Thugut
,
Franz Maria, Freiherr von, österreich. Staatsmann, geb. zu Linz, [* 2] fand 1752 Aufnahme in die orientalische Akademie zu Wien, [* 3] ward 1754 als Sprachknabe (Dolmetschgehilfe) mit einer Gesandtschaft nach Konstantinopel [* 4] geschickt, hierauf 1757 zum Dolmetsch, 1769 zum Geschäftsträger bei der Pforte, 1770 zum Residenten und 1771 zum Wirklichen Internunzius daselbst ernannt. Auf dem Friedenskongreß von Fokschani 1772 bewies er als österreichischer Botschafter große diplomatische Gewandtheit und ward von Maria Theresia dafür in den Freiherrenstand erhoben.
Durch eine Konvention mit der Pforte bewirkte er 1776 die Abtretung der Bukowina an Österreich. [* 5] Nachdem er an den Höfen von Neapel, [* 6] Versailles [* 7] und Berlin [* 8] diplomatisch thätig gewesen, ging er 1780 als Gesandter nach Warschau, [* 9] 1787 nach Neapel und 1788 als Hofkommissar in die Moldau und Walachei, deren Verwaltung er bis 1790 leitete. Er beteiligte sich hierauf an den Friedensunterhandlungen mit der Pforte zu Sistova und leitete in Paris [* 10] die Unterhandlungen zwischen der Königin Maria Antoinette und dem Grafen Mirabeau. Nach seiner Rückkehr im J. 1792 wurde er zum Armeeminister bei dem Heer des Prinzen von ¶
mehr
Koburg, [* 12] welches die verlornen Niederlande [* 13] wiedererobern sollte, ernannt und Generaldirektor der Staatskanzlei unter Kaunitz und damit thatsächlich, nach Kaunitz' Tod 1794 auch formell, Minister der auswärtigen Angelegenheiten. Ein Mann von Geist und Talent, aber ränkevoll und gewissenlos, schärfte er durch seine unruhige, neidische Eroberungspolitik den Gegensatz zwischen Österreich und Preußen, [* 14] dessen Plänen er in Polen auf alle Weise hindernd in den Weg trat, ohne für Österreich Wesentliches zu erreichen, während er die energische Kriegführung der Koalition gegen Frankreich empfindlich schädigte.
Nachdem er auf diese Weise Österreich in Deutschland [* 15] isoliert hatte, verschuldete er den unglücklichen Ausgang des Kriegs und mußte auf Napoleons I. ausdrückliches Verlangen bei dem Abschluß des Friedens von Campo Formio 1797 aus dem Ministerium scheiden. Er ging darauf als bevollmächtigter Minister in die neuerworbenen italienischen und Küstenprovinzen, übernahm 1799 beim Wiederausbruch des Kriegs aufs neue das Portefeuille des Auswärtigen, trat aber schon im Dezember 1800 wieder zurück und lebte fortan zu Preßburg [* 16] und Wien, wo er starb.
Vgl. Vivenot, Thugut
, Clerfayt und Wurmser 1794-97 (Wien
1869);
Derselbe, Thugut
und sein System (das. 1870, 2 Tle.);
Derselbe, Vertrauliche Briefe des Freiherrn v. Thugut
(das. 1871, 2 Bde.).