das größte Hochland
der Erde, in
Centralasien, erstreckt sich zwischen 79 und 102° östl.
L. und 28 und 36°
nördl.
Br., umfaßt somit etwa 2 Mill. qkm, unter Einrechnung des Gebietes des
Kuku-nor. Im S. bildet
der Himalaja, im W. die Gegend des Zusammentreffens des Kara-korum und
Kuen-lun, im O. die Bergzüge der chines.
ProvinzSze-tschwan
die Grenze. Im SO. ist sie unsicher, verläuft aber ungefähr unter 30° nördl.
Br. quer über die Flußthäler des Saluen, Me-kong und Jang-tse-kiang. (S. Karte: Innerasien, beim
ArtikelAsien.)
[* 5]
Im N. nahm man gewöhnlich den
Kuen-lun als Grenze an, durch neuere
Reisen wurde aber festgestellt, daß dieses
Gebirge sich mit zahlreichen Parallelketten nach Tibet hinein erstreckt und dieses Hochland so vollständig durchdringt,
daß Tibet und der
Kuen-lun unzertrennlich sind.Tibet ist daher als ein gefaltetes Gebirgsland aufzufassen,
dessen einzelne Höhenrippen in ostsüdöstl.
Richtung verlaufen und zwischen sich gewaltige Hochmulden tragen, die mit dem Schutt der Gebirgsketten erfüllt und von
Sand und
Staub bedeckt sind. Durch diese Ausfüllung mit Verwitterungsprodukten der umliegenden
Gebirge kommen die Hochebenen
zu stande, die etwa.3500–5000 m ü.d.M. liegen und im Westen des 90.° meist abflußlos oder mit salzigen
Seen bedeckt sind, im
Osten von den Oberläufen chines. und hinterind.
Flüsse
[* 6] durchzogen werden, während im äußersten
Süden
der Indus nach WNW., der
Brahmaputra (Sang-po) nach OSO. verlaufen.
Über diesen Ebenen und Seen, von denen der Tengri-nor 4630 m hoch liegt, erheben sich die Gebirgsketten
zu 6000–7500 m Höhe, also trotz ihrer gewaltigen absoluten Höhe nicht mehr allzu hoch über dem Hochlande. Die größte
Gipfelhöhe enthält das Dupleixgebirge. Näheres s.
Kuen-lun. Im S. trennt das eigentümliche 7500 m hohe
Tana-la-Gebirge,
ein in südsüdwestl.
Richtung gegen Lhassa ziehender Hochrücken, das westliche abflußlose Tibet von dem
östlichen; dieses
Gebirge trägt die
Quellen der drei großen
Ströme Hinterindiens.
Nordöstlich davon entspringt der Hoang-ho aus zwei Quellseen. Wahrscheinlich bestehen alle
GebirgeT.s aus krystallinischen,
archäischen
Schiefern, Silur und
Devon;
[* 7] jüngere
Ablagerungen scheinen zu fehlen.
Das Klima wird bedingt durch die Höhenlage
und den
Mangel an Niederschlägen. Es ist daher trocknes Höhenklima mit tiefen Winter-, ziemlich hohen
Sommertemperaturen und großen Schwankungen zwischen der
Tages- und Nachttemperatur. Am schroffsten ist der Wechsel im
Frühling
und
Sommer, mit
Stürmen,
Bewölkung und plötzlicher
Abkühlung, am angenehmsten ist der Herbst; die Eisdecke des
Kuku-nor schmilzt
im April.
Heftige Nord- und Nordweststürme erfüllen die Luft mit
Staub, brechen aber um Sonnenuntergang ab; meist wehen sie im Winter
und
Frühling. Die Niederschlagsmenge beträgt kaum 200
mm im Jahr, daher der Wassermangel, so daß die Wasserläufe den Schutt
der
Gebirge nicht abzuführen vermögen. Nur
Ost- und Südosttibet erhält mehrRegen. Der Winter ist schneearm,
die Schneelinie rückt im
Sommer bis über 5000 m, im Norden
[* 8] des Kara-korum bis 5670 m, im
Marco-Polo-Gebirge bis 4900 m empor,
so daß Pässe von 5000 m oft schneefrei sind. Im ganzen steigt sie nach
Osten aufwärts. – Die
Vegetation beschränkt sich
in den baumlosen Wüstensteppen auf Gräser,
[* 9] Dornsträucher, salzliebende Gewächse,
Allium,
[* 10] Chenopodium,¶
mehr
Astragalus,
[* 12] Artemisien, verkümmerte Nadelhölzer;
[* 13] an Sümpfen kommen Schilf, Ried, Nesseln, Wermut, Potentillen vor; doch sind
die Ebenen häufig nur von Kies, Geröll und Sand, im Südosten auch von Löß erfüllt. In denGebirgen unter 3300 m stellen
sich Weiden, Tamarisken, Pappeln ein, über 3300-3900 m lebt eine hochalpine Staudenflora, und im Osten ruft
der größere Wasserreichtum frischere Vegetation hervor. Frischgrüne Weiden und weinumrankte Pappeln stehen in den Flußthälern,
im Sommer sprießen zahlreiche Blumen, aber dürre Wüsten treten dazwischen sogleich auf, wenn Wasser fehlt. In Osttibet findet
sich Wald aus Birken, Wacholder, Pappeln, Espen oder PinusobovataAnt.-
Von Tieren leben auf den Wüstensteppen der Yack in Herden bis zu 1000 Stück, die Antilopen Procapra und
Pantholops, die Saiga-Antilope, das Moschustier, Nager und Maulwürfe, das weißbrüstige Felsschaf Argali, der Pfeifhase,
Murmeltiere, Wühlmäuse, Hamster, der tibetan.Wolf und der BärUrsus lagomyiarius, endlich der Wildesel Kulan (Asinus kiang).
Der Reichtum an Tieren grenzt an grasigen, bewässerten Stellen ans Fabelhafte. Einheimische wie Zugvögel
sind häufig, besonders Geier, Raben, Schneefinken, der Star Podoces, an den Sümpfen Reiher, Kraniche, Steinhühner, Schnepfen
und Raubvögel.
[* 14]
Die Bewohner sind im Norden Nomaden, im Süden und Osten seßhaft, im ganzen ein Halbkulturvolk mongol. Rasse (s.
Tafel: Asiatische Völkertypen,
[* 11]
Fig. 8, beim ArtikelAsien). Die nördlichen sind dunkler, die südlichen
heller. Eine Mittelstellung nehmen die Tanguten des Nordens zwischen Tibetanern und Mongolen ein, ein in Zeltlagern lebendes
Nomadenvolk. Im Süden sind die, aus Bruchsteinen erbauten, festungsartig gestalteten, düstern Häuser zu Ansiedelungen vereinigt.
Die Volksdichte ist gering, im Süden und Osten 10-25 pro Quadratkilometer, im Norden (Zajdam) 1-10 pro
Quadratkilometer; der Nordwesten, die Mitte sowie Teile des Nordens sind fast menschenleer. (S. auch Indische Ethnographie,
Bd. 17.) über die Religionen von s. Buddhismus (Bd.
17).
der ganze Rest ist ein chines.
Nebenland mit 1 912000 qkm und 1 165000 E., Hauptort ist Lhassa (s. d.).
Ackerbau ist nur möglich im Brahmaputragebiet, in
den Thälern der östl. Flüsse und im Zajdam. Ausgeführt werden Wollwaren, Filz, Metallwaren, Gold,
[* 15] Edelsteine,
[* 16] Moschus, Pelze, Hirschhorn; eingeführt Thee, meist Ziegelthee aus Han-tou und Sze-tschwan, Tabak,
[* 17] seidene Tücher. Ein chines.
Resident sitzt in Lhassa, Garnisonen liegen in den größern Orten. Der Westen des Landes heißt Khor oder Ngari, der Osten
Minjak; den Süden, Bodjul, nehmen die Landschaften Tsang, Wei oder Ü und Kham ein. Den Nordwesten bezeichnet
man als Katschi, den Norden als Zajdam (Tsaidam) und Kuku-nor.
Die Erforschung T.s und des Kuen-lun gehört ausschließlich der Neuzeit an. Theoretisch erfaßte den Charakter des Gebietes
zuerst Humboldt auf Grund chines. Quellen, vollständiger dann F. von Richthofen. 1856 überschritten die
BrüderSchlagintweit zuerst den westl. Kuen-lun, der seitdem besonders von Engländern und Russen ausgiebig durchforscht wurde;
unter ihnen ragen hervor Hayward (1868-70), die
beiden Expeditionen von Forsyth (1870 und 1873-74), bei deren zweiter der
Deutsche
[* 18] Stoliczka eine mustergültige geolog.
Durchforschung des Gebirges ausführte; ferner Grombtschewski (1888-90) und Bogdanowitsch (1889). Die Entschleierung
der Kettenzüge des mittlern Kuen-lun ist in erster Linie das Lebenswerk Prschewalskijs (1870-85). Neben ihm sind dann ferner
noch zu nennen: der Pandit A-K- (Kischen-Singh, 1879-82), Carey und Dalgleish (1885-87), Rockhill (1889),Bonvalot und Henri
von Orleans (1889-90) und besonders die Expeditionen von GrafSzéchenyi (1879-80), wobei Bogdanowitsch die
nordwestlichen, von Loczy die nordöstl.
Teile des mittlern Nordrandes geologisch untersuchten. Die Erforschung der östl. Teile ist das Verdienst F. von Richthofens
(1869-72), sowie von Obrutschew (1892-93) und Sven Hedin (1894-95). In neuester Zeit näherten sich die Expeditionen von
Bonvalot und dem Prinzen Henri von Orléans,
[* 19] Rockhill (1891-92), MißTaylor (1892-93), Bower (1891-93), Dutreuil
de Rhins und Grenard (1891-94) und Littledale (1894-95), schließlich bis auf nur zwei Tagemärsche Lhassa. Den äußersten
Südosten T.'s, die Gebirge zwischen Mekong, Irawadi-Quellen und Assam, erforschten 1895 Prinz Henri von Orléans und Roux.
Geschichte. Als die Wiege des TibetischenReichs wird die Gegend am Ja-lung-kiang in der jetzigen ProvinzSze-tschwan betrachtet. Dort saßen um 1240 v. Chr. die von den ChinesenK'iang oder Ti-K'iang genannten Stämme, welche um 1049 als
Bundesgenossen des Kaiserhauses Tschou auftraten und 626 v. Chr. dem Fürsten von Tsin halfen, den von Thsin in Ho-nan zu besiegen.
Die einheimische Geschichte der Tibeter oder Bod leitet ihre Könige von den ind. Sakja ab, denen der
gleichnamige Buddha angehörte. Um die Mitte des 1. Jahrh. v. Chr. beginnt nach der Königsliste von Ladach mit Buddha-sri oder
Nja-Khri-Tsan-po die Reihe der Könige von Jar-Lung.
Unter dem chines. Kaiserhause der Han wurden die Tibeter 162 und 115 n. Chr. in Schen-si besiegt,
ebenso 225 bei Ja-tschou durch den kaiserl. Feldherrn Tschu-ko-liang. Erst unter dem 25. Könige Hla-Tho-Tho-Ri breitete sich
um 463 die Buddhalehre aus. Der Sitz der Könige war schon auf dem Mar-pho-ri (dem «roten
Berge») bei Lhassa. Unter dem 29. Könige Nam-Ri-Srong-Tsan (578-629) erstreckte sich das Reich bis an
die Grenze von Indien. Die damals mächtigen Thusan der chines. Geschichtschreiber waren ein den Tibetern
verwandter Stamm.
Seit dem 7. Jahrh. dehnte sich das Reich über Baltistan aus. Auch im Tarimbecken suchten die Tibeter festen Fuß zu fassen,
wo sie indessen Ende des 7. Jahrh. mit den Chinesen in Kriege verwickelt wurden. Unter Khri-Tsong-de-tsan
(742-786), welcher in Samjas am Brahmaputra seinen Sitz hatte, erstreckte sich die tibet. Herrschaft bis an die Grenzen
[* 20] des
Chalifenreichs. Unter Ral-Pa-Tschan wurden Gelehrte aus Indien berufen, ind. Maß und Gewicht eingeführt und die großen Werke
Kandschur und Tandschur begonnen. Später zerfiel in mehrere kleinere Reiche, von denen Ngari und Ladach
bald voneinander getrennt, bald vereint waren, während im O. die Nan-tschao von Jün-nan aus vordrangen und im NO. das Reich
der wohl teilweise verwandten Tanguten bestand. Um 1125 unterwarfen sich die Tibeter dem Kaiser von China,
[* 21] wurden aber bald
von den Altan-Chanen besiegt, die ihrerseits später der Macht der Mongolen
¶
mehr
erlagen. Unter der mongol. Herrschaft wurde Pagspa 1260 als geistliches Oberhaupt der Anhänger der Buddhalehre anerkannt.
Nach Vertreibung der Mongolen ans China entwickelte sich aus dieser geistlichen eine weltliche Herrschaft, und der oberste
LamaTson-kha-pa (geb. 1355) aus dem alten königl. Geschlecht (s.
Lamaismus) herrschte auch im westlichen Tibet bis nach Ladach. Mit Anfang des 16. Jahrh. begannen die Einfälle
der Westmongolen (Oirat, Ölöt). Um 1566 wurde das Land von den Ostmongolen unterworfen. 1578 erkannten die Ostmongolen
Sodnam-Gyamtso als Dalai-Lama an. 1624 fand der Jesuitenpater Andrade bei seiner Anwesenheit in Tschaprang in Ngari das Land
unter der Herrschaft von Ladach vor. 1644 besetzte der Kuschi-Chan, der Khoschot eines Mongolenstammes,
der sich unter den Tibetern des Kuku-nor-Gebietes niedergelassen hatte, für seinen Freund, den Dalai-Lama, das eigentliche
Tibet. Damals wurde auch Ngari wieder mit dem östlichen Tibet vereinigt.
Schon zuvor waren zwei Gesandtschaften an den Hof
[* 23] des Mandschukaisers gesandt, um sich der Hilfe dieser
aufsteigenden Macht zu versichern. Später herrschte der Dalai-Lama in Lhassa, während die Nachfolger der Kuschi-Chans von
Schigatse aus das westl. Reich beherrschten. Dem vom Depa 1706 aufgestellten Dalai-Lama stellte Ladsan-Chan in Schigatse einen
andern gegenüber; indessen erkannte das unzufriedene Volk einen dritten, den 10jährigen Kar-tsang-Gyamtso, an, welcher auf
des KaisersBefehl seinen Aufenthalt in Si-ning nehmen sollte. 1709 und 1717 wurde das innere Tibet von den Söngaren erobert
(s. Dsungarei), welche erst 1719 durch ein chinesisches, von den Khoschoten unterstütztes Heer vertrieben wurden.
Nunmehr verwalteten zwei khoschotische Fürsten das vordere und hintere Tibet unter chines.
Oberherrlichkeit. Die von den Söngaren vertriebenen röm.-kath. Missionare
durften zurückkehren. Nach dem von den Söngaren geschürten Aufstande von 1724 bekam das Land chines. Besatzung, und bei
Gelegenheit der Unterdrückung des Aufstandes von 1747 wurde die Herrschaft der Khoschotenfürsten beseitigt. Ein Statthalter
leitete nunmehr im Namen des Dalai-Lama die Verwaltung.
Hierzu war zunächst auf den König von Lhassa zurückgegriffen worden; als sich indessen sein Sohn unabhängig
zu machen suchte, wurde er 1750 hingerichtet, und seitdem wurden Chinesen und Mandschu zu Statthaltern ernannt. 1786-92 fanden
siegreiche Kriege mit den Gorkha von Nepal, 1841 mit Kaschmir
[* 24] statt. Ein Krieg mit Nepal 1854-56 führte zur Zulassung einer
Warenniederlage der Gorkha in Lhassa. In den sechziger und siebziger Jahren fanden wiederholt heftige Aufstände statt, ohne
indes ernsthaftere Folgen zu hinterlassen. Die Absperrung gegen jeden europ. Einfluß ist in neuerer Zeit so weit getrieben
worden, daß die engl.-ostind. Regierung sich ind. Gelehrter (s. Pandit) bedienen mußte, um die Kenntnis
des Landes zu vermehren. Infolge von Grenzstreitigkeiten zwischen Sikkim und Tibet wurde 1890 ein Vertrag geschlossen, der in
Dardschiling durch Bestimmungen zur Erleichterung des Verkehrs ergänzt wurde. -
Marston,
The great closed land (ebd. 1895), sowie
die Reiseberichte Prschewalskijs, Bonvalots, Bowers, Grenards, Littledales, Obrutschews,
Rockhills u.s.w.