Terrakotten
[* 2] (v. ital.
terra cotta,
»gebrannte Erde«, hierzu Tafel
»Antike Terrakotten«
),
jetzt allgemeiner Name für alle künstlerisch ausgestatteten Produkte der Töpfer und Thonbildner wie der Bildhauer überhaupt, die sich mit Kleinplastik beschäftigen. Die Technik des Formens in Thon aus freier Hand, [* 3] vermittelst der Hohlform oder auf der Drehscheibe ist uralt und war schon bei den Ägyptern, dann auch bei den Babyloniern und Assyrern hoch entwickelt. Mit bemalten und glasierten Thonfliesen sind am Nil ebenso wie am Tigris und Euphrat Wände und Fußboden der Wohnungen belegt worden.
Aber erst in Griechenland [* 4] wird die Technik aufs höchste verfeinert, die Form geadelt und mit jener Farbenpracht geschmückt, welche der klassischen Kunst in allen ihren Äußerungen eigen war. Die Aufgaben der Keramik [* 5] in dieser Zeit sind doppelter Art, sie arbeitet teils im Dienste [* 6] der Architektur und Tischlerei, teils schafft sie selbständige Gebilde: Gefäße oder Figuren der verschiedensten Größe, Gestalt und Bestimmung. Der erstgenannten Gattung gehören die kastenartigen, bunt bemalten und hart gebrannten Thonplatten an, welche in ältester Zeit (7. u. 6. Jahrh. v. Chr.) in Griechenland zur Verkleidung der Gesimsbalken an Tempeln, Schatzhäusern etc. verwendet worden sind, und deren sich eine große Anzahl in Olympia, in Sizilien [* 7] und an der von Griechen bewohnten unteritalischen Küste vorgefunden haben.
Sie waren in
Olympia mit
Nägeln auf die steinernen (ursprünglich aus
Holz
[* 8] gefertigten) Geisonblöcke befestigt und dienten
dem geringern
Material (poros), das sie bedeckten, als
Schutz und
Schmuck zugleich (vgl. Fig. 1 u. 3, Terrakotten
von
Olympia und
Selinus, und die
Schrift von
Dörpfeld u. a.: »Über die Verwendung von Terrakotten
am
Geison und
Dach
[* 9] griechischer Bauwerke«, Berl. 1881). Auch späterhin, als dieser
Gebrauch abgekommen, erhielt sich die Anwendung
von Terrakotten
als Dachstirnziegel
[* 1]
(Fig. 10) und Wasserspeier
[* 1]
(Fig.
2), und beliebt wurde zumal in römischer Zeit die
Verzierung von Wandflächen mit thönernen, bunt bemalten Relieffriesen,
deren viele in kampanischen
Gräbern zum Vorschein gekommen sind.
Hauptsammlungen der letztern im Britischen Museum (London), [* 10] im Louvre (Paris) [* 11] und im vatikanischen Museum (Rom). [* 12]
Vgl. Combe, Description of the collection of ancient terracottas in the British Museum (Lond. 1810; Campana, Opere in plastica (Rom 1842).
Auch zur Verkleidung hölzerner Geräte benutzte man frühzeitig Thonreliefs, an denen der
Hintergrund ausgeschnitten wurde,
und deren
Befestigung mit
Nägeln die im
Thon ausgesparten
Löcher bezeugen. Eine aus zahlreichen
Beispielen bekannte
Klasse derselben
bilden die nach dem Hauptfundort
(Insel
Melos) so genannten melischen
Reliefs
[* 1]
(Fig. 11). Auch
Vasen
[* 13] pflegte
man etwa seit dem 4. Jahrh.
v. Chr. mit bemalten
Reliefs an
Stelle der einfachern Gemälde zu schmücken. Besondere
Formen und
Dekorationsweisen bilden sich in
Athen,
[* 14]
Etrurien (schwarze Reliefvasen
, vasi di Bucchero) und Unteritalien
[* 1]
(Fig. 4 u.
5) aus, während in der Kaiserzeit zumeist nur einfarbig rote, mit aus Hohlformen eingepreßten
Reliefs
verzierte Thonvasen
(Fabriken von
Cales etc.) gefertigt werden (ein
Beispiel gibt
[* 1]
Fig. 6). Die höchsten Leistungen dieser
Technik
erreichte
man in der
Koroplastik, in der Herstellung kleiner Rundfiguren, die in der Form gepreßt, gebrannt, dann
mit
Pfeifenthon überzogen, aus freier
Hand nachmodelliert und in zarten Farbentönen bemalt wurden.
Manche scheinen als Spielzeug, als Zimmerschmuck gedient zu haben. Die Mehrzahl wurde für Zwecke des Kultus und des Totendienstes geschaffen. Es waren Weihgeschenke an die Götter und Toten, daher sie vorzugsweise in Gräbern gefunden werden. Ein altertümliches Sitzbild der Athene [* 15] aus einem attischen Grab zeigt [* 1] Fig. 9. Der Blütezeit griechischer Kunst aber gehören die anmutigen Terrakottafiguren an, die in erstaunlichen Mengen neuerdings bei Tanagra in Böotien, in Myrrhina, Ephesos [* 16] und andern Orten Kleinasiens, auch in Tarent (Unteritalien) ausgegraben worden sind. Der Farbenschmuck ist meist bei der Auffindung bereits zerstört, recht gut aber z. B. an einer [* 1] Figur der früher dem Grafen Pourtalès-Gorgier angehörenden Sammlung [* 1] (Fig. 7) erhalten.
Die Gegenstände sind meist dem Alltagsleben entlehnt, schöne Mädchen zum Ausgehen angekleidet, mit dem Hut [* 17] auf dem Kopf, allerlei Handwerker, spielende Knaben, seltener Darstellungen aus dem Kreis [* 18] der Aphrodite [* 19] und des Eros. [* 20] Rundfiguren dieser Art wurden dann auch gern an Vasen angebracht [* 1] (Fig. 8). In römischer Zeit fertigte man sogar lebensgroße Figuren aus Thon, für Giebelkompositionen oder als Grabdenkmäler. Die Renaissance brachte diese Technik wieder zu neuer Blüte [* 21] und stellte selbst Porträtbüsten gern in Terrakotta her (Beispiele im Berliner [* 22] Museum); vor allem aber erlangte die Schule der Robbia durch ihre in heitern Farben prangenden, glasierten Einzelreliefs (meist Madonnenbilder) hohen Ruf (vgl. Keramik und Thonwaren). [* 23]
Auch in der
Architektur der
Renaissance, besonders in der norditalienischen (lombardischen), gelangte die
Terrakotta zum
Schmuck
der äußern und Hoffassaden in reich ornamentierten
Gesimsen und
Kranzgesimsen,
Archivolten, Fensterumrahmungen,
Pilasterfüllungen,
Friesen,
Medaillons und sonstigen Zieraten zur Verwendung. Zu unsrer Zeit hat die
Baukunst
[* 24] zum
Schmuck der
Fassaden von Backsteinrohbauten noch ausgedehntern
Gebrauch von der
Terrakotta gemacht, indem auch einzelne architektonische
Glieder,
[* 25] wie
Kapitäler,
Konsolen u. dgl., nur aus
Terrakotta hergestellt werden, ferner ganze
Friese,
[* 26] Eckakroterien,
Figuren und
Gruppen zur Bekrönung von Gebäuden, für
Fontänen etc., wobei die Färbung des
Thons meist in Übereinstimmung
mit der
Farbe der für die
Fassade gewählten
Backsteine (gelb oder rot in verschiedenen
Nüancen) gehalten wird. Bei rein ornamentalen
Terrakotten
kommt auch ein- und mehrfarbige
Glasur, selbst Vergoldung zur Anwendung. Der Backsteinbau mit Terrakotten
verzierung
blüht am meisten in den an Werksteinen armen Gegenden, besonders in Norddeutschland.
Fabriken, welche sich mit Anfertigung
von
Ornamenten und Kunstgegenständen in
Terrakotta beschäftigen, gibt es in
Charlottenburg
[* 27]
¶
1. Sima und Geisonverkleidung vom Schatzhaus der Geloer in Olympia.
2. Wasserspeier aus Pompeji. [* 29]
3. Sima vom Tempel [* 30] C in Selinus.
7. Griechische Thonfigur der Sammlung Pourtalès.
5. Unteritalische Vase.
4. Kampanische Reliefvase.
6. Römische [* 31] gepreßte Terrakotte (Hermes). [* 32]
11. Tänzerin mit Klappern (melische Relieffigur).
10. Etruskische Stirnziegel (Juno Caprotina).
8. Weinkrug aus Athen (geflügelter dionysischer Eros)
9. Thronende Athene (archaisch).
Zum Artikel »Terra cotta«. ¶
mehr
bei Berlin [* 34] (March), Greppin bei Bitterfeld, [* 35] Lauban, Ullersdorf, Tschauschwitz, Siegersdorf und Hansdorf, sämtlich in Schlesien. [* 36]
Vgl. d'Agincourt, Recueil de fragments de sculpture antique en terre cotte (Par. 1814);
Panofka, Terrakotten
des königlichen Museums
in Berlin (Berl. 1842);
Gruner, The terra-cotta architecture of North-Italy (Lond. 1867);
Birch, History of ancient pottery (2. Aufl., das. 1873);
Kekulé, Griechische Thonfiguren aus Tanagra (Stuttg. 1878);
Derselbe, Die antiken Terrakotten
(mit v. Rohden,
das. 1880-84, 2 Bde.);
»Griechische aus Tanagra und Ephesos im Berliner Museum« (Berl. 1878);