Titel
Türkisches
Reich (vgl. beifolgende Übersichtskarte »Türkisches Reich«
).
Das türkische oder
osmanische Reich (türk. Memâlik-i Osmanije, »die
osmanischen
Länder«, oder Devlet-i Alije, »das hohe
Reich«) umfaßt die gesamte Ländermasse, welche unter der Herrschaft
des
Sultans
(Padischah) in
Konstantinopel
[* 2] steht, d. h. also Teile der sogen.
Balkanhalbinsel,
[* 3]
Kleinasien,
Syrien, Teile von
Armenien,
Kurdistan und
Arabien sowie den Nordosten von
Afrika.
[* 4] Es sind dies teils unmittelbare Besitzungen, teils
tributäre
Staaten (wie
Bulgarien,
[* 5]
Samos,
Ägypten).
[* 6]
Doch ist dabei zu bemerken, daß große, namentlich gebirgige Strecken Landes in Albanien, Kleinasien und Kurdistan faktisch der Türkenherrschaft gänzlich entzogen sind, daß Bosnien [* 7] (s. d.), die Herzegowina und Teile des Sandschaks Novipasar sowie Cypern [* 8] nur in der Theorie zum türkischen Reich, thatsächlich aber zu Österreich, [* 9] resp. (Cypern) England gehören, und daß die Grenzen [* 10] des Reichs besonders gegen das unabhängige Arabien und Afrika hin nicht feststehen. Deswegen und wegen des Fehlens jeder brauchbaren offiziellen Statistik können die Angaben über Grenzen, Areal und Bevölkerung [* 11] stets nur beschränktes Vertrauen beanspruchen; auch ist die Bemerkung, daß das Areal des Reichs selbst nicht auf Zehntausende von Quadratkilometern genau anzugeben ist, für die Erkenntnis türkischer Zustände wertvoller als genaue Ziffern, welche ganz imaginäre und wertlose Zahlenreihen darstellen.
Die europäische Türkei.
(Hierzu die Karte »Balkanhalbinsel«.)
Die
europäische Türkei, zu welcher nach den letzten Veränderungen
(Vertrag von
Berlin,
[* 12] und
Konferenzen von
Berlin und
Konstantinopel, resp. als unmittelbare Besitzungen nur noch die
Wilajets Kossowo (nebst einem Teil des
Sandschaks
Novipasar),
Monastir,
Skutari,
Janina,
Saloniki,
[* 13]
Adrianopel,
Kreta und ein Teil
des
Wilajets
Konstantinopel gehören, liegt (ohne Berücksichtigung der
Inseln, privilegierten
Provinzen
etc.) zwischen 39° und 43½° nördl.
Br., inkl.
Bulgariens und
Ostrumeliens zwischen 39° und 44° 12' nördl.
Br. und grenzt
im N. an
Rumänien und
Serbien, im
NW. an den österreich
ischen Kaiserstaat (d. h. an das von
Österreich-Ungarn
[* 14] besetzte
Bosnien),
im
W. an das Adriatische und
Ionische Meer, im
S. an
Griechenland,
[* 15] das Ägeische und das
Marmarameer, im O.
an das
Schwarze Meer.
Physische Beschaffenheit.
Die Balkanhalbinsel wird zum größten Teil von Bergketten erfüllt, in denen sich drei Hauptrichtungen unterscheiden lassen. Das Gebirgssystem des Hämos erstreckt sich vom Thal [* 16] des Timok an als Hämos im engern Sinn oder Balkan (s. d.) in westöstlicher Richtung bis zum Kap Emineh am Schwarzen Meer. Es bildet, von dem dasselbe durchbrechenden Isker abgesehen, die Wasserscheide zwischen der Donau und dem Ägeischen Meer. Vom Schardagh (s. d.) zieht sich eine zweite Hauptkette als Wasserscheide zwischen dem Ionischen und Ägeischen Meer nach S., bildet die Grenze zwischen Albanien und Makedonien, zwischen Thessalien und Epirus und findet ihre Fortsetzung in den Gebirgen Moreas.
Auf sie wird der Name des Pindos (zwischen 39° und 40° nördl. Br.) verallgemeinert angewendet. Die dritte Hauptrichtung vertritt ein System von Bergzügen, die unter verschiedenen Namen in der Richtung von NW. nach SO., also dem Apennin parallel, die Herzegowina und Bosnien erfüllen. Neben diesen Hauptketten erheben sich teils selbständige, denselben parallele Gebirge von geringerer Ausdehnung [* 17] (z. B. im W. die Akrokeraunien oder das Tschikagebirge, im O. die Gruppe des Olympos), teils zweigen sich von den Hauptketten Nebenketten ab, welche die Provinzen der europäischen Türkei [* 18] meist als terrassenförmig gegen die Hauptketten ansteigende Bergländer erscheinen lassen.
Albanien (s. d.) wird in seinem östlichen Teil von zusammenhängenden, von NW. nach SO. streichenden Hochgebirgsketten durchzogen: dem Pindos (Tsurnata 2168 m, Budzikaki 2160 m), dessen nördlichen Fortsetzungen (Smolika 2570 m) und dem jenen parallelen Peristeri östlich vom Presbasee (2350 m) bis hinauf zum 2280 m hohen Prokletjagebirge, unweit der Südgrenze Montenegros. Eine abweichende Richtung, von NO. nach SW., hat der etwa in gleicher Breite [* 19] gelegene Schardagh (bis 3050 m hoch).
Das Land zwischen dem Adriatischen und Ionischen Meer einerseits und jenen Gebirgen anderseits enthält an den Mündungen der Flüsse [* 20] ziemlich ausgedehnte Alluvialebenen, welche durch Gebirgszüge getrennt werden. Die bedeutendste Erhebung liegt nördlich von 40° nördl. Br., wo die Viosa (Aoos) durchbricht und das bis 2040 m hohe Tschikagebirge nebst seiner halbinselförmigen Verlängerung, [* 21] den Akrokeraunien des Altertums, senkrecht zum Meer abfällt. Das Zentrum der europäischen Türkei bildet die zu 2300 m ansteigende, auf allen Seiten von niedrigern und höhern Gebirgszügen umgebene gewaltige Syenitmasse des Witosch, südlich von Sofia, auf bulgarischem Gebiet gelegen.
Zwischen Mesta (dem alten Nestos) und Maritza erhebt sich zu 2300 m das Rhodopegebirge (s. d.). Es umfaßt eine Reihe von NW. nach SO. verlaufender Bergzüge, zwischen denen sich Längenthäler hinziehen. Das größte derselben ist das der Arda, deren Quellgebiet die Zentralmasse des Rhodope bildet. Zwischen Balkan und Rhodope liegen Mittelgebirgszüge, dem erstern parallel streichend, wie die Sredna Gora und Tscherna Gora, und ausgedehnte Ebenen am Oberlauf der Maritza und ihren Nebenflüssen.
Makedonien (s. d.) wird durch den dem Rhodopegebirge parallelen Perimdagh (Orbelos 2700 m) von Thrakien, durch die Pindoskette von Epirus geschieden; nach N. und S. hat es keine so bedeutenden Grenzgebirge. Einen Anhang dazu bildet die Chalkidike mit ihren drei langgestreckten Halbinseln und dem heiligen Berg Athos. Von Thessalien (s. d.) ist nur der nördlichste gebirgige Teil mit dem Olympos beim türkischen Reich verblieben, der fruchtbare Süden aber 1881 an Hellas abgetreten worden. Von Ebenen, die einen geringen Raum des Gesamtareals einnehmen, sind der Türkei namentlich geblieben die Tiefebenen an der Maritza, am Strymon oder Karasu, an den Mündungen des Wardar, der Vistritza und der albanischen Flüsse.
An schiffbaren Flüssen ist die europäische Türkei sehr arm; ein Teil der Maritza ist dank der Nachlässigkeit der türkischen Behörden jetzt das einzige schiffbare Binnenwasser. Die übrigen bedeutenden Flüsse sind im Gebiet des Schwarzen Meers: der Kamtschyk, welcher zwischen Warna und Misivri mündet;
im Gebiet des Ägeischen Meers: die Maritza mit der Arda, in den Meerbusen von Enos mündend, der ¶
mehr
Karasu (Mesta), der Strymon (türk. Karasu), den Tachynosee durchfließend und in den Busen von Orfano mündend, der Wardar und die Vistritza, alle in den Meerbusen von Saloniki mündend; im Gebiet des Ionischen Meers: die Arta, in den Meerbusen von Arta mündend, der Kalamas und Pawla, durch den Liwarisee fließend;
im Gebiet des Adriatischen Meers: Viosa, Semeni mit Dewol, Schkumbi, Mati, Drin und die auf österreichischem Gebiet mündende Narenta.
Unter den Landseen sind die bedeutendsten: die Seen von Skutari, Ochrida, Janina, der Presba- und Ventroksee in Albanien, der See von Kastoria, von Ostrowo, Doiran, der Beschik- und Tachynosee in Makedonien. Von Mineralquellen finden sich in der Türkei vornehmlich warme in Bosnien und namentlich am Südfuß des Balkans sowie Schwefelquellen.
Das Klima [* 23] ist im ganzen mild und angenehm, wenn auch die Temperatur infolge der vorherrschend gebirgigen Beschaffenheit des Landes sehr wechselnd und wegen der rauhen Nordostwinde kälter ist als in Italien [* 24] und Spanien, [* 25] welche Länder mit der Türkei unter gleicher Breite liegen. Im ganzen werden dadurch Klima und Vegetation denen Mitteleuropas sehr ähnlich. Der Balkan macht eine sehr merkliche Wetterscheide, denn während in den Donauländern der Winter ziemlich streng, oft schneereich ist und das Thermometer [* 26] nicht selten auf -10° C. und darunter sinkt, steigt im S. dieses Gebirges die Kälte selten über -3° und ist der Sommer bei fast beständig heiterm Himmel [* 27] oft drückend heiß.
Während die kalten Nordwinde für die Gegenden am Bosporus [* 28] Schneestürme bringen, kennt man in den Küstenländern des Ägeischen Meers und auf den Inseln winterliche Witterung nur auf den Gebirgshöhen. Die Luft ist, wenige Sumpfstriche ausgenommen, überall rein und gesund; wohl aber werden manche Gegenden durch Erdbeben [* 29] heimgesucht. Konstantinopel hat mit Venedig [* 30] gleiche mittlere Jahrestemperatur. Die Türkei gehört zum größten Teil zu der subtropischen Regenzone mit dürren Sommern. Der Balkan und der Westen des Landes (Bosnien und Albanien) empfangen durchschnittlich noch über 100 cm jährlichen Niederschlags, der Rest noch über 70 cm und nur das Thal der Maritza weniger.
Areal und Bevölkerung.
Das Areal der europäischen Türkei beträgt insgesamt 326,375 qkm (5927,3 QM.), nämlich:
Unmittelbare Besitzungen | 165438 qkm | (3004.5 QM.) |
Ostrumelien | 35900 - | (652 ") |
Bulgarien | 63972 - | (1161.8 ") |
Bosnien, Herzegowina u. Novipasar | 61065 - | (1109 ") |
Was die Zahl der Bevölkerung anlangt, so fand die erste partielle Volkszählung im osmanischen Reich 1830-31 statt, der seitdem mehrere gefolgt sind. Auf dieselben ist aber deshalb wenig Gewicht zu legen, weil es zunächst erwiesen ist, daß die Beamten möglichst niedrige Summen angeben, um die von dem verheimlichten Überschuß an Unterthanen eingehenden Steuern zu unterschlagen. Sodann wird nur die erwachsene männliche Bevölkerung gezählt, und es fehlt an Angaben, in welchem ungefähren numerischen Verhältnis dieselbe zu den Frauen und den Kindern beiderlei Geschlechts steht. Als dritter Faktor kommen die (unbekannten) Verluste durch den Krieg von 1877 bis 1878 hinzu, um sämtliche Schätzungen als durchaus unzuverlässig erscheinen zu lassen. Das Staatshandbuch (Salname) für 1879 gab folgende Übersicht der Bevölkerung der europäischen Türkei:
Wilajets | Einw. |
---|---|
Edirne (Adrianopel) | 597794 |
Selanik (Saloniki) | 1000558 |
Kossowo | 1079654 |
Jania (Janina) | 736904 |
Schkodra (Skutari) nach Abzug des 1880 an Montenegro abgetretenen Gebiets ca. | 203000 |
Girid (Kreta) | 449246 |
Unmittelbare Besitzungen: | 4167156 |
Dazu kommen noch nach Behm und Wagner (VI):
Wilajet Konstantinopel (europ. Anteil) | 540000 Einw. |
Inseln Thasos, Imbros, Lemnos, Samothrake | 42374 " |
Die in Europa stehende Armee | 130000 Mann (?) |
Fremde und Polizei | 170000 " |
Im ganzen ca.: | 5050000 Seelen, |
wovon etwa 2 Mill. Mohammedaner. (Die Bevölkerungsziffern von Bosnien, Bulgarien, Ostrumelien s. unter diesen Ländernamen.) Die neueste Schätzung (für 1887) nahm für die unmittelbaren Besitzungen nur etwa 4½ Mill. und fast ebensoviel für Bosnien, Bulgarien und Ostrumelien an; es entfielen danach auf das Quadratkilometer in den unmittelbaren Besitzungen 27, in der gesamten europäischen Türkei einschließlich der tributären und von Österreich besetzten Länder 28 Bewohner.
Ein sicherer Maßstab, [* 31] um die entschieden in letzter Zeit eingetretene Abnahme der Bevölkerung zu schätzen, fehlt uns vollständig, und es läßt sich lediglich die Thatsache, daß eine solche infolge des Kriegs mit Rußland stattgefunden hat, konstatieren. Auch auf alle sonstigen Fragen der Bevölkerungsstatistik fehlt absolut jede Antwort, und nur über die räumliche Verteilung der Nationalitäten sind wir durch Arbeiten westeuropäischer Forscher einigermaßen unterrichtet.
Der herrschende Stamm der osmanischen Türken sitzt auf der Balkanhalbinsel, von Konstantinopel abgesehen, nirgends in größerer Masse, sondern nur inselartig zerstreut, meist in der Nähe größerer Städte, wie Adrianopel, Seres, Istib, Saloniki, Monastir, Skutari u. a. Im westlichen und mittlern Bulgarien, wo sie früher zwischen den Bulgaren wohnten, sollen sie ziemlich verschwunden sein, im östlichen Bulgarien, in einem großen Teil von Ostrumelien und im N. des Wilajets Adrianopel wohnen sie mit Bulgaren gemischt.
Den Westen des noch unmittelbar türkischen Gebiets nehmen Albanesen ein, von den Grenzen Montenegros und Serbiens an bis zum 40.° nördl. Br. und vom Adriatischen Meer östlich bis etwa zum 21.° östl. L. v. Gr., den sie bei Prischtina in einzelnen Sprachinseln sogar überschreiten. Im nördlichen Epirus wohnen sie mit Griechen gemischt. Den Süden von Epirus und Makedonien, die Chalkidike und viele Küstenpunkte des Ägeischen und des Schwarzen Meers haben Griechen besetzt, die in der südlichen Hälfte des Wilajets Adrianopel mit Türken gemischt sind. Den Westen Bulgariens, Ostrumeliens sowie des alten Thrakien haben in kompakter Masse Bulgaren inne. Im Pindos (Grenze zwischen Epirus und Thessalien) sitzen Zinzaren (Kutzowlachen), in Altserbien und dem nördlichen Makedonien Serben. Die Tscherkessen sind meist nach Kleinasien ausgewandert.
Die Osmanen (Osmanli), das herrschende Volk, obwohl sie keineswegs die Mehrzahl bilden, sind ein Turkmenenstamm, ein schöner Menschenschlag mit edlen Gesichtszügen. Ihre hervorstechenden Nationalzüge sind: Ernst und Würde im Benehmen, Mäßigkeit, Gastfreiheit, Redlichkeit im Handel und Wandel, Tapferkeit, anderseits Herrschsucht, übertriebener Nationalstolz, religiöser Fanatismus, Fatalismus und Hang zum Aberglauben. Trotz ihrer hohen ¶
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körperlichen und geistigen Befähigung sind sie in wahrer Kultur hinter den meisten europäischen Völkern zurückgeblieben und haben nur langsam und mit Widerstreben der abendländischen Zivilisation Eingang bei sich gestattet. Die Ehe ist durch zahlreiche ins einzelne gehende Bestimmungen geregelte Polygamie, die aber nur vier rechtmäßige Frauen gestattet, während das Halten von Konkubinen und Sklavinnen unbeschränkt ist. Die Frauen der Reichen, auf welche sich die Polygamie beschränkt, leben in Harems eingeschlossen.
Die gemeinen Osmanen haben selten mehr als eine Frau. Die Ehe ist nur ein bürgerlicher Kontrakt, welcher von dem Mann mit der Familie der Frau vor dem Kadi geschlossen wird. Die mit Konkubinen und Sklavinnen erzeugten Kinder sind ebenso legitim wie die mit rechtmäßigen Frauen erzeugten. Scheidung der Ehe ist nicht erschwert, kommt aber selten vor. Die Wohnungen sind unansehnlich und schmucklos, meist von Holz [* 33] und einstöckig; sie haben im Innern einen viereckigen Hof, [* 34] nach welchem die Fenster gehen, während nach der Straße zu nur einige Gitterfenster vorhanden sind.
Die Kleidung der Männer besteht in einem faltenreichen Rock (Kaftan) oder einer kurzen Jacke, weiten, faltigen Beinkleidern, einer Weste ohne Kragen, einer um den Leib gewundenen Binde von farbigem Zeug und meist gelben Pantoffeln oder Stiefeln. Kopfbedeckung ist der Turban. Bei den Beamten und Vornehmern ist diese Nationaltracht durch den fränkischen schwarzen Rock, die engern Pantalons und den roten Fes mit schwarzer Quaste verdrängt worden. Der Kopf wird bis auf einen Büschel am Scheitel glatt geschoren, der Bart lang getragen und wohl gepflegt. Die Frauen, wenigstens in den Städten, haben eine Kleidung, welche sackförmig den ganzen Leib einhüllt, und gehen nie aus, ohne das Gesicht [* 35] durch Musselinbinden und Schleier zu verhüllen. Die Osmanen sind die Inhaber der Zivil- und Militärstellen oder treiben Gewerbe, Ackerbau aber besonders in Kleinasien.
[Religionsverhältnisse.]
Die Hauptreligionen in der Türkei sind die mohammedanische und die griechisch-katholische. Zu jener, zum Islam, bekennen sich die Bewohner osmanischen Stammes sowie diejenigen ältern Bewohner, welche bald nach ihrer Unterwerfung diesen Glauben angenommen haben, und die vereinzelten Gruppen neuerer Renegaten. Die Bekenner des Islam heißen Moslems (danach verderbt Muselmanen). Ihre Heilige Schrift und ihr Gesetzbuch ist der Koran (s. d.). Die Adepten des Koranstudiums, das sowohl zu juristischen als kirchlichen Ämtern befähigt (denn einen Unterschied zwischen Staat und Kirche kennt der Islam nicht), sind die Ulemas (»Gelehrte«),
deren Rat in allen zweifelhaften Fällen des religiösen und bürgerlichen Lebens in Anspruch genommen wird. Der Ulema tritt, wenn er, 10-12 Jahre alt, die Elementarschule verlassen hat, als Novize in eine der mit den großen Moscheen verbundenen Medressen (Seminare des Islam), in welcher er als Softa Unterricht in der Grammatik, Logik, Moral, Rhetorik, Philosophie, Theologie, Rechtsgelehrsamkeit, im Koran und in der Sunna erhält. Er empfängt dann vom Scheich ul Islam das Diplom als Kandidat (Mulazim), und dadurch zur untersten Stufe der Ulemas erhoben, kann er Richter (Kadi) werden.
Will er aber zu den höchsten Würden gelangen, so muß er noch sieben Jahre auf das Studium der Rechtsgelehrsamkeit, Dogmatik etc. verwenden, worauf er zum Grad eines Muderris befördert wird. Die Gotteshäuser der Moslems, die sogen. Moscheen, worin am Freitag Gottesdienst abgehalten wird, sind entweder größere (Dschami) oder kleinere (Medschid, Bethäuser). Die Geistlichkeit teilt sich in fünf Klassen: Scheichs (»Älteste«),
die ordentlichen Prediger der Moscheen, die alle Freitage nach dem Mittagsgottesdienst über moralische und dogmatische Gegenstände Vorträge halten;
Chatibs oder Vorbeter des Chutbeh (Kutbé), des öffentlichen Gebets, welches alle Freitage in den großen Moscheen für den Sultan verrichtet wird;
Imame, denen der gewöhnliche Dienst in den Moscheen und die Besorgung der Trauungs- und Begräbniszeremonien obliegen;
Muezzins, welche von den Minarets die Stunden des Gebets verkündigen;
Kaims, Wächter und Diener der Moscheen, die nicht zu den Ulemas gehören.
Wenn die Ulemas gewissermaßen die Weltgeistlichkeit repräsentieren, können die Orden [* 36] der Derwische als Ordensgeistlichkeit bezeichnet werden. Die griechisch-orthodoxe Kirche der Türkei hat ihre älteste Verfassung, insoweit dies unter der Herrschaft der Moslems überhaupt möglich war, treu bewahrt. Die Würden der Patriarchen zu Konstantinopel, Antiochia und Alexandria bestehen noch. Das höchste Ansehen besitzt der Patriarch von Konstantinopel, in welchem die zahlreichen Metropoliten, Erzbischöfe und Bischöfe, welche unter ihm stehen, sowie die übrigen Patriarchen das Oberhaupt der morgenländischen Kirche verehren. Er präsidiert auf der beständigen Synode zu Konstantinopel, welche aus den Patriarchen, 12 Metropoliten und Bischöfen und 12 angesehenen weltlichen Griechen besteht, im ganzen türkischen Reich die oberste geistliche Gerichtsbarkeit über die Bekenner des griechisch-katholischen Glaubens ausübt und die Patriarchen, Metropoliten, Erzbischöfe und Bischöfe, die aber von der Pforte bestätigt werden, wählt.
Der Patriarch von Konstantinopel wird zwar scheinbar frei gewählt, in Wahrheit werden aber die Stimmen der Wähler gekauft. Um nun die bei seiner Wahl verausgabten Summen wiederzubekommen, verkauft der Patriarch die ihm untergeordneten Bischofsitze gleichfalls an den Meistbietenden; die Bischöfe machen es ebenso mit den ihnen untergebenen Pfarreien, und die Pfarrer endlich pressen die Gemeinden aus. Diesem Mißbrauch sind vornehmlich die geringe Bildung und die Entwürdigung der griechischen Geistlichkeit zuzuschreiben.
Erst 1857 fand sich der Patriarch veranlaßt, die Wahl eines Ausschusses anzuordnen, der sich mit den nötigen Reformen befassen sollte. Die Mönche und Nonnen folgen der Regel des heiligen Basilius; die berühmtesten griechischen Klöster sind die auf dem Berg Athos (s. d.) in Makedonien. Die armenisch-christliche Kirche steht unter den vier Patriarchen zu Konstantinopel, Sis, Achtamar und Jerusalem. [* 37] Die römisch-katholische Kirche zählt in der Türkei, mit Einschluß der ihr unierten orientalischen Christen, 27 Patriarchen und Erzbischöfe, von denen 3 auf die europäische Türkei kommen. Die Juden haben in Konstantinopel einen Großrabbiner (Chacham Baschi), unter welchem 7 Oberrabbiner und 10 Rabbiner stehen. Alle nicht zum Islam sich bekennenden Bewohner der Türkei werden unter dem Namen Rajah (Volk, Herde) zusammen begriffen. Der Islam duldet die christliche und die jüdische Religion neben sich und gebietet nur, die Götzendiener zu vernichten.
[Bildung und Unterricht.]
Die geistige Kultur steht im türkischen Reich im allgemeinen noch auf einer ziemlich niedrigen Stufe. Die Lehranstalten zerfallen in drei Kategorien:
1) Elementarschulen, deren Lehrgegenstände Lesen, Schreiben, Rechnen, Religion, Erdbeschreibung und Türkisch sind, und die von allen ¶