Titel
Tier
,
ein meist frei und willkürlich beweglicher, mit
Empfindung begabter
Organismus, der organischer
Nahrung bedarf,
Sauerstoff einatmet, unter dem Einfluß der Oxydationsvorgänge im
Stoffwechsel
Spannkräfte in lebendige
Kräfte umsetzt und
Kohlensäure nebst stickstoffhaltigen Zersetzungsprodukten ausscheidet. Während zwischen leblosen
und belebten
Körpern (Organismen) eine scharfe
Grenze leicht zu ziehen ist, während ferner höhere Tiere
und
Pflanzen (z. B.
Löwe und Eichbaum) als solche sofort erkannt werden, zeigen die einfachsten Organismen
Eigenschaften, die eine sichere
Entscheidung
über die Zugehörigkeit unmöglich machen und daher auch wohl zur
Aufstellung eines
Zwischenreichs der
Protozoen (s. d.) oder
Protisten geführt haben.
Alle irgendwie zweifelhafte
Formen sind hiernach ausgeschlossen, und mit dieser Einschränkung ist die
oben gegebene
Erklärung
des
Wortes Tier
haltbar. Sie trifft auch auf den
Menschen zu, den als echtes Tier
zu bezeichnen erst die letzten Jahrzehnte angefangen
haben. Jedes für sich eine abgeschlossene
Einheit darstellende Tier
bezeichnet man als
Individuum, hat aber
deren von verschiedener
Ordnung. So sind bei manchen niedern Tieren
, z. B. den
Korallen,
[* 3] eine Anzahl von Einzeltieren
(Personen
genannt) zu einem sogen.
Stock
(Kolonie) vereinigt, ähnlich wie an einem
Baum die
Zweige. Ein solcher Tier
stock ist ein
Individuum
höherer
Ordnung. Bei jeder
»Person« unterscheidet man als niedere Individuen die
Organe, d. h. Körperteile, die zwar bis zu
einem gewissen
Grad selbständig sind, aber bestimmte Leistungen für den Gesamtorganismus zu verrichten haben. Die
Organe
finden sich in einfacher oder mehrfacher Anzahl vor (z. B. jede
»Person« hat nur einen
Darm,
[* 4] kann aber
viele
Beine besitzen) und
¶
mehr
zeigen im letztern Fall eine bestimmte Anordnung, je nachdem das Tier
strahlig, zweiseitig oder gegliedert ist. Im Körper der
höhern Tiere
liegen nämlich die mehrfach vorhandenen Organe in der Regel so, daß man nur durch Einen Längsschnitt zwei
einander gleiche Hälften, die rechte und linke, gewinnen kann, während jeder andre Längsschnitt (also
z. B. der, welcher Bauch- und Rückenteil sondern würde) ungleiche Teile ergibt. Ein solches zweiseitiges (bilateralsymmetrisches)
Tier
besitzt also nur zwei gleiche (genauer: spiegelbildlich gleiche) Teile (Gegenstücke, Antimeren); ein strahlig gebautes,
wie die meisten Quallen etc., hat dagegen einen solchen Bau, daß man durch mehrere Schnittebenen je zwei gleiche
Teile gewinnen kann, und zerfällt so in mehrere Antimeren.
Ist ein Tier
gegliedert (segmentiert), so wiederholen sich die Organe in der queren, d. h. der auf die Längsachse senkrechten,
Richtung derart, daß man durch bestimmte Querschnitte eine Anzahl völlig oder annähernd gleicher Stücke (Folgestücke, Metameren)
erhalten kann. So besteht z. B. ein Bandwurm
[* 6] oder ein Regenwurm sowohl aus zwei Antimeren als aus vielen
unter sich gleichen (homonomen) Metameren, ein Insekt ebenfalls aus zwei Antimeren, aber nur wenigen, noch dazu ungleichen (heteronomen)
Metameren; letztere sind entweder auch äußerlich als Segmente (Ringe, Glieder)
[* 7] erkennbar oder treten nur im innern Bau hervor.
Man unterscheidet dann meist, aber durchaus nicht immer, einen aus verschmolzenen Segmenten bestehenden
Kopf, eine Brust (Thorax, deutlich gegliedert bei Insekten,
[* 8] äußerlich nicht gegliedert bei Wirbeltieren) und einen Hinterleib
(Abdomen; bei den Spinnen
[* 9] z. B. während des Eilebens noch deutlich gegliedert, später scheinbar einfach),
faßt jedoch die genannten drei Teile als Stamm im Gegensatz zu den Gliedmaßen (s. unten) zusammen.
Individuen von noch niederer Ordnung als die Organe sind die Zellen, d. h. die einfachsten Einheiten, aus denen der Körper der
Tiere
(und auch der Pflanzen; die Protisten sind fast alle einzellig) sich aufbaut. Jedes Tier
, auch das größte und komplizierteste,
geht aus Einer Zelle,
[* 10] dem Ei,
[* 11] hervor; letzteres teilt sich im Lauf der Entwickelung in eine Anzahl Zellen,
die eine Zeitlang noch gleichartig sein können, bald jedoch ungleich werden (sich differenzieren) und in der verschiedensten
Weise zu Geweben zusammentreten (vgl. Zelle, Gewebe,
[* 12] Keimblätter), aus denen wiederum die Organe sich gestalten.
Bis zu einem gewissen Grad führen die Zellen noch ein selbständiges Leben, sind jedoch, je höher ein Tier steht, um so abhängiger von ihren Nachbarn; für den Gesamtorganismus haben sie, obwohl in andrer Weise als die Organe, gewisse Leistungen (Funktionen) zu verrichten. Man vergleicht so in passender Weise das Tier mit einem Staat, in welchem die einzelnen Bürger durch die Zellen dargestellt sind, während als Organe bestimmte Gruppen von Bürgern (Handwerker, Soldaten etc.) bestimmte Funktionen auszuüben haben und ihre verschiedene Verteilung in den Städten und auf dem Land einigermaßen die Gewebebildung veranschaulicht. Die einzelnen Organe und Funktionen beim Tier lassen sich in zwei Hauptgruppen vereinigen: sogen. pflanzliche (vegetative) und tierische (animale);
erstere beziehen sich auf Ernährung und Erhaltung des Körpers, letztere auf Empfindung und Bewegung.
Bei vielen niedern Tieren besteht der ganze Körper nur aus zwei Zellschichten, einer äußern, der Hautschicht (Ektoderm), und einer innern, der Darmwandung (Entoderm). Von letzterer wird ein zur Nahrungsaufnahme und Verdauung dienender Hohlraum, der Magen [* 13] oder die Darmhöhle, umschlossen, welche durch nur eine Öffnung, den Mund, mit der Außenwelt in Verbindung zu stehen braucht. Auch bei sehr vielen höhern Tieren tritt während der Entwickelung im Ei ein Stadium auf, in welchem der ganze Embryo nur diese einfache Form besitzt (sogen. Gastrula).
Zwischen den beiden genannten Schichten bildet sich jedoch bei weitaus den meisten Tieren eine dritte Schicht, das Zwischengewebe (Mesoderm), aus und liefert sowohl die verschiedenen Formen des Skeletts (Bindegewebe, Knorpel, [* 14] Knochen) [* 15] als auch die Muskeln [* 16] u. a. m. Ein innerhalb dieser Schicht auftretender Hohlraum, die Leibeshöhle, veranlaßt, daß ihr äußerer Teil als sogen. Hautfaserschicht in nähere Beziehung zur Haut [* 17] tritt, während der innere als sogen. Darmfaserschicht sich dem Darm eng anlegt. Die Leibeshöhle ist mit Flüssigkeit (Blut) gefüllt und enthält meist besondere, darin schwimmende Zellen, die Blutkörperchen, [* 18] welche gleichfalls vom Mesoderm abstammen. Die einzelnen Organe nun verteilen sich auf die genannten Schichten in folgender Weise.
Die vegetativen Organe umfassen im weitesten Sinn die Vorgänge der Ernährung; die durch den Mund aufgenommenen Nahrungsstoffe werden verdaut, und die durch diesen Prozeß gebildeten löslichen Stoffe werden zu einer ernährenden, den Körper durchdringenden Flüssigkeit, welche in mehr oder minder bestimmten Bahnen zu sämtlichen Organen gelangt und an dieselben Bestandteile abgibt, aber auch von ihnen die unbrauchbar gewordenen Zersetzungsstoffe aufnimmt und bis zu ihrer Unschädlichmachung (s. unten) weiterführt.
Die ungelösten Nahrungsbestandteile werden durch den Mund oder meist durch eine besondere Öffnung, den After, ausgestoßen. Gewöhnlich zerfällt dann die Verdauungshöhle, auch Darmkanal genannt, in drei Abschnitte: Vorder- oder Munddarm (Speiseröhre), Mittel- oder Magendarm (Magen) und Hinter- oder Afterdarm (Darm im engern Sinn). Von diesen Abschnitten gehört nur der mittlere zum Entoderm, während Vorder- und Hinterdarm Einstülpungen der Hautschicht sind und bei manchen Tieren sich auch der äußern Haut gleich verhalten.
Bei einigen niedern Tieren hat jedoch der Magen keine selbständige Wandung, vielmehr wird die Nahrung aus der Speiseröhre in das weiche Körperinnere gedrückt und dort verdaut; bei den höhern Tieren gestaltet sich dagegen der Verdauungsapparat sehr kompliziert, indem Kauorgane (Kiefer mit Zähnen oder als Abschnitt der Speiseröhre ein besonderer Kaumagen) sowie Drüsen zur Absonderung verdauender Säfte (Speicheldrüsen, Leber) entstehen. Je nachdem übrigens die Nahrung rein pflanzlicher oder rein tierischer oder gemischter Natur ist, unterscheidet man Herbivoren (Phytophagen), Karnivoren (Zoophagen) und Omnivoren (Pantophagen).
Die von der Darmwandung aus den Speisen aufgenommene Ernährungsflüssigkeit tritt nur durch sie hindurch in die Leibeshöhle und erfüllt als Blut (oft schon mit zelligen Elementen, den Blutkörperchen) die Lücken und Gänge zwischen den verschiedenen Organen und Geweben. Auf einer weitern Stufe umkleiden sich Abschnitte der Blutbahn mit einer besondern Muskelwandung und unterhalten als pulsierende Herzen eine rhythmische und regelmäßige Strömung des Bluts. Von dem Herzen, als dem Zentralorgan des Blutkreislaufs, aus entwickeln sich dann bestimmt umgrenzte Kanäle zu Blutgefäßen, welche bei den Wirbellosen meist noch mit wandungslosen Lücken ¶
mehr
wechseln, bei den Wirbeltieren aber als abgeschlossenes Gefäßsystem die Leibesräume durchsetzen. In diesem System unterscheidet man vom Herzen abführende Arterien und zum Herzen zurückführende Venen, zu welchen noch das System von Chylus- oder Lymphgefäßen hinzutritt. Alle genannten Organe gehören dem Mesoderm an. Die Atmung, welche im wesentlichen in der Aufnahme von Sauerstoff und der Abgabe von Kohlensäure durch das Blut besteht, wird im einfachsten Fall durch die gesamte äußere Körperbedeckung ausgeführt; auch können innere Flächen, besonders diejenige des Darmkanals, bei diesem Gasaustausch beteiligt sein.
Weiterhin aber treten, und zwar als Teile der Haut- oder der Darmschicht, besondere Atmungsorgane auf, bei der Wasseratmung äußere, möglichst flächenhaft entwickelte Anhänge (Kiemen), bei der Luftatmung Lungen oder Luftröhren (Tracheen). [* 20] Die Intensität der Atmung steht in geradem Verhältnis zur Energie des Stoffwechsels. Tiere mit geringer Sauerstoffaufnahme (Kiemenatmung) verbrennen nur geringe Mengen organischer Substanz, setzen nur ein kleines Quantum von Spannkräften in lebendige Kraft um und produzieren wenig Wärme, [* 21] so daß die Temperatur ihres Körpers von der der Umgebung abhängig bleibt.
Dies gilt auch für kleine luftatmende Tiere, welche, wie Insekten, eine bedeutende wärmeausstrahlende Oberfläche besitzen (Kaltblüter). Die höhern Tiere mit energischem Stoffwechsel produzieren dagegen viel Wärme, sind durch ihre Körperbedeckung vor rascher Ausstrahlung derselben geschützt und erhalten sich einen Teil der erzeugten Wärme unabhängig von der Temperatur des umgebenden Mediums als konstante Eigenwärme (Warmblüter). Die von den Atmungsorganen ausgestoßene Kohlensäure zählt zu den Auswurfstoffen des Organismus; andre derartige schädliche Stoffe werden durch besondere Exkretionsorgane abgeschieden, von denen die Nieren u. nierenähnlichen Bildungen die wichtigsten sind.
Unter den animalen Verrichtungen fällt zunächst am meisten die Ortsbewegung [* 22] in die Augen. Manche Protozoen gelangen ohne besondere Organe lediglich durch Zusammenziehung und Ausdehnung [* 23] ihres ganzen Körpers von der Stelle, andre sind mit Wimpern, d. h. feinen, hin und her schlagenden Härchen, besetzt und bedienen sich nur dieser als Bewegungsorgane. Wo bei den eigentlichen Tieren Muskeln, d. h. kontraktile Gewebsteile, vorhanden sind, legen sich diese im einfachsten Fall dicht unter die Haut und bilden mit ihr einen sogen. Hautmuskelschlauch, dessen abwechselnde Verkürzung und Verlängerung [* 24] den Körper weiterschiebt.
Wenn ferner vom Körper ungegliederte oder gegliederte Anhänge (Gliedmaßen) ausgehen, so zweigen sich besondere Muskeln zu diesen hin ab und befestigen sich entweder an deren Haut oder an ein inneres, dem Mesoderm angehöriges und mehr oder minder starres Skelett. [* 25] Der ursprünglich rings geschlossene Hautmuskelschlauch reduziert sich alsdann zuweilen so sehr, daß er für die Bewegung kaum noch in Betracht kommt. Die Gliedmaßen selber sind zuweilen ungegliederte, meist jedoch gegliederte, d. h. in bewegliche Abschnitte zerfallende, Anhänge des Kopfes oder Rumpfes. Je nach Bau und Thätigkeit werden sie als Fühler (Antennen), [* 26] Kiefer (Kauwerkzeuge), Geh- und Schwimmbeine sowie als Flügel bezeichnet und sind in den einzelnen Tiergruppen äußerst verschieden gebaut. Es kann zwar an jedem Segment eines gegliederten Tiers auch ein Paar Gliedmaßen vorhanden sein, doch ist das bei weitem nicht immer der Fall. Als Empfindungsorgane sind Nervensystem und Sinneswerkzeuge anzusehen.
Ersteres ist entweder strahlig oder zweiseitig gebaut, geht aus der Hautschicht hervor, liegt jedoch meist in seinem größern Teil tiefer im Innern des Körpers an möglichst geschützter Stelle und besteht aus einem oder mehreren Zentralorganen (Ganglien, Nervenknoten) nebst den davon ausstrahlenden Nerven. [* 27] Gewöhnlich unterscheidet man ein im Vorderende des Körpers befindliches, aus mehreren Ganglien verschmolzenes sogen. Gehirn [* 28] (wegen seiner Lage dicht über dem Schlund auch Oberschlundganglion genannt) u. eine sich daran knüpfende Ganglienkette, die je nach ihrem Verlauf als Bauch- oder als Rückenmark bezeichnet wird.
Die Eindrücke von der Außenwelt werden von den Sinnesorganen (Auge, [* 29] Ohr [* 30] etc.) aufgenommen und mittels der Nerven den Zentralorganen zugeführt; andre Nerven stehen mit den Muskeln in Verbindung und vermögen deren Zusammenziehung zu bewirken. Die Fortpflanzung läßt sich überall auf die Absonderung eines körperlichen Teils, welcher sich zu einem dem elterlichen Körper ähnlichen Individuum umgestaltet, zurückführen. Indessen ist die Art und Weise dieser Neubildung ungemein verschieden (Teilung, Sprossung, Keimbildung und geschlechtliche Fortpflanzung).
Als Ausgangspunkt des sich entwickelnden Organismus hat man die einfache Zelle zu betrachten; der Inhalt derselben erleidet eine Reihe von Veränderungen, deren Endresultat die Anlage und Ausbildung des Embryonalleibes ist. Diese Vorgänge sind durch große Mannigfaltigkeit ausgezeichnet und schließen nicht immer die Entwickelung des Individuums ab, sondern liefern vielfach zunächst eine Larve, welche erst durch Metamorphose dem geschlechtsreifen Tier ähnlich wird.
Die entwickelungsgeschichtlichen Arbeiten der neuern Zeit haben die zuerst von Cuvier aufgestellte Lehre, [* 31] nach der es im Tierreich mehrere Hauptzweige oder Typen gebe, gewissermaßen allgemeine »Baupläne«, nach denen die zugehörigen Tiere modelliert zu sein scheinen, im allgemeinen bestätigt. Während aber Cuvier vier Typen (Wirbeltiere, Weichtiere, Gliedertiere, Radiärtiere) annahm, ist die Zahl derselben jetzt auf sieben oder noch mehr erhöht (s. Tierreich), auch hat man die Vorstellung von der Isolierung eines jeden »Bauplans« aufgegeben, da sich Verbindungsglieder und Verknüpfungen verschiedener Typen nach mehrfachen Richtungen hin nachweisen ließen. Überhaupt ist man auf Grund der darwinistischen Prinzipien über die Inkonstanz der Art und ihre allmähliche Abänderung zur Ansicht gekommen, daß die sämtlichen Typen oder, wie sie jetzt richtiger heißen, Tierstämme gemeinsamen Ursprungs sind.
[Geographische Verbreitung.]
Wie hiernach das Tierreich als ein sich allmählich entwickelndes erscheint, so liegt auch bei einem Überblick über die geographische Verbreitung der Tiere auf der Erde derselbe Gedanke nahe. Danach ist die heutige Verteilung der Tiere (auch des Menschen) auf der Oberfläche unsers Planeten [* 32] nicht von jeher dieselbe gewesen, sondern hat sich durch das Zusammentreffen von vielen Umständen gerade so und nicht anders gestaltet. Zu berücksichtigen sind, wenn man zu einem Verständnis derselben gelangen will, die geologischen Veränderungen (Senkungen und Hebungen von Land, so daß Halbinseln zu Inseln werden oder Inseln mit dem Festland in Verbindung treten etc.) und die paläontologischen Funde, um aus der frühern Verteilung die jetzige erklären zu können, und um in besonders klaren Fällen auch wohl Rückschlüsse auf die ¶
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Tier.
Nachdem die Art und Weise der Färbung und Zeichnung im Tierreich lange Zeit als bedeutungslos und zufällig gegolten, ist besonders durch Eimer die in der Mannigfaltigkeit der Zeichnungen herrschende Gesetzmäßigkeit und ihre Bedeutung für die Stammesgeschichte der Tiere nachgewiesen worden. Eimer studierte zunächst die Varietäten der Mauereidechse, von denen eine gestreifte (striata), gefleckte (maculata), ungezeichnete, oben braungelbe, unten farblose (modesta) und grüne (elegans) Varietät unterschieden werden; die Übergänge, die sich finden, führen alle zur gestreiften Varietät, so daß die gestreifte als die Stammform aller andern anzusehen ist; hierfür spricht auch, daß die Jungen aller dieser Eidechsen [* 34] mehr oder weniger gestreift sind.
Aus der gestreiften Zeichnung entsteht die gefleckte in der Weise, daß sich die Streifen in Flecke auflösen, und indem sich die Flecke quer verbinden, entsteht Querstreifung, welche demnach die jüngste, letzt entstandene Form der Zeichnung ist. In der Umwandlung von einer Zeichnung in die andre schreitet das Männchen voran; unter gestreiften Formen beobachtet man namentlich bei alten Männchen eine Auflösung der Längsstreifen in Flecke, beim Weibchen dagegen zeigen sich die Eigenschaften der Stammform länger und deutlicher als beim Männchen.
Mit zunehmendem Alter tritt eine neue Zeichnung zuerst am hintern Ende des Körpers auf, zieht sich von da nach vorn und wird hinten durch eine neu auftretende wieder verdrängt (Gesetz der wellenförmigen Entwickelung). Am besten läßt sich die allgemeine Gültigkeit dieses Gesetzes in der Zeichnung der Raubtiere [* 35] verfolgen; neue Eigenschaften in der Zeichnung treten hier zuerst an den Seiten auf und ziehen sich nach dem Rücken hin, so daß die Mittellinie des Rückens die alten Eigenschaften am längsten bewahrt.
Die Stammformen des Katzengeschlechts sind die Zibetkatzen (Viverra);
von ihnen stehen am tiefsten die von Madagaskar; [* 36]
sie sind vollkommen längsgestreift und stellen wohl die Urzeichnung aller Raubtiere dar;
bei andern Arten, z. B. der spanischen Ginsterkatze, haben sich die Streifen in Flecke aufgelöst;
die afrikanische und asiatische Viverre zeigen bereits eine beginnende Querstreifung.
Die gefleckten Katzenarten, wie Leopard, [* 37] Panther, Jaguar etc., entstanden aus längsgestreiften dadurch, daß die Streifen der letztern sich in Flecke auflösten; der Tiger ist vollkommen quergestreift, er besitzt nächst dem Löwen [* 38] die am weitesten vorgeschrittene Zeichnung; die Löwen sind erwachsen einfarbig, aber in der Jugend gezeichnet. Die Hauskatze hat auf dem Rücken Längsstreifen, an den Seiten Querstreifen, die vorn oft noch aus Flecken bestehen; die Wildkatze hat eine weiter entwickelte Zeichnung, indem die seitlichen Querstreifen weniger zahlreich und im Schwinden begriffen sind; es scheint demnach, daß die Hauskatze nicht von der Wildkatze ¶
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abstammt, sondern daß sich beide aus der in ihrer Zeichnung der Hauskatze ähnlichen afrikanischen Falbkatze entwickelt haben. Aus den Zibetkatzen sind außer den Katzenarten auch die Hyänen hervorgegangen. Die Übereinstimmung zeigt sich besonders bei der gestreiften Hyäne, jedoch ist im allgemeinen die Zeichnung eine vorgeschrittenere; es ist bereits das Schwinden der Zeichnung vorbereitet, welches bei den Hunden noch weiter gediehen ist, doch sind auch bei den hundeartigen Raubtieren noch Spuren von Zibetkatzen- und Katzenzeichnung vorhanden, und zwar sind bei allen Teile von solchen Streifen zu erkennen, welche auch bei den Hyänen besonders entwickelt sind, so daß die Zeichnung der hundeartigen Raubtiere sich wie ein Überrest jener der Hyänen ausnimmt.
Auch bei andern Säugetieren läßt sich diese Gesetzmäßigkeit in der Zeichnung der Tiere nachweisen. So zeigt das Zebra Querstreifung, auf der Mittellinie des Rückens aber und auf der Stirn Längsstreifung. Beim Quagga ist hinten schon Einfarbigkeit aufgetreten, am Hals ist Querstreifung, auf der Stirn noch Längsstreifung. Auch Esel und Pferd [* 40] haben häufig auf dem Rücken eine dunkle Längsmittellinie. Unter den hirschartigen Tieren sehen wir beim Damhirsch Längsreihen weißer Flecke, die beim Weibchen deutlicher erkennbar sind als beim Männchen; in der Jugend haben aber auch Edelhirsch und Reh, [* 41] die erwachsen einfarbig sind, Längsreihen von weißen Flecken, und eine ganze Reihe weiterer Tiere, welche im Alter keine Zeichnung besitzen, trägt solche in der Jugend. So bei den Säugetieren die Jungen vom Tapir, Schwein [* 42] und Wildschwein; auch bei der überwiegenden Mehrzahl von Reptilien und Amphibien sind die Jungen längsgestreift, und das Gleiche findet sich bei vielen Nacktschnecken und jungen Raupen.
Unter den Vögeln zeigen die geschilderte Umwandlung der Zeichnung besonders gut die Raubvögel. [* 43] Die Jungen fast aller unsrer einheimischen Raubvögel haben nach Abwerfen der Daunen ein Jugendkleid, welches braun gefärbt und mit schwarzen Längsspritzen gezeichnet ist, die zuweilen so aneinander gereiht sind, daß sie schwarze Längslinien darstellen, später aber in längsgestreifte Flecke sich auflösen. Die Weibchen behalten dieses Kleid häufig; zuweilen wird es aber auch bei ihnen, wenigstens im Alter, in ein quergestreiftes umgewandelt.
Dies ist die Regel beim Männchen schon zur Zeit seiner Reife. Überall überhaupt zeigt sich bei den Vögeln die »Präponderanz des männlichen Geschlechts«. Bei Amseln, Drosseln oder Würgern behalten die Weibchen das jugendliche Kleid, während die Männchen selbst nahe verwandter Gattungen und Arten später weit mehr voneinander abweichen. Bei den Vögeln nimmt im Gegensatz zu den Säugetieren die Rückenseite zuerst die neuen Eigenschaften an. Die Längsstreifung erhält sich am längsten an der Unterseite.
Wenn sich die Zeichnung verliert, so geschieht dies zuerst auf dem Rücken und zwar wiederum zuerst bei den Männchen. Die Querstreifung kann wenigstens in Form von Querbinden an der Unterseite des Schwanzes und der Flügel oder an der ganzen Unterseite bestehen bleiben. Zuletzt wird dann auch die Unterseite einfarbig. Zuweilen trifft man alle Stufen der Umbildung am Körper eines und desselben Vogels: Kehle längsgestreift, Brust längsgefleckt, nach unten in kurze, abgerissene Fleckenzeichnung übergehend, welche den Übergang zur Querstreifung bilden, die am Schwanze ausgesprochen ist, während die ganze Rückenseite schon einfarbig geworden.
Das Gesetz der wellenförmigen Entwickelung ist also auch hier ausgeprägt. Unter den wirbellosen Tieren hat Eimer die gesetzmäßige Umbildung der Zeichnung an Schmetterlingen, und zwar zunächst an den dem Segelfalter ähnlichen Arten der Gattung Papilio, verfolgt. Auch hier zeigt sich der gleiche Entwickelungsgang in der Zeichnung:
1) Längsstreifung, 2) Fleckung durch teilweise Auflösung der Streifen, oft auch nur seitliche Verschmelzung oder Verkürzung oder teilweises oder völliges Schwinden einzelner Binden, 3) Querzeichnung oder Querstreifung durch seitliche Verbindung der Flecke oder auch der Längsstreifen, 4) Einfarbigkeit durch fast oder ganz vollständiges Zurücktreten der Zeichnung oder auch durch Verbreiterung der Querverbindungen und der ursprünglichen Längsbinden, so daß die Grundfarbe schließlich ganz oder bis auf Reste verdrängt wird.
Auch bei den Schmetterlingen läßt sich ein allmähliches Fortschreiten der Zeichnung von hinten nach vorn, eine postero-anteriore Entwickelung verfolgen, und es treten auch neue Zeichnungen nur hinten auf. Das Undulationsgesetz jedoch, d. h. das bei den Wirbeltieren geschilderte wellenförmige Vorrücken der hinten neu auftretenden Zeichnung nach vorn mit zunehmendem Alter, kann bei den Schmetterlingen nicht in Betracht kommen, da diese die Puppe fertig verlassen.
Die große Mannigfaltigkeit der Zeichnung der Formen, Abarten und Arten wird weniger durch das Auftreten neuer Zeichnungen bedingt, als durch Umbildung der alten, indem die eine, z. B. ein gewisser Streifen in einer Gruppe, schwindet, in einer andern sich mehr ausbildet, oder indem beides zugleich vor sich geht, hier Fort-, dort Rückbildung, oder endlich, indem an Vorder- und Hinterflügel, Ober- und Unterseite die Veränderung nicht in gleichem Maße vor sich geht.
Des weitern wird die Mannigfaltigkeit bedingt durch die Korrelation, indem mit Veränderung einer Zeichnung häufig noch eine andre oder mehrere zugleich auftreten, z. B. steht mit der schönen Ausbildung der Afteraugenflecke beim Segelfalter die Ausbildung der blauen Randbinde in Beziehung. Die Ursache kann in der ursprünglichen morphologischen und physiologischen Gleichwertigkeit der betreffenden Teile liegen, wie auch die Symmetrie von gleicher stofflicher Zusammensetzung und gleicher physiologischer Thätigkeit der beiden Körperhälften herrührt.
Solche korrelativ vor sich gehende, sprungweise Umbildung ohne Zwischenstufen bezeichnet Eimer als kaleidoskopische Umbildung. Die Entdeckungen und Beobachtungen Eimers über die gesetzmäßige Aufeinanderfolge der verschiedenen Zeichnungen wurden von Weismann durch Untersuchungen an den Raupen von Schwärmern bestätigt. Nach diesem Forscher laufen alle Daten der Entwickelungsgeschichte [* 44] darauf hinaus, daß von den drei bei Sphingidenraupen vorkommenden Zeichnungsformen, der Längsstreifung, den Schrägstrichen und den Flecken, die erstere die ältere ist.
Unter den Arten, welche mit Schrägstrichen oder mit Flecken geziert sind, finden sich viele, deren Jugendstadien längsgestreift sind, das Umgekehrte aber findet sich nicht, niemals zeigt die junge Raupe Flecke oder Schrägstriche, wenn die erwachsene Raupe nur längsgestreift ist; die erste und älteste Zeichnung der Sphingidenraupe war also die Längszeichnung. Von Bedeutung ist, daß auch bei den Raupen die neuen Zeichnungen zuerst am hintern Teile des Körpers zu entstehen pflegen. Durch diese Untersuchungen hat die Art und Weise der Zeichnung eine große Bedeutung für die Beurteilung der Verwandtschaft der Tiere und für die Systematik gewonnen. ¶
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Tier
(lat. animal). Nach einer uralten Einteilung gehören sämtliche Naturkörper zu einem der drei Reiche: Mineral-, Pflanzen- und Tierreiche. Unter diesen sondern sich wieder Tier und Pflanzen als organische Wesen von den Mineralien [* 45] als anorganischen. Während diese als starre, nur durch Ansetzen von außen wachsende Massen und, mit Ausnahme der Krystalle, auch ohne bestimmte Form in allen Teilen gleichartig sind, bestehen Tier und Pflanzen als Einzelwesen oder als Kolonien, Stöcke oder Kormen, deren Existenz durch mannigfaltige Lebenswerkzeuge (Organe) vermittelt wird.
Sie zeigen sowohl Anfang als Ende ihres Daseins und ersetzen sich durch eine aus ihnen entwickelte Nachkommenschaft, sie entwickeln unter Verbrauch ihrer Stoffe Kraft [* 46] und müssen die verloren gegangenen Stoffe durch Ernährung wieder ersetzen. Der Körper der Pflanzen wie der Tier baut sich auf aus gemeinsamen Formelementen, den Zellen (s. d.), nur die niedersten bestehen aus einer einzigen Zelle, wodurch es oft schwer wird zu entscheiden, ob man es in einem besondern Falle mit einer Pflanze oder einem Tier zu thun hat, und man hat für diese zweifelhaften Wesen ein besonderes Reich, das der Urtiere (s. d.), aufgestellt.
Alle Tier haben freie willkürliche Bewegung, sei es im ganzen als Ortsbewegung oder in einzelnen Teilen, sie haben Empfindung, ernähren sich von organischen oder von an diesen gebundenen anorganischen Stoffen, wachsen und pflanzen sich fort. Bei den niedersten Tier besteht der Leib aus einer einzigen Zelle, die alle Funktionen des tierischen Lebens verrichtet. Ihre nicht in allen Teilen gleichmäßige Substanz ist kontraktil und vermittelt durch ihre Zusammenziehungen die Ortsbewegung, reagiert gegen äußere Einflüsse, empfindet mithin, und ernährt sich durch Austausch der Stoffe der Außenwelt mit ihren eigenen.
Bei den höhern Tier besteht der Körper aus mehrern, aus der ursprünglichen Eizelle durch fortgesetzte Teilung hervorgegangenen Zellen, die, zufolge der Arbeitsteilung, meist partienweise (Gewebe), den besondern Funktionen dienstbar sind. Die Zellen bleiben entweder, aber seltener, frei (Blutzellen, Eier, [* 47] Samenzellen, Skelettkörper der Kiesel- und Kalkschwämme u. s. w.), oder sie bilden Aggregate als Epithelien, Bindegewebe (Gallertgewebe, faseriges und genetztes Bindegewebe, Hyalin- und Faserknorpel, Knochen), Muskelgewebe (glattes unwillkürliches oder vegetatives und quergestreiftes, willkürliches oder animales) und Nervengewebe.
Das Nervengewebe und die äußern Epithelien gehen aus dem äußersten, die innern Epithelien aus dem innersten, Binde- und Muskelgewebe, Blut, meist auch die Geschlechtszellen aus dem mittelsten der drei Keimblätter hervor. Die Gewebe vereinigen sich in verschiedenem Umfange zu Organen und Organkomplexen. Die Organe unterscheiden sich nach ihren Funktionen als Organe der Erhaltung der Art, Fortpflanzungsorgane und Organe der Erhaltung des Individuums. Diese letztern zerfallen wieder in vegetative, vom Bewußtsein nicht abhängige und animale, vom Bewußtsein abhängige, mit ihm verbundene.
Die erstern sind: Verdauungs-, Cirkulations- (inkl. Blut-), Secernierungs- und Atmungsorgane, die letztern Bewegungs- und Empfindungsorgane. Die Bewegungsorgane setzen sich aus aktiven, den die Muskeln innervierenden und den Willen vermittelnden Bewegungsnerven und passiven, dem Willen gehorchenden Muskeln und Nährorganen zusammen. Die Empfindungsorgane bestehen aus den äußern Reiz aufnehmenden und aus vermittelnden Teilen (Sinnesorgane und Empfindungsnerven).
Die Sinne kommen in verschiedenem Umfange bei den Tier vor. Entweder es ist nur ein Sinn, der Gefühlssinn, in der ganzen Körperoberfläche vorhanden, oder es tritt eine Arbeitsteilung ein, indem sich zunächst der Gefühlssinn an besondern, oft über die Körperoberfläche hervorragende Teile (Tastwerkzeuge) stärker als Tastsinn lokalisiert, an andern zur Wahrnehmungsfähigkeit von hell und dunkel, weiter von Farben als Sehorgane (s. Auge), an wieder andern in Gestalt eingestülpter, Feuchtigkeit, öfter auch feste Körper enthaltender Bläschen als Gehörorgane (s. Gehör) [* 48] differenziert.
Während man Gefühl, Gesicht [* 49] und Gehör als physikalische, auf Bewegung der Stoffe reagierende Sinne bezeichnen kann, sind Geruch und Geschmack chemische, d. h. es muß sich ihnen der wahrzunehmende Stoff unmittelbar als solcher mitteilen. Das Gefühl setzt sich eigentlich aus mehrern Sinnen zusammen (Sinn für Temperatur, Druck, Schwere u. s. w.) und ist teilweise auch ein chemischer, indem es z. B. auf Ätzungen reagiert. Zur Ernährung des tierischen Körpers wirken Verdauungs-, Cirkulations-, Atmungs- und Abscheidungsorgane zusammen.
Viele Tier nähren sich bloß von Pflanzen und Pflanzenteilen, andere bloß von lebendig gefangenen Tier, andere von Aas, von Knochen, Federn, Haaren, von Säften der Pflanzen und Tier, vom Kot (Koprophagen) anderer Tier, wieder andere genießen gemischte Kost. Tier, die auf ein einziges Nahrungsmittel [* 50] angewiesen sind, nennt man monophag, solche, die allerlei fressen, polyphag oder häufiger omnivor (alles fressend), fleischfressende heißen carnivor, pflanzenfressende phytophag oder herbivor.
Carnivore Tier können länger hungern als herbivore. In der Regel sind bei mehrzelligen Tier besondere Verdauungsorgane vorhanden, nur gewissen, im Nahrungsbreie lebenden, auf osmotischem Wege sich ernährenden fehlen sie (z. B. Bandwürmern). Im einfachsten Falle ist der Verdauungsapparat ein sackartiger Hohlraum des Körpers, dessen Öffnung als Mund und After zugleich funktioniert, der seine Wandungsoberfläche durch seitliche Nischen, selbst radiär verlaufende Kanäle (s. Cölenteraten) vergrößern kann; bei Schwämmen (s. d.) durchbrechen die Kanäle die äußere Oberfläche des Körpers und die so entstandenen Öffnungen (Poren) dienen zur Aufnahme von Wasser nebst in ihm enthaltener Nahrung und Sauerstoff. Meist indessen erscheinen die Verdauunqsorgane von dem übrigen Körper durch einen Zwischenraum (Leibeshöhle, Cölom) getrennt und besitzen eine besondere, die Nahrung aufnehmende (Mund) und die unverwertbaren Stoffe abgebende Öffnung (After). So stellen die ¶
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Verdauungsorgane ein sehr verschieden langes, im einfachsten Falle gerade verlaufendes, meist aber, da es länger als der Körper ist, in mannigfachen Schlingen zusammengelegtes Rohr (Verdauungstraktus) dar. Sehr allgemein lassen sich an diesem unterscheiden: eine mit Apparaten zum Aufnehmen und Zerkleinern (Zähne, [* 52] s. d.) der Nahrung ausgestattete Mundhöhle, [* 53] ein bisweilen mit einer Art Aufbewahrungsort für die Nahrung (Kropf, ingluvies) versehene Speiseröhre, die sich zu einem öfters mehrteiligen Magen erweitert, in dem die genossene Nahrung chemisch (durch den Magensaft), bisweilen auch mechanisch (Kaumagen der Insekten, Muskelmagen der Vögel) [* 54] verarbeitet wird.
Die eigentliche Verdauung, d. h. die Aufnahme der Nahrung in die Säfte des Tier, geht in dem auf dem Magen folgenden Mitteldarm vor sich. Dieser geht in den End- oder Afterdarm über, der mit dem After nach außen mündet. Mit dem Verdauungsrohr sind vielfach Drüsen verbunden, d. h. besondere durch Ausstülpung gebildete Partien desselben, die zufolge von Arbeitsteilung besondere Funktionen haben, nämlich meist zur Verdauung nötige Säfte aus ihren Zellen abzuscheiden. Solche Drüsen sind: die Speichel-, Magen-, Bauchspeichel-, Darmdrüsen und die Leber. Auch die Spinndrüsen und Malpighischen Gefäße der Insekten (s. d.) gehören hierher. Zum Herbeischaffen und Ergreifen der Nahrung dienen häufig Hilfsorgane, um den Mund stehende oder zu ihm hinführende Strudel-(Wimper-) Apparate, Tentakeln (s. d.), Gliedmaßen (Glieder- und Wirbeltiere), Rüssel (Elefanten) u. s. w.
Der durch die Verdauung zubereitete Nahrungssaft (s. Chylus) tritt durch die Darmwandung in den Körper der Tier über und bildet da, wo eine Leibeshöhle vorhanden ist, das Blut (s. d.), das sich entweder frei zwischen den Organen und zum Teil durch deren Zusammenziehungen oder durch die der Hautmuskulatur bewegt, oder aber in besondern Röhren [* 55] (Gefäßen) und durch besonders entwickelte pumpenartige Muskelstellen derselben (Herz, s. d.) angetrieben verläuft. Meist sind Gefäße von zweierlei Art vorhanden, solche, die das Blut vom Herzen weg-, und solche, die es ihm wieder zuführen (Arterien und Venen, s. Kreislauf des Blutes). [* 56]
Beide Arten Gefäße geben entweder durch sehr feine Gefäßchen (Haargefäße, s. d.) ineinander über, dann ist das Gefäßsystem ein vollkommen geschlossenes, oder aus den Arterien ergießt sich das Blut in die Leibeshöhle oder in wandungslose zwischen den Organen gelegene Räume (Blutsinus) und sammelt sich aus diesen wieder in die Venen, dann ist das Gefäßsystem nicht geschlossen. Bei geschlossenen Gefäßsystemen wird der Chylus durch besondere sog. Lymphgefäße oder Saugadern (s. Lymphe) dem Blutkreislauf [* 57] zugeführt.
Alle Tier brauchen zum Leben Sauerstoff, den sie in die ernährende Flüssigkeit mit der äußern Luft fortwährend aufnehmen, geben aber die gleichfalls mit aufgenommene unbrauchbare Kohlensäure ab. Diesen Gasaustausch nennt man Atmung (s. d.) oder Respiration. Die im Wasser atmenden Tier entnehmen den Sauerstoff der in diesem enthaltenen Luft, nicht der Substanz des Wassers selbst. Bei kleinen, namentlich das Wasser bewohnenden Tier (Protozoen, Rädertieren, Larven der verschiedensten Formen u. s. w.) kann die Atmung auf der ganzen Körperoberfläche vor sich gehen und hier finden sich meist in verschiedenem Umfange und verschiedener Anordnung Wimperapparate, die den über den Körper weggehenden Wasserstrom und damit die Zufuhr von atmosphärischer Luft fortwährend erneuern.
Sonst vollzieht sich die Atmung durch besondere Atmungswerkzeuge, die bei Wassertieren als Kiemen (s. d.), bei Landtieren als Tracheen (s. d.) und Lungen (s. d.) bekannt sind. Außer Gas (Kohlensäure) sondert der tierische Körper auch mehr oder weniger flüssige, unbrauchbare oder schädliche Stoffe ab. Bei niedersten Formen wirkt gleichfalls die ganze Körperoberfläche in diesem Sinne, meist aber finden sich hierzu besondere Exkretionsorgane (Drüsen, s. d.), wie Schweißdrüsen, Malpighische Gefäße, Nieren u. s. w. Durch die Ernährung geschieht das Wachstum der Tier, das sich bei jüngern Individuen durch Zunahme an Umfang, Gewicht und Differenzierung des Körpers, bei erwachsenen durch Ersatz der verbrauchten Substanzen oder Ersatz verloren gegangener Teile (s. Reproduktion), durch Ablagerung von Reservestoffen und durch die Fortpflanzung zu erkennen giebt. Meist, aber durchaus nicht immer, schließt das individuelle Wachstum mit dem Eintritt der Fortpflanzungsfähigkeit ab.
Die Körpergestalt der Tier ist entweder eine nicht bestimmte, individuellen Schwankungen unterliegende (bei den sog. Amorphozoen, Amöben, Schwämmen u. s. w.), oder sie ist eine bestimmte, feste. In letzterm Falle kann sie asymmetrisch sein, d. h. keine durch den Körpermittelpunkt gelegte Ebene teilt den Körper in zwei spiegelbildlich gleiche Hälften (Infusorien, parasitische Krebse, die Schollen u. s. w.), oder aber sie ist symmetrisch und zwar bilateral- oder radiärsymmetrisch.
Bilateralsymmetrische Tier können nur durch eine Ebene in zwei spiegelbildlich gleiche Teile zerlegt werden, radiärsymmetrische verhalten sich verschieden. Bei ihnen gruppieren sich gleich entwickelte Körperteilstücke (Antimeren) in größerer Zahl um eine Achse und es kommt darauf an, ob diese Zahl eine gerade oder ungerade ist. Übrigens geht die radiäre Symmetrie in die bilaterale über (Seewalzen, Herzigel, Rippenquallen) und auch bei bilateral symmetrischen Tier finden sich Anklänge an die radiäre Symmetrie (Tentakelkränze von Räder- und Moostieren, Kopffüßern u. s. w.). Im übrigen richtet sich die Gestalt der Tier nach der Lebensweise, namentlich nach der Art und Schnelligkeit, mit der, und nach dem Medium, in dem sie sich bewegen;
hurtige Tier sind schlank spindelförmig von Rumpf;
sind sie dabei Landbewohner, so sind sie hochbeinig, häufig mit Reduktion der Zehenzahl;
langsame, auf dem Boden lebende Land- und Wassertiere sind flach und breit, in der Erde hausende walzenförmig u. s. w.
Die maximale Größe der Tier ist sehr schwankend und kann von einigen Tausendstel Millimetern (Infusorien) bis 30 m (der nordische Finnwal) betragen. Sie hängt von außerordentlich vielen Umständen (z. B. Masse und Art der Nahrung, Beschaffenheit des Aufenthaltsortes, Art der Bewegung u. s. w.) ab. Die kleinsten wie die größten lebenden Tier finden sich im Wasser. Der innige Zusammenhang der Fortpflanzung und das Wachstum der Tier ergiebt sich aus einer Reihe von Erscheinungen, namentlich der ungeschlechtlichen Fortpflanzung. Bei Protozoen kommt es vor, daß das betreffende Individuum bis über die Maximalgröße wächst und dann ohne weiteres in zwei gleiche Teile zerfällt oder sich mit einer Kapsel umgiebt (sich encystiert), innerhalb derer es in eine größere Anzahl von Stücken zerfällt, die nach Sprengung der Kapsel ausschwärmen. Auch Süßwasserschwämme und ¶
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tierchen bilden in feste Hüllen eingeschlossene überwinternde Keime. Bei Würmern, See- und Schlangensternen kommt Teilung vor. Manche Polypen treiben seitliche Knospen, [* 59] die wieder zu Polypen auswachsen und sich dann loslösen; thun sie dies nicht, so bilden sie (wie auch Schwämme [* 60] und Moostierchen) zusammenhängende Stöcke, Kolonien oder Kormen, an denen die einzelnen Knospen sich verschiedenartig gestalten und funktionierend entwickeln können und dann wie Organe erscheinen. In andern Fällen pflanzen sich weibliche Individuen ohne vorhergegangene Befruchtung [* 61] fort (s. Ammenzeugung).
In der Regel ist die Fortpflanzung eine geschlechtliche und finden sich besondere, aus einem die Geschlechtsstoffe (Eier oder Samen) [* 62] bildenden, meist auch aus einem dieselben ausführenden Abschnitte und sehr oft aus Begattungsapparaten bestehende männliche und weibliche Geschlechtsorgane entweder in einem Individuum (Zwitter, Hermaphrodit) vereinigt oder durch Arbeitsteilung auf zwei verteilt. Zwitter fehlen unter den mehrzelligen Tier bei den Gliedertieren (mit Ausnahme der festsitzenden Rankenfüßer und der sehr langsam sich bewegenden Bärtierchen) und bei allen Wirbeltieren, werden indessen als häufige Ausnahmen bei einer Anzahl von Fischen beobachtet.
Die Zwitter können verschiedenartig sein: entweder ein und dieselbe Drüse (Zwitterdrüse) produziert zugleich oder hintereinander die beiderartigen Geschlechtsprodukte (im Falle erst die männlichen, so ist das Tier proterandrisch, oder erst die weiblichen, dann ist es proterogynetisch). Nur im ersten Falle tritt Selbstbefruchtung ein. Meist sind die beiderlei Geschlechtsdrüsen getrennt, haben wenigstens zum Teil getrennte Ausführungsapparate, oft auch eigene Begattungsorgane.
Auch in diesen Fällen scheint Selbstbefruchtung sehr selten zu sein, meist verbinden sich zwei Individuen und jedes von ihnen funktioniert als Weib und Mann zugleich oder das eine als Weib, das andere als Mann. Vielfach finden sich bei Zwittern und getrenntgeschlechtlichen Tier, dann aber meistens bei den weiblichen, Vorrichtungen (Brutpflegeapparate), in denen die Jungen ihre Entwicklung durchlaufen oder durch die sie die erste Zeit ihres Lebens ernährt werden. Ebenfalls nicht selten verfertigen ihnen die Alten Schutzvorrichtungen (s. Nest).
Die Jungen kommen entweder als Eier (s. Ei) oder auf einer höhern Stufe der Entwicklung, aber nie vollkommen ausgebildet auf die Welt, alle müssen noch eine postembryonale Entwicklung durchlaufen. Dieselbe kann sehr langsam und unmerklich oder ruckweise (Metamorphose) vor sich gehen und dabei eine zum Höhern fortschreitende oder eine zum Niederern rückschreitende (s. Schmarotzertum und Sessilität) sein. Die Geschlechter unterscheiden sich häufig nicht bloß durch die Verschiedenheit der Geschlechtsorgane (sog. primäre Geschlechtscharaktere), sondern auch noch durch sog. sekundäre, und meist ist dann das männliche das besonders ausgestattete, buntere, schnellere, größere, besser bewaffnete u. s. w. (S. Zuchtwahl.)
Unsere jetzige Tierwelt ist nicht ein für sich bestehendes Ganzes, sondern, wie Darwin (s. d.) zeigt, in steter Umwandlung begriffen und aus steter Umwandlung früherer Typen hervorgegangen, sodaß die Entwicklungsgeschichte des Tierreichs durch die Perioden der Erdgeschichte hindurch ebenfalls in das ^[richtig: den] Bereich der Studien über das Tierreich gezogen werden muß. Die Lehre von dem innern und äußern Bau der Tier (Zootomie oder vergleichende Anatomie und Zoologie im engern Sinne), vergleichende Entwicklungsgeschichte (Ontogenie) und die histor.
Entwicklung aus frühern Typen (Phylogenie) müssen demnach zusammenwirken, um die Klassifikation des Tierreichs herzustellen, über deren Grundsätze nebst Anwendung derselben vielfach gestritten worden ist und noch gestritten wird. Jetzt erkennt man ziemlich allgemein zwei ungleich große Gruppen an: nämlich die einzelligen Urtiere (Protozoa) und die weit zahlreichern vielzelligen Tier (Metazoa), die in die großen Klassen oder Typen der Hohltiere (Coelenterata), Stachelhäuter [* 63] (Echinodermata), Würmer [* 64] (Vermes), Molluskoiden (Molluscoidea), Weichtiere oder Mollusken [* 65] (Mollusca), Gliederfüßer (Arthropoda), die zusammen die Unterabteilung der wirbellosen Tiere (Evertebrata) ausmachen, und Wirbeltiere (Vertebrata) zerfallen (s. die betreffenden Artikel).
Wenn bei niedern Lebewesen die Frage, ob dieselben dem Tier- oder Pflanzenreiche zuzuzählen sind, oft schwierig oder zweifelhaft ist, so daß für sie von Hogg unter dem Namen Protoktisten, später von Haeckel unter dem von Urtieren (s. d.) ein besonderes Reich aufgestellt wurde, so wurde die nahe Zusammengehörigkeit des gesamten Tier- und Pflanzenreichs neuerdings durch Beobachtungen von Bütschli, Straßburger u. a. dargethan, nach denen die Vorgänge der Befruchtung und ersten Entwicklung bei Tier und Pflanzen wesentlich gleich sind. (S. Zoologie.) - Über Tierverbreitung s. Tiergeographie nebst Karte I und II. Über Schutzmittel der s. Schutzmittel nebst Tafel (Bd. 17).
Rechtliches. Wilde Tier oder zahme Tier, welche vom Eigentümer derelinquiert sind, können von jedem eingefangen werden, soweit nicht das Jagdrecht (s. d.) und das Fischereirecht (s. d.) oder die zum Schutze der Vögel erlassenen Bestimmungen (Reichsgesetz vom Grenzen [* 66] ziehen. Wilde Tier, welche eingefangen waren, hören nach bisherigem Recht auf im Eigentum zu stehen, wenn sie die natürliche Freiheit so wiedergewinnen, daß die Tier die gewohnheitsmäßige Rückkehr aufgegeben haben; nach dem Deutschen Bürgerl.
Gesetzbuch wird ein gefangenes wildes Tier, das die Freiheit wieder erlangt, herrenlos schon wieder, wenn es der Eigentümer nicht unverzüglich verfolgt oder er die Verfolgung aufgiebt. Wer herrenlose Tier ohne Verletzung des Jagd- oder Fischereirechts eines andern einfängt, um sie sich zuzueignen, wird Eigentümer. Über Haustauben s. d. (vgl. Einführungsgesetz zum Bürgerl. Gesetzb. Art. 130). Ausziehende Bienenschwärme dürfen vom Eigentümer auch über fremdes Eigentum (gegen Schadenersatz) verfolgt und auf fremdem Eigentum an einem, in Österreich [* 67] in zwei Tagen von ihrem Eigentümer wieder eingefangen werden. Nachher, oder wenn der Bieneneigentümer die Verfolgung aufgegeben hat, darf sie der Grundeigentümer sich zueignen. Nach Deutschem Bürgerl. Gesetzbuch muß der Eigentümer den Schwarm unverzüglich verfolgen, sonst und ebenso, wenn er die Verfolgung aufgiebt, wird dieser herrenlos (§. 961). S. auch Bienenrecht.
Über die Haftung des Eigentümers eines schadenstiftenden Tier zum Schadenersatz s. Gefährliche Tiere, Pfändung, Pauperies. Nach dem Deutschen Bürgerl. Gesetzb. §. 833 haftet der, welcher ein Tier hält, wenn dasselbe einen Menschen tötet oder gesundheitlich verletzt oder eine Sache beschädigt, für den Schaden. Eine Haftung für den durch das Tier zugefügten Schaden trifft nach §. 834 auch den, welcher die Führung der Aufsicht über das Tier durch Vertrag übernimmt ¶