Titel
Tierische
Wärme.
[* 2] Thermometrische Messungen haben dargethan, daß zahlreiche
Tiere eine ihnen eigne,
nur geringen Schwankungen ausgesetzte und von der
Temperatur der
Außenwelt ganz unabhängige
Körpertemperatur oder Eigenwärme
besitzen. Dieselbe ist im hohen
Norden
[* 3] nicht geringer als unter den
Tropen, und man bezeichnet derartige
Tiere als warmblütige
oder homöotherme (konstant temperierte)
Tiere.
Andre Organismen besitzen eine schwankende, wesentlich
von der
Temperatur des sie umgebenden
Mediums abhängige
Temperatur, man nennt sie kaltblütige oder richtiger poikilotherme
(variabel temperierte) Organismen.
Bei ihnen ist die
Energie der Oxydationsprozesse so gering, daß die Eigenwärme
nur wenige
Grade höher als die
Temperatur
der Umgebung ist. Ein ganz eigentümliches Verhalten bieten einige
Säugetiere (Fledermaus,
Igel,
Murmeltier,
Hamster etc.), welche man als
Winterschläfer bezeichnet hat; diese sind während der wärmern
Jahreszeit homöotherm, verfallen
aber in der kältern
Jahreszeit in einen eigentümlichen Erstarrungszustand, in welchem der ganze
Stoffwechsel auf ein äußerst
geringes
Maß beschränkt ist, und in welchem sie sich ganz wie die
Kaltblüter verhalten.
Die
Temperatur des
Murmeltiers sinkt dann auf 1,6°.
Beim
Menschen und den
Warmblütern ist die Körperwärme
eine der unerläßlichsten
Bedingungen für den geregelten
Ablauf
[* 4] der wichtigsten Lebensprozesse. Das
Experiment hat gezeigt,
daß mit einem
Absinken der Körperwärme
die
Energie aller Lebensprozesse ganz wie bei den Winterschläfern erlahmt, und daß
auf der andern Seite schon geringe
Erhöhungen der Eigenwärme
bedeutende
Gefahren im
Gefolge haben, daß
beim
Menschen und den
Säugetieren sogar der
Tod eintritt, sobald die Körperwärme
42-43° C. übersteigt.
Die t. W. wird nun in den
Geweben des
Organismus gebildet, und zwar resultiert sie aus dem ganzen
Cyklus von Veränderungen,
den man als
Stoffwechsel bezeichnet. Ganz besonders müssen wir die
Drüsen und die
Muskeln
[* 5] als Hauptquellen
der
Wärme bezeichnen. Es ist möglich, die durch eine einzige Muskelkontraktion bewirkte Temperatursteigerung nachzuweisen.
Trotz der sehr ungleichen Wärme
mengen, welche in den verschiedenen
Organen gebildet werden, verteilt sich die gebildete
Wärme
ziemlich gleichmäßig über den ganzen
Organismus; dieses wird bewirkt durch direkte Berührung der verschiedenen
Organe,
weit mehr aber noch mittels einer durch den Blutstrom hergestellten wärme
leitenden
Verbindung.
Auf diese
Weise erreichen die in den einzelnen
Organen gebildeten Wärmemengen selbst solche Körperteile, welche für sich
gar keine
Wärme erzeugen. Das
Resultat dieser Ausgleichung ist eine annähernd konstante
Temperatur des
ganzen
Organismus.
Oxydationen sind nun die verbreitetsten, durchaus aber nicht die ausschließlichen Erzeuger der
Wärme;
Wärme
wird vielmehr bei allen chemischen
Prozessen frei, bei denen der Vorrat an
Spannkraft sich mindert. Dieser
Punkt ist deshalb
von Bedeutung, weil im tierischen
Körper neben Oxydationsprozessen komplizierte Spaltungsvorgänge eine wichtige
Rolle spielen.
Die eigne Natur der im Tierkörper verlaufenden Prozesse ist daher von keinem Einfluß auf die Verbrennungswärme; die gebildete Wärme ist vielmehr durch die Anfangs- und Endzustände der Körper gegeben und hängt durchaus nicht von den Zwischenstufen ab, welche die Körper durchlaufen. Das Prinzip von der Erhaltung der Kraft [* 6] fordert ja, daß bei einem Prozeß, der aus mehreren getrennten Akten zusammengesetzt ist, eine Wärmemenge entsteht, die derjenigen völlig gleich ist, welche beim Ablaufen des Prozesses in einem Akt gebildet wird. Folgende Tabelle enthält die Verbrennungswärme einiger für den Organismus bedeutungsvoller Substanzen:
1 Gramm | Wärmeeinheiten | |
---|---|---|
bei vollständiger Verbrennung | bei Verbrennung im Organismus | |
Eiweiß | 4998 | 4263 |
Rindfleisch (frisch) | 1567 | 1427 |
Rinderfett | 9069 | 9069 |
Milch | 662 | 628 |
Traubenzucker | 3277 | 3277 |
Kartoffeln | 1013 | 997 |
Erbsenmehl | 3936 | 3941 |
Weizenmehl | 3541 | 3846 |
Reis | 3813 | 3761 |
Gegenüber den durch den Stoffwechsel bewirkten Wärmeeinnahmen des Organismus der Warmblüter stehen die Abgaben von Wärme an die kalte Umgebung. Letztere finden statt:
1) durch Strahlung von der freien Körperoberfläche. Das Quantum dieser Wärme wird unter sonst gleichen Verhältnissen um so größer sein, je erheblicher die Temperaturdifferenz zwischen dem Körper und der umgebenden Luft sich gestaltet.
2) Durch Leitung, und zwar leitet der Körper Wärme a) an kältere Gegenstände, die seine Oberfläche berühren, Luft, Kleidung etc.; b) an die in die Lungen gelangende Luft; c) an die in den Verdauungsapparat gelangenden Substanzen; d) an das in den Lungen und an der Körperoberfläche verdunstende Wasser. Um zu einer ungefähren Vorstellung von der Verteilung der Wärmeabgabe auf die verschiedenen Posten zu gelangen, sei angegeben, daß Helmholtz den durch Erwärmung der Nahrung entstandenen Verlust auf 2,6 Proz., den Verlust durch Erwärmung der Atmungsluft auf 5,2, denjenigen durch Wasserverdunstung auf 14,7 Proz. schätzt, während er den ganzen Rest durch die Körperoberfläche zur Verausgabung gelangen läßt.
Da sowohl Wärmebildung als Wärmeabgabe großen Schwankungen ausgesetzt ist, die Eigenwärme aber stets konstant bleibt, so muß der Organismus über Vorrichtungen verfügen, welche seine Temperatur regulieren. Bei der Betrachtung dieser regulatorischen Einrichtungen haben wir zu unterscheiden zwischen solchen, welche auf die ¶
mehr
Wärmeerzeugung, und solchen, welche auf die Wärmeabgabe einwirken. Von den Einflüssen der ersten Art ist in erster Linie die Nahrungszufuhr zu nennen. In der Kälte ist das Bedürfnis nach Nahrungsaufnahme größer als in der Wärme. Ein zweites Mittel dieser Art ist die Muskelarbeit. In der Kälte suchen die Organismen durch vermehrte Muskelkontraktionen Wärme zu bilden, in der Wärme vermeiden sie Muskelarbeit am liebsten ganz. Unter den regulatorischen Vorrichtungen, welche auf die Wärmeausgabe einwirken, kommt in erster Linie der die äußere Haut [* 8] und die Lungen passierende Blutstrom in Betracht.
Diese Vorrichtung basiert auf der Veränderlichkeit in der Weite der Arterien (s. Blutbewegung), und sie ist entschieden der wichtigste Regulator [* 9] der Eigenwärme. Durch eine Erweiterung der Gefäße in der äußern Haut und den Lungen wird der Wärmezufluß vom Innern des Körpers her vermehrt, durch eine Verengerung verringert. Nun sichert eine nervöse Verbindung einen ursachlichen Zusammenhang in der Weite dieser Gefäße und der Körpertemperatur und macht sich derartig geltend, daß die Gefäße sich erweitern, sobald die Körperwärme steigt, daß sie sich aber verengern, sobald diese sinkt.
Ein andres Prinzip, welches bei der Wärmeregulation Anwendung findet, ist die Wärmeabgabe bei der Veränderung des Aggregatzustandes von Körperbestandteilen. Der Organismus macht hiervon beim Übertritt von Flüssigkeiten in den gasförmigen Zustand, also bei der Verdunstung, Gebrauch. Diese findet besonders umfangreich in zwei Organen statt, nämlich in den Lungen und in der äußern Haut. Wie bedeutend die Verdunstung durch die Lungen ist, kann man schon aus der Beobachtung der ausgeatmeten Luft bei kalter Witterung schließen.
Was die Verdunstung durch die äußere Haut betrifft, so ist die dichte Bekleidung derselben mit Epidermiszellen der Verdunstung nicht günstig, und der Mechanismus ist hier der, daß bei gesteigerter Körperwärme ein Reiz auf die Schweißzentren (s. Schweiß) ausgeübt wird, daß infolgedessen die Schweißdrüsen durch ihre Thätigkeit die Hautoberfläche mit einer Flüssigkeitsschicht überziehen, zu deren Verdunstung Wärme vom Körper abgegeben wird. Als dritte die Wärmeabgabe betreffende Regulationsvorrichtung benutzt der Organismus die Lungenatmung.
Diese Vorrichtung basiert auf dem Prinzip des Fächers, also darauf, daß ein bewegter Luftstrom die Wärmeabgabe eines Körpers begünstigt, indem er diesen fortwährend mit neuen kältern Luftmassen in Berührung bringt. Steigt die Körperwärme, so vermehren sich die Atemzüge, und die außerordentlich große Oberfläche der Lungenbläschen wird jetzt mit einem in beständiger Bewegung begriffenen großen Quantum kühlerer Luft in Berührung gebracht. Es ist übrigens ersichtlich, daß auf diese Weise nicht allein die direkte Wärmeabgabe, sondern auch die Verdunstung außerordentlich begünstigt wird. Die Regulierung der Körperwärme mittels der beschriebenen Kompensationsvorrichtungen vollzieht sich zum allergrößten Teil, vielleicht ganz, durch Vermittelung des Nervensystems. Wie die betreffenden Nervenmechanismen gestaltet sind, kann einstweilen nur vermutet werden. Die Existenz eines die Thätigkeit der verschiedenen Regulationsvorrichtungen regelnden Wärmezentrums ist bis jetzt nicht genügend bewiesen.
Die mittlere Körperwärme schwankt beim Menschen zwischen 36,5 und 38° C. Ähnlichen Temperaturen begegnet man bei den Säugetieren; beim Pferd [* 10] beträgt sie 37,5-38,5,° beim Rind [* 11] 37,5-39,5,° bei Schafen 38-41°, bei Schweinen 38,5-40° und bei Hunden 37,5-39,5° C. Etwas höher liegt die Eigenwärme der Vögel, [* 12] sie beträgt 39,4-43,9° C. Bei den übrigen Tieren ist die Temperatur variabel und in der Regel um wenige Grade höher als die des umgebenden Mediums.
Bei den Warmblütern werden regelmäßige, von der Lebensweise abhängige Temperaturschwankungen um 1-1,5° C. wahrgenommen. So zeigen sich von der Nahrungsaufnahme abhängige Schwankungen derart, daß ein Minimum der Temperatur etwa gegen Mitternacht beginnt und bis 7 Uhr [* 13] morgens andauert, diesem folgt eine etwa bis 4 Uhr nachmittags anhaltende Periode der steigenden Temperatur, dann kommt ein bis etwa 9 Uhr abends dauerndes Maximum und endlich eine Periode der absinkenden Temperatur.
Diese Schwankungen kommen beim Hunger in Fortfall. Weitere Schwankungen der Eigenwärme innerhalb physiologischer Grenzen
[* 14] hängen
von der Muskelthätigkeit ab; durch energische Muskelarbeit wird die Temperatur nicht selten bis um 1,5°
C. vermehrt. Von medikamentösen Mitteln bewirken Herabsetzung der tierischen
Wärmebildung: Chinin, Salicylsäure, Alkohol,
Chloroform, Chloral u. a., eine Erhöhung derselben Digitalin. Eine erhöhte Körpertemperatur ist eins der wichtigsten Zeichen
des Fiebers (s. d.). Beim Menschen bedient man sich zu Bestimmungen der Körperwärme gewöhnlich der Achselhöhle
oder auch, wie bei den Tieren, des Mastdarms. Ein Thermometer
[* 15] läßt man hier so lange liegen, bis kein Steigen der Quecksilbersäule
mehr wahrgenommen wird, was in der Regel nach zehn Minuten erreicht ist. Regelmäßige, zu bestimmten Tageszeiten wiederholte
Temperaturmessungen sind in der neuern Medizin eins der wichtigsten diagnostischen Mittel.