Tonkunst
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s. Musik.
Tonkunst
6 Wörter, 40 Zeichen
Tonkunst,
s. Musik.
Muse verte - Musik
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Seite 11.916.(v. griech. musiké [téchnē], lat. [ars] musica), die Kunst der Musen, [* 4] welche nach der ältern griechischen Mythologie (Homer, Hesiod) Göttinnen des Gesanges und Tanzes, nicht aber, wie später, auch der Dichtkunst, Geschichtschreibung und Astronomie [* 5] waren. Das Wort bedeutete daher bei den Griechen gleich zuerst wie heute speziell die Tonkunst und wurde erst später in übertragenem Sinn für die harmonische Ausbildung des menschlichen Geistes überhaupt gebraucht; doch blieb auch dann die vulgäre Bedeutung des Wortes die alte.
Lehrbegriff - Lehrerin
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Lehre.Wie den Namen für die Musik selbst, so haben wir auch die Bezeichnungen der Hauptelemente derselben von den Griechen übernommen: Melodie, Harmonie und Rhythmus. In der Lehre [* 6] von der Harmonie (Harmonik) betrachteten die Griechen die Größenverhältnisse der Intervalle, ihre Konsonanz oder Dissonanz, vor allem die Zusammensetzung der Tonleitern; da sie mehrstimmige Musik nicht kannten (s. unten, Geschichte), so fiel das, was wir heute unter Harmonielehre verstehen, nämlich die Lehre von der Konsonanz und Dissonanz der Akkorde und die Entwickelung der Regeln der Akkordverbindung, nicht in den Bereich ihrer Betrachtung.
Die Lehre vom Rhythmus (Rhythmik, Rhythmopöie) wurde viel umständlicher abgehandelt als heute; ihr Inhalt war aber im wesentlichen derselbe, nämlich die Betrachtung der Taktarten, ihrer Unterteilungen und ihrer Zusammenordnung zu Taktgruppen. Die Lehre von der Melodie (Melodik, Melopöie) endlich war die eigentliche Kompositionslehre der Griechen, da in Ermangelung der Mehrstimmigkeit in dem Fortspinnen einer Melodie das Ganze der musikalischen Komposition bestand. Auch die Worte Metrum und Metrik (Lehre vom Metrum) sind griechischen Ursprungs. Die Griechen verstanden, wie auch wir heute, unter Metrik die Lehre von den Versfüßen, überhaupt Versmaßen in der Poesie; in der musikalischen Theorie versteht man heute unter Metrum im Gegensatz zu Rhythmus die schlichte Taktteilung, das Schema, innerhalb dessen die spezielle rhythmische Gestaltung der Melodie sich frei bewegt.
Die verschiedenen Gesichtspunkte, von denen aus die Musik betrachtet wird, ergeben eine Anzahl getrennter Arbeitsfelder, deren jedes dem menschlichen Geist Gelegenheit zur vollen Entfaltung seiner Kräfte gibt. Vor allen andere muß natürlich die schöpferische Thätigkeit der Komponisten genannt werden, welche wie jede künstlerische Produktivität in erster Linie die Folge besonderer Begabung und erst in zweiter Resultat fachmännischer Ausbildung (Schule) ist.
Das Komponieren kann allerdings gelehrt werden; doch sind bedeutende Komponisten allezeit nur diejenigen geworden, bei denen die Schule nur regelnd, klärend einzuwirken brauchte, nicht aber den ersten Anstoß zur Komposition geben mußte. Nächst der Komposition ist die musikalische Exekution zu nennen, die als Reproduktion der Produktion gegenübersteht; auch der reproduzierende Musiker ist Künstler, und die Qualität seiner Leistungen ist nicht minder von speziellem Talent abhängig als die des Komponisten.
Lunge (Bau der menschl
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Lunge.Das kongeniale Verstehen der Intentionen des Komponisten ist Vorbedingung der wahren reproduktiven Künstlerschaft. Das rein Technische der Exekution kann erlernt werden und setzt nur eine gewisse normale körperliche Entwickelung voraus: eine gesunde Lunge, [* 7] einen gesunden Kehlkopf, [* 8] wohlgebildete Finger, leichtes Handgelenk, wenn auch nicht geleugnet werden kann, daß zu besonders hervorragenden Leistungen auch eine besondere körperliche Begabung erforderlich ist, besonders für den Sänger.
Aber auch die eminenteste Technik und die schönste, bestgeschulte Stimme macht noch nicht den rechten Künstler aus: wenn ihm der göttliche Funke, das musikalische Talent, fehlt, d. h. dasselbe, was dem Komponisten nötig ist, so werden seine Leistungen vielleicht als virtuose, aber niemals als wahrhaft große erscheinen. Der wahre ausübende Tonkünstler fühlt dem Komponisten nach, schafft sein Werk neu; darum sind die eminentesten Virtuosen auch zugleich gute Komponisten.
Der musikalischen Begabung steht gegenüber als ergänzend und fördernd die musikalische Schule. Sofern dieselbe sich auf die Ausbildung der technischen Fertigkeit bezieht, steht sie kaum höher als die Lehre eines Handwerks, und es sind daher sehr viele Musiker, welche ohne Talent und ohne theoretische Ausbildung ein Instrument haben spielen lernen, in der That als Handwerker zu betrachten. Indessen erstreckt sich der Musikunterricht, gleichviel ob derselbe die Ausbildung für ein Instrument oder für Gesang bezweckt, in der Regel und bei einem guten Lehrer immer zugleich auf die Theorie der Musik, wenn auch nur auf die einfachsten Dinge (Tonarten, Akkorde).
Musik (Allgemeines; Ge
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Seite 11.917.Einen fachmännisch ausgebildeten Musiker kann sich nur der nennen, der, auch wenn er nicht Komponist ist, doch die Schule der Komposition durchgemacht hat, d. h. die Regeln des musikalischen Satzes versteht und den Aufbau der musikalischen Kunstwerke begreift; nur ein solcher ist im stande, ohne Gefahr die Interpretation von Musikwerken zu übernehmen. Diese für die Praxis berechnete Theorie der ist die eigentliche musikalische Grammatik, und der Beruf des Lehrers der Musiktheorie ist darum ein ganz ähnlicher wie der des Lehrers überhaupt: er hat das Denkvermögen seines Schülers auszubilden ¶
nur auf dem Gebiet der Musik statt etwa auf dem der Sprachenkunde, der Mathematik etc. Die verschiedenen Stadien der theoretischen Ausbildung sowie zugleich die Methode der Unterweisung charakterisieren die Namen: Harmonielehre (Generalbaß), Kontrapunkt (einfacher, doppelter, Kanon, Fuge), freie Komposition (musikalische Formenlehre).
Mit diesen Bestimmungen ist die eigentliche Kunstlehre der Musik umschrieben, d. h. die Lehre dessen, was für die Ausbildung des musikalischen Künstlers notwendig ist; der rechte Künstler wird sich freilich damit nicht bescheiden, sondern sich auch mit der Geschichte seiner Kunst vertraut machen, sich für die natürliche Begründung der Kunstgesetze interessieren und von den Ergebnissen der Kunstphilosophie profitieren. In diese drei Gebiete scheidet sich die Musikwissenschaft. Da die Musik sich aus sehr einfachen und bescheidenen Anfängen ganz allmählich zu ihrer heutigen Großartigkeit und Vielgestaltigkeit entwickelt hat und die verschiedenen Phasen dieser Entwickelung in engster Beziehung zur Entwickelung der Kultur überhaupt stehen, so ist ihre Geschichte nicht nur die Lebensgeschichte der Komponisten, Virtuosen und Theoretiker, sondern auch eine Geschichte der musikalischen Bildung überhaupt und als solche ein Teil der Kulturgeschichte und scheidet sich weiter in eine Geschichte der musikalischen Formen und Stilarten, eine Geschichte der Musiktheorie etc. Die Untersuchungen der exakten Wissenschaft über das Wesen der Musik erstrecken sich besonders auf die Formen der Bewegung tönender Körper (Schwingungen, Klang etc.) und führen die speziell musikalischen Begriffe Konsonanz, Dissonanz, Tonalität sowie die Regeln der Akkordverbindung auf allgemeine Ursachen zurück.
Soweit sie sich nur auf die leblose Natur beziehen, werden sie in der Akustik abgehandelt; die Vorgänge des Hörens aber, die Untersuchungen über die Konstruktion des Ohrs und die Funktionen der Hörnerven gehören ins Gebiet der Physiologie und, soweit sie eine Geistesthätigkeit voraussetzen (was beim eigentlichen musikalischen Hören durchaus der Fall ist), ins Gebiet der Psychologie. Die Philosophie der Musik endlich, die man auch als die spekulative Theorie der Musik bezeichnen kann im Gegensatz zu der für die Praxis berechneten Kunstlehren der naturwissenschaftlichen Untersuchung der Klangerscheinungen, ist ein Teil der Kunstphilosophie (Ästhetik) überhaupt.
Wie alle Philosophie, kann sie dabei einen zweifachen Weg einschlagen, indem sie entweder dialektisch gewisse allgemeine Begriffe auf die Musik anwendet (wie z. B. K. Köstlin in Vischers »Ästhetik«),
oder aber, ausgehend von den Thatsachen der Wahrnehmung auf induktivem Weg, zu allgemeinern Gesichtspunkten vorzudringen sucht (wie z. B. Th. Fechner in der »Vorschule der Ästhetik«). Hauptfragen der musikalischen Ästhetik sind die Begriffsbestimmungen des Musikalisch-Schönen, das Verhältnis von Inhalt und Form in der Musik etc.; ferner hat dieselbe zum Gegenstand die Untersuchung des Anteils der an der Wirkung gemischter Kunstformen, z. B. der Vereinigung von und Poesie etc. (s. Vokalmusik) oder auch noch als dritter der darstellenden Kunst (Oper).
Da in richtiger Erkenntnis der direkten Wirkung der Musik auf das Gemüt zu allen Zeiten und bei allen Völkern, besonders aber von der christlichen Kirche, dieselbe zur Verschönerung und Bereicherung des religiösen Kultus herangezogen worden ist, so ist ein erheblicher Bruchteil der musikalischen Litteratur direkt für kirchliche Zwecke geschrieben, und man unterscheidet daher die Kirchenmusik (s. d.) als eine besondere Art der Musik. Ein besonderer Stil ist der Kirchenmusik nicht eigen, nur schließt natürlich ihre Bestimmung das humoristische Element aus.
Dagegen bedingt die besondere Eigenart der Instrumente, für welche eine Musik geschrieben ist, gewisse Eigentümlichkeiten des Tonsatzes; man darf für Singstimmen nicht ebenso schreiben wie für Instrumente, wohl aber umgekehrt: die Vokalmusik unterliegt daher gegenüber der Instrumentalmusik gewissen Einschränkungen. Wo beide Arten vereinigt auftreten, im Gesang mit Instrumentalbegleitung, verringert sich der Unterschied erheblich, weil die Begleitung den Singstimmen viele sonst unüberwindliche Schwierigkeiten leichter macht.
Stärke (natürliches Vo
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Stärke.Instrumente von schnell verhallendem Ton, wie das Pianoforte, erfordern eine andre Behandlung als solche von lange aushaltendem Ton; man kann deshalb von einem besondern Stil der Klaviermusik reden. Eine Musik von wenigen zusammenwirkenden Instrumenten ist einer geringern Zahl von Abwechselungen der Klangfarbe und Stärke [* 10] fähig als eine vom reichbesetzten Orchester vorgetragene; sie muß diesen Ausfall decken durch feinere Detailarbeit; die sogen. Kammermusik unterscheidet sich daher nicht unerheblich von der Orchestermusik. Je nach der Auswahl der Instrumente unterscheidet man auch Streichmusik (Musik für Streichinstrumente) und Hornmusik (Blasinstrumente).
Weiter unterscheidet man Janitscharenmusik, welche gewöhnlich nur von Militärmusikkorps ausgeführt und daher auch kurzweg Militärmusik genannt wird, und bei der außer Blech- und Holzblasinstrumenten noch Schlaginstrumente und auch wohl der sogen. Schellenbaum zur Anwendung kommen, und Hornmusik, welche nur von Blechblasinstrumenten ausgeführt wird. Die Unterscheidung von Hausmusik und Konzertmusik betrifft kaum etwas andres als die von Kammermusik und Orchestermusik. Eine Bezeichnung von etwas geringschätziger Bedeutung ist die heutzutage für oberflächliche, aber brillante oder sentimental-melodische Erzeugnisse besonders für Klavier übliche Salonmusik.
Der Ursprung der Musik, zu allen Zeiten und bei allen Völkern ein beliebter Gegenstand der Spekulation, wird bei den Völkern des Altertums mit Übereinstimmung von der Gottheit hergeleitet, infolgedessen ihnen allen die als bildend und veredelnd, unter Umständen auch als wunderwirkend gilt. Schon bei dem ältesten Kulturvolk der Erde herrscht diese Anschauung, bei den Indern, welche in Brahma nicht nur den obersten der Götter, sondern auch den Schöpfer der und in seinem Sohne Nared den Erfinder des nationalen Musikinstruments, der Vina (s. d.), verehren.
Musik (im Altertum)
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Seite 11.918.Den durch göttliche Macht offenbarten Tonweisen aber wurden die wunderbarsten Wirkungen zugeschrieben: eine hatte zur Folge, daß der, welcher sie anstimmte, vom Feuer verzehrt wurde, eine andre vermochte die Sonne [* 11] zu verfinstern, eine dritte Regen hervorzubringen etc. Die in diesen Mythen ausgesprochene Phantastik der Inder kennzeichnet auch ihre Theorie; unfähig, die Masse der von der Natur gegebenen musikalischen Klänge durch Reduzierung auf eine übersichtliche Anzahl zu einem entwickelungsfähigen System zu ordnen (was, streng genommen, erst der nachchristlichen Zeit gelingen sollte), schwelgten die Inder in einem fast unbegrenzten Reichtum von Intervallen und Tonarten, welch letztere sich nach Angabe d. Musikgelehrten Soma auf nicht weniger als 960 ¶
beliefen. Hierbei ist allerdings zu bemerken, daß der Begriff »Tonart« im Altertum ein andrer und weiterer war als gegenwärtig und alle die durch Erhöhung, Vertiefung oder Überspringung einzelner Intervalle der Skala entstehenden Varianten als solche galten. Findet man ferner, daß sich die Inder sowenig wie die übrigen Völker des Altertums auf die Einteilung der Oktave in zwölf Halbtöne beschränkten, sondern auch Vierteltöne verwendeten (es kamen deren nach Ambros 22 auf die Oktave), so erscheint ihre Musik zwar überreich an melodischem Material, ebendeswegen aber ungeeignet, auf dem Weg logischer Entwickelung zu innerer Selbständigkeit geführt zu werden.
Kreiden - Kreis
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Kreis.Besser hätte dies dem nüchtern-rationalistischen Sinn der Chinesen gelingen können, wäre derselbe mit der für künstlerischen Fortschritt nötigen Phantasie gepaart gewesen; in Ermangelung der letztern aber konnte sich die chinesische Musik nicht über die primitiven Entwickelungsstufen kleinlicher Spekulation erheben und noch weit weniger über einen eng begrenzten Kreis [* 13] hinaus wirken als die Werke der bildenden Kunst Chinas. Trotzdem nahm die Musik im öffentlichen Leben Chinas eine hervorragende Stellung ein; man erkannte in ihr ein wirksames Mittel zur Beförderung der Sittlichkeit, und der weiseste aller chinesischen Gesetzgeber, Konfutse (500 v. Chr.), behauptete sogar, wenn man wissen wolle, ob ein Land wohl regiert und gut gesittet sei, so müsse man seine Musik hören. Mit der Zeit bildete das starre Festhalten am Hergebrachten, welches in China [* 14] den Fortschritt auf allen Gebieten der Arbeit erschwerte und schließlich das Land um die Früchte seiner Jahrtausende alten Kultur gebracht hat, auch für die Entfaltung der Musik ein schweres Hemmnis. Als Beleg dieser überkonservativen Richtung sei nur die Thatsache erwähnt, daß die uralte fünftönige, der Quarte und Septime ermangelnde Skala (dieselbe, welche K.
Hanc veniam etc. - Han
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Hand.Musik v. Weber seiner Ouvertüre zu »Turandot« zu Grunde gelegt hat) allen Reformversuchen zum Trotz noch bis in das 16. Jahrh. n. Chr. den Chinesen als Normalsystem galt. Ihr die fehlenden Intervalle aufzuzwingen, so behaupteten die Musikgelehrten, heiße so viel, wie der Hand [* 15] einen sechsten oder siebenten Finger anfügen zu wollen, und selbst dem als Musikkenner allgemein anerkannten Prinzen Tsai-Yu, der sich in der ersten Hälfte des 16. Jahrh. an die Spitze der musikalischen Fortschrittspartei gestellt hatte, gelang es nicht, den Widerstand zu brechen.
Derselbe einseitige Konservatismus war es auch, welcher die künstlerisch noch weit begabtern Ägypter auf dem halben Weg ihrer Ausbildung zurückhielt. Daß die Musik im öffentlichen wie im Privatleben Ägyptens eine wichtige Rolle spielte, zeigen die zahlreichen, auf fast allen Monumenten des Landes wiederkehrenden bildlichen Darstellungen von Sängern und Instrumentisten, bald einzeln, bald zu Chören und Orchestern vereint. Auch läßt die Mannigfaltigkeit der dort erscheinenden Instrumente, unter ihnen die große, reichbesaitete Harfe, auf eine gewisse äußere Pracht und Üppigkeit der ägyptischen Musik schließen; indessen darf mit Recht angenommen werden, daß ihr Inhalt zu diesem Reichtum der Darstellungsmittel in keinem Verhältnis stand.
Ägypten etc
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Ägypten.Denn wie die Skulptur und Malerei Ägyptens, auf einer gewissen Ausbildungsstufe angelangt, durch den Machtspruch einer in geheimnisvollem Dunkel wirkenden Priesterkaste zur steten Wiederholung gewisser Typen gezwungen war, so auch die Dicht- und Tonkunst; diese Künste aber mußten unter den genannten Verhältnissen um so sicherer dem Zustand der Erstarrung anheimfallen, als sie zu ihrem Gedeihen die lebendige Teilnahme des Volkes am wenigsten entbehren können. In diesem Zustand zeigt sich die ägyptische Kunst noch zur Zeit Platons (4. Jahrh. v. Chr.), der in seinen »Gesetzen« (Buch 2) berichtet, daß man dort schöne Formen und gute Musik wohl zu schätzen wisse; »wie aber diese schönen Formen und gute Musik beschaffen sein müssen, ist von ihren Priestern bestimmt, und weder Malern, Musikern noch andern Künstlern ist es erlaubt, etwas Neues, von jenen einmal als schön erkannten Mustern Abweichendes einzuführen. Daher kommt es auch, daß ihre Gemälde und Statuen, die vor 10,000 Jahren verfertigt wurden, in keinem einzigen Stück besser oder schlechter sind als diejenigen, welche noch jetzt gemacht werden.« Mußte so Ägypten, [* 16] durch ein ungünstiges Geschick gehindert, seine künstlerische Mission unvollendet lassen, so bleibt ihm doch die Ehre, den beiden hervorragendsten Kulturvölkern des Altertums, den Hebräern und den Griechen, die Bahn zur Erreichung der höchsten Ziele gewiesen zu haben.
Was die Musik der erstern betrifft, so sind wir hinsichtlich ihrer innern Beschaffenheit lediglich auf Vermutungen angewiesen, da nicht nur keinerlei schriftliche Mitteilungen über sie vorhanden sind, sondern es auch an Monumenten des hebräischen Altertums (ein Relief des Titus-Triumphbogens in Rom [* 17] mit Abbildung eines Zugs gefangener Juden ausgenommen) gänzlich mangelt. Auch die im Alten Testament überlieferten zahlreichen Angaben über musikalische Einrichtungen, Instrumente etc. bieten für jenen Mangel keinen Ersatz; und wiewohl es nicht zweifelhaft sein kann, daß die Tonkunst mit dem Kultus wie mit dem täglichen Leben der Hebräer eng verflochten gewesen ist, wiewohl ihre Dichtungen, namentlich die Psalmen Davids, nach Herders Ausspruch »vom Geiste der Tonkunst so innig durchdrungen sind, daß sie in jedem ihrer Glieder [* 18] Jubel und Klang gleichsam mit sich führen«, so müssen doch die Bestrebungen des Historikers, das Wesen dieser Tonkunst näher zu bestimmen und ihre Eigenart zu erforschen, bei dem Mangel an Hilfsmitteln bis auf weiteres erfolglos bleiben.
Blutbewegung (chemisch
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Blüte.Um so lohnender ist die Beschäftigung mit der Musik der Griechen, deren Praxis und Theorie durch eine große Zahl wertvoller Schriften zur Kenntnis der Nachwelt gelangt sind. Schon im Kindheitsstadium der Entwickelung Griechenlands veranlaßte das lernbegierige Naturell seiner Bewohner einen Austausch, welcher zur spätern Blüte [* 19] der Nation den Grund legte. In letzterer Beziehung wirkte namentlich die Berührung mit den Ägyptern und mit den Völkern Kleinasiens belebend, auch auf dem Gebiet der Musik. Von Ägypten, wo dieselbe vorwiegend in ihren Beziehungen zur Mathematik und Astronomie erfaßt wurde, empfing das junge Griechenland [* 20] die erste Anregung zur theoretischen Spekulation, von Kleinasien, aus der Landschaft Phrygien, dagegen ein für die praktische Tonkunst wichtiges Element: die wildleidenschaftliche Musik des dort heimischen und in der Folge nach Hellas verpflanzten Dionysoskultus nebst den sie begleitenden scharf und weithin tönenden Blasinstrumenten (Aulos).
Die Verschmelzung dieser phrygischen (Dionysischen) Tonkunst mit der auf strenges Maß gerichteten, durch Apollon [* 21] personifizierten heimisch-dorischen vollzog sich aber in der attischen Tragödie, nachdem diese sich zur selbständigen Kunstgattung entwickelt hatte. Nach den neuesten Forschungen, namentlich R. Westphals (»Griechische Rhythmik und Harmonik«),
ist es nicht zweifelhaft, daß die an der mächtigen Wirkung der antiken Tragödie einen Hauptanteil gehabt hat, indem nicht nur die Chöre, ¶