Traum
(lat. Somnium), die Fortsetzung der geistigen Thätigkeit während des Schlafs bei mangelndem vollen Bewußtsein des Schläfers. Nach den neuern Anschauungen liegt der Unterschied zwischen Schlaf und Wachen wesentlich darin, daß das Bewußtsein »ausgeschaltet« ist, und daß der Blut- und Sauerstoffstrom, der dazu dient, die geistige Thätigkeit zu unterhalten, im Schlaf dazu verwendet wird, das Gehirn und den übrigen Körper von den Schlacken der Tagesarbeit zu reinigen und neu zu kräftigen. Nun brauchen aber nicht alle Teile des geistigen Organs gleichmäßig außer Thätigkeit gesetzt zu sein, oder es können vielmehr einzelne wieder in Thätigkeit treten, ohne daß volles Selbstbewußtsein und damit Erwachen eintritt. Es sind dies namentlich die Sinnessphäre, in der die äußern Eindrücke bewußt werden, und die Erinnerungssphäre, in welcher ältere Eindrücke als Erinnerungsbilder aufbewahrt werden (s. Gedächtnis). Manche unsrer Sinnespforten bleiben bekanntlich auch im Schlaf offen, und wie im wachen Zustand die völlig geöffneten Sinnesorgane die Anregung zur Seelenthätigkeit geben, so sind es im Schlaf meist das Ohr, die Nase, das Tast- und Gemeingefühl, welche den ersten Anlaß zu innern Erregungen und Traumbildern liefern. Mit dem Pulsmesser oder Plethysmographen kann man nachweisen, daß sodann alsbald eine stärkere Blutströmung als vorher ins Gehirn eintritt, aber zunächst wahrscheinlich nur in die durch äußere oder innere Empfindungen erregten Teile. Die Empfindung gestaltet sich alsdann zu einer ihr entsprechenden dunkeln Vorstellung. So bewirkt eine unbequeme Lage oder ein körperlicher Schmerz einen Traum von Fesselung und thätlichen Angriffen, Senfpflaster oder ein brenzliger Geruch erregen Träume von Feuersgefahr, ein plötzliches Ausstrecken soll das bekannte, meist mit Erwachen verknüpfte Gefühl eines tiefen Sturzes erzeugen, Töne und Geräusche aller Art, in der Nähe gesprochene Worte und dergleichen werden mit wunderbarer Schlagfertigkeit zu einem Traum ausgesponnen, namentlich gegen Morgen, wenn der Geist nur noch im Halbschlummer liegt. A. Maury hat dies durch zahlreiche Selbstversuche erprobt, indem
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er sich nach der Mittagsmahlzeit unmittelbar nach dem Einschlafen gewisse Geräusche und andre Eindrücke beibringen und gleich darauf wecken ließ, um sich der dadurch hervorgerufenen Traumvorstellungen zu erinnern. Man kann sich so ganze Träume einblasen (soufflieren) lassen. Häufig spiegeln sich die sogen. Binnenempfindungen oder krankhafte Zustände im T. So träumen die Personen, welche an Atmungsbeschwerden oder Luftmangel leiden, von einem durch das Schlüsselloch eindringenden und sie bedrückenden Gespenst (s. Alp), von engen Höhlengängen, Menschengedränge, Stößen gegen die Brust, Herzleidende haben beängstigende Träume, Erregungen in der Sexualsphäre bringen wollüstige Träume hervor. Der Inhalt der Träume besteht meist aus Wiederbelebung und Verbindung von Erinnerungsbildern, wobei frische Erinnerungen, Dinge, mit denen man sich zur Zeit stark beschäftigt, oder an die man in den Stunden vor dem Einschlafen lebhaft erinnert wurde, den Vordergrund einnehmen. Eine besondere Erklärung verlangt die dramatische Lebendigkeit dieser Bilder, welche den Träumer verleitet, sie für Wirklichkeiten zu halten und zu glauben, daß er seinen Traum mit offenen Sinnen erlebt. Einige Forscher haben deshalb an eine besonders starke Erregung des Sensoriums geglaubt und den Traum mit den Zuständen der Opium- und Hanfnarkose verglichen, in denen der Betäubte mit offenen Augen träumt. Andre, wie Johannes Müller, Gibbert und Brewster, haben sogar gemeint, die innere Erregung gehe so weit, daß sie von innen aus ein Bild auf der Netzhaut erzeuge, im Ohr Klänge errege, kurz die peripherischen Nerven zu wirklichen Empfindungen veranlasse. Gegen diese Annahmen, die auch in neuerer Zeit von Lazarus und Hagen wiederholt wurden, hat zuerst E. Krause in seiner »Naturgeschichte der Gespenster« geltend gemacht, daß Empfindungen immer nur im Zentarlorgan ^[richtig: Zentralorgan] zu stande kommen, und wozu oder auf welchen Wegen sollte das letztere Empfindungen erst nach außen werfen, um sie von da wieder zurückzuerhalten. Auch eine abnorme Erregung des Gehirns braucht zur Erklärung der Vorgänge nicht angenommen zu werden; die Lebhaftigkeit der Traumbilder erklärt sich vielmehr ganz von selbst durch die Abwesenheit der Sinnenkonkurrenz und des wachen Urteils, vor denen im Wachen alle diese innern Bilder verblassen. Das Selbstbewußtsein ist nicht ganz aufgehoben, regt sich vielmehr, namentlich gegen Morgen, oft in Zweifeln und in der Frage: »Träume ich denn?«, worauf in der Regel baldiges Erwachen folgt. Durch den Mangel des vollen Bewußtseins erklärt sich sowohl das Durcheinander der Bilder als das Unsinnige, ja Unmoralische vieler dabei vor sich gehender Handlungen, die Ideen und Bilder folgen einfach dem Gesetz der Ideenassociation (s. d.), und das Urteil ist so schwach, daß verstorbene Personen lebend erscheinen, die Einheit des Ortes nicht beobachtet wird, jedes Zeitmaß verschwindet und selbst die Person des Träumers sich in ihren Urteilen und Handlungen oftmals dramatisch in mehrere Personen spaltet. Ein bedeutendes Licht wird in dieser Richtung durch das Studium des Hypnotismus (s. d.) und namentlich durch die Möglichkeit der Suggestion (s. d.) auf den Traum geworfen, denn hierbei ist das Selbstbewußtsein so tief niedergedrückt, daß sich die unsinnigste Idee einflößen läßt und zur Wirklichkeit gestaltet, selbst die Verleugnung der eignen Persönlichkeit. Gleichwohl sind diese wie die Traumeindrücke so schwach, daß sie nach dem Erwachen mehr oder weniger vollständig aus dem Gedächtnis verschwunden sind; nur Träume, aus denen man mitten herausgerissen wird, pflegen eine genauere Erinnerung zu gestatten. Unter bestimmten Körperbedingungen kann aber der Schlaf und das Niederliegen der Urteilskraft von selbst so tief werden wie in der Hypnose, und dann kann der Schläfer umhergehend und handelnd weiterträumen, beim sogen. Schlaf- oder Traumwandeln (s. Somnambulismus). Das Traumleben spielt in der Völkerpsychologie und in den religiösen Vorstellungen eine sehr bedeutende Rolle, und eine Anzahl der namhaftesten Forscher auf diesem Gebiet nimmt an, daß sich die Grundpfeiler der religiösen Lehrgebäude (namentlich der Glaube an übernatürliche, den Schranken der Leiblichkeit, der Zeit und des Raums entrückte Wesen, sowie an das Fortleben nach dem Tod) vorzugsweise aus den Erfahrungen des Traumlebens entwickelt haben. Das Naturkind nimmt eben das Geträumte für Wirklichkeit; es glaubt im T. von seinen Göttern und Toten besucht zu werden und meint anderseits, daß seine eigne Seele, wenn es von fremden Ortschaften träumt, sich vorübergehend vom Körper gelöst habe und frei umherschwärme. Daher bildete der Tempeltraum noch bei manchen Kulturvölkern einen Bestandteil des anerkannten Kults (vgl. Traumdeutung). Auch neuere Mystiker, wie K. du Prel, sprechen noch von »Eingebungen«, Lösungen schwieriger Probleme im T., und wollen dem Traumleben sogar einen höhern geistigen Wert beimessen als dem wachen Leben; allein die erwähnten Lösungen und Eingebungen, die von dem Träumenden angestaunt werden, erweisen sich nach dem Erwachen meist als vollendeter Blödsinn. Vgl. Scherner, Das Leben des Traums (Berl. 1861); Maury, Le sommeil et les rêves (4. Aufl., Par. 1877); Siebeck, Das Traumleben der Seele (Berl. 1877); Spitta, Die Schlaf- und Traumzustände der Seele (Tübing. 1878); Binz, Über den Traum (Bonn 1878); Radestock, Schlaf und Traum (Leipz. 1879); Simon, Le monde des rèves (2. Aufl., Par. 1888).