Tokio,
[* ] auch Tokei (d. h. Hauptstadt des Ostens), seit der offizielle Name von Jedo, der Hauptstadt des Japanischen Reichs und seit 1869 Residenz des Kaisers, liegt an der geräumigen und von allen Seiten geschützten, aber in der Nähe des Ufers seichten Tokiobai (Bai von Jedo), an der Mündung des Flusses Sumidagawa, in einer fruchtbaren und musterhaft bebauten Ebene, an deren südwestl. Grenze sich der Vulkan Fusijama (s. d.) erhebt. (S. Karte: Jokohama und Tokio mit Nebenkarte, beim Artikel Jokohama, Bd. 9, sowie den Plan Tokio, Bd. 17.) Tokio bildet mit seiner nächsten Umgebung einen besondern Stadtbezirk (Fu) und gehörte zu der Provinz Musashi. Tokio hat (1895) 1342153 E., darunter 655 Ausländer, mit der dazu gehörigen Landbevölkerung aber 2 Mill. E. Die Stadt wird vom Sumidagawa in eine kleinere östliche und eine größere
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westl. Hälfte geteilt, sowie von einer Anzahl breiter und tiefer, wohl unterhaltener Kanäle durchflossen. Von den vielen meist hölzernen Brücken sind die Niponbashi (d. h. Japanbrücke), Azumabashi (jetzt Kettenbrücke) und Riogokubashi zu nennen. Tokio besteht aus 15 Stadtteilen, von denen zwei, Hondsho und Fukagawa, auf dem östl. Ufer des Sumidagawa liegen. Das Ooshiro oder Schloß ist mit einem breiten Graben und einer hohen und dicken Mauer umgeben und enthält jetzt die Residenz des Kaisers, einen Komplex von Wohngebäuden, prachtvollen Gärten u. s. w. Diesen Teil umgiebt gürtelförmig und mit Ringmauer und Gräben versehen das Sotoshiro, worin sich früher die Quartiere der frühern Reichsvasallen (Daimio) sowie der Hatamoto befanden, die jetzt modernen Gebäuden, wie Ministerien u. s. w., Platz gemacht haben.
Ringsherum breitet sich die übrige Stadt aus, deren oft unregelmäßige Straßen in manchen Teilen, z. B. dem vornehmsten Teil, dem Westen, Hohlwege bilden. Nahe der Mündung des Sumidagawa liegt das Fremdenviertel Tsukidshi, wo die Fremden allein Landbesitz erwerben dürfen. Die schönsten Parkanlagen sind der Ujenopark im Norden mit Museum und einer Rennbahn sowie der Shibapark im Süden mit den Gräbern von sechs Shogunen. Die wichtigsten Straßen sind die Ginza und deren Fortsetzungen nach beiden Seiten mit Kaufläden europ. Stils, die Nakadori mit den Verkaufsstellen japan. Kuriositäten, deshalb auch Curiostraße genannt, die Nagata-tschu mit den Residenzen der meisten europ. Diplomaten u. s. w. Der beste Bazar in Tokio ist der Kwankoba (d. i. Bazar) am Nordeingang in den Shibapark. Es befinden sich in Tokio 2 engl., 1 amerik., 1 röm.-kath., russ.-orthodoxe und deutsch-evang. Kirche.
Von den zahlreichen Tempeln sind erwähnenswert: im Stadtteil Asakusa der Tempel des Kwannon, dessen Bild aus dem 6. Jahrh. v. Chr. stammen soll. Der ihn umgebende Garten (Asatusa Koëntschi) ist der Hauptvergnügungsort für die mittlern und untern Klassen und enthält einen 1890 erbauten, in 12 Stockwerken 70 m hohen Turm. Der Shokonsha oder Jasukuni, 1869 errichtet, ist ein Shintotempel modernster Art, im strengsten Sinne des Shintoismus gehalten und deshalb fast leer.
Der berühmte buddhistische Tempel Eko-in am linken Ufer des Sumidagawa wurde 1657 zur Erinnerung an eine Feuersbrunst gebaut, der über 100000 Menschen zum Opfer gefallen sein sollen. Er ist die Hauptverehrungsstätte der Toten, besorgt aber auch Totenfeiern für Haustiere. Der Higashi Hongwandschi, gewöhnlich Monseki genannt, ist der ungeheure Haupttempel der buddhistischen Montosekte. Der Confuciustempel Seido, ein prächtiges Beispiel chines. Stils, enthält jetzt ein Unterrichtsmuseum.
Shogunengräber befinden sich auch in zwei Tempeln in der Nähe des Ujenoparks, wovon besonders der zweite ein prächtiges Gebäude in Gold und blendenden Farben ist. Im NO. der Stadt befindet sich der Joshiwara, das staatlich überwachte Quartier der Freudenmädchen. Seit 1885 hat Tokio ein Elektricitätswerk und seit 1890 Telephonanlage. Eine eigentümliche Erscheinung in den Straßen sind die Jinrikisha, d. h. leichte, zweiräderige, von einem Mann gezogene Fuhrwerke, die mehr und mehr an die Stelle der Sänften getreten sind.
Auch finden sich seit 1882 Pferdebahnen. Von den zwei Bahnhöfen liegt der Shimbashibahnhof im Süden, der Ujenobahnhof im Norden, ersterer für die Linie nach Jokohama und die Südbahn, letzterer für die Nordbahn. Beide sind miteinander verbunden durch die Tokio-Akabane-Verbindungsbahn, meist Ringbahn genannt, mit mehrern Stationen in den Vororten der Stadt; von einer derselben führt eine Zweiglinie nach Hatschiotschi im W. von Tokio. Die Universität von Tokio, bis 1896 die einzige des Landes, zählte Ende Juni 1896: 86 Professoren, 28 Docenten und 1588 Studierende. Sie zerfällt in 6 Fakultäten, 36 Abteilungen und 127 verschiedene Fächer. - Tokio wurde 1456 gegründet, blieb aber bis Ende des 16. Jahrh, unbedeutend und ist recht eigentlich eine Schöpfung der Shogune der letzten Dynastie, welche 1590 ihren Wohnsitz dorthin von Suruga verlegten. Tokio ist seit 1869 dem Fremdenverkehr geöffnet, doch ist Jokohama, mit dem es schon seit 1872 durch eine Eisenbahn verbunden ist, als der eigentliche Hafen für den Handel mit dem Auslande anzusehen. Am wurde Tokio von einem verheerenden Erdbeben heimgesucht.