Titel
Thorn.
[* 3]
1)
Kreis
[* 4] im preuß. Reg.-Bez. Marienwerder,
[* 5] hat 911,36 km und (1895) 92 912 (48 518 männl., 44 394 weibl.)
E., 2
Städte, 67 Landgemeinden und 82 Gutsbezirke. - 2) Thorn
, poln. Torun, Kreisstadt
im
Kreis Thorn
und Festung,
[* 6] rechts an der hier 750 m breiten, in zwei
Arme geteilten Weichsel, über die eine 1000 m
lange eiserne Eisenbahnbrücke führt, an den Linien Schneidemühl-Thorn
-Insterburg (438 km),
Posen-Thorn (141 km), Thorn
-Alexandrowo
(17,2 km) und der
Nebenlinie Thorn
-Marienburg (137,2 km) der
Preuß.
Staatsbahnen
[* 7] (Hauptbahnhof, linkes Ufer, und Stadtbahnhof, rechtes Ufer der Weichsel), ist Sitz des Landratsamtes, eines
Landgerichts (Oberlandesgericht Marienwerder) mit neun
Amtsgerichten
(Briesen, Culm,
[* 8] Culmsee,
Gollub,
Lautenburg,
Löbau,
[* 9] Neumark,
Strasburg, Thorn
), eines Amtsgerichts, Hauptzollamtes, einer Handelskammer, Reichsbankstelle sowie der Kommandos
der 70. und 87. Infanterie-, 2. Fußartilleriebrigade, 4. Festungsinspektion, eines Gouvernements, einer Kommandantur, Fortifikation,
eines
Artilleriedepots und
Bezirkskommandos und hat (1895) 30 314 (17 955 männl., 12 359 weibl.) E., darunter 11 422 Katholiken
und 1194 Israeliten, in Garnison die Infanterieregimenter von Borcke (4. pommersches) Nr. 21 und
von der
Marwitz (8. pommersches) Nr. 61,
Stab,
[* 10] 2. und 3.
Bataillon des Infanterieregiments Nr. 176, das Ulanenregiment von Schmidt
(1. pommersches) Nr. 4, Fußartillerieregiment Nr.
11,
Stab und 1.
Bataillon des Fußartillerieregiments Nr. 15 und das pommersche
Pionierbataillon Nr. 2, je 1 Post- und
Telegraphenamt erster
Klasse, drei Stadtpostanstalten mit
Telegraph,
[* 11] Fernsprecheinrichtung,
Pferdebahn zwischen Stadtbahnhof und
Bromberger Vorstadt. Thorn
besteht aus der
Altstadt
[* 1] ^[Abb.] ¶
[* 12] ^[Abb. 1. 3. Morgen und Nacht (Reliefs). 2. Himmlische Weisheit (Marmorfigur vom Grabmal Pius' VII. in der Peterskirche zu Rom). [* 13] 4. Mittelgruppe aus dem Alexanderzug (Marmorfries).] ¶
mehr
(gegründet 1231) und der Neustadt [* 15] (1264), welche 1454 vereinigt wurden. Hierzu ist durch Verlegung der Festungsumwallung im O. die zum Teil noch unbebaute Wilhelmstadt gekommen. Die den südwestl. Teil der Altstadt abschließende Mauer nebst Graben ist 1887/88 eingeebnet. Nach dem Weichselufer zu wird die Stadt von einer krenelierten Mauer mit Thor- und Flankentürmen, im übrigen von Festungswerken und Forts (s. unten) umgeben. Außerhalb der Festungswerke liegen im N. die Culmer, im O. die Jakobs- und im W. die Bromberger und Fischervorstadt.
Die Stadt hat je 3 evang. und kath. Kirchen, darunter die kath. Johanniskirche mit dem ältesten Bild des Kopernikus,
eine Synagoge, ein Bronzestandbild (1853) des Kopernikus von Tieck, Kriegerdenkmal (1880) mit Mosaikbildern, Bayerndenkmal, 1888 vom
Königreich Bayern
[* 16] zu Ehren der 1813 bei der Verteidigung von Thorn
gefallenen Bayern errichtet, mehrere durch schöne Giebel
beachtenswerte Privathäuser im althanseatischen Stil, ein Rathaus mit Turm
[* 17] (40 m), kunstvollen Thüren und wichtigem Archiv,
Reste des 1454 zerstörten Ordensschlosses (ein Turm, der sog. Dansker, mit schönem Schwibbogen), einen schiefen Turm (15 m
hoch, mit Abweichung von 1,5 m) der alten Festungsmauer, Artushof, 1889-91 neu erbaut (Gesellschaftshaus mit Konzertsaal),
ferner ein königl. Gymnasium, 1568 errichtet, seit 1855 mit Realgymnasium verbunden, städtische
und private höhere Mädchenschule, erstere mit Lehrerinnenseminar, Mittelschulen, Museum, Krankenhaus,
[* 18] Siechenhaus, Wilhelm-Augusta-Stift, Waisenhaus, Hospitäler, Wasserwerk, Kanalisation, Gasanstalt, Schlachthaus, Vorschußverein,
Polnischer Darlehnsverein, Kreditgesellschaft, städtische und Kreissparkasse.
Die Industrie liefert Maschinen, Seife, Schnupftabak, Mineralwasser, Schokolade, Sprit, Essig und berühmten Pfefferkuchen; ferner
bestehen 2 Dampfmühlen, 6 Dampfsägewerke, 5 Brauereien, Bautischlerei und Bauschlosserei, Ziegelei, lebhafter Handel mit
Getreide,
[* 19] Holz,
[* 20] Wein, Steinkohlen, Kolonial- und Eisenwaren, Wollmarkt, Jahr-, Schweine-, Pferde- und Viehmärkte.
Bei Thorn
ein Schießplatz für die Fußartillerie. Thorn
steht mit Polen, Danzig,
[* 21] Stettin
[* 22] und Berlin
[* 23] durch Schiffahrt in Verbindung.
Frachtdampfer befahren die Weichsel von Warschau
[* 24] ab bis Danzig, Personendampfer von Warschau bis Thorn
1895 fuhren zu Berg 410 beladene
und 26 unbeladene Frachtschiffe mit 59000 t Tragfähigkeit und 33000 t Gütern, zu Thal
[* 25] 465 und 11 Schiffe
[* 26] mit 57000 und 39000 thorn.
Geschichte. Thorn
wurde 1231 vom Deutschen Orden
[* 27] gegründet und durch deutsche Einwanderer bevölkert; die Ansiedler erhielten das
unter dem Namen Culmer Handveste bekannte Privilegium. Auf der «Bazarkämpe»
wurde 1411 zwischen dem Deutschen Orden und den Polen der erste Thorner Friede geschlossen, in dem Samogitien an Polen abgetreten
wurde. Nachdem sich die Stadt 1454 vom Deutschen Orden losgesagt und dem Schutz des Königs von Polen übergeben hatte, eroberten
und zerstörten die Bürger (6. Febr.) das Ordensschloß; den darüber ausgebrochenen Krieg beendete 1466 der
zweite Thorner Friede. (S. Deutsche Ritter.)
[* 28] Der Rat und die Bürgerschaft von Thorn
bekannten sich 1557 zur luth.
Lehre. [* 29] Vom 28. Aug. bis fand auf Veranlassung des poln. Königs Wladislaw IV. zu Thorn das sog. Colloquium charitativum zur Versöhnung der Katholiken, Lutheraner und Reformierten statt, das aber nur Erbitterung der Gemüter zur Folge hatte. Streitigkeiten der Jesuitenschüler mit Schülern des prot. Gymnasiums bei einer Prozession am Skapulierfest, verursachten Unruhen, wobei das Jesuitenkolleg vom Volke erstürmt wurde. Dieser Vorfall wurde von der poln. Regierung mit unerhörter Grausamkeit durch das sog. Thorner Blutbad bestraft, indem der Bürgermeister der Stadt, Joh. Gottfr. Rösner, nebst neun Bürgern enthauptet und ihre Güter eingezogen wurden.
Vergebens verwendeten sich die Bürgen des Friedens von Oliva, besonders der König von Preußen, [* 30] für die recht- und schutzlosen Evangelischen. Nach der zweiten Teilung Polens (1793) huldigte Thorn dem König von Preußen, im Tilsiter Frieden (1807) kam es an das Großherzogtum Warschau, durch den Wiener Kongreß (1815) wieder an Preußen. Thorn war Mitglied der Hansa und im 14. und 15. Jahrh. die erste Stadt Preußens, [* 31] «die Königin der Weichsel». Als Festung erhielt es erst im 17. Jahrh. Wichtigkeit.
Erst nach dem Tilsiter Frieden wurde Thorn von den Franzosen mit Wällen umgeben und nach der zweiten preuß. Besitznahme 1818-24 als Grenzfestung ausgebaut. Infolge der Wichtigkeit seiner Lage wurde Thorn neuerdings zu einem Waffenplatz ersten Ranges erhoben; in Entfernung von etwa 8 km liegen auf dem rechten Weichselufer Feste König Wilhelm, Forts Bülow, Yorck, Scharnhorst, Graf Dohna, Friedrich d. Gr., Heinrich von Plauen, [* 32] Herzog Albrecht, auf dem linken Ufer Großer Kurfürst, Ulrich von Jungingen, Winrich von Kniprode, Hermann Balk und Hermann von Salza. Belagert wurde Thorn 1629, 1655, 1658, 1703 und 1813. -
Vgl. Zernecke, Thornische Chronika (Thorn 1711 u. 1727);
Wernicke, Geschichte T.s (2 Bde., ebd. 1842);
Hoburg, Die Belagerungen der Stadt und Festung Thorn (ebd. 1850);
Kestner, Beiträge zur Geschichte der Stadt Thorn (ebd. 1883).