(Tuberkulosis), eine Krankheit, bei welcher in den Organen des Körpers kleine, von der Größe des eben
Sichtbaren zu Hirsekorngröße wechselnde, graue Knötchen entstehen, welche in ihrer Mitte käsig zerfallen
und erweichen. Wenn diese Knötchen in der Haut oder in der Oberfläche von Schleimhäuten liegen, so entstehen durch ihren
Zerfall anfangs kleine, linsenförmige (lentikuläre), später durch Hinzukommen immer neuer Knötchen in der Nachbarschaft
große, tuberkulöse Geschwüre, durch welche schließlich ein Schwund der Schleimhäute, z. B. des Kehlkopfes, der Luftröhre,
des Darms, der Gebärmutter, der Harnblase, des Nierenbeckens, bedingt werden kann, welcher insgemein als
tuberkulöse Entzündung dieser Organe oder als Schwindsucht derselben bezeichnet wird.
Auch in den Gehirnhäuten kommen solche Knötchen vor, doch führen sie hier wie in dem Gehirn selbst nicht zur Geschwürsbildung,
es kommt dagegen oft zu einer eiterigen Gehirnhautentzündung oder zur Bildung größerer Geschwulstknoten.
In der Leber kommen entweder sehr kleine, kaum ohne Mikroskop wahrnehmbare, oder größere Knoten vor, welche nicht zerfallen.
Ein sehr mannigfaltiges Bild bieten die Lungenschwindsucht (s. d.) sowie die Tuberkulose der Lymphdrüsen, welche durch käsigen Zerfall
des Drüsengewebes ausgezeichnet sind, und die durch Tuberkulose bedingten Gelenkentzündungen (Tumor albus, s.
Gelenkentzündung, S. 58). Die Tuberkulose wurde zwar schon lange für eine übertragbare Krankheit gehalten, doch ist es erst Koch 1882 gelungen,
die eigentliche Ursache in einem Bacillus von außerordentlicher Kleinheit zu entdecken. Dieser Tuberkelbacillus (s. Tafel
»Bakterien«, Fig. 4) siedelt sich in den Geweben an, ruft durch seine Wucherung jene knotenförmigen und
flächenhaft ausgebreiteten Entzündungen hervor, welche unter Einwirkung eigenartiger chemischer Spaltungsprodukte der Bacillen
verkäsen, und bringt durch ihren Verfall allmählich ganze Organe zum Schwund. Am Krankenbett stellen sich die Erscheinungen
der Tuberkulose natürlich in höchst mannigfacher Form dar, je nach dem Organ, welches Sitz der Tuberkulose geworden ist.
Am häufigsten ist Hauptsitz der Tuberkulose der Atmungsapparat, besonders die
mehr
Lungen; bei Kindern nicht selten der Darm, die Gelenke, Knochen und Hirnhäute, während vielleicht in den Lungen wenig oder gar
keine Veränderungen vorhanden sind; zuweilen ist der Harn- u. Geschlechtsapparat zuerst befallen, selten die äußere Haut,
die Zunge, der Magen. Die Tuberkulose befällt vorwiegend Kinder und schwächliche, schlecht genährte jüngere Personen;
die Anlage zur Erkrankung ist häufig ererbt (s. Skrofeln), indessen kommt Tuberkulose auch bis ins höchste Alter vor und ist unzweifelhaft
diejenige Krankheit, welche bei uns die meisten Opfer fordert, da etwa ein Siebentel aller Menschen an Tuberkulose zu Grunde geht.
Der Verlauf der Tuberkulose kann sich über Jahre und Jahrzehnte erstrecken, sofern die Tuberkulose auf
einen Teil der Lungen oder eines andern Organs beschränkt bleibt. Sehr gewöhnlich aber werden die Bacillen im Lymphstrom
fortgespült, die benachbarten Lymphdrüsen werden ergriffen, die Bacillen gehen ins Blut über, und es erfolgt Verbreitung
der Tuberkulose auf alle Organe. Wenn der übertritt großer Massen von Bacillen ins Blut auf einmal erfolgt, etwa
durch Durchbruch käsiger Herde direkt in ein Blutgefäß, so verläuft die Tuberkulose unter dem Bild einer fieberhaften, typhösen
Erkrankung in wenigen Wochen tödlich (akute Miliartuberkulose).
Die Behandlung der Tuberkulose erfordert, wenn der erkrankte Teil chirurgischen Eingriffen zugänglich ist, Entfernung der von
Tuberkeln durchsetzten Gewebe, wodurch bei Gelenkentzündungen, Lymphdrüsengeschwülsten, Hoden-, Brustdrüsen- und Hauttuberkulose
zuweilen völlige Heilung erzielt wird. Bei Erkrankung innerer Organe ist außer der lokalen Behandlung eine sehr wesentliche
Rücksicht auf Hebung des Allgemeinbefindens, gute Ernährung, frische Luft etc. zu nehmen, um den Körper nach Möglichkeit
gegen das Vordringen der Bacillen widerstandsfähig zu machen.
Unzweifelhaft können selbst weiter vorgeschrittene Zerstörungsprozesse in Lungen und Darm zum völligen Stillstand, d. h.
zu relativer Heilung, kommen.
Vgl. Villemin, Études sur la tuberculose (Par. 1868);
Hérard u. Cornil, La phthisie pulmonaire
(das. 1867);
Waldenburg, Tuberkulose, Lungenschwindsucht und Skrofulose (Berl. 1869);
Langhans, Übertragbarkeit der Tuberkulose (Marb. 1867);
Virchow, Die krankhaften Geschwülste (Berl. 1863 bis 1867, 3 Bde.);
Buhl, Lungenentzündung, Tuberkulose, Schwindsucht (2. Aufl., Münch. 1874);
Schüppel, Untersuchungen über Lymphdrüsentuberkulose (Tübing.
1871);
Predöhl, Geschichte der Tuberkulose (Hamb. 1888);
Cohnheim, Die Tuberkulose vom Standpunkt der Infektionslehre (2. Aufl., Leipz.
1881);
Koch, Berichte aus dem kaiserlichen Gesundheitsamt. - Über Tuberkulose des Rindes s. Perlsucht.
Mit der Entdeckung des Tuberkelbacillus durch Koch 1882 wurde erst der Begriff der Tuberkulose ein
einheitlicher. Bis dahin standen sich zwei Anschauungen schroff gegenüber: nach der einen hielt man schon damals, wie wir
es heute thun, die Tuberkulose für eine ansteckende Krankheit (Vorkämpfer dieser Anschauung waren Klenke, Villemin, Klebs, Cohnheim),
nach der andern aber war die Tuberkelbildung, das »Tuberkulisieren«, durch
eine besondere Disposition bedingt, und konnte beim disponierten Individuum jeder Reiz zur Tuberkelbildung
führen (Virchow).
Diese Disposition sollte in einer besonders großen Empfindlichkeit und Verwundbarkeit der Schleimhäute bestehen; dieselben
sollten leicht zu Entzündungen geneigt sein, welche ihrerseits schwer ausheilen sollten. Als Symptom dieser Disposition galt
die Neigung zu Drüsenvereiterungen und Verkäsungen, die Skrofulose. Zahlreiche Versuche, die infektiöse
Natur der Tuberkulose durch Tierexperimente zu beweisen, gelangen zwar, wurden aber von den Gegnern nicht anerkannt,
da es angeblich gelungen sein sollte, auch durch Verimpfung nicht tuberkulöser Substanzen Tuberkulose zu erzielen, und Cohnheim selbst,
der eifrigste Verfechter der Lehre von der infektiösen Natur der Tuberkulose mußte es erleben, daß ihm seine
mit nicht infektiösen Gegenständen (Papier- und Baumwollbäuschchen etc.) unter die Haut geimpften Meerschweinchen tuberkulös
wurden. (Jetzt, seit man die Art der Ansteckungserreger kennt, ist dies nicht mehr zu verwundern, in den Ställen, in welche
die frisch verwundeten Tiere gesetzt wurden, waren zuvor schon wiederholt tuberkulöse Tiere gehalten worden,
die neuen Versuchstiere hatten sich also hier ihre frischen Wunden infiziert.)
Es gelang aber Cohnheim doch, in Vereinigung
mit Salomonsen, durch Impfung in die vordere Augenkammer von Kaninchen zu beweisen, daß den tuberkulösen Geweben ein Gift innewohnen
müsse, welches wiederum Tuberkulose erzeugen könne, aber, wie die Gegner sagten, nur bei disponierten,
skrofulösen Tieren.
Und Cohnheim selbst schließt in seiner 1877 erschienenen allgemeinen Pathologie die betreffenden Erörterungen mit den Worten:
»So sind wir denn nach wie vor darauf angewiesen, uns aus der Geschichte der menschlichen
Tuberkulose selbst die Entscheidung darüber abzuleiten, ob sie eine reguläre Infektionskrankheit oder das Produkt
einer Konstitutionsanomalie des Individuums ist. Gern aber gestehe ich zu, daß ein sicherer Beweis weder für das eine noch
für das andre bis jetzt beigebracht ist. Kennten wir nur die Natur, sozusagen die Gattung des etwanigen tuberkulösen Giftes,
so würden wir sichere Anhaltspunkte für die Entscheidung haben.« So stand die Tuberkulosefrage, als
R. Koch 1882 seine ersten Mitteilungen über die Ursache der Tuberkulose machte.
Zuerst gelang es Koch, vermittelst einer sehr komplizierten Färbemethode in den Organen künstlich durch Impfung tuberkulös
gemachter Tiere eigentümliche Bacillen nachzuweisen. Als er diese Bacillen in sogen. Gewebsausstrichen und -Schnitten gefunden
hatte, ging er an den Nachweis derselben in den verschiedenartigsten, tuberkulös erkrankten Organen sowie
im Lungenauswurf der Schwindsüchtigen. Überall, in den phthisischen Lungen, in skrofulösen Drüsen, in den chronischen Knochen-
und Gelenkentzündungen, bei der sogen. akuten Miliartuberkulose und beim Lupus (s. d., Bd.
10), fanden sich dieselben Stäbchen.
Damit war aber noch nicht ausgesprochen, daß diese Stäbchen die Erreger der Krankheit sein müßten.
Dieser Beweis wurde geliefert durch die Reinzüchtung der Stäbchen und die künstliche Erzeugung der Tuberkulose mittels
dieser Reinkulturen, d. h. mittels der von allen Bestandteilen des erkrankten Organs, von dem sie stammten, befreiten Bakterien.
Nach manchem vergeblichen Versuch fand Koch die diesen Bakterien zusagenden Lebensbedingungen: auf im Brutschrank
bei Körpertemperatur gehaltenem erstarrten Blutserum wurden nach 14tägiger Wachstumsdauer die gesuchten Reinkulturen erhalten,
und mittels dieser konnte Koch, einerlei, ob sie aus einer schwindsüchtigen Lunge oder einer skrofulösen Drüse, aus einem
kranken Organ eines perlsüchtigen Rindes oder aus dem Hautlupus eines Menschen stammten, stets mit derselben
unfehlbaren Sicherheit bei Versuchstieren Tuberkulose erzeugen; damit war die Kette der Beweisführung, daß diese Bacillen die Ursache
jeglicher Art von Tuberkulose bilden, geschlossen.
Bezüglich des Nähern über die Tuberkelbacillen vgl. den Art. Bakterien, Bd. 2, sowie die zugehörige Tafel,
Fig. 4. Das
neu Gefundene für die Behandlung der Tuberkulose verwertbar zu machen, war schon von seiner Entdeckung ab Kochs
Bestreben gewesen, aber alle diesbezüglichen Versuche schlugen fehl. Man glaubte damals noch, man könne gegen pathogene
Bakterien im Körper unmittelbar, gleichsam desinfizierend vorgehen, doch bestätigten sich diese Hoffnungen nicht, schon aus
dem einen Grunde, weil die Tuberkelbacillen sich in hohem Maße widerstandsfähig gegen desinfizierende
Substanzen erwiesen. So legte denn Koch, stets aufs Praktische losgehend, schon in seiner Mitteilung 1882 den Hauptwert auf
die hygienisch-vorbeugende Bedeutung seiner Entdeckung und wies schon damals nachdrücklich auf die Gefahren hin, welche die
nachlässige und unreinliche Behandlung des Lungenauswurfs von seiten
mehr
der Kranken mit sich bringe, und am Schlusse seiner damaligen Ausführungen betonte er, daß es ihm nicht mehr verfrüht erscheine,
mit prophylaktischen Maßregeln gegen die Tuberkulose vorzugehen. Diese Gedanken wurden neuestens weiter verfolgt in einer Arbeit von
Cornet, welche das große Verdienst hat, nachgewiesen zu haben, wo sich die Tuberkelbacillen außerhalb
des menschlichen Körpers vorfinden, und wo dem entsprechend für den Menschen die Gefahren lauern, von der Tuberkulose befallen zu werden.
Während nämlich bis dahin häufig der Ansicht gehuldigt worden war, daß die Tuberkelbacillen überall in der Luft herumschwirren,
und daß somit jeder Mensch stetig der Gefahr, angesteckt zu werden, ausgesetzt, eine wirksame Prophylaxe
also unmöglich sei, sowie daß das Ergriffen- oder Nichtergriffenwerden von Tuberkulose lediglich Folge der individuellen Disposition
sei, wies Cornet nach, daß die Tuberkelbacillen sich nur an solchen Orten vorfinden, an welchen Lungenschwindsüchtige sich
für längere Dauer aufhalten, also in deren Wohnungen, und zwar konnte Cornet auch hier nur dann die Bacillen
nachweisen, wenn die Kranken die üble und unreinliche Gewohnheit hatten, auf den Boden oder ins Taschentuch zu spucken. In
solchen Fällen wurden im Staube der Wohnung, an den Wänden, Bettleisten, allerlei Vorsprüngen mit großer Regelmäßigkeit
infektionstüchtige Tuberkelbacillen nachgewiesen, ebenso regelmäßig wurden sie dagegen vermißt in
den Wohnungen solcher Kranken, welche sich ausschließlich des Spucknapfes zur Entleerung ihres Auswurfs bedienten.
Auch an verkehrsreichen Orten, in Wartesälen, auf belebten Straßen etc. wurden Tuberkelbacillen niemals nachgewiesen. Aus
diesen Beobachtungen ergibt sich die ebenso wichtige und wirksame wie einfache prophylaktische Maßregel: der Lungenkranke
soll seinen Auswurf niemals anders als in einen Spucknapf (der etwas Wasser oder Karbollösung enthält)
entleeren, es sollen in den Wohnungen, in Theatern, Wirtschaften und an ähnlichen öffentlichen Orten Spucknäpfe in hinreichender
Zahl aufgestellt werden, damit die Kranken nicht genötigt werden, den Boden oder ihr Taschentuch durch ihren Auswurf zu beschmutzen.
Die große Gefahr von solchem Verhalten liegt nämlich darin: kommt der Auswurf auf den Boden, so trocknet
er hier allmählich ein, durch das Gehen wird die eingetrocknete Masse zu einem feinen Pulver zerrieben und mischt sich, aufgefegt
durch das Gehen im Zimmer, durch die langen Kleider der Frauen, der Luft bei und wird eingeatmet. Noch gefährlicher
sind die Taschentücher: der in denselben enthaltene Auswurf trocknet hier, unter dem Einfluß der höhern Temperatur, welche
das Taschentuch vom nahen Körper annimmt, besonders rasch ein, das Herausziehen und Entfalten gibt zum Zerstäuben und Zerreiben
Anlaß, und dabei mischen sich die zarten, leichten Stofffäserchen den getrockneten Sekretbröckchen bei und
versehen diese, welche an sich spezifisch ziemlich schwer sind und Neigung haben, sich zu Boden zu senken, gleichsam mit Schwingen
und hindern sie am Absetzen.
Die Thatsache, daß man Tiere mit Leichtigkeit tuberkulös machen kann, wenn man sie zerstäubten Auswurf Schwindsüchtiger
atmen läßt, daß unter allen Formen der Tuberkulose primäre Lungenschwindsucht weitaus die häufigste ist, die
erwiesene Häufung der Schwindsuchtsfälle bei engem Zusammenwohnen der Menschen in Gefängnissen, Klöstern und ähnlichen
Anstalten, besonders aber auch in den großen, dicht bevölkerten Städten sind Beweise genug, daß auch die Übertragung der
Schwindsucht durch Einatmung der Tuberkelbacillen erfolgt.
Auch sehr viele derjenigen Fälle, in welchen die Lungenschwindsucht in einer Familie herrscht, sind nicht
auf eine Vererbung der Tuberkulose selbst oder der Disposition zurückzuführen, sondern auf eine infizierte Wohnung, in welcher sich
ein Familienglied nach dem andern infiziert. Eine Vererbbarkeit der Tuberkulose, d. h.
der Bacillen selbst, kommt ohne Zweifel in seltenen Fällen vor, sie fällt aber außerordentlich wenig
ins Gewicht. Auch eine Vererbung einer Disposition soll nicht geleugnet werden, doch ist jedenfalls die Disposition für die
Krankheit eine viel allgemeinere als die Gefahr der Infektion.
Ein kräftig gebauter Körper mit normalem Stoffwechsel, der viel in freier Luft lebt, ist wenig disponiert, ein von kränklichen
Eltern abstammender, in ärmlichen Verhältnissen, in Not und Schmutz und engen Wohnungen aufgewachsener
Mensch, dem auch sein Beruf oder Kränklichkeit den Genuß der freien Luft verbietet, ist mehr geneigt, an Tuberkulose zu erkranken. Die
hieraus sich ergebenden prophylaktischen Maßnahmen sind selbstverständlich; neben diesen sind aber noch von weit größerer
Bedeutung die oben erwähnten zur Verhütung des Zerstäubens des Auswurfs.
Hierzu kommen noch die regelmäßige Reinhaltung der Spucknäpfe, peinliche Reinlichkeit mit Bett und Leibwäsche, event.
sofortiges Auskochen derselben, wenn sie (was bei Schwerkranken nicht selten) durch Auswurf trotz aller Vorsicht dennoch verunreinigt
wurde (betreffend Desinfektion des Krankenzimmers vgl. Desinfektion, Bd. 17, und im vorliegenden
Bande: Gesundheitspflege, S. 358). Darf man in ein Zimmer, in eine Wohnung ziehen, in welcher ein Schwindsüchtiger gewohnt hat,
bez. gestorben ist? Ja; man soll aber die Wände erst mit Brot abreiben, dann neu tapezieren oder streichen, den Boden mit Sublimat
1:1000 auswaschen, mit heißem Wasser und Soda nachwaschen, Parkett mit Eisenspänen abreiben und wichsen
lassen.
Betten, Kleider und Wäsche Schwindsüchtiger müssen im strömenden Dampf von mindestens 100° desinfiziert werden. Hierzu
sind städtische Desinfektionsanstalten überall dringendes Erfordernis. Daß zur Desinfektion von Betten die gewöhnlichen
Bettfedernreinigungsanstalten ganz Ungenügendes leisten, hat Cornet durch sehr sinnreiche Versuche nachgewiesen. Dies alles
sind Anforderungen, welche das Publikum kennen muß, um an der hygienischen Kulturaufgabe unsrer Tage, der
Ausrottung dieser schlimmsten Geißel der Menschheit, wirksam mitarbeiten zu können.
Hatten auch, wie oben erwähnt, die anfänglichen Bestrebungen Kochs, ein Heilmittel zu finden, welches die Tuberkelbacillen
im Körper vernichten oder an ihrer weitern Entwickelung verhindern könnte, anfänglich keinen Erfolg gehabt,
so war dennoch sein Bestreben unausgesetzt auf dieses Ziel gerichtet, und beim zehnten internationalen Medizinischen Kongreß
(s. d., S. 607 f.) in Berlin im August 1890 überraschte er die Welt mit der Mitteilung, daß er nunmehr Substanzen getroffen
habe, »welche nicht bloß im Reagenzglas, sondern auch im
Tierkörper das Wachstum der Tuberkelbacillen aufzuhalten im stande seien«. Später verlautete ab und zu in der Tagespresse,
daß das angedeutete Mittel jetzt in Spitälern bei Menschen angewandt werde, und 13. Nov. 1890 erschien Kochs denkwürdige Mitteilung
über sein Heilmittel und über dessen Wirkungen auf gesunde und auf tuberkulös erkrankte Menschen. Noch ist
die Zusammensetzung und die Art der Herstellung des Mittels nicht zur allgemeinen Kenntnis gebracht und zwar aus sehr begreiflichen
Gründen. Schon die erste
mehr
Mitteilung wies ziemlich deutlich darauf hin, daß man sich die Substanz nicht unter den Droguen, sondern beim Studium des Bakterienstoffwechsels
gefunden vorzustellen habe; auch die Äußerung Kochs in seiner zweiten Mitteilung, wonach das Mittel Versuchstiere gegen Impfung
mit Tuberkelbacillen unempfindlich zu machen im stande sei, zeigte an, daß es sich um ein Immunisierungsmittel
handeln müsse, welches man sich etwa in der Art wie die Pasteurschen Schutzimpfungen gegen Hundswut, Milzbrand und andre Infektionen
vorzustellen habe, und die Vermutungen der ganzen ärztlichen Welt gehen dahin, daß das Mittel aus auf chemischem Wege gewonnenen
Stoffwechselprodukten künstlich gezüchteter Bakterien bestehen müsse.
Derartige Stoffe, Ptomaine, Toxine (s. Bakterien, Bd. 17), sind äußerst stark wirkende Gifte, und ihre
Darstellung erfordert so große wissenschaftliche Vorstudien, Geschicklichkeit und peinlichste Sorgfalt, daß nur wenige
im stande sein würden, das Mittel in zuverlässiger Güte herzustellen, auch wenn seine Zusammensetzung, bez. Darstellung bekannt
gegeben würde. Einer der bedeutenden Sache ungemein schadenden Nachahmung und damit der größten Gefährdung
der Menschenleben wäre damit Thür und Thor geöffnet. Nach einer 15. Jan. 1891 erschienenen weitern Mitteilung Kochs besteht
das Mittel aus einem Glycerinextrakt sterilisierter Reinkulturen von Tuberkelbacillen; diese Substanz gehört aber nicht zu
den Toxalbuminen, da sie hohe Temperaturen erträgt. Koch selbst hält sie für ein andres Derivat der Eiweißkörper;
nach Buchner wäre sie zu den Bakterienproteinen zu rechnen. Neuerdings hat das Mittel durch Koch den Namen Tuberkulin erhalten.
Das Mittel besteht aus einer bräunlichen, klaren Flüssigkeit, welche für den Gebrauch verdünnt wird. Sie wirkt nur, wenn
sie unter die Haut gespritzt wird, was mittels einer besondern, von Koch angegebenen Ballonspritze zu geschehen
pflegt. Die Wirkung auf den Gesunden hat Koch an sich selbst erprobt; es stellten sich nach Einspritzung von 0,25 ccm der (unverdünnten)
Substanz schwere Krankheitserscheinungen mit hohem Fieber ein, welche nach etwa 12 Stunden nachließen und bis zum folgenden
Tage wieder verschwunden waren.
Bei Einspritzungen von 0,01 ccm oder weniger stellen sich bei Gesunden gar keine Krankheitserscheinungen mehr ein; wird aber
Tuberkulösen 0,01 ccm eingespritzt, so stellt sich eine lebhafte allgemeine und örtliche Reaktion ein; die allgemeine Reaktion
besteht in einem Fieberanfall, häufig mit Schüttelfrost und andern Krankheitserscheinungen, welche 4-5 Stunden
nach der Einspritzung beginnen und 12-15 Stunden andauern, die örtliche Reaktion betrifft das von dem Leiden ergriffene Organ.
Dasselbe wird in den Zustand einer lebhaften Entzündung versetzt, welche bei den äußerlich sichtbaren tuberkulösen Erkrankungen,
so besonders beim sogen. Lupus, am deutlichsten zu beobachten ist;
auch an eiternden Drüsen und anderweitigen
tuberkulösen Geschwüren kann man die Erscheinungen sehr gut beobachten: Die erkrankte Stelle schwillt stark an, wird lebhaft
gerötet;
es kommt dann zur Ausschwitzung einer wässerigen Flüssigkeit, welche zu Borken vertrocknet;
das erkrankte Gewebe
stirbt brandig ab und wird nach gewisser Zeit abgestoßen.
Ganz analog damit gehen die Veränderungen in allen
tuberkulösen Organen vor sich, unter stets übereinstimmender Wiederholung von allgemeiner und örtlicher Reaktion. Diese
lebhafte Entzündung und Abstoßung spielt sich ausschließlich im lebenden Gewebe, soweit es von den Tuberkelbacillen ergriffen
ist, ab. Die schon
abgestorbenen Gewebsmassen werden von dem Mittel nicht beeinflußt, auch werden die im abgestorbenen und
im lebenden Gewebe befindlichen Tuberkelbacillen nicht getötet, sondern die Wirkung des Mittels besteht
nur in der Hervorrufung einer demarkierenden Entzündung um den tuberkulösen Herd herum oder in diesem selbst.
Man hat sich dies in folgender Weise vorzustellen: Die Tuberkelbacillen im Körper schädigen durch ihre Stoffwechselprodukte
das Gewebe, in welchem sie liegen, bringen dasselbe zum Absterben, aber nur in geringer Ausdehnung, so daß
die weiter nachwachsenden Bacillen immer neues Körpermaterial vorfinden, welches sie (sich aus demselben ernährend) in
derselben Weise zerstören können. Wird nun durch das Kochsche Mittel eben dieser Giftstoff der Tuberkelbacillen noch in größerer
Menge an den Krankheitsherd gebracht, so erfolgt eine auf einen weitern Umkreis sich erstreckende
Entzündung und Gewebsnekrose, welche ihrerseits den Tuberkelbacillen den Nährboden entzieht und ihr weiteres Vordringen
ins gesunde Gewebe verhindert.
Die Möglichkeit, daß lebend gebliebene Bacillen von neuem ins gesunde Gewebe einwandern können, läßt Koch offen, es soll
daher auf jegliche Weise der Organismus unterstützt werden, der toten Gewebsmassen, in welchen die lebenden
Bacillen eingeschlossen sind, sich zu entledigen, was teils durch chirurgische Eingriffe, teils in der schon bisher geübten
Weise durch klimatische und hygienisch-diätetische Behandlung angestrebt werden soll. Die ersten Versuche, die Wirkung des
neuen Heilmittels auch bei Lungenschwindsucht auf operativem Wege zu unterstützen, sind schon begonnen:
Sonnenburg hat schon in einigen Fällen sogen. Lungenkavernen mit glühenden Instrumenten (Thermokauter) eröffnet und die Höhlen
wie Absceßhöhlen ausgeräumt.
Alsbald nach der Kochschen Veröffentlichung vom 13. Nov. strömten Ärzte und Kranke in Berlin zusammen, die einen, um das Verfahren
kennen zu lernen, die andern, um sich danach behandeln zu lassen. Gewaltig war der Enthusiasmus in der
ganzen Welt, aber unwillkürlich hatten die meisten ärztlichen und nichtärztlichen Leser von Kochs Mitteilung mehr in dieselbe
hineingelegt, als darin in Aussicht gestellt war, insbesondere war eine ganz augenscheinliche rapide Heilung vielfach erwartet
worden.
Angesichts so überschwenglicher Hoffnungen konnte ein Rückschlag, ein Gefühl der Enttäuschung nicht ausbleiben.
Augenblicklich dürfte diese Depression ihren tiefsten Punkt erreicht haben. Man muß zur Zeit bekennen, daß bis jetzt, d. h.
bis zum Frühjahr 1891, noch nicht von definitiven unzweifelhaften Heilungen in einer genügenden, die Beobachtungen sicher
stellenden Anzahl berichtet werden kann. Merkliche, ausgesprochene Besserungen sowohl von Fällen chirurgischer
Tuberkulose als von Lungenphthise, besonders auch von Kehlkopfschwindsucht sind dagegen schon in großer Anzahl beobachtet, und es
ist ohne weiteres klar, daß Krankheitserscheinungen und Organveränderungen, welche einen so langsamen Verlauf nehmen wie
die tuberkulösen, und welche so nachhaltige Zerstörungen in ihrem stillen, verborgenen Wirken geschaffen haben, sich nicht
in wenigen Wochen werden beseitigen lassen. Das Mittel müssen wir uns als ein Gegengift gegen das von den Tuberkelbacillen
gelieferte Gift vorstellen; das ergriffene Gewebe fällt der chemischen Umsetzung zwischen Gift und Gegengift zum Opfer; sagen
wir, es verbrennt. Damit ist der tuberkulösen Infektionskrankheit das Charakteristische der Infektionskrankheiten genommen,
d. h. dem Fortschreiten der
(tuberculosis), eine akut oder chronisch verlaufende Infektionskrankheit, die sich durch die Ablagerung
hirsekorngroßer grauer oder gelblicher durchscheinender Knötchen oder Tuberkeln (tubercula) in den verschiedenen Organen
(Lungen, Leber, Darmschleimhaut, Gehirnhaut, Lymphdrüsen, Knochen u. s. w.) charakterisiert, die durch ihre pathol. Veränderungen
meist eine Erweichung und Schmelzung der Gewebe, häufig auch eine allgemeine Blutentmischung und Verderbnis
der Säfte zur Folge haben.
Unter dem Mikroskop betrachtet, zeigt sich der frische Tuberkel im wesentlichen aus kleinen rundlichen, zierlich angeordneten
Zellen zusammengesetzt, die ein oder mehrere große Zellen (sog. Riesenzellen) umschließen.
Sehr bald nach seinem Entstehen beginnt der Tuberkel von seiner Mitte aus zu atrophieren und sich in eine
trockne, gelbe, käsige Masse zu verwandeln; die Ursache dieser sog. Verkäsung des Tuberkels liegt ohne Zweifel in einer unzureichenden
Ernährung desselben durch die umgebenden Blutgefäße.
Der verkäste Tuberkel erfährt nun nach einiger Zeit weitere Veränderungen, indem er entweder eintrocknet und durch Ablagerung
von Kalkmassen steinhart wird, in welchem Zustand er zeitlebens, und ohne weitere Beschwerden zu verursachen,
verharren kann, oder indem er, was der häufigere Fall ist, allmählich erweicht und zu einer dicken rahmähnlichen Flüssigkeit
(Tuberkeleiter oder Tuberkeljauche) zerfließt. Durch diese Erweichung oder Schmelzung der Tuberkel entsteht auf den Schleimhäuten
das sog. tuberkulöse Geschwür, in parenchymatösen Organen die tuberkulöse Kaverne oder Höhle (Vomica),
ein bis faustgroßer rundlicher oder unregelmäßig gestalteter Hohlraum, der mit graugelber dünneitriger oder eitrig-käsiger
Flüssigkeit, häufig auch mit gelblichen Bröckeln erfüllt und in seinen Wandungen tuberkulös infiltriert ist. Durch die
tuberkulösen Geschwüre und Kavernen kann nicht nur das tuberkulöse Organ allmählich vollständig zerstört, sondern auch
der Gesamtorganismus infolge des begleitenden Fiebers und gewisser Folgezustände (fettige und amyloide
Entartung, Thrombosen u. a.) schließlich zu Grunde gerichtet werden (Schwindsucht, Phtisis).
Doch kommt nicht selten eine
Art von Heilung des tuberkulösen Prozesses durch Bildung von Narbengewebe vor.
Über die Ursachen der Tuberkulose hat Robert Koch hinreichende Klarheit verschafft. 1865 führte Villemin den direkten
experimentellen Beweis, daß die Tuberkulose durch Impfung übertragen werden kann (sog. Impftuberkulose). Ebenso leicht gelingt es,
durch das Einatmen fein zerstäubten Auswurfs tuberkulöser Personen bei ganz gesunden Hunden eine weit verbreitete Lungentuberkulose
hervorzurufen. 1882 wies Robert Koch nach, daß in allen tuberkulösen Organen und Auswurfsstoffen regelmäßig mikroskopisch
kleinste niedrige Organismen aus der Klasse der Spaltpilze oder Schizomyceten, die Tuberkelbacillen, vorkommen, daß man dieselben
auch außerhalb des Tierkörpers in künstlichen Nährsubstanzen rein zu züchten und mit den nach mehrern Generationen erhaltenen
unvermischten Pilzen bei jedem Versuchstier wiederum künstlich die Tuberkulose hervorzurufen im stande ist. Damit war experimentell
erwiesen, daß die Tuberkulose eine infektiöse, durch eine specifische Bakterienart hervorgerufene
Krankheit ist.
Der Tuberkelbacillus (Bacillus tuberculosis Koch, s. Tafel: Bakterien,
Fig. 1) ist ein sehr schmaler, langer, unbeweglicher Bacillus,
häufig von leicht gebogener Gestalt und je nach dem Nährboden wechselnder Ausbildung; seine Länge entspricht etwa einem
Drittel des Durchmessers eines roten Blutkörperchens. Sehr häufig erscheint er in Form gefärbter Körnerreihen;
die ungefärbten Partien einer solchen Reihe wurden früher für Sporen gehalten; der Tuberkelbacillus bildet jedoch keine
Sporen und ist daher auch gegen hohe Hitzegrade nicht widerstandsfähig.
Specifische Färbungsmethoden, die auf die große Widerstandsfähigkeit der Bacillen gegen Säuren basiert sind, bedingt
durch zwei im Körper enthaltene Substanzen, die zu den ungesättigten Fettsäuren gehören, gestatten eine absolut sichere
Diagnose der Bacillen gegenüber andern Bacillenformen. Die Bacillen wachsen nur unter sehr eng begrenzten Bedingungen, zwischen
30-40° C. Temperatur (am besten bei der Körpertemperatur 37,5°), auf Blutserum, Glycerinagar, schwieriger auch auf Kartoffeln.
Demnach können die Bacillen sich in der Außenwelt nicht vermehren, wohl aber erhalten sie sich, worauf
die weit verbreitete Gefahr der Ansteckung beruht. Das Abtöten der Bacillen zum Zweck der Desinfektion geschieht am sichersten
durch Kochen in strömendem Wasserdampf. Gegen die Magenverdauung sind die Bacillen geschützt, so daß sie durch den Magen
hindurch noch virulent in den Darm gelangen und diesen infizieren können.
Getrockneter bacillenhaltiger Auswurf von Tuberkulösen behält wochenlang seine Ansteckungsfähigkeit, wird leicht in kleinsten
Partikelchen vom Luftstrom fortgeführt, gelangt beim Einatmen direkt in die Luftwege und kann hier wiederum Tuberkulose erzeugen,
wenn sonst die Bedingungen der weitern Entwicklung der eingeatmeten Bacillen günstig sind. In einer gesunden
Lunge vermögen sich diese nur schwer anzusiedeln, da das schützende Epithel der Schleimhäute ihrem Eindringen in die
Gewebe einen wirksamen Widerstand entgegensetzt; nur wo die Schleimhaut infolge von Katarrhen, Entzündungen, stagnierendem
und sich zersetzendem Sekret von Epithel entblößt ist, ferner nur in schlaffem und blutleerem Gewebe
sind die Tuberkelbacillen im stande, sich
mehr
einzunisten. Vielfach wird angenommen, daß es eine besondere Körperbeschaffenheit, den sog.
phthisischen Habitus, giebt, der zu Tuberkulose disponiere; sein Merkmal ist hauptsächlich ein langer, schmaler Brustkasten. Alles,
was den Körper schwächt und blutarm macht, vermindert auch die Widerstandsfähigkeit gegen das tuberkulöse Gift; auch das
Einatmen von Staub, dem manche Gewerke ausgesetzt sind, begünstigt die Entwicklung von (S. Staubinhalationskrankheiten.)
Von besonderer Wichtigkeit ist weiterhin, daß die Anlage zur Tuberkulose oft erblich ist. (S. Erbliche Krankheiten.) Übrigens bilden
die Atmungsorgane nicht den einzigen Weg, auf dem die Tuberkelbacillen in den Körper eindringen; auch vom Darmkanal aus kann
die Infektion stattfinden; gegen diese Art von Infektion sind besonders kleine Kinder sehr empfänglich.
In dieser Beziehung schließt namentlich der Genuß des Fleisches und der Milch perlsüchtiger (tuberkulöser) Rinder die Gefahr
einer Übertragung der in sich. (S. unten, S. 1040 b fg.) Wiederholt hat man auch die Infektion der Tuberkulose von kleinen Schrunden
und Verletzungen der Haut aus erfolgen sehen.
Die Erscheinungen der Tuberkulose sind je nach dem Ort der ersten Infektion und nach der weitern Ausbreitung des tuberkulösen Giftes
außerordentlich mannigfach. Mitunter wird das Tuberkelgift durch die Blut- und Säftemasse so schnell über den ganzen Körper
verbreitet, daß sich fast in allen Organen in kürzester Zeit zahlreiche Tuberkeln entwickeln und unter
hohem Fieber und schweren typhusähnlichen Allgemeinerscheinungen der Tod erfolgt; man pflegt solche Fälle als akute allgemeine
Miliartuberkulose zu bezeichnen.
In den allermeisten Fällen tritt die Tuberkulose zuerst in den Lungen auf (Lungentuberkulose), indem entweder binnen wenigen Wochen
oder Monaten die Lungen durch tuberkulöse Kavernen zerstört werden (akute Lungentuberkulose), oder der
krankhafte Prozeß in den Lungen einen mehr schleichenden, über Jahre, selbst Jahrzehnte sich erstreckenden Verlauf nimmt
(chronische Lungentuberkulose). Die Symptome beider Formen gleichen denen der Lungenschwindsucht (s. d.). Über die Tuberkulose der Luftröhren-
und Kehlkopfschleimhaut s. Kehlkopf(-Krankheiten);
über die Darmtuberkulose s. Darmschwindsucht;
über
die Tuberkulose der Gehirnhäute s. Gehirnhautentzündung;
über die Tuberkulose der Knochen s. Knochenfraß;
über die Tuberkulose der Gelenkschleimhäute
s. Gliedschwamm.
Auch die Erscheinungen der Skrofulose (s. d.) werden großenteils durch tuberkulöse Prozesse bewirkt.
Hinsichtlich der Verhütung der Tuberkulose zählt eine sorgfältige Abhärtung und Kräftigung des Körpers durch gute Ernährung,
frische Luft, kalte Waschungen und Bäder zu den besten Schutzmitteln gegen die (s. Abhärtung). Vor allem
aber ist die Gelegenheit zur Infektion möglichst zu beschränken. Cornet hat nachgewiesen, daß Tuberkelbacillen in der freien
Luft überhaupt nicht vorkommen, und in Wohnungsluft nur da, wo tuberkulöse Personen ihren Auswurf auf den Boden
oder ins Taschentuch spucken, wo er dann antrocknet und mit dem Staub leicht fortgeführt werden kann.
Deshalb soll jeder Tuberkulöse den Auswurf in einen mit Carbollösung (nicht mit stäubendem Sand) gefüllten Spucknapf, auf
Reisen und Spaziergängen in ein mitgeführtes Fläschchen (z. B. das Dettweilersche
Spuckfläschchen) entleeren. Der Auswurf ist durch Kochen oder 5prozentige Carbolsäure zu desinfizieren;
auch erheischen Betten, Wäsche u. s. w. des Kranken die peinlichste Desinfektion, ehe
sie wieder von Gesunden benutzt werden
können (s. Krankenwäsche).
Räume, in denen sich Phthistker aufhalten, sind stets naß ohne Staubentwicklung zu reinigen. Man vermeide zu intimen Verkehr
und insbesondere das Zusammenschlafen mit Phthisikern. Verkauf von Nahrungsmitteln ist Phthisikern möglichst
zu verbieten. Der Möglichkeit einer Infektion durch Milch oder Fleisch läßt sich durch gründliches Kochen derselben sicher
vorbeugen. In Nordamerika, wo die Tuberkulose eine ungeheure Verbreitung gewonnen hat, beginnt man jetzt mit einer staatlich geregelten
Prophylaxe, zu der vor allem auch eine sachgemäße, gemeinverständliche Belehrung des Volks durch gratis
verteilte Anweisungen gehört.
Bei der Behandlung der ausgebrochenen Tuberkulose ist das Hauptgewicht auf ein sorgsames diätetisches Verhalten und
eine zweckmäßige Regelung der Lebensweise des Kranken zu legen, da bis jetzt kein medikamentöses Mittel bekannt ist, welches
das eingedrungene Tuberkelgift unbedingt unwirksam zu machen im stande ist, wenn auch die neuern Kochschen
Präparate des Tuberkulins (s. d.) größern Erfolg hierin versprechen. Bei der Tuberkulose sind
von schädlichstem Einfluß vor allem Erkältungen.
Excesse jedweder Art, Gemütserregungen und schlechte Ernährung. Deshalb sollen sich solche Kranke vor dem Einatmen zu kalter
Luft, namentlich kalter feuchter Luft hüten, in freier Luft bei kalter Witterung entweder einen Respirator
tragen oder wenigstens den Mund geschlossen halten, auch die Brust stets (und namentlich nachts im Bette) warm bekleidet halten
(wollene Leibjäckchen). Es ist zu empfehlen, den Winter in einem milden Klima oder in einem hoch gelegenen geschützten Gebirgsort
zu verbringen (klimatische Kurorte).
Excesse schaden den Kranken teils durch die (Lungenhyperämie bedingende) Aufregung, teils durch die Erschöpfung,
die sie zurücklassen. Ein Tuberkulöser hat nichts zuzusetzen und muß mit seinem Körpervermögen sparsam umgehen; daher
kommt es, daß Schwindsüchtige, die wenig auf die Ernährung ihres Körpers verwenden, früher und leichter zu Grunde gehen
als solche, die sich gut nähren, und daß durch die Schwangerschaft der Fortschritt der Tuberkulose ungemein befördert
wird.
Auch beschleunigen tuberkulöse Männer durch die Heirat häufig unzweifelhaft ihren Tod. Wenn das tuberkulöse Organ chirurg.
Eingriffen zugänglich ist, so ist eine energische örtliche Behandlung (Entfernung der tuberkulösen Herde durch Auskratzen,
Ausschneiden, Resektion u. dgl.) am Platze. Um die Verbreitung der Tuberkulose möglichst zu verhindern, strebt man
in neuerer Zeit immer mehr die Errichtung besonderer Heilstätten für an. (S. Volksheilstätten, Bd. 17.)
Litteratur. Villemin, Études sur la tuberculose (Par. 1868);
Buhl, Lungenentzündung, Tuberkulose und Schwindsucht (2. Aufl., Münch.
1873);
Cohnheim, Die Tuberkulose vom Standpunkte der Infektionslehre (2. Aufl.,
Lpz. 1881);
Rob. Koch, Die Ätiologie der (in der Berliner «Klinischen Wochenschrift», 1882);
Pütz, Die Beziehung der Tuberkulose des
Menschen zur Tuberkulose der Tiere (Stuttg. 1883);
Baumgarten, Über Tuberkel und Tuberkulose (Berl. 1885);
Predöhl, Geschichte der Tuberkulose (Hamb. 1888);
Cornet, Wie schützt man sich gegen die Schwindsucht (2. Aufl., ebd. 1890);
Leray, Le bacille tuberculeux chez l'homme et dans la série animale (Par. 1897).
Die Tuberkulose der Haustiere ist mit der des Menschen in ihrem Wesen völlig identisch. Koch gelang 1882 der Nachweis, daß die Tuberkulose des
Menschen und der
^[Abb. 1. Ipomoea purga (Jalape); a Knolle. 2. Cuscuta epithymum (Kleeseide); a Blütenköpfchen, nat. Gr., b Blüte, vergrößert. 3. Capsicum annuum (Paprika, spanischer Pfeffer); a Blüte, b Frucht, längsdruchschnitten, c Fruchtquerschnitt. 4. Nicotiana tabacum (Tabak); a Blütenstand, verkleinert, b Blüte in nat. Gr. 5. Borrago officinalis (Boretsch); a Blüte, nat. Gr., B. Fruchtknoten. 6. Alkanna tinctoria (Alkannawurzel); a Wurzelstock, b Blüte.]
mehr
Haustiere durch einen und denselben Spaltpilz, den Tuberkelbacillus, erzeugt und weiter verbreitet wird. Besondere Bedeutung
besitzen die früher mit dem Namen Perlsucht und käsige Lungenentzündung, Lungentuberkulose oder Lungensucht belegte Tuberkulose des
Rindes sowie die Tuberkulose des Schweins. Bei den übrigen Haustieren (Pferd, Ziege und Schaf) ist die Tuberkulose selten. Unempfänglich
für Tuberkulose sind aber auch diese Tiere nicht, und Ziegen z. B. können bei ausschließlicher Stallhaltung ebenso tuberkulös
werden wie die Rinder.
Nach zuverlässigen Schätzungen sind im allgemeinen über 25 Proz. aller Rinder mit Ausschluß der Kälber tuberkulös; dieser
Prozentsatz ist indessen noch größer, wenn man nur Kühe oder gewisse Gegenden in Betracht zieht, wo
bis zu 75 Proz. mit Tuberkulose behafteter Rinder vorkommen. Bei Schweinen ist der durchschnittliche
Prozentsatz viel geringer; derselbe beträgt in Norddeutschland 1-4 Proz., in Süddeutschland
nicht ganz 1 Proz. Die Schweinetuberkulose hängt eng mit der Rindertuberkulose zusammen, weil
die Krankheit erwiesenermaßen durch die Verfütterung der Milch tuberkulöser Rinder auf Schweine übertragen
werden kann.
Besonders gefährlich ist die Verfütterung des sog. Centrifugenschlamms, weil die in der Milch enthaltenen Tuberkelbacillen
durch das Centrifugieren in den Schlamm ausgeschleudert werden. In sehr seltenen Fällen ist die Tuberkulose angeboren;
in der Regel wird sie vom Tiere erworben durch Einatmung Tuberkelbacillen enthaltender Luft, durch Aufnahme
Tuberkelbacillen enthaltender Nahrung. Je nach der Art der Ansteckung findet man bei den Tieren Tuberkulose der Lunge (Einatmung), des
Darms und der Gekrösdrüsen (Fütterung) oder der Geschlechtsteile (Begattung).
Von diesen Eingangspforten kann jedoch die Krankheit auf andere Organe übergehen, so daß schließlich sämtliche Organe
erkrankt sein können. Wo immer ein Tuberkelbacillus im Innern des Organismus hingelangt, entsteht ein
Knötchen (Knötchenschwindsucht); diese Knötchen zerfallen sehr bald zu einem käsigen oder eiterigen Brei, wenn sich nicht
Kalksalze in ihnen ablagern. Durch das Zusammenfließen größerer Mengen solcher verkäsender Knötchen (Tuberkeln) entstehen
umfangreichere Käse- und Eiterherde.
Diese finden sich besonders in der Lunge, der Leber, der Milz, in den Nieren, in der Gebärmutter und in den
Knochen sowie in den entsprechenden Lymphdrüsen. Beim Rinde erzeugt der Tuberkelbacillus außerdem ausgedehnte bindegewebige
Wucherungen mit eingesprengten Käseherden auf dem Bauch- und Brustfell (Perlsucht) sowie im Euter. Letzteres wird dadurch bedeutend
vergrößert; diese Vergrößerung betrifft aber merkwürdigerweise immer nur einen Teil, sehr selten
das ganze Euter.
Die mit Tuberkulose behafteten Tiere zeigen das allerverschiedenste Verhalten; manche werden dabei dick und fett (fette Franzosen),
andere magern bis zum Skelett ab, je nach der Ausdehnung des Prozesses auf Organe, die für die Verdauung und Assimilation von
Wichtigkeit sind. Das wichtigste Symptom der Tuberkulose ist andauernder Husten und Abmagern trotz guten Appetits.
Außerdem zeigen die Tiere in höhern Graden bei genauerer Beobachtung eine gewisse Trägheit, Energielosigkeit in ihren Bewegungen,
namentlich beim Fressen, und einen traurigen Blick.
Das Auftreten von schmerzlosen Drüsenanschwellungen bei solchen Tieren im Kehlgange, am Bug, in der Kniefalte,
oder Anschwellungen eines oder mehrerer Euterviertel machen den Tuberkuloseverdacht zur
Gewißheit. Eine frühzeitige sichere
Diagnose der äußerlich noch gar nicht erkennbaren Tuberkulose der Haustiere gelingt durch Anwendung des Kochschen
Tuberkulins (s. d.); bei tuberkulösen Tieren tritt nach der Einspritzung hohes Fieber vorübergehend auf. Die Reaktion tritt
durchschnittlich 15 Stunden nach der Einspritzung auf. Die Dosis für eine Einspritzung bei Rindern beträgt
0,3 bis 0,5 g.
Evident tuberkulöse Tiere mit erheblicher Ausdehnung des Prozesses sind unverzüglich zu schlachten. Diejenigen Tiere dagegen,
welche nur durch die Anwendung des Tuberkulins als tuberkuloseverdächtig erkannt werden, sind zu separieren, d. h. in besondern
Stallungen oder abgeschlossenen Stallabteilungen unterzubringen. Ihrer weitern wirtschaftlichen Nutzung
steht bis zum Auftreten offenbarer Störung der Gesundheit nichts im Wege. Die tuberkuloseverdächtigen weiblichen Tiere können
selbst ohne Bedenken zur Nachzucht verwendet werden, wenn die jungen Tiere nur sofort von ihren Müttern getrennt und mit gekochter
oder sterilisierter Milch ernährt werden. Tuberkulöse oder tuberkuloseverdächtige männliche Tiere sind
dagegen von der Nachzucht auszuschließen. Die Ställe, in welchen tuberkulöse Tiere untergebracht waren, sind zu desinfizieren.
Die Tuberkulose der Tiere kann auch auf den Menschen durch die Milch tuberkulöser Kühe und durch das Fleisch tuberkulöser Tiere übertragen
werden. Bei allgemein verbreiteter Tuberkulose wird daher das Fleisch des betreffenden Tieres vernichtet; bei örtlich
beschränkter Tuberkulose wird es oft auf dem Schlachthof selbst, event. schon gekocht,
weil dann unschädlich, an der Freibank als minderwertig verkauft. Die Gefahr der Übertragung durch Milch ist besonders für
Kinder, die für Darmtuberkulose sehr empfänglich sind, groß. Schutz gewährt ein viertelstündiges Abkochen
der Milch. -
Vgl. Voges, Der Kampf gegen die Tuberkulose des Rindviehs (Jena 1897).