Duldsamkeit gegenüber religiösen oder politischen Auffassungen. Die Toleranz erwächst aus der Vorstellung,
daß sich in verschiedenen Lebenslagen Weltanschauungen entwickeln können, die alle gleichermaßen das Richtige wollen.
Der ganze Reichtum des Lebens wird erst eröffnet, wenn man jeden in seiner Eigenart nimmt und sie auch
respektiert.
(lat.), die Duldung abweichender Überzeugungen, besonders auf religiösem
Gebiet. Der Begriff der Duldung, rechtlich gefaßt, setzt eine im Staate herrschende
Kirche voraus. Der Gedanke und BegriffToleránz ist
dem Altertum fremd; der antike Staat hat seine exklusive Staatsreligion. Dagegen war die Rechtsstellung des
Christentums durch das Mailänder EdiktKonstantins d. Gr. von 313 nur Toleránz neben und mit dem Heidentum; erst Konstantins Nachfolger
machten aus dieser Toleránz das byzant.
Staatskirchentum (Theodosius, Justinianus). Diesen Gedanken übernahm das kanonische Recht und legte ihn der christl. Welt als
Zwangsgesetz auf, das zu den furchtbarsten Greueln führte. (S. Arnold von Brescia, Albigenser, Inquisition,
Hugenotten.) Der mittelalterliche Staat kannte demnach keine Toleránz. Auch prot. Regierungen versagten ihren kath.
Unterthanen die Toleránz, bis gewisse allgemeine Toleranzgrundsätze in einer Reihe von Friedensschlüssen festgestellt
(s. Religionsfriede) und nach dem Dreißigjährigen Kriege endgültig durch den Westfälischen Frieden geregelt wurden.
Erst Ende des 18. Jahrh. wurde immer allgemeiner, wenigstens den Bekennern der christl. Hauptparteien,
freie Religionsübung gewährt, doch zum Teil mit beschränkten bürgerlichen und polit. Rechten gegenüber den Bekennern der
Staatskirche. In Österreich gab zuerst Joseph Ⅱ. durch das Toleranzedikt von 1781 den Protestanten eine beschränkte Religionsfreiheit.
(Vgl. G. Frank, Das Toleranzpatent KaiserJosephs Ⅱ., Wien
[* 6] 1881; P. Zimmermann, Toleránz und Intoleranz gegen
das Evangelium in Österreich, Lpz. 1882.) Polit.
Gleichstellung erlangten sie erst durch das Patent vom In Frankreich erhielten die Hugenotten (s. d.) nach blutigen
Bürgerkriegen durch das Edikt von Nantes (1598) Toleránz, nach dessen Aufhebung durch Ludwig ⅩⅣ. (1685)
eine großartige Auswanderung erfolgte (s. Refugiés). 1787 gab ihnen Ludwig ⅩⅥ. ihr altes Recht zurück, und die Französische
Revolution fügte volle Glaubensfreiheit hinzu, die durch die Charte von 1830 aufs neue bestätigt wurde, obwohl die kath.
Religion als die «Religion der Mehrheit der Franzosen» noch immer mit gewissen Privilegien ausgestattet
blieb. In Preußen war schon 1609 in Ostpreußen
[* 7] und 1618 in Cleve-Mark den Katholiken Religionsfreiheit gewährt worden, die
dann seit 1740 durch Friedrich Ⅱ. in der ganzen Monarchie durchgeführt wurde, indes die übrige europ. Welt
im wesentlichen erst durch die Französische Revolution zum Princip der Toleránz durchdrang.
Die neuesten Staatsverfassungen seit 1818 haben fast überall die Unabhängigkeit der polit. Rechte vom
religiösen Bekenntnis und die Selbständigkeit der Religionsgesellschaften ausgesprochen, wenngleich die Praxis hinter der
Theorie zurückgeblieben ist. Die kleinern prot. Sekten, die Baptisten, Mennoniten u. s. w., desgleichen die Deutschkatholiken
und die Freien Gemeinden genießen, wo sie überhaupt staatlich zugelassen sind, meist nur Toleránz, die
ihnen z. B. in Preußen auch erst durch das ToleranzediktFriedrich Wilhelms Ⅳ. vom bewilligt wurde. England gewährte
den prot. Dissenters seit 1689, den Katholiken und Socinianern erst seit 1779 freie Religionsübung, doch unter mancherlei
Schranken zu Gunsten der privilegierten Anglikanischen Kirche, die erst im 19. Jahrh. teilweise gefallen
sind. In Deutschland
[* 8] ist durch das Gesetz vom die Unabhängigkeit der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte
vom Religionsbekenntnis proklamiert. (S. Glaubensfreiheit.)
ÜberToleránz bei Maßen und Gewichten s. Aichen; über Toleránz im Münzwesen s. Remedium.
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