Tintir
,
s. Babylonien.
Tintir
3 Wörter, 23 Zeichen
Tintir,
s. Babylonien.
(in der Bibel [* 3] Schinear und Babel, seit dem 9. Jahrh. v. Chr. auch Chaldäa genannt), im Altertum Name des von Semiten (vorher von Sumeriern) bewohnten Tieflandes am untern Euphrat und Tigris, dem heutigen Irak Arabi entsprechend. Es zeichnete sich durch große Fruchtbarkeit aus, doch konnte seine allseitige Anbaufähigkeit nur durch viele vor den Überschwemmungen des Euphrat schützende Kanäle und Dämme ermöglicht werden. Dergleichen waren der Naarsares oder Naharmalcha (Königsfluß), von Nebukadnezar (604-561) angelegt, und drei andre ihm parallele Kanäle, alle noch in arabischer Zeit schiffbar, doch jetzt versandet; ferner ein Kanal, [* 4] der nördlich von Babylon vom Euphrat abzweigte und in den See Strophas (jetzt Bahr Nedschef) mündete; der Pallakopaskanal, der südlich von Babylon bis in das Meer führte.
Auch ein künstlich angelegter See von 75 km Umfang diente (nach Herodot) zum Schutz des Landes gegen Überschwemmung. Durch kleinere Kanäle, welche sich nach allen Richtungen hin verzweigten, erhielt der Boden seine ungemeine Fruchtbarkeit. Weizen und Gerste [* 5] gewährten 200 und 300fältigen Ertrag; außerdem gediehen Datteln, Sesam, Hülsenfrüchte, Äpfel und andre Obstarten in Fülle. Nur an Holz [* 6] und Steinen war das Land arm; man verwendete daher als Baumaterial eine häufig vorkommende vortreffliche Ziegelerde und statt Mörtels das Erdharz, das z. B. bei Is (heute Hit) in reichlicher Menge dem Boden entquoll.
Der zwischen dem Euphrat und der Arabischen Wüste liegende südwestliche Teil hieß auch Chaldäa (im engern Sinn), während Babylonien dann vorzugsweise die Ebene zwischen dem Euphrat und Tigris bezeichnete. Zur Verteidigung des Landes gegen Einfälle kriegerischer Nachbarn war im N. zwischen dem Euphrat und Tigris die sogen. Medische Mauer (s. d.) gezogen. Die bedeutendsten Städte Babyloniens waren: Babylon mit Borsippa, Orchoe, Teredon, Sittake, Pirisabora, Sipphora und die später entstandenen oder unter neuen Namen vergrößerten: Seleukeia, Apameia, Ktesiphon u. a.
Die Fruchtbarkeit und die geographische Lage Babyloniens an zwei mächtigen Strömen, welche die bequemste Verbindungsstraße zwischen Ost- und Westasien darbieten, forderte von selbst die Bewohner zu regsamer Thätigkeit und Betriebsamkeit auf. So kam es, daß hier frühzeitig eine künstliche Agrikultur, Architektur, Schiffahrt, Handel und Wissenschaft erblühten. Die babylonische Industrie war mannigfach und blühend, besonders behaupteten die Webereien einen hohen Rang.
Die wollenen, leinenen und baumwollenen Gewänder der Babylonier waren auch im Ausland beliebt; namentlich wurden die Teppiche, einer der Hauptgegenstände des orientalischen Luxus, nirgends so prächtig gewebt wie in Babylon. Außer Webereien lieferte Babylonien namentlich wohlriechende Wasser, Goldschmiedearbeiten, zierlich geschnitzte Handstöcke und vorzüglich geschnittene Steine zu Siegelringen. Den Landhandel betrieben die Babylonier durch Karawanen, östlich nach Indien und Baktrien, westlich nach Vorderasien und Phönikien. Nach den zuletzt genannten Ländern brachten die Babylonier teils eigne Fabrikate, teils arabische und indische Waren und zwar den Euphrat hinauf bis Thapsakos und von da durch Karawanen weiter. Der Handel auf dem Euphrat geschah durch sogen. lederne Schiffe. [* 7] ¶
Der Seehandel ward meist durch Araber über den Persischen Meerbusen nach Indien betrieben. Die Etappen dieses Seehandelswegs im Persischen Golf waren Gerrha, wo sich seit der Eroberung Babyloniens durch die Perser flüchtige Chaldäer niedergelassen hatten, dann weiter südöstlich Regma und das Vorgebirge Maketa. Hauptgegenstände desselben waren arabischer Weihrauch, indische Spezereien, Elfenbein, Ebenholz, Edelsteine [* 9] und persische wie indische Perlen. Kunststraßen führten von Babylonien nach Baktrien, Medien, Persien, [* 10] Indien, Armenien, Vorderasien und Arabien. Der Reichtum, mit welchem Kunstfleiß, Handel und Landbau die Babylonier überschütteten, hatte Üppigkeit und Schwelgerei in seinem Gefolge, und besonders war die Hauptstadt Babylon schon früh in dieser Beziehung weithin verrufen. - Die Religion der Babylonier war eine Naturreligion, in welcher die Gottheit als personifizierte Naturkraft und zwar in menschlicher Weise, als Mann und Weib, aufgefaßt ward.
Der älteste Gott ist El; der dritte, Bel oder Baal (Marduk), der »Herr des Alls«, stellt das schaffende, aber auch zerstörende Element in der Natur dar; die Göttin Bilit oder Baaltis (die Mylitta Herodots),
»die Königin und Mutter der Götter«, ist das empfangende und gebärende Prinzip, die Göttin der Liebe, der Fruchtbarkeit und Geburt. Ihr gegenüber steht die Istar als Göttin des Kriegs und des Verderbens. Mit der Bilit verschmolzen, ist sie die abwechselnd Leben und Segen, Tod und Verderben bringende Göttin, wie die Aschera-Astarte der Phöniker und Karthager. Daneben herrschte in ein kompliziertes System des Sterndienstes. Ein geschlossener Priesterstand suchte durch Opfer und Zauberei Unglück abzuwenden, war mit Vogel- und Opferschau beschäftigt, las den Charakter und das Schicksal der Menschen, bevorstehende Witterung, Erdbeben, [* 11] Sonnen- und Mondfinsternisse in den Sternen und pflanzte mancherlei Kenntnisse durch Familienüberlieferung fort.
Die Sterndeutekunst fand in Babylonien schon ihre vollkommene Ausbildung und Anwendung. Ein ganzes Priesterkollegium lag der Beobachtung des gestirnten Himmels ob, wobei wohl der weitschauende, genau orientierte Belosturm als Sternwarte [* 12] diente. Die Babylonier verstanden bereits, eine Mittagslinie zu ziehen und den Sonnenstand oder die Tagesstunde zu bestimmen. Im »Almagest« des Ptolemäos sind uns Angaben über mehrere Mondfinsternisse nach babylonischer Berechnungsart erhalten, die von den neuern Berechnungen nur 9 Minuten abweichen.
Der Lauf des Mondes scheint die babylonischen Priester überhaupt viel beschäftigt zu haben: sie entdeckten, daß 223 Monderneuerungen ungefähr 19 Sonnenjahre ausmachen, fanden aber auch den übrigbleibenden Unterschied und kamen so auf eine genauere Periode von 600 Jahren, wie sie auch schon wußten, daß die tägliche mittlere Bewegung des Mondes 13° 10' 35'' beträgt, was mit unsern Tafeln bis auf die Sekunden übereinstimmt. Sogar eine rückgängige Bewegung der Sonne [* 13] von W. nach O. und die ungefähre Peripherie der Erde waren ihnen nicht unbekannt, obgleich sie sich die Erde hohl und von der Gestalt eines halben Eies dachten. Der Höhepunkt babylonischer Kunst und Wissenschaft fällt in die Zeit der Unabhängigkeit (seit 626 v. Chr.). Die Regierung war nach asiatischer Weise despotisch. Der König thronte, unsichtbar für das Volk, von einem glänzenden Hofstaat umgeben, in seinem Palast; Satrapen herrschten mehr oder minder unabhängig in den Provinzen.
Geschichte. Über die älteste Geschichte Babyloniens berichtet der Geschichtschreiber Berosos, daß die Babylonier die Anfänge ihrer Kultur: Sprache [* 14] und Wissen, Künste und Schrift, Ackerbau und Baukunst, [* 15] durch Oannes erhielten, ein Wundergeschöpf, halb Fisch, halb Mensch, das dem Persischen Meer entstieg, den Tag über auf dem Land verweilte und des Nachts ins Meer zurückkehrte. Zehn Könige, deren erster Aloros und deren letzter Isuthros geheißen, herrschten nun 120 Saren oder 432,000 Jahre lang über das Land, bis Bel die Menschen durch eine große Flut vernichtete.
Isuthros rettete sich vor der Sündflut mit Tieren aller Art auf ein Schiff, [* 16] ward an das armenische Hochgebirge getrieben und nach Gründung eines neuen Reichs zu den Göttern erhoben, worauf zahlreiche Könige aus verschiedenen Dynastien, einer medischen, chaldäischen, arabischen und assyrischen, 36,000 Jahre bis auf Nabopolassar regierten. Obgleich die erhaltenen babylonischen Inschriften nicht so zahlreich und belehrend sind wie die assyrischen, namentlich keine chronologischen Anhaltspunkte gewähren, erfahren wir, nachdem ihre Entzifferung gelungen ist, aus ihnen doch so viel, daß in ältester Zeit von dem Volk der Sumerier (s. d.) bewohnt wurde, welche die Grundlagen der babylonischen Kultur geschaffen haben.
Ihre uralten Priesterstädte und Herrschaftssitze waren Ur (das Ur Kasdim Abrahams, jetzt Mughnir), Arku oder Erech (Warka), Larsak (Senkereh), Nipur (Niffer), Agani (Lippara) u. a. Ein sumerischer Stamm waren die Chaldäer, nach denen der Süden besonders Chaldäa hieß. Von Süden wanderten dann Semiten ein, welche sich unter den Sumeriern niederließen und ihre Kultur, Religion, Keilschrift u. a. annahmen. Doch beweist die Auswanderung von Semiten (wie die Abrahams und der Hebräer aus Ur Kasdim, dem Ur der Chaldäer), daß Reibungen zwischen beiden Völkern vorkamen.
Als ein König von Ur wird Likbagas genannt. Dann fielen, 1635 Jahre vor dem assyrischen König Assurbanipal, wie derselbe in einer Inschrift von etwa 650 v. Chr. berichtet, also um 2280, die Elamiten in ein, und elamitische Könige, wie Kudur-Nanchundi, Kudur-Mabuk u. a., herrschten etwa 300 Jahre über Babylonien, bis bei Beginn des 2. Jahrtausends, um 1980, Sargon I. von Agani (Sippara) in Nordbabylonien die Herrschaft an sich riß, auch Syrien eroberte und dem Semitismus zum Übergewicht verhalf; er ließ die religiösen Gesänge und die astronomischen Tafeln der Sumerier ins Semitische übersetzen und in Arku aufbewahren.
Später folgte die von Hammurabi gegründete Dynastie der Kassi (Kassier), welche Babylon zur Hauptstadt und Residenz machte und die Anlegung des Kanalsystems begann.
Von Babylonien aus wurde Assyrien bevölkert, das sich aber 1500 unabhängig machte und im 9. Jahrh. das Übergewicht über Babylonien erlangte, ja es um 700 sich auf 70-80 Jahre gänzlich unterwarf. Erst nach dem Tode des assyrischen Königs Assurbanipal (626) erlangte unter Nabopolassar wieder Selbständigkeit. Derselbe verband sich 609 mit Kyaxares von Medien zum Kampf gegen Assyrien und ward nach dem Untergang Ninives der Gründer des neubabylonischen Reichs, welches außer auch Mesopotamien und Syrien umfaßte und den höchsten Glanz unter seinem Sohn und Nachfolger Nebukadnezar (604-561) erreichte. Dieser, der noch während der Regierung seines Vaters die Ägypter bei Karchemis (605) besiegt hatte, unterjochte Phönikien und zerstörte das Reich Juda, dessen König Zedekia (586) mit dem größten Teil seines Volks nach Babylonien (s. Babylonische Gefangenschaft) geschleppt ward. Nebukadnezar stellte das Kanalsystem wieder her und erweiterte es, vergrößerte ¶
Babylon und Borsippa (Birs Nimrud) durch kolossale Prachtbauten, umgab Babylon mit einer großartigen Befestigung und erbaute die Medische Mauer. Doch kurz nach seinem Tod (561) fing sein Reich an, der Auflösung entgegenzugehen. Sein Sohn Evilmerodach wurde schon 559 von Neriglissar, dem Gemahl seiner Schwester, ermordet; Neriglissar fiel 556 in einer Schlacht wider Kyros; sein unmündiger Sohn Labosoarchad kam nach neun Monaten durch eine Verschwörung um, durch welche Nabonetos (bei Herodot Labynetos, bei Daniel Belsazar) König ward.
Unter ihm rückte um 538 Kyros wider die Hauptstadt Babylon an, besiegte das babylonische Heer vor den Mauern derselben und drang während eines Festes bei Nacht durch das trocken gelegte Flußbett des Euphrat in die Stadt ein, wobei Nabonetos selbst das Leben verlor. Von jetzt an bildete Babylonien eine Satrapie des Perserreichs, welche 1000 Talente Tribut zahlte. Während der Empörung des Pseudo-Smerdis erhob sich auch Babylon und konnte erst nach 18monatlicher Belagerung 518 von Dareios I. wiedererobert werden, welcher die Babylonier für ihren Abfall grausam bestrafte.
Zur Zeit Alexanders d. Gr. war Bagophanes Statthalter daselbst; er übergab den Mazedoniern Babylon, worauf makedonische Statthalter eingesetzt wurden. Nach Alexanders Tod (323) wurde das Land auf der Versammlung zu Triparadeisos 321 Seleukos I. zugesprochen, der es aber erst von Antigonos erkämpfen mußte. So kam Babylonien zum syrischen Reich, dem es um 140 durch die Parther entrissen wurde. Unter römische Botmäßigkeit kam es nur vorübergehend unter Trajan 114 n. Chr., Septimius Severus 199 und Julian 363. Als die Kalifen 636 dem neupersischen Reich der Sassaniden ein Ende gemacht hatten, eroberten sie auch Babylonien, das nach dem Sturz der Kalifenherrschaft wieder eine Zeitlang unter persischer Obergewalt stand, bis sich 1638 die Türken desselben bemächtigten, die es noch jetzt im Besitz haben.
Vgl. Niebuhr, Geschichte Assurs und Babels seit Phul (Berl. 1857);
Joh. v. Gumpach, Abriß der babylonischen Geschichte von 2500 bis 528 v. Chr. (Mannh. 1854);
Oppert, Histoire des empires de Chaldée et d'Assyrie (Versailles [* 18] 1865);
Lenormant, Manuel d'histoire ancienne de l'Orient (9. Aufl., Par. 1882, 3 Bde.; deutsch bearbeitet von Busch, 2. Aufl., Leipz. 1873);
Mürdter, Kurzgefaßte Geschichte Babyloniens und Assyriens (Stuttg. 1882);