Tierchemie
,
physiologische Chemie
oder Zoochemie, die
Lehre
[* 2] von den in den tierischen Geweben und
Flüssigkeiten vorkommenden, vom lebenden tierischen Körper gebildeten chem.
Verbindungen. Zuweilen wird auch der chem.
Teil
der Tierphysiologie, der die im Tierkörper ablaufenden chem. Vorgänge und den gesamten tierischen
Stoffwechsel umfaßt, als Tierchemie
bezeichnet. Um den Zusammenhang dieser Vorgänge ersichtlich zu machen und
sein Wesen festzustellen, ist die Kenntnis der
Bestandteile des tierischen Körpers und ihrer chem. Eigenschaften
sowie der
Bedingungen erforderlich, unter denen sie aufeinander einwirken und unter denen sich ihre
Beziehungen zur Außenwelt
vermitteln.
Die chem. Zusammensetzung der lebenden Organismen ist eine sehr verwickelte nach den mannigfaltigen Zerfallsprodukten, welche der Chemiker aus ihnen darstellen kann. Selbst relativ einfache Gebilde, wie die roten Blutkörperchen [* 3] des Menschen und der Säugetiere oder wie die Zellen der Hefe, [* 4] bestehen aus einer Anzahl hoch zusammengesetzter Körper im Sinne des Chemikers, d. h. aus Verbindungen konstanter atomistischer Zusammensetzung und charakteristischen Verhaltens.
Wie diese Substanzen zusammengefügt sind zu der komplizierten Maschine, [* 5] als welche eine lebende Zelle [* 6] betrachtet werden muß, ist gegenwärtig noch unbekannt. Man unterscheidet primäre oder wesentliche Zellbestandteile, welche sich in allen der Entwicklung und Vermehrung noch fähigen Zellen vorfinden, und sekundäre oder unwesentliche, welche erst im Laufe der Entwicklung, als Folge der allmählichen Differenzierung der Zellen innerhalb des Organismus, auftreten.
Die primären zerfallen wieder in organische Bestandteile (Verbindungen des Kohlenstoffs mit Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel und Phosphor) und anorganische (Anionen, Kationen, Wasser und Sauerstoff). Die sekundären Zellbestandteile sind teils Stoffe, deren Besitz oder Bildung der betreffenden Zellgattung eigentümlich ist (Blutfarbstoff, Gallenbestandteile), teils Stoffe, welche aus der Nahrung aufgenommen, aus ihr gebildet und in den Zellen aufgespeichert werden (Fett, Glykogen) oder endlich Umwandlungs- oder Zerfallsprodukte der primären, wie Kohlensäure, Milchsäure, Harnstoff.
Die Lebensvorgänge kommen nur durch eine fortwährende Zersetzung von Körperbestandteilen zu stande, für welche Ersatz zu schaffen ist. Dies ist Aufgabe der Ernährung. Die Nahrungsmittel [* 7] gelangen nur auf zwei Wegen in den Organismus, durch den Darmkanal (die festen und flüssigen) und durch die Lungen (der Sauerstoff). In Wasser lösliche (die Salze, der Zucker) [* 8] oder bei Körpertemperatur flüssige (die Fette) Substanzen werden im Darmkanal wesentlich nicht verändert, die unlöslichen dagegen durch die Verdauungsflüssigkeiten in den löslichen Zustand übergeführt, ein Vorgang, den man als Verdauung (s. d.) bezeichnet.
Solche unlösliche Nahrungsmittel sind das Stärkemehl, welches durch den Mund- und Bauchspeichel in Dextrin und Zucker verwandelt wird, und die Eiweißkörper, die durch den Magensaft und den Bauchspeichel löslich gemacht (in Peptone verwandelt) werden. Vom Darm [* 9] aus gelangen die Nahrungsmittel durch Aufsaugungsapparate entweder direkt in das Blut oder in den Lymphstrom, der sich auf Umwegen zuletzt gleichfalls in das Blut ergießt. Das Blut ist eine Lösung von Eiweiß, Salzen u. s. w., in der kleine rote, gleichfalls aus einer Eiweißsubstanz bestehende ¶
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Kügelchen (Blutkörperchen) schwimmen, welche die Eigenschaft besitzen, den Sauerstoff chemisch zu binden. Bei seinem Durchgange durch die Lungen nimmt das Blut den Sauerstoff auf und führt ihn, zugleich mit den vom Darmkanal bezogenen Nahrungsmitteln, zu den Organen des Körpers, welche beiderlei Substanzen als Ersatz für verbrauchte Substanz aufnehmen, überschüssige aufspeichern oder sogleich weiter verarbeiten. Der Sauerstoff wird hier zu Oxydationen verwendet, und die dabei frei werdende Energie wird teils in Form mechan. Arbeit, z. B. Muskelbewegung, teils als Wärme [* 11] für den Körper nutzbar gemacht. Die Umsatzprodukte werden von dem Blute aufgenommen, aus dem die gasförmigen (Kohlensäure und Wasserdampf) durch Lungen und Haut [* 12] abgeschieden werden, die löslichen durch die Nieren abfiltrieren (Harn) oder nach weiterer Verarbeitung in den Darmkanal ergossen werden (wie die Galle aus der Leber), oder in das Blut zurückfließen (aus der Milz) und so dem Körper noch fernerhin nutzbar werden.
Die Tierchemie
schließt also sehr wichtige praktische Fragen in sich, die sich nicht bloß auf
die Ernährung und den Stoffwechsel des gesunden Körpers beziehen (z. B. die Nahrungsmittellehre), sondern
auch auf diese Vorgänge bei Krankheiten (pathologische Chemie). Ein besonderer Zweig der physiol. Chemie, die Histochemie,
beschäftigt sich mit der chem. Konstitution der Formelemente und Gewebe
[* 13] des tierischen Körpers.
(S. auch Mikrochemie.)
Litteratur. Unter den Forschern, die sich um die Tierchemie
besondere Verdienste erworben haben, sind besonders Berzelius, Liebig,
Mulder, Scherer, Strecker, C. Schmidt, Schloßberger, Hoppe-Seyler, Kühne, Voit, Henneberg, Stohmann, Gorup-Besanez (in der
«Physiol. Chemie», 4. Aufl., Braunschw. 1878) zu nennen.
Neuere Lehrbücher der physiol. Chemie sind herausgegeben worden von Bunge (2. Aufl., Lpz. 1894), Hammarsten (3. Aufl., Wiesb. 1895) und Neumeister (2. Aufl., Jena [* 14] 1897).
Vgl. ferner Zeitschrift für Biologie (hg. von Buhl, Pettenkofer und Voit, Münch. 1865 fg.);
Zeitschrift für physiol. Chemie (hg. von Hoppe-Seyler, Straßb. 1877 fg.);
Jahresbericht über die Fortschritte der Tierchemie
(begründet von Maly, hg.
von Nencki und Andreasch, Wiesb. 1871 fg.).