Traum
(lat. somnium), das Erzeugnis der Seelenthätigkeit im Schlafe.
Man findet vielleicht keinen
Menschen, der sich nicht erinnerte, zuweilen geträumt zu haben, während es ungewiß ist, ob
jeder Schlaf von Traum
begleitet sei; denn meist erinnern wir uns nicht, daß
wir geträumt haben. Nur besonders lebhafte
oder im unvollkommenen Halbschlaf stattgehabte Traum
pflegen in den wachen Zustand als mehr oder
weniger deutliche
Erinnerungen überzugehen. Der Traum
gehört zu den normalen Erscheinungen des Lebens.
Ohr des Menschen

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Ohr des Menschen.
Vor dem Einschlafen, noch ehe der wirkliche Traum
beginnen kann, zeigen sich oft die sog.
Schlummerbilder, einzelne Punkte,
Striche,
Umrisse von
[* 1]
Figuren und
Menschen, die ineinander verschwimmen, aber isoliert und
ohne innern Zusammenhang sich dem Gesichtssinn darstellen. Der eigentliche Traum
hingegen besteht aus der
Vorstellung zusammenhängender
Reihen von Erscheinungen und Ereignissen, bei deren Wahrnehmung es scheint, als ob die Sinnesorgane wirklich ihre Funktion
erfüllten (d. h. als ob man höre, sehe, fühle),
da man noch nach dem Verschwinden eines lebhaften Traum
oft
die Folgen von Sinneseindrücken, eine
Affektion des
Auges, einen
Klang im
Ohr,
[* 2] einen ungewöhnlichen
Geschmack
u. dgl. empfindet.
Man darf jedoch nicht annehmen, daß diese Empfindungen durch die Sinne zum Vorstellungsvermögen gelangen, sondern muß vielmehr die Erzeugung derselben in dem Gehirn [* 3] suchen (wie bei den Hallucinationen). Im Schlafe fällt die Thätigkeit des bewußt ordnenden und verknüpfenden Verstandes weg, und die Phantasie verarbeitet die Seeleneindrücke in freier Willkür. Die Phantasie nimmt den Stoff zu ihren Bildungen immer aus dem Gedächtnis, indem sie ganze Scenen aus der Vergangenheit mit mehr oder weniger Abänderungen wiederholt oder aus mehrern derselben sowie aus gehabten Anschauungen ein neues Bild zusammensetzt. Daher träumen Blindgeborene nie von Sichtbarem, Taubgeborene nicht von Hörbarem.
Je geringer die
Tiefe des Schlafes ist, um so mehr nähert sich das Traum
leben dem Wachzustande. Der Zusammenhang der Traum wird
vernünftiger, die
Arbeit des wachen
Geistes setzt sich im Schlafe fort. Sogar Probleme der
Philosophie,
der
Physiologie, der
Poesie u. s. w. sollen im T. gelöst worden sein. Doch sind das Zeichen einer krankhaften
Überreizung des
Nervensystems, und man behauptet mit
Recht, daß traum
loser oder mit besonders sinnlosen, phantastischen Traum angefüllter
Schlaf der gesündeste sei.
Trauma - Traumbücher

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Eigentümlich gestaltet sich der Verkehr des Träumenden mit der Außenwelt. Die
Sinne, deren Thätigkeit
im Schlafe nicht ganz erloschen, werden durch die ihnen entsprechenden Einflüsse angeregt. Wenn dieser Eindruck stark genug
ist, um empfunden werden zu können, ohne die Erregung bis zum Erwecken zu steigern, so deutet dann die
Phantasie denselben
auf ihre
Weise aus, webt ihn in den Traum
hinein oder erzeugt aus ihm weitere Traum
bilder. In dieser
Art wird besonders das
Gehör
[* 4] häufig zum Schöpfer von Traum
Empfindungen des
Gemeingefühls, die im Innern des Körpers selbst
ihren
Grund haben, stellen sich als von außen kommende und angenehme oder unangenehme Empfindungen erzeugende Sinneseindrücke
dar. So werden die Traum
auch durch krankhafte Zustände verschiedentlich modifiziert.
Hieran knüpft sich
die wichtige Streitfrage, ob alle Traum
Reizträume sind, d. h. Sinnesreizungen ihre
Entstehung verdanken, oder ob es auch Associationsträume giebt, die aus innerer
Vorstellungs- oder Phantasiethätigkeit allein
entspringen. Man neigt sich in der modernen
Psychologie mehr der erstern
Ansicht zu und betrachtet demnach den
Traum
als
Illusion (s. d.), nicht als
¶
mehr
Hallucination (s. d.). Die Muskelbewegung findet beim Traum
meist
in der Schwäche der Macht des Willens über die Muskeln
[* 6] ein Hindernis, kann aber in den verschiedensten Graden stattfinden,
von der geringsten Regung bis zum Schlaf- oder Traumwandeln mit Vollbringung mehr oder weniger zweckmäßiger Handlungen.
(S. Somnambulismus.)
Charakteristisch für den Traum
ist die Fähigkeit der Seele, die eigene Erfindung als eine fremde
zu betrachten, andern, deren Erscheinung sie schafft, mündliche Äußerungen und Handlungen unterzulegen, die sie selbst
erfindet, und so ihre eigene subjektive Thätigkeit zu objektivieren. Nicht selten endlich vereinigt sich die Thätigkeit
der Phantasie mit der des Verstandes im T. zu einem Gedankenfluge, wie er in dem Maße während des Wachens
nie stattfindet. Wenn die Einflüsse der Außenwelt auf die Sinne im wachen Zustande unsere Vorstellungen regeln, so hemmen
sie dieselben zugleich durch die Schranken der Zeit und des Raums; im Traum
zustande aber waltet der Gedanke fast fessellos.
So entstehen die Traum der Vision, Inspiration und Divination.
Unser Traumdenken beruht, ganz wie das Denken im wachen Zustande, auf den Gesetzen der Ideenassociation (s. d.); doch entbehren die Traumvorstellungen der logischen Beherrschung, und in raschem Wechsel wird im T. oft das Sinnloseste und Ungewöhnlichste miteinander verbunden. Als krankhafte Traumzustände sind zu betrachten: das Aufschrecken und Zusammenfahren im Schlafe, das Alpdrücken und die Hallucinationen. Daß auch die Tiere, wenigstens die höher organisierten, träumen, scheinen die Ausdrucksbewegungen im Schlafe zu beweisen.
Litteratur. Schubert, Symbolik des Traum (1. Aufl., Lpz. 1862);
Pfaff, Das Traumleben und seine Deutung (ebd. 1868; 2. Aufl., Potsd. 1873);
Strümpell, Die Natur und Entstehung der Traum (Lpz. 1874);
Siebeck, Das Traumleben der Seele (Berl. 1877);
Spitta, Die Schlaf- und Traumzustände der menschlichen Seele (2. Aufl., 2 Bde., Tüb. 1882);
Radestock, Schlaf und Traum (Lpz. 1879);
Frensberg, Schlaf und Traum (Berl. 1885);
Maury, Le [* 7] sommeil et les rêves (4. Aufl., Par. 1877);
Delboeuf, Le sommeil et les rêves (ebd. 1885);
Simon, Le monde des rêves (2. Aufl., ebd. 1888);
Gießler, Aus den Tiefen des Traumlebens (Halle [* 8] 1890);
ders., Die physiolog.
Beziehungen der Traumvorgänge (ebd. 1896); Weygandt, Entstehung der Traum (Lpz. 1893).