Titel
Türkische
Sprache
[* 2] und Litteratur.
In dem großen uralaltaischen
Sprachstamme nimmt die türk.-tatar.
Sprachfamilie, sprachlich wie der
Ausdehnung
[* 3] nach, die wichtigste
Stelle ein. Mit den verwandten Sprachgruppen, der finnisch-ugrischen,
den tungusischen und mongolischen, teilt sie die Charakteristika der ganzen Familie, die
Agglutination (s. d.) und die
Vokalharmonie
(s. d.). Das riesige Gebiet der gesprochenen Turksprachen
, das sich von den Grenzen
[* 4] Chinas bis zur
Balkanhalbinsel
[* 5] erstreckt, zerfällt in folgende Dialektgruppen:
1) die östlichen Dialekte, die Sprachen der Karagassen, Abakan-Tataren, Altai-Tataren, Sojonen, Barabinzen;
2) die mittelasiatischen Dialekte, die Sprachen der Sart und Usbeken, der Chanate Kokan, Taschkend, Buchara und Chiwa, der Tarantschi des Ilithales, der Bewohner Ostturkestans und der Oase von Chami;
3) die westlichen Dialekte, die Sprachen der sibir. oder Irtisch-Tataren, der Steppen-Tataren (Kirgisen, Kara-Kirgisen, Karakalpaken, Nogaier) und der Tataren des europ. Rußlands;
4) die südlichen Dialekte, die
Sprachen der
Turkmanen, der
Aserbeidschaner, der anatolischen
Türken, der
Türken der
Balkanhalbinsel
und der Krim-Tataren. Die
Sprachen der Jakuten (s. d.) und der
Tschuwaschen (s. d.) müssen zwar ihrem Sprachmaterial
nach zu den türkischen
gerechnet werden, sind aber selbständige
Sprachen, die nicht in die Dialektgruppen der Türksprachen
eingereiht werden können. Die ältesten türk. Schriftdenkmäler des 7. bis 15. Jahrh.
beweisen, daß die Türksprachen
schon in frühester Zeit in drei große Dialektgruppen zerfielen:
1) die Ostdialekte, die Sprache der Uigur (s. d.), in ihr ist das älteste türk. Schriftdenkmal, das «Kudatku Bilik», 1069 verfaßt (vgl. Vámbéry, Uigurische Sprachmonumente und das Kudatku Bilik, Lpz. 1870);
2) die Westdialekte, die Sprache der Kiptschak, ältestes Denkmal der «Codex Comanicus», 1303 (hg. vom Grafen Kuun, Pest 1881);
3) die Süddialekte, die
Sprache der
Türk in der Mongolei (auf Grabdenkmälern aus dem 8. Und 9. Jahrh.,
vgl. Radloff, Die alttürk.
Inschriften der Mongolei [3 Lfgn., Petersb. 1894–95;
Neue Folge, ebd. 1897]; W.
Thomsen,
Inscriptions de l’Orkhon
[Helsingfors 1896];
Bang,
Über die köktürk.
Inschrift auf der
Südseite des
Kül Tägin-Denkmals [Lpz. 1896]), die
Sprache der
Seldschuken, deren ältestes
Denkmal die
seldschukischen Verse im «Rehab Nameh» (hg. von Wickerhauser in der «Zeitschrift
der
Deutschen Morgenländischen Gesellschaft», Bd. 20,
und von Radloff, Petersb. 1890) bilden. Ein sicheres Sprachmaterial für die Erforschung
der türk. Dialekte suchte Radloff durch Herausgabe der
«Proben der Volkslitteratur
der nördlichen türk.
Stämme» (6 Bde.,
Text und
Übersetzung, Petersb. 1866–86) zu gewinnen.
¶
mehr
Aus der Schriftsprache der Uigur entwickelte sich durch Einführung der arab. Schrift die tschagataische Schriftsprache, das
sog. Osttürkisch, die bis jetzt als Schriftsprache für alle mittelasiat. und westl.
Türkdialekte im Gebrauch ist. Die hervorragendsten Litteratur
erzeugnisse derselben sind die Werke des Mir Ali Schir (gest.
1500), die Selbstbiographie des Sultan Baber, «Die Scheibaniade» (hg. von Vámbéry, Budap. 1885),
«Die Geschichte der Mongolendynastien von Abulghasi» (hg. von Desmaisons, Petersb. 1814). In den Süddialekten entwickelte sich etwas später die Osmanische Schriftsprache, die jetzt im Osmanischen Reiche zur allgemeinen Herrschaft gelangt ist, und die Aserbeidschanische Schriftsprache, die noch heute von den türk. Bewohnern des Kaukasus und Persiens angewendet wird. Während die Osmanische Schriftsprache, die ganz unter dem Einfluß der mohammed. Cultur entstanden ist, einen bedeutenden Einfluß auf die Sprache der gebildeten Türken ausgeübt hat, ist die Einwirkung der osttürk.
Schriftsprache auf die gesprochenen Dialekte sehr gering gewesen. Eine Probe der üblichen Druckschrift zeigt die Tafel: Schrift II, 35. Eine vergleichende Grammatik der Türksprachen hat Radloff begonnen (Bd. 1 der «Phonetik der nördl. Türksprachen», Lpz. 1882),
ebenso einen «Versuch eines Wörterbuchs der Türkdialekte» (Petersb. 1889 fg.). Grammatiken, die auf Spracheigentümlichkeit verschiedener Türkdialekte Rücksickt nehmen, sind: Kasembeg, «Tatar.-türk. Grammatik» (russisch, Kasan [* 7] 1815; deutsch von Zenker, Lpz. 1818);
IIminski, «Altaische Grammatik» (Kasan 1869);
Shaw, «A sketch oft he Turkish as spoken in Eastern Turkistan» (Lahore 1875).
Ferner die russisch geschriebenen Grammatiken von Giganoff, Trojanski, Iwanoff und Machmudoff;
Vámbéry, «Čagataische Sprachstudien» (Lpz. 1807);
Radloff, «Das Sprachmaterial des Codex Comanicus» (Petersb. 1887);
ders., «Über alttürk. Dialekte» (ebd. 1890).
Für das Osmanische, besonders die Osmanische Schriftsprache, seien von den vielen, dem praktischen Bedürfnisse abhelfenden Lehrbüchern genannt: das treffliche Buch von Viguier, «Eléments de la langue turque» (Konstant. 1790);
Pfizmaier, «Grammaire turque» (Wien [* 8] 1847);
Redhouse, «The Turkish compaigner’s vademecum or Ottoman colloquial language» (Lond. 1877);
Piqueré, «Grammatik der türk.-osman. Umgangssprache» (Wien 1870);
Wahrmund, «Praktisches Handbuch der osman.-türk. Sprache» (2. Aufl., 3 Tle., Gieß. 1885);
Tien, «A turkish grammar» (Lond. 1896).
Große Wörterbücher sind: Zenker, «Dictionnaire turc-arabe-persan» (mit franz. und deutschen Bedeutungen, durchgängig von Fleischer revidiert, 2 Bde., Lpz. 1863–76);
Handjéri, " Dictionnaire français-arabe, persan et turc» (3 Bde., Mosk. 1840);
Barbier de Meynard, «Dictionnaire turc-français» (2 Bde., Par. 1885–90);
mehr zum Handgebrauch dienen das jetzt etwas veraltete, aber immer noch brauchbare: «Dictionnaire abrégé turc-français» von Hindoglu (Wien 1838) und das «Turkish-English Dictionary» von Redhouse (Lond. 1856; 2. Ausg., von Ch. Wells, ebd. 1880);
ebenso ein englisch-türkisches
, wie von Hindoglu auch ein französisch-türkisches
vorliegt.
Ein praktisches Hilfsmittel zum Erlernen des Türkischen sind auch die «Osman. Sprichwörter» (mit Transskription und Übersetzung),
hg. durch die Orientalische Akademie in Wien (Wien 1865). Sprachvergleichend behandelt sind die meisten türk. Stämme von Vámbéry, «Etymolog. Wörterbuch der turko-tatar. Sprachen» (Lpz. 1878); über die angenommene Verwandtschaft der Turksprachen mit dem Sumerischen handelte eingehend F. Hommel in «Zeitschrift für Keilschriftforschung», Bd. 1 (ebd. 1884) und im «Journal oft he Royal Asiatic Society» (Jahrg. 1886).
Die Osmanische Litteratur, an Ausdehnung unendlich, an Wert aber gering, weil sie sich entweder an arab. und pers. Vorbilder eng anlehnt (d. h. übersetzt), oder dieselben meist geschmacklos nachahmt, beginnt nach der Festsetzung der Türken in dem von ihnen eroberten Teil Europas, und als ihre beste Periode darf die Regierung Suleimans II. und die Zeit unmittelbar nachher gelten (15. und 16. Jahrh.). zu den ältesten rein türk. und darum auch interessantesten Sachen gehören das «Bâznameh» oder «Falkenbuch» aus dem 14. Jahrh. (von J. von Hammer [* 9] mit zwei andern griech. Traktaten über diesen Gegenstand u. d. T. «Falknerklee» herausgegeben und übersetzt, Pest 1840) und der von Ethé übersetzte (ursprünglich osttürk.) Volksroman «Die Fahrten des Sajjid-Batthál» (Lpz. 1871) aus dem 14. bis 15. Jahrh. Dies letztere und die «Latâïf-i-Chodscha Nasr-ed-din» (deutsch von Camerloher, «Meister Nasr ed-din's Schwänke», Triest [* 10] 1857),
in freier poet. Bearbeitung von Murad-Efendi (F. von Werner): «Nasr ed-din Chodja, ein osman. Eulenspiegel» Oldenb. 1877),
sind zugleich das Wichtigste aus dem im Türkischen zahlreich vertretenen Gebiet der Erzählungs- und Märchenlitteratur
,
denn die gewöhnlich an erster Stelle genannten «Tuti-Nameh» oder das Papageienbuch (Bulak 1837: deutsch
von G. Rosen, 2 Bde., Lpz. 1858) und
«Humajun Nameh» oder das türk. «Kalilah
und Dimnah» (Bulak 1838) von Ali Wasi (gest. 1543) sind nur Übersetzungen aus dem Persischen, wie das bei uns am meisten traktierte
«Kyrk Wesir» (Geschichte der 40 Veziere», türkisch, hg. von Belleteste, Par. 1812; deutsch von Behrnauer,
Lpz. 1851) erst aus dem Arabischen von Scheikh-Sade ins Türkische übertragen wurde. Viel mehr Originalität zeigen die osttürk.
Dichter, aus welchen Vámbéry schon 1867 in seinen «Čagataischen Sprachstudien» (mit Übersetzung und Glossar, Lpz. 1867)
zahlreiche Proben mitgeteilt hat; vgl. auch Vámbérys Ausgabe des özbegischen Heldengedichts der Scheibaniade (Budap. 1885).
Von den westtürk. Dichtern, welche alle die Perser (und zwar die Lyriker meist die spätern Mystiker, die Epiker die romantische
Epik) nachahmten, gehören zu den ältesten Aschik, gest. 1332 (sein sog.
«Diwân», ein größeres mystisches Gedicht, Konstant. 1848),
Achmadi, gest. 1412, von dessen «Iskander-Nameh» in Jolowiez' «Polyglotte der orient. Poesie» (2. Aufl., Lpz. 1856) eine Probe steht, und der sufiscbe Dichter Nasimi (1417 wegen Freibeuterei hingerichtet). Der fruchtbarste Poet der Türken war wohl Lâmii, gest. 1531, der in vier größern Epen den Perser Nisâmi nachahmte; als uns am meisten zusagend darf der zart und sinnig dichtende Fazli (gest. 1563) bezeichnet werden, dessen romantisch-allegorische Dichtung «Gül u Bülbül» («Rose und Nachtigall») J. von Hammer herausgegeben und übersetzt hat (Pest 1834); und als der größte Lyriker gilt Baki (1526–1600, sein Diwan türkisch, Konstant. 1859; deutsch von J. von Hammer, Wien 1825). Von neuern Dichtern sind nur der Vollständigkeit halber zu nennen der Sufi Ghâlib (1757–1814), der der größte von ihnen heißt (sein Diwan Bulak 1836), der «Dichterfürst» ¶
mehr
4 Pertew Pascha (gest. 1836, sein Diwan Konstant. 1840), und die ebenfalls dem Anfang des 19. Jahrh. angehörende Dichterin Leila (Diwan Bulak 1844, Konstant. 1849). Von den neuesten Dichtern sei der in London [* 12] lebende 'Abd al-Hakk Hâmid (dramat. Stücke, Lyrisches) als einer der bedeutendern, auch besonders als Bebauer ganz neuer Gebiete genannt. Die türk. Historiker leiden alle an geschraubtem Stil und bieten eine unerquickliche Lektüre, doch sind viele derselben für die türk. Geschichte unentbehrlich, so vor allem die von Sad ed-din begonnenen und von den auf ihn folgenden Reichshistoriographen fortgesetzten «Annalen», welche ihrem Hauptinhalt nach J. von Hammer oft mit wörtlichen Auszügen in seiner «Geschichte des Osmanischen Reichs» (2. Aufl., 4 Bde., Pest 1835,1836) bekannt gemacht bat. Sad ed-dins Geschichtswerk geht bis 1590, auf ihn folgten Nâima (sein Werk bis 1659) und andere, so im 19. Jahrh. Achmed Lutfi Efendi, der die Zeit von 1826 bis 1832 (3 Bde., Konstant. 1875), und Achmet Midhat Efendi, der die Zeit von 1855 bis 1877 (ebd. 1878) behandelt hat. Einer der gelehrtesten türk. Historiker, der aber seine berühmtesten Werke (so das große biographische) arabisch und nur wenige türkisch (so eine Geschichte der Seekriege, englisch von Mitchell, Lond. 1831) geschrieben bat, war Hâdschi-Chalfa (s. d.). Von biogr. Werken ist das mit Recht geschätzteste der «Dhail» (d. i. Anhang) Naui zade's oder Atâïs (auch Ata ullah mit vollerm Namen) zu dem arab. Werke gleichen Inhalts von Taschkupri zade; dieser Anhang (Konstant. 1850) führt das nur bis Mitte des 16. Jahrh. gehende Hauptwerk bis Murad III. fort und ist besonders auch des Stils halber ein berühmtes Buch. Von neuern Historikern sind zu nennen Dschevdet Pascha («Chronik», Bd. 12, Konstant. 1885),
Mehemmed 'Atif («Geschichte von Kaschgar», ebd. 1883) und Subchi Pascha («Tarikh ul-Islâm», eine Geschichte des Islâm, Bd. 1, ebd. 1879), der auch ein Werk über Münzkunde schrieb. Besonders wegen seines schönen Stils geschätzt ist der durch seinen Briefsteller, aber auch polit. Essays bekannte 'Atif Pascha. Von geogr. Werken sind zu erwähnen: das Reisewerk Evlija Efendis «Narrative of travels in Europe, Asia and Africa in the 17th century, translated from the Turkish» (von J. von Hammer, 2 Bde., Lond. 1834),
wie das «Dschihân-numâ» («Buch der Weltschau») eben jenes Hadschi-Khalfa (türkisch, Konstant. 1732; lateinisch von Norberg, 2 Bde., Lund 1818), und aus der letzten Zeit die reich illustrierte Geschichte Mekkas und Medinas Mirât ul-Haramain des Ajjub Ssabri, Bd. 1 (Konstant. 1302, d. i. 1884). Für das mohammed. Recht haben gerade die Türken, besonders durch ihre Sammlungen der Fetwas oder richterlichen Entscheidungen (so z. B. die «Fetâwâ-i-Ali-Efendi», 2 Bde., Konstant. 1840) viel geleistet; das Feld der raisonnierenden Staatsschrift fand seine erste Bearbeitung in dem für die Entwicklung des türk. Reichs so bedeutsamen Hatt-i-Scherif von Gulbane (türkisch und deutsch bei Petermann, «Beiträge zu einer Geschichte der neuesten Reformen des Osmanischen Reichs», Berl. 1842) und hat seitdem viele wichtige Aktenstücke, so den Hatt-i-Humajun (französisch und türkisch bei Bianchi, «Khaththy humaïonn, on Charte imperiale ottomane du 18 févr. 1856», Par. 1856),
in neuester Zeit die parlamentarische Verfassung u.a. zu verzeichnen. Am höchsten steht die
arab. und pers. Lexikographie und Kommentarlitteratur.
Das
große
arab.-türk. Wörterbuch «Kamûs» von Firuzabâdi
war bei uns noch vor kurzem die Hauptquelle für arab. Wortforschung, und die verschiedenen türk.
Kommentare zu pers. Dichtern, wie der von Sudi zu Hafis (zum Teil in Brockhaus' Ausgabe des Hafis, 3 Bde., Lpz.
1854–61; neue Ausg. 1863), von Ismail Hakki, zum «Mesnewi»
des durch Rückert bekannten Dschelâl ed-din Rûmi (6 Bde., Kairo
[* 13] 1836, sind jetzt noch die besten Erklärungsmittel zum Verständnis
dieser großartigen Dichterwerke.
Für türk. Litteratur
geschichte vgl. J. von Hammer-Purgstalls Darstellung der türk. Litteratur
im dritten Band
[* 14] von Eichhorns
«Geschichte der Litteratur»
(Gött. 1810,
1812); G. von Hammer-Purgstall, Geschichte der osman. Dichtkunst (4 Bde., Pest 1836–38; darin litterar. Notizen und Proben von 2200 Dichtern);
Dora d'Istria (Fürstin Kolzow-Massalsky, geborene Fürstin Helene Ghika), La poésie des Ottomans (2. Aufl., Par. 1877) und La poésie des nations turques (in der «Revue britannique», 1878, Nr. 12);
endlich die wissenschaftlichen Kataloge europ. Sammlungen türk. Handschriften (so den Wiener von Flügel, 3 Bde., Wien 1865–67);
Rieu, The Turkish manuscripts of the British Museum (Lond. 1889);
Pertsch, Die türk. Handschriften der königl. Bibliothek zu Berlin [* 15] (Berl. 1889).
Die Übersicht Toderinis (Letteratura turchesca, 3 Bde., Vened. 1787) ist im einzelnen längst durch die genannten neuern Sachen überholt, obwohl ein ähnliches, den heutigen Anforderungen entsprechendes Buch noch nicht existiert. Eine jährliche Rundschau der neuesten Erscheinungen giebt der franz. Gelehrte Huart seit einer Reihe von Jahren im «Journal Asiatique».