Todesstrafe.
Bis zur Mitte des 18. Jahrh. ist die Berechtigung und die Zweckmäßigkeit
der Todesstrafe
im allgemeinen nicht bezweifelt worden. Die mit dem
Rechte der
Talion (s. d.) verbundenen
Anschauungen
ergaben die
Notwendigkeit der Todesstrafe
von selbst. Von
Beccaria (s. d.) datiert der noch heute bestehende Streit um ihre Berechtigung.
Die Gegner der Todesstrafe
bestreiten vom sittlichen und religiösen Standpunkte aus dem
Staate das
Recht, ein Menschenleben zu vernichten;
die Todesstrafe
sei die roheste, einer höhern Kulturstufe nicht angemessene Strafform.
Außerdem sei sie mit den Besserungszwecken der
Strafe nicht vereinbar; die abschreckende Wirkung sei zwar zuzugeben, dieselbe
Wirkung könne aber auch durch andere Strafmittel, bei denen die Gefahr, einen etwaigen
Irrtum nicht wieder gut machen zu
können, minder groß sei, erreicht werden. Das alles schließt aber nicht aus, daß die Todesstrafe
unter
Umständen unentbehrlich ist. Die Wirkungen jedes Strafensystems und die
Bedingungen seiner Zweckmäßigkeit sind sehr kompliziert.
Zu diesen
Bedingungen aber gehört in erster Linie die Übereinstimmung des
Systems mit den herrschenden ethischen
Anschauungen,
und die Frage nach Beibehaltung oder Abschaffung der Todesstrafe
sollte ohne Rücksicht auf die
jeweiligen realen Volkszustände nicht gelöst werden.
Die Frage ist also nicht abstrakt, sondern konkret zu entscheiden. Jedoch hatte die Bekämpfung der Todesstrafe
das
praktische und erwünschte Resultat, daß die Fälle der Todesstrafe
gegen früher ganz erheblich vermindert worden
sind. Was zu wünschen bleibt, das ist, daß dem
Richter gestattet werde, in den Fällen todeswürdiger
Verbrechen unter Berücksichtigung der konkreten Umstände auf eine mildere
Strafe zu erkennen. Die absolute Androhung der
Todesstrafe
bestimmt Laienrichter leicht zu Freisprechungen, damit Härten vermieden werden, oder sie führt zu Härten,
die dann wieder durch eine übermäßige Inanspruchnahme der Intervention der
Krone ausgeglichen werden
sollen. In
Preußen
[* 2] wurden in vier Jahren unter 231 Todesurteilen bloß 16 oder weniger als 8 Proz. vollstreckt.
In Östereich ^[richtig:
Österreich]
[* 3] hat man ungefähr 4 Proz. der für schuldig befundenen
Mörder hingerichtet. Erheblich
höher ist der Prozentsatz in England: von den 299 in den J. 1879-88 zum
Tode verurteilten
Personen wurden
154, also über die Hälfte, hingerichtet, darunter 9 Frauen, welche gehängt wurden. Dagegen ist in
Finland seit 1820, in
Belgien
[* 4] seit 1803 keine
¶
mehr
Hinrichtung vorgekommen, obwohl die Todesstrafe
gesetzlich nie abgeschafft ist.
Gesetzlich beseitigt ist die in Rumänien
[* 6] (1864), Portugal
[* 7] (1867), Holland (1870), Italien
[* 8] (1889), San Marino (1848), Michigan
(1847), Rhode-Island (1852), Wisconsin (1853), Maine (1887), Columbia
[* 9] (1863), Venezuela
[* 10] (1864), Costa-Rica (1880). Ebenso kennt
sie der norweg. Strafgesetzentwurf von 1895 und der Schweizer von 1896 nicht mehr. In der Schweiz
[* 11] war sie 1874 für
unzulässig erklärt, schon 1879 aber außer für polit. Verbrechen wieder zugelassen. In Rußland besteht die Todesstrafe
noch bei
Hoch- und Landesverrat, verbrecherischen Handlungen gegen den Kaiser und die Mitglieder des kaiserl. Hauses und schweren Quarantäneverbrechen.
In Deutschland
[* 12] hatten nur Oldenburg,
[* 13] Anhalt,
[* 14] Bremen
[* 15] seit 1848, Sachsen
[* 16] seit 1868 die Todesstrafe
abgeschafft. In die
Reichsgesetzgebung wurde die Todesstrafe
nach harten parlamentarischen Kämpfen aufgenommen. Sie findet Anwendung
bei Mord und bei Mordversuch am Kaiser, dem eigenen Landesherrn und dem Landesherrn des Aufenthaltsstaates (§§. 211, 80),
in gewissen Fällen des Sprengstoffgesetzes (s. d.); ferner als Strafe der Veranstalter und Anführer eines
zum Zwecke des Sklavenraubes unternommenen Streifzuges, wenn durch diesen der Tod einer der Personen, gegen welche der Streifzug
unternommen war, verursacht wurde (s. Sklaverei; Reichsgesetz vom Im deutschen Militärstrafgesetzbuch wird die
Todesstrafe
für militär. Verbrechen im Felde (Fahnenflucht, Feigheit und Bruch des Ehrenwortes durch einen Kriegsgefangenen
u. s. w.) und zwar in 10 Fällen ausschließlich, in 8 Fällen wahlweise angedroht.
Ebenso tritt, außer in Bayern,
[* 17] nach Einführungsgesetz zum Reichsstrafgesetzbuch §. 4, wenn bestimmte Handlungen in einem
Teile des Bundesgebietes begangen werden, die der Kaiser in Kriegszustand erklärt hat, an Stelle lebenslänglicher
Zuchthausstrafe Todesstrafe.
Die Todesstrafe wird im Felde durch Erschießen (s. Füsilieren) vollstreckt. Sonst geht die Vollstreckung der im
Frieden wegen eines gemeinen Verbrechens erkannten Todesstrafe
auf die Civilbehörden über. Im Vollzuge der (s. Hinrichtung)
sind Verschärfungen weggefallen. Über die in den deutschen Kolonialgebieten s. Kolonialrecht (Bd. 17). Auch
das Österr. Strafgesetz und der Gesetzentwurf von 1891 hat die Todesstrafe.
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Vgl. Merkel, Lehrbuch des deutschen Strafrechts (Stuttg. 1889);
von Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts (8. Aufl., Berl. 1897) und die dortige Litteratur; Gruber, Der Stand der in der Gesetzgebung und in der Praxis (im «Gerichtssaal», Bd. 44, 1891);
von Kräwel (ebd., Bd. 38).