Trächtigkeit
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s. Schwangerschaft, S. 685.
Trächtigkeit
46 Wörter, 268 Zeichen
Trächtigkeit,
s. Schwangerschaft, S. 685.
(Graviditas), derjenige Zustand des weiblichen Organismus, welcher mit der Empfängnis beginnt und mit der Geburt abschließt. Die Empfängnis, als der Anfang der S., ist Folge einer fruchtbaren Begattung. Die Befruchtung [* 3] des Eies geschieht gewöhnlich im Eileiter, aus welchem dasselbe durch die Flimmerbewegung des Schleimhautepithels in die Höhle der Gebärmutter [* 4] gelangt, an deren Schleimhaut es sich festsetzt. Es wird hier ernährt, wächst und erhält im Lauf der S. seine vollkommene Reife, wozu beim Menschen in der Regel ein Zeitraum von 40 Wochen erforderlich ist.
Wenn durch eine Begattung nur ein Ei [* 5] befruchtet wird, so ist die S. eine einfache; sind aber 2, 3 oder mehr Eier [* 6] befruchtet, so nennt man dies eine mehrfache S.; mit dieser aber sind nicht zu verwechseln die Superfökundation und Superfötation (s. d.). Die größte Zahl der gleichzeitig in einer Gebärmutter sich entwickelnden Früchte beträgt beim Menschen mit Sicherheit 5, vielleicht auch 6. Hat sich das Ei der Gebärmutterschleimhaut angelegt, so wird es bald von der in Wucherung geratenden benachbarten Schleimhaut überwachsen.
Bei fortschreitendem Wachstum arbeitet es sich wieder aus der Wand des Uterus heraus und bleibt mit diesem nur noch durch die Placenta oder den Mutterkuchen in Verbindung. In dieses außerordentlich blutreiche Organ dringen von der einen Seite hinein die Blutgefäße der Mutter, von der andern diejenigen des Fötus, und beide legen sich so ungemein innig aneinander, daß zwischen fötalem und mütterlichem Blut ein umfangreicher Diffusionsaustausch zum Zweck der Atmung und Ernährung des Fötus stattfinden kann.
Während der S. verdickt sich die Wandung der Gebärmutter durch massenhafte Neubildung von glatten Muskelfasern, die nach der Geburt zum allergrößten Teil wieder zu Grunde gehen. Durch diese Gewebszunahme wird eine bedeutende Größenzunahme der schwangern Gebärmutter herbeigeführt, welche mit dem Wachstum der in letzterer enthaltenen Frucht gleichen Schritt geht. Die Gebärmutter, welche im nicht schwangern Zustand etwa 6-8 cm lang und 4-5 cm breit ist, besitzt am Ende der S. eine Länge von 20-27 und eine Breite [* 7] von 15-20 cm. In den beiden ersten Monaten der S. ist noch keine Zunahme des Unterleibs wahrzunehmen; der Scheidenteil der Gebärmutter steht etwas tiefer und ist mehr nach vorn gerichtet. Im dritten Monat erhebt sich die Gebärmutter allmählich, und im vierten ist der Muttergrund als härtliche Kugel über dem Schoßbein zu fühlen.
Der Leib beginnt nun von der Unterbauchgegend an sich zu wölben. Im fünften Monat ist der Muttergrund in der Mitte zwischen den Schoßbeinen und dem Nabel zu fühlen und im sechsten Monat in der Höhe des Nabels selbst. Gegen das Ende des fünften Monats, um die 18.-20. Woche, fühlt die Schwangere gewöhnlich zum erstenmal die Bewegungen des Kindes, die auch äußerlich als leises Anstoßen gefühlt werden können. Von derselben Zeit an pflegen die Herztöne der Frucht bei der Untersuchung des Unterleibs mittels Anlegen des Ohrs vernommen zu werden. Im siebenten Monat ist der Muttergrund 2-3 Finger breit über dem Nabel zu fühlen und im achten Monat in der Mitte zwischen dem Nabel und der Herz- oder Magengrube.
Die Nabelgrube wird in dieser Zeit flacher und verschwindet endlich ganz. Im neunten Monat reicht der Muttergrund bis zur Herzgrube, die dann ganz verschwindet. Im zehnten Monat, etwa 3-4 Wochen vor der Niederkunft, senkt sich der Muttergrund wieder herab und mehr nach vorn herüber, beinahe bis zur Mitte zwischen der Herzgrube und dem Nabel. Bei wiederholt Schwangern steigt der Muttergrund wegen größerer Nachgiebigkeit der Bauchwand nicht so hoch hinauf, dagegen ragt er starker nach vorn über.
Die Mutterscheide und die äußern Genitalien zeigen während der S. eine Schwellung und vermehrte Absonderung sowie eine erhöhte Temperatur. Die Brüste werden schon in den ersten Monaten stärker, fühlen sich fester an und sind empfindlicher; die Schwangere empfindet oft heftige Schmerzen in ihnen; die Blutgefäße treten deutlich unter der Haut [* 8] als bläuliche Linien und Stränge hervor. Weiterhin läßt sich eine milchige Flüssigkeit aus der Drüse hervordrücken oder sickert freiwillig aus. Die Brustwarze wird länger, der Warzenhof schwillt stärker an, seine Farbe geht aus dem Hellroten allmählich in das Dunkelbraune über. (Über die Entwickelung der Frucht s. Embryo, menschlicher.)
Sehr auffallend pflegt der Einfluß der S. auf das Nerven- und Seelenleben sich kundzugeben. Die Erregbarkeit des ganzen Körpers ist erhöht; es treten die mannigfachsten Verstimmungen im Gemeingefühl auf. Besonders im Beginn der S. sind sehr häufig Verlust des Appetits, Übelkeit, Erbrechen, vorzüglich des Morgens, Widerwille gegen manche bis dahin gern genossene Speisen und Getränke, besondere Begierden nach ungewöhnlichen und zuweilen selbst ekelerregenden Dingen, vermehrte Speichelabsonderung, Sodbrennen etc. vorhanden. Dabei werden indessen Störungen in der Ernährung nicht wahrgenommen.
Die zahlreichen Erscheinungen, welche den Eintritt und den Verlauf der S. bezeichnen, haben einen sehr verschiedenen diagnostischen Wert. Zu den wahrscheinlichen Zeichen der S. gehört das Ausbleiben der Menstruation (s. d.); doch können an demselben auch andre krankhafte Zustände schuld sein, während anderseits die Menstruation auch bei wirklich bestehender S. noch einmal oder einigemal wiederkehren kann. Ebenso gehören die charakteristischen Veränderungen an den Brüsten und das Anschwellen des Unterleibs zu den wahrscheinlichsten, wenn auch nicht zu den gewissen Zeichen der S. Zu den gewissen Zeichen der S. gehört es, wenn man beim Auflegen des Ohrs auf den Unterleib der Schwangern die Herztöne der Frucht wahrnimmt.
Dieses Zeichen kann weder fingiert noch verheimlicht werden, tritt aber freilich in der Regel nicht früher als zu Anfang der zweiten Hälfte der S. auf. Ein gewisses Zeichen sind ferner die Bewegungen des Kindes im Mutterleib, vorausgesetzt, daß nicht bloß die Mutter sie zu fühlen glaubt, sondern daß sie auch durch die von außen her aufgelegte Hand [* 9] wahrgenommen werden können. Es kann aber dieses Zeichen trotz einer lebenden Frucht im Mutterleib auch ganz fehlen.
Gewißheit von einer Zwillingsschwangerschaft kann man nur dadurch erlangen, daß man die Herztöne beider Fötus getrennt wahrnimmt. Zur Berechnung der Schwangerschaftsdauer oder der Zeit der Niederkunft bedient man sich verschiedener Methoden. Von dem Zeitpunkt der Empfängnis an kann man bei Bestimmung der S. gewöhnlich deshalb nicht ausgehen, weil sich jener Zeitpunkt in der Regel nicht sicher angeben läßt; überdies richtet sich die Niederkunft ohne Zweifel viel häufiger nach der letzten Menstruationsperiode als nach dem Tag der Empfängnis, d. h. sie tritt ein, wenn der Termin der Menstruation, nachdem diese ¶
neunmal ausgesetzt hat, zum zehntenmal wiederkehren sollte. Um die Zeit der Niederkunft auf diese Weise ohne Kalender leicht zu bestimmen, rechnet man von dem Tag des Eintritts der zuletzt dagewesenen Menstruation drei ganze Kalendermonate zurück und zählt dann sieben Tage hinzu; der so gefundene Tag ist derjenige, an welchem die Niederkunft zu erwarten steht. Zur schnellern Berechnung des Termins der Niederkunft sind sogen. Schwangerschaftskalender aufgestellt worden.
Wenn eine Frau vor der S. gar nicht oder nur unregelmäßig menstruiert gewesen ist, oder wenn die Menstruation während der S. noch einigemal wiedergekehrt ist, so berechnet man die Niederkunft nach der Zeit, wo zum erstenmal deutliche Kindsbewegungen gefühlt worden sind. Da dies gewöhnlich in die 18.-20. Woche fällt, so wären also von dem Zeitpunkt der ersten Kindsbewegung ab noch 20-22 Wochen bis zur Niederkunft zu rechnen. Der Tag der Niederkunft läßt sich nie ganz genau vorhersagen.
Schwangere sollen diejenige Lebensweise möglichst beibehalten, an welche sie sich einmal gewöhnt, und bei der sie sich auch außer der S. wohl befunden haben. Äußerst wohlthätig wirken auf den Verlauf der S. eine gleichmäßige, heitere Gemütsstimmung, der Genuß der frischen Luft und besonders die regelmäßige Bewegung im Freien. Der Aufenthalt in Konzertsälen, Theatern und Kirchen ist dagegen zu vermeiden, da die Schwangern bei solchen Gelegenheiten leicht von Ohnmachten und andern Zufällen betroffen werden.
Alle ermüdenden Bewegungen und körperlichen Anstrengungen (Tanzen, Fahren, Heben von Lasten etc.) sind zu widerraten. Auch der Beischlaf soll in der S. selten gepflogen und gegen das Ende derselben ganz unterlassen werden; schwerverdauliche, stark gewürzte Speisen und erhitzende Getränke sind ganz zu vermeiden. Der Gebrauch der Schnürleiber ist durchaus zu widerraten. Gegen die Beschwerden, die ein starker Hängebauch verursacht, erweist sich nichts zweckmäßiger als das Tragen einer gehörig eingerichteten Leibbinde. Ganz besondere Rücksicht verdient endlich die Pflege der Brüste. Bei gehörig warmer Bedeckung muß darauf gesehen werden, daß die Brustwarze von der Kleidung möglichst wenig gerieben und gedrückt werde.
Nicht immer nimmt die S. den oben geschilderten normalen Verlauf. Zu den sogen. fehlerhaften Schwangerschaften gehören:
1) die S. am unrechten Ort (graviditas extra-uterina), wenn das befruchtete Ei nicht in die Gebärmutterhöhle gelangt, sondern in der Bauchhöhle, im Eierstock oder in den Muttertrompeten derselben sich entwickelt;
2) die Molenschwangerschaft, wenn das Ei im Uterus sich nicht gehörig entwickelt, sondern entartet (s. Mole); [* 11]
3) die zu kurz dauernde S., wenn das in die Höhle der Gebärmutter gelangte Ei vor der rechten Zeit, ehe die Frucht ihre Reife erlangt hat, ausgestoßen wird. Bemerkenswert ist der Umstand, daß die Gebärmutter auch bei der S. am unrechten Ort eine Volumzunahme erleidet. Die Bildung des Eies geht bei der S. am unrechten Ort ganz in derselben Weise vor sich wie bei der normalen S.; seine Nahrungssäfte erhält das verirrte Ei aus den zunächst liegenden Geweben, welche reichlichere Blutgefäße bekommen.
Die S. am unrechten Ort ist für die Mutter meist mit viel größern Beschwerden verbunden als die Gebärmutterschwangerschaft und endet gewöhnlich mit dem Tode der Mutter, welcher nicht selten schon in den ersten Monaten der S. eintritt. In andern Fällen stirbt die Frucht ab und wandelt sich entweder in ein sogen. Lithopädion (s. Steinkind) um, oder es kommt auf dem Weg der Eiterung und Absceßbildung mit endlicher Perforation zur Ausstoßung der abgestorbenen Fötalreste. Sehr selten wird bei diesen Zuständen durch rechtzeitiges Eingreifen auf dem Weg der Operation das Leben der Mutter und der Frucht erhalten.
Bei den Haustieren wird die S. als Trächtigkeit bezeichnet. Die Zahl der befruchteten und in den Uterus wandernden Eier ist bei den verschiedenen Tiergattungen sehr verschieden; bei Stuten löst sich in der Regel nur ein Ei, bei Kühen gleichfalls eins, nicht ganz selten indessen 2, bei Schafen und Ziegen 1-4, bei Schweinen und Hunden 1-20, bei Katzen [* 12] 1-8 Eier. Auch bei den Tieren erfolgt nicht selten eine Entwickelung des Eies am unrechten Orte. Die mittlere oder typische Tragezeit dauert beim Pferde [* 13] 335 Tage, beim Esel 365, bei Kühen 280 (240-321 Tage), bei Schafen 157, bei Ziegen 144, bei Schweinen 120, bei Hunden ca. 60, bei Katzen 57 Tage. Bei dem Mangel einer Menstruation wird die Zeit der Trächtigkeit bei den Haustieren vom Tag der letzten Begattung gerechnet.