. 1 in 2. Aufl., Karlsr. 1885-92);
G. H. Weber, Grundzüge des ¶