Thierachern
(Kt. Bern, Amtsbez. Thun). Kirche in 570 m, Egg in 610 m. Gemeinde und Pfarrdorf am linken Ufer der Aare; 4 km w. vom Bahnhof Thun und 2 km s. der Station Uetendorf der Gürbethalbahn (Bern-Belp-Thun); an der Poststrasse Thun-Blumenstein. Postbureau, Telegraph, Telephon; Postwagen nach Thun und nach Blumenstein. Gemeinde, mit Bei der Brügg (teilweise), Egg, Goferi, Hubel, Hurschgasse, Kärselen (teilweise), Reckholtern, Sandbühl, Schwand und Wahlen: 129 Häuser, 868 reform. Ew.; Dorf: 38 Häuser, 288 Ew. Landwirtschaft und Viehzucht.
Ein Bruchteil der männlichen Bevölkerung arbeitet in den eidg. Werkstätten in Thun. Kunstmühle; mechanische Schreinerei, Säge und Baugeschäft am Glütschbach. Torfgewinnung. Sitz der Verwaltung der eidgenössischen Liegenschaften, welche 145 ha 40 a des Gemeindeareals umfassen. Käserei. Ausser der Primarschule eine zweiteilige Sekundarschule. Thierachern besteht aus verschiedenen Häusergruppen, die teils in der von den Anschwemmungen der ehemals hier durchfliessenden Kander gebildeten Ebene, teils auf dem diese Ebene nach W. begrenzenden Moränenwall liegen.
Auf der linken Seite der ehemaligen Kanderbrücke liegt der Weiler Bei der Brügg und in der Ebene zwischen dem Kandergrien und dem inselartig aus der Ebene sich erhebenden Rebberg oder Giebel der Dorfbezirk Schwand, an den nach S. der eidg. Waffenplatz grenzt. In dem vom Glütschbach durchflossenen Thälchen zwischen dem Rehberg und dem die Egg und den oberen Teil des Dorfes tragenden Hügelwall finden sich die Häusergruppen Rebgasse, Bei der Mühle, Beim Bach und Bei der Kirche, welche zu einer ziemlich kompakten Siedelung zusammengedrängt sind.
Die 1706 an der Stelle eines ältern Baues erbaute Kirche mit dem Pfarrhaus bildet eine malerische Gebäudegruppe. In der Nähe steht ein durch seine Bauart merkwürdiges altes Haus mit einem halb unterirdischen romanischen Gewölbe. Es war früher Eigentum der schon im Mittelalter hier angesessenen reichen Familie Rennen, die 1666 ausstarb und auch auf der Egg einen (1764 abgetragenen) Landsitz besass. Oberhalb der Kirche im Walde versteckt die Ueberreste einer Burganlage unbekannter Herkunft. 500 m südwärts liegt am Rande der Allmend in unmittelbarer Nähe der Ziele des Schiessplatzes der ehemalige Landsitz Mühlematt. An der Poststrasse, die mit weiter Schlinge die Höhe gewinnt, steht das Gebäude der eidg.
Liegenschaftenverwaltung. Auf der Egg, wo die Strassen Thun-Blumenstein und Amsoldingen-Uetendorf sich kreuzen, befindet sich der stattliche Dorfplatz mit dem Wirtshaus «zum Löwen», von dessen Gallerien sich eine der schönsten Aussichten des Berner Oberlandes darbietet. Daneben ein Landsitz aus dem 17. Jahrhundert. Nördl. an der Strasse nach Uetendorf der Weiler Hubel und westl. an der Poststrasse nach Blumenstein das Dörfchen Wahlen mit dem Weiler Goferi, dem Zivilstandsamt und der Sekundarschule.
Links vom Wahlenbach die Weiler Hurstgasse, Reckholtern, Sandbühl, und Schmitti. In der Nähe mehrere Torfmoore. Die Kirchgemeinde Thierachern umfasst die politischen Gemeinden Thierachern, Pohleren, Uebischi und das bis 1576 zu Amsoldingen gehörende Uetendorf und zählt 3500 reform. Ew. 1763 wichtiger Gräberfund aus der Bronzezeit, 1903 bedeutender römischer Münzfund. Die dem h. Martin geweihte Kirche, angeblich Tochterkirche von Einigen, wird 1228 zum erstenmal erwähnt und gehörte in das Bistum Lausanne. Ob das schon im 13. Jahrhundert genannte Geschlecht derer von Thierachern Inhaber der Herrschaft war, ist ungewiss.
Ursprünglich Bestandteil der Herrschaft Strättligen, kam Thierachern an das Haus Habsburg, von welchem es 1363 den Edeln von Burgistein zu Lehen gegeben wurde. Durch Erbschaft kam es an die Mönch von Mönchenstein, von diesen durch Kauf an die Bubenberg und 1499 an die May, welche die Besitzungen in dieser Gemeinde und das Patronatsrecht bis auf die niedere Gerichtsbarkeit mehreren Bewohnern des Dorfes verkauften. Die hohe Gerichtsbarkeit gehörte schon vorher Bern an, welches Thierachern in militärischer und krimineller Beziehung dem Landgericht Seftigen zugeteilt hatte und später auch die niedere Gerichtsbarkeit erwarb.
Das Patronat verkaufte die Gemeinde 1685 an die Familie von Grafenried, von welcher es 1753 an die Familie Koch von Thun und 1773 an den Staat überging. Jakob Studer von Bern, der den Landsitz der Familie von Grafenried auf der Egg ankaufte, erwarb sich grosse Verdienste um die Kultivierung des Landes, das in der Ebene durch die zahlreichen Ueberschwemmungen der Kander grösstenteils versumpft war. In seinem Haus wuchsen seine beiden Neffen Samuel Studer (1757-1834) und Gottlieb Sigmund Studer (1761-1808) auf, ersterer als Theologe und Naturforscher bekannt, letzterer einer der Hauptvertreter des Alpinismus im 18. Jahrhundert und Zeichner vortrefflicher Panoramen, unter denen das 1788 von Thierachern aus aufgenommene und das bekannte Panorama von der Enge in Bern (1790 veröffentlicht) erwähnt seien. In der Mühlematt wohnte während mehrerer Jahre Oberst Fankhauser, der Sieger von Villmergen 1712. Dieses Landgut gelangte später an die Familie Stürler, bei welcher 1825 der Dichter Graf Platen sich aufhielt. Auf der Egg wohnte 1816 der berühmte Violinist und Komponist L. Spohr. Bis in die 60er Jahre des 19. Jahrhunderts war Thierachern eine vielbesuchte Sommerfrische. 1228: Tieracher; 1300 Thierachern.