Tibetische
Sprache und Litteratur. Die tibetische Sprache ist eine der einsilbigen Sprachen Ostasiens und bietet die seltene Erscheinung dar, daß sie sich, obschon bereits vor mehr als 1200 Jahren zur Schrift- und Litteratursprache erhoben, infolge einer fast abgöttischen Verehrung des geschriebenen Wortes bis heute unverändert erhalten hat, während Stil und Redeformen Umgestaltungen erfuhren. Daher zeigen sich bei Vergleichung von Schrift und Laut Abweichungen in ähnlichem Maß wie im Französischen.
Alphabet und Schrift (von links nach rechts) sind dem Altindischen nachgebildet; doch wird eine Druckschrift, eine Kursiv und eine Schnellschrift unterschieden. Man schneidet die Buchstaben sehr schön in Holzblöcke und druckt damit; bewegliche Lettern kennt man nicht. Der Schrift sind zusammengesetzte Konsonanten eigen, wie im Sanskrit. Das Tibetische hat 30 Konsonanten; Diphthonge fehlen. Beim Schreiben trennt man jede Silbe durch einen Punkt. Die Flexion wird meist durch Anfügung von Stammbildungsendungen (Affixen und Suffixen) ersetzt. Es gibt zwei Modi: Infinitiv und Imperativ, und drei Tempora: Präsens, Perfektum und Futurum.
Das Verbum ist durchweg unpersönlich, Aktivum und Passivum werden nicht unterschieden; das handelnde Subjekt eines transitiven Zeitworts steht im Instrumental (»durch mich ist gethan«). Die Syntax kennt nur wenige feste Regeln, worunter obenan steht, daß der einfache Satz mit dem Zeitwort schließt. Grammatiken des Tibetischen verfaßten der Missionär Schröter (mit Wörterbuch, Serampur 1826),
der Ungar Csoma (ebenfalls mit Wörterbuch, Kalk. 1834), J. F. Schmidt (Petersb. 1839-41), Foucaux (Par. 1858) und besonders Jäschke (»Tibetan grammar«, 2. Aufl., Lond. 1883),
der auch ein »Tibetan-English dictionary« (das. 1882) und ein großes »Handwörterbuch der Tibetsprache« (Gnadau 1871-75) herausgab. Die tibetische Litteratur besteht ihrem geistlichen Teil nach zumeist aus Übertragungen aus dem Sanskrit, die mit wenigen tibetischen Originalwerken zwei Hunderte von Bänden starke Sammlungen füllen, den Kandschur (s. d.) und den neuern Tandschur. Die Profanlitteratur an Erzählungen, Gedichten, Geschichtswerken ist nicht unbedeutend, aber noch wenig bekannt. An der Herausgabe und Übersetzung tibetischer Texte beteiligten sich der Ungar Csoma, die Deutschen J. F. Schmidt, A. Schiefner, H. A. Jäschke, E. Schlagintweit, die Franzosen Foucaux und Feer.
Vgl. Hodgson, Essays on the languages, literature and religion of Nepal and Tibet (Lond. 1874).