Titel
Tunnel
unterirdischer
Stollen, welcher zur Herstellung entweder eines Land- oder eines Wasserverkehrs
durch hügeliges oder gebirgiges
Terrain (Landtunnel
), oder zur Herstellung eines Landverkehrs, einer Wasserzuleitung oder
einer
Ableitung von Abfallstoffen unter dem
Bett
[* 3] eines
Flusses,
Sees oder Meeresarms (Unterwassertunnel
)
erbaut wird. Bauten dieser Art führten bereits die
Römer
[* 4] aus, unter welchen der wahrscheinlich von Furius
Camillus 396
v. Chr.
herrührende, etwa 1900 m lange Ablaßstollen des
Albanersees, der durch
Kaiser
Claudius ausgeführte, etwa 3700 m lange Ablaßstollen
des
Lacus Fucinus sowie der um 37 durch
Coccejus hergestellte, etwa 1000
Schritt lange
Stollen durch den
Posilipo und der um 79
n. Chr. unter Vespasian in der
Straße von
Rom
[* 5] nach
Ariminum ausgeführte, etwa 200
Schritt lange
Stollen
(petra pertusa) hervorzuheben sind.
Das einzige größere Werk des
Mittelalters ist der 1450 zur
Verbindung von
Nizza
[* 6] und
Genua
[* 7] begonnene, jedoch
bis jetzt unvollendete Tunnel
durch den
Col di Tenda. Die bedeutendsten, gegen Ende des 17. und im
Lauf des 18. Jahrh. in
Frankreich
ausgeführten Tunnels
sind der von Riquet 1679-81 zur Durchleitung des
Kanals von
Languedoc hergestellte Malpastunnel
sowie
der 1770 im Givorskanal erbaute Tunnel
von
Rive de
Gier und der 1787 im Centrekanal erbaute Tunnel
von Torcy. Erst
im Anfang des 19. Jahrh. führte man den für den
Kanal
[* 8] von St.-Quentin bestimmten 8 m breiten Tunnel
bei Tronquoi durch sandiges,
druckreiches
Gebirge, während in
den
Jahren 1803-30 Tunnels
teils in festem
Gebirge, wie die zum
Schutz vor
Lawinen dienenden
Galerien der
Alpenstraßen über den
Simplon,
Mont Cenis,
Splügen,
Bernhardin und St.
Gotthard, teils in weicherm
Gebirge in
Frankreich
und
England, meist behufs
Durchführung von
Kanälen zur Ausführung kamen.
Die bei weitem schwierigste und kühnste Leistung dieser Zeit war jedoch der von
Isambert
Brunel 1825 begonnene und trotz elfmaligen
Einbruchs des
Wassers nach 16jähriger harter
Arbeit vollendete Tunnel
unter der
Themse. Den größten Aufschwung
erfuhr der Tunnelbau
erst durch den
Eisenbahnbau.
[* 9] Die ersten Eisenbahntunnels
baute
Stephenson in der
Linie
Liverpool-Manchester
1826-30. In
Deutschland
[* 10] begann man die ersten Eisenbahntunnels
1837 in der
Linie
Köln-Aachen bei Königsdorf und in der
Linie
Leipzig-Dresden bei Oberau, während 1839 der erste österreichische Bahntunnel
in der
Linie
Wien-Triest
bei
Gumpoldskirchen zur Ausführung kam. Von da ab nahm der Tunnelbau
in Eisenbahnlinien so zu, daß 1874 die Gesamtlänge
der Tunnels
auf preußischen
Bahnen 46 km, auf allen österreichischen
Bahnen 43 km betrug, während sie in
Frankreich 1868 bereits
eine
Ausdehnung
[* 11] von 193 m ^[richtig: km] erreicht hatte. Zum
Vergleich einer Anzahl der bedeutendsten Eisenbahntunnels diene
folgende
Tabelle. Es beträgt die
Länge:
Meter | |
---|---|
St. Gotthard-Tunnel | 14920 |
Mont Cenis-Tunnel | 13233 |
Arlbergtunnel | 10270 |
Giovigalerie (Novi-Genua) | 8260 |
Hoosac-Tunnel (Massachusetts) | 7640 |
Tunnel von Marianopoli (Catania-Palermo) | 6480 |
Sudrotunnel in Nevada | 6000 |
Tunnel bei Slandridge (London-Birmingham) | 4970 |
Nerthetunnel (Marseille-Avignon) | 4620 |
Belbo-Galerie (Turin-Savona) | 4240 |
Kaiser Wilhelm-Tunnel bei Kochem (der längste in Deutschland) | 4216 |
Blaisytunnel (Paris-Lyon) | 4100 |
Krähbergtunnel (Odenwaldbahn) | 3100 |
Brandleitetunnel (Thüringerwald) | 3030 |
Hauensteintunnel (Schweiz) | 2490 |
Sommerautunnel (Schwarzwaldbahn) | 1696 |
Semmeringtunnel | 1431 |
Mühlbachtunnel (Brennerbahn) | 855. |
Zu den bedeutendsten Wassertunnels der Gegenwart zählen der zur Versorgung von Chicago mit reinem Wasser aus dem Michigansee dienende Wasserleitungstunnel sowie die für Eisenbahnverkehr bestimmten unter dem Meer und unter dem Mersey in England und der Hudsonflußtunnel in Nordamerika. [* 12] Zu den bedeutendsten Projekten von Tunnelbauten zu Verkehrszwecken gehören der für Eisenbahnverkehr bestimmte Tunnel unter dem Kanal zur Verbindung von Frankreich und England, dessen Ausführung übrigens aus militärischen Rücksichten von dem englischen Oberhaus zunächst nicht genehmigt worden ist (vgl. über ihn in geologisch-technischer Beziehung die Schrift von Hesse, Leipz. 1875), ferner die Tunnels unter der Meerenge von Messina [* 13] zur Verbindung von Italien [* 14] und Sizilien [* 15] und unter der Meerenge von Gibraltar. [* 16]
Landtunnels sind entweder ein- oder zweigeleisige Eisenbahntunnels, Straßentunnels oder zur Durchführung eines Kanalbettes bestimmte Kanaltunnels. Bei geringer Tiefe unter der Oberfläche und bei unfester Beschaffenheit des Bodens werden dieselben mit Vorteil in zuvor hergestellte offene Einschnitte eingebaut, und, nachdem das Mauerwerk der Sohle, der Wandungen und der Gewölbe [* 17] vollendet, also das Querprofil geschlossen ist, der Tunnel mit einem ¶
mehr
hinreichenden Teil des Einschnittmaterials bedeckt. Bei größerer Tiefe unter der Oberfläche und bei fester Beschaffenheit des Bodens müssen die Tunnels bergmännisch hergestellt werden. Je nach der Art des Arbeitsvorganges beim Abbau ihres Profils und der Herstellung ihrer Mauerung unterscheidet man die »deutsche«, »belgische«, »englische«, und »österreichische« Tunnelbaumethode, wobei je nach der Anordnung des Zimmerwerks und der Lage des sogen. Richtstollens weitere Unterscheidungen gemacht werden.
Die beim Tunnelbau vorkommenden bergmännischen Arbeiten bestehen in dem Lösen des Bodenmaterials, des sogen. »Gesteins«, dem Entfernen der gelösten Massen, dem sogen. »Schleppen« und »Fördern« der »Berge«, und dem »Verbauen«, d. h. der Sicherung des hergestellten Hohlraums gegen Einsturz, provisorisch durch »Verzimmerung« in Holz [* 19] oder Eisen, [* 20] definitiv durch »Ausbau« meist in Stein, unter besondern Verhältnissen jedoch auch in Holz (Amerika) [* 21] oder Eisen. Die Landtunnels werden bei günstigen Steigungsverhältnissen gerade, andernfalls in Kurven und, wo es sich um Ersteigung bedeutender Höhen mit mäßigem Gefälle auf beschränktem Terrain handelt, in Schleifen (Kehrtunnels) oder selbst in Spiralen (Spiraltunnels) angelegt.
Unterwassertunnels sind für einen Eisenbahn- und Straßenverkehr oder für die Zuleitung von reinem Wasser oder Ableitung von Abfallstoffen bestimmt und erfordern hiernach die verschiedensten Querschnitte und Gefälle. Von besonderer Wichtigkeit sind die erstern, Verkehrszwecken dienenden Unterwassertunnels, welche an die Stelle unsicherer, durch Stürme, Nebel u. Eisgänge bedrohter Schiffsverbindungen, zumal da, wo der Bau fester Brücken [* 22] wegen der notwendigen Erhaltung des Verkehrs großer Schiffe [* 23] zu hohe Pfeiler, tiefe, kostspielige Fundamente und lange, gegen Sturmdruck schwer zu sichernde Träger [* 24] erfordern würde, eine feste, stets benutzbare, den Schiffsverkehr nicht hindernde, rasch fördernde Verbindung setzen.
Die Schwierigkeiten, welche sich der Ausführung dieser Tunnels entgegenstellen und hauptsächlich in der mangelhaften Kenntnis des zu durchfahrenden Bodens und der etwa eintretenden Wasserzuflüsse sowie in der Notwendigkeit, mehr oder minder lange, größtenteils unterirdische Zufahrtswege anlegen zu müssen, bestehen, haben dazu geführt, die Unterwassertunnels entweder nur so viel wie nötig in den Grund zu versenken, um sie gegen die Berührung durch den Kiel [* 25] der Schiffe und gegen Wellenschlag zu schützen (Senktunnels), oder sie nur so tief unter die Sohle des Wassers zu legen, als es die Sicherheit des Baues und des Betriebs durchaus erfordern (Bohrtunnels).
Dagegen ist die Versenkung eiserner Tunnelröhren nur bis zu einer durch Schiffsverkehr und Wellenschlag bedingten Tiefe unter Wasser, wo sie schwimmend erhalten und durch Verankerungen gegen nachteilige Bewegungen gesichert werden sollten, oder bis auf die Sohle des Wassers, wo sie durch Verankerungen gegen den Auftrieb [* 26] und gegen Wellenbewegung [* 27] geschützt werden sollten, wegen der damit verbundenen Unsicherheit bis jetzt nicht zur Ausführung gelangt. Als Vorläufer der unter Wasser bergmännisch hergestellten Tunnels sind die bereits im vorigen Jahrhundert allmählich vorgetriebenen Stollen des Bergwerks von Huel-Cock in England anzusehen, welche sich weit unter den Meeresboden erstreckten, und wobei die zwischen Stollenscheitel und Meeressohle verbliebene Bodenschicht stellenweise nicht über 1,5 m betrug, so daß die hier beschäftigten Bergleute bei bewegter See das Rollen [* 28] der Gesteine [* 29] auf dem Meeresboden deutlich hören konnten.
Der erstere in größern Dimensionen für Fußverkehr ausgeführte Wassertunnel ist der eingangs erwähnte, von Brunel zur Verbindung der Stadtteile Rotherhithe u. Wapping erbaute Themsetunnel (s. d.). Der zweite, 1869 von Barlow im festen blaugrauen Thon mit einer Öffnung von 2,2 m Durchmesser erbaute, 375 m lange Themsetunnel verbindet die Stadtteile Tower Mill und Tooley Street und ist an beiden Ufern durch 18 m tiefe, 3 m weite Schächte, in welchen Treppen [* 30] mit je 96 Stufen angeordnet sind, zugänglich.
Die neuesten englischen Bauwerke dieser Art sind die beiden zweigeleisigen Wassertunnels unter dem Severn und unter dem Mersey. Der 9 m breite Severntunnel erreicht eine Länge von 7250 m, wovon sich 3620 unter dem Fluß befinden, fällt mit 1:100 von den beiden Ufern nach dem Fluß und durchfährt meist harten Sandstein, der jedoch unter der Mitte des Flusses zerklüftet ist und die Anwendung mächtiger Dampfpumpen zur Bewältigung des Wassers erforderte. Die von beiden Ufern aus begonnenen Stollen wurden teilweise mit Mac Keanschen Bohrmaschinen [* 31] aufgefahren und trafen mit nur 7 cm Abweichung von der Hauptrichtung zusammen. Der 7,5 m breite und 6,5 m hohe Merseytunnel [* 2] (Fig. 1) nebst den beiden erforderlichen Entwässerungsstollen wurde von den an beiden Ufern abgeteuften Schächten aus begonnen und durchsetzt roten Sandstein so tief unter der Flußsohle, daß zwischen ihr und der Tunnelfirst eine Felsschicht von mindestens 8 m Stärke [* 32] verbleibt. Unter den amerikanischen Wassertunnels ist die Eisenbahnunterführung unter dem Hudson
[* 2] ^[Abb.: Fig. 1. Längenprofil des Merseytunnels.
Fig. 2. Hudsonflußtunnel.
Fig. 2. Grundriß am New Jersey-Ufer.] ¶
mehr
[* 33] (Fig. 2) hervorzuheben, welche New York mit Jersey City verbindet. Der 1670 m lange, unter dem Fluß befindliche Teil desselben besteht aus zwei 4,9 m breiten, 5,5 m hohen, dicht nebeneinander liegenden elliptischen Röhren [* 34] mit je einem Geleise, während die beiden Zufahrtstunnel eine Weite von 7,5 m erhalten haben und die beiden Geleise aufnehmen. Unter den zur Zuleitung reinen Wassers dienenden Wassertunnels sind die zur Wasserversorgung der Stadt Chicago aus dem Michigansee und der Stadt Cleveland aus dem Eriesee bestimmten Tunnels hervorzuheben, wovon der erstere aus zwei 15 m voneinander entfernten, je 3200 m weit und 10 m tief unter dem Seegrund liegenden Tunnels von 1,52 und 2,1 m Weite bei 1,75 m Höhe, der letztere aus einem über 2 km langen, 1,5 m weiten, 1,6 m hohen und 12,5-21 m unter dem Seegrund liegenden elliptischen Tunnel besteht. Der zur Entwässerung und Abführung der Fäkalien der Stadt Boston [* 35] bestimmte, 45 m unter dem Wasserspiegel der Dorchesterbai, dem Hafen dieser Stadt, durchgeführte Wasserstollen besitzt eine Länge von 1860 m und eine Weite von 2,3 m.
Senktunnel. Bei geringen Wassertiefen läßt sich der Tunnel zwischen wasserdichten Einschließungen, den sogen. Saugdämmen, aus welchen das Wasser durch Pumpen [* 36] entfernt wird, fast ganz im Trocknen herstellen und erst dann unter Wasser setzen. Bei größern Wassertiefen und ungünstigem Meeresgrund hat man vorgeschlagen, die Tunnels mit Hilfe von unten offenen hölzernen oder eisernen Kasten, aus welchen das Wasser während des Baues durch verdichtete Luft von einem der Wassertiefe entsprechenden Druck hinausgepreßt wird, d. h. pneumatisch, zu versenken. In Bezug auf die Beschreibung einzelner besonders hervorragender Tunnelbauten der neuern Zeit verweisen wir auf die Spezialartikel (Themse, Mont Cenis, St. Gotthard, Arlberg etc.).
Vgl. Lorenz, Praktischer Tunnelbau (Wien [* 37] 1860);
Schön, Der Tunnelbau (das. 1874);
Rziha, Lehrbuch der gesamten Tunnelbaukunst (Berl. 1872);
Zwick, Neuere Tunnelbauten (2. Aufl., Leipz. 1876);
Mackensen u. Richard, Der Tunnelbau (das. 1880);
Dolezalek, Der Tunnelbau (Hannov. 1888 ff.);
Birnbaum, Das Tunnellängsträger-System, System Menne (Berl. 1878).