Teer
,
Produkt der trocknen
Destillation
[* 2] vieler organischer
Körper, entsteht stets neben einer wässerigen,
sauren oder ammoniakalischen
Flüssigkeit und einem Gasgemisch. Man gewinnt den Teer
häufig als Nebenprodukt, wenn es sich
um die
Darstellung andrer
Produkte der trocknen
Destillation handelt, z. B. bei der Leuchtgasfabrikation, bei der
Darstellung
von
Holzessig etc.; in andern
Fällen ist der Teer
das Hauptprodukt, und stets besitzt er großen Wert, seitdem
man zahlreiche in verschiedenster
Weise verwertbare
Substanzen in ihm entdeckt hat. Je nach der
Natur des der
Destillation unterworfenen
Körpers ist der Teer
von sehr verschiedener
Beschaffenheit; stets aber
ist er braun bis schwarz, dickflüssig, von empyreumatischem
Geruch, schwerer als
Wasser, entzündlich, er brennt mit rußender
Flamme
[* 3] und gibt an
Wasser und
Alkohol lösliche
Stoffe ab.
Alle Teere
sind
Gemenge verschiedenartiger
Körper und enthalten stets
Kohlenwasserstoffe, sowohl flüssige als starre,
von sehr verschiedener
Flüchtigkeit (wie
Benzol,
Toluol,
Paraffin,
[* 4]
Naphthalin etc.), ferner säureartige
Körper (die
Phenole,
Karbolsäure etc.) und
Basen
(Anilin,
Chinolin etc.), dann auch pech- oder asphaltbildende
Substanzen von
nicht näher bekannter
Beschaffenheit. Wegen ihres
Gehalts an
Phenolen wirken die Teere
stark fäulniswidrig. Holzteer gewinnt
man als Nebenprodukt bei der
Darstellung von
Holzkohle,
Holzgas (s.
Leuchtgas,
[* 5] S. 735) und
Holzessig; doch ist die Teer
schwelerei
bisweilen auch Hauptzweck und verarbeitet dann harzreiche
Nadelhölzer
[* 6] teils in
Meilern mit trichterförmiger
Sohle, von welcher der Teer
in ein Sammelgefäß abgeleitet wird, teils eingemauerte, stehende große eiserne
Kessel, in welchen das
Holz
[* 7] erhitzt wird, während man die Teer
dämpfe in einem durch
Luft gekühlten
Apparat zur
Verdichtung
bringt.
Man erhält etwa 17 Proz. Teer.
Der Holzteer ist dunkelbraun, riecht
durchdringend, schmeckt widrig scharf und bitter, vom spez. Gew. 1,075-1,160, löst
sich größtenteils in
Alkohol und
Äther, mischt sich mit
Fetten und gibt an
Wasser
Essigsäure und brenzlige
Stoffe ab. Man benutzt
ihn zu konservierenden
Anstrichen, zum
Kalfatern der
Schiffe,
[* 8] zum Teeren
der
Taue etc.; zur
Darstellung von
Pech und
Ruß, auch wird er destilliert, und man gewinnt hierbei leichte
Teeröle
(Holzöl), die wenig
Benzol enthalten und meist als
Fleckwasser benutzt werden, schwere
Öle,
[* 9] die man auf
Ruß verarbeitet oder zum
Imprägnieren von
Holz verwertet, auch wohl
Paraffin
und
Kreosot.
Letzteres wird besonders aus Buchenholzteer
dargestellt. Birkenholzteer dient zur Bereitung des Juftenleders.
Torfteer
wird durch trockne
Destillation des
Torfs in Schachtöfen oder
Retorten, ähnlich wie Braunkohlenteer
, dargestellt,
auch bei der Verkohlung des
Torfs als Nebenprodukt gewonnen. Er ist ölartig, braun bis schwarzbraun, von sehr unangenehmem
Geruch und dem spez. Gew. 0,896-0,965.
Man gewinnt aus demselben durch
Destillation leichte
Kohlenwasserstoffe, die wie
Benzin und
Photogen benutzt
werden
(Turfol), schwere, noch als Leuchtöle verwendbare
Öle, Schmieröle,
Paraffin und sehr schwer flüchtige, flüssige
Kohlenwasserstoffe, aus welchen
Leuchtgas bereitet wird, als Rückstand
Asphalt.
Braunkohlenteer
ist sehr verschieden je nach der
Beschaffenheit der
Kohle. Im allgemeinen
ist er dunkelbraun, riecht widerlich
kreosotartig und erstarrt leicht durch hohen Paraffingehalt. Der aus
Pyropissit gewonnene Teer
ist butterartig,
wachsgelb und bildet das Rohmaterial der Paraffinfabriken. Man gewinnt daraus durch
Destillation leichte und schwere
Öle
(Benzin,
Photogen, deutsches
Petroleum,
Solaröl), Schmieröl und namentlich
Paraffin (s. d.). In ähnlicher
Weise gewinnt und verwertet
man aus bituminösen
Schiefern. Am wichtigsten ist der
Steinkohlenteer
(Kohlenteer), den
man in Leuchtgasanstalten,
bisweilen auch bei der Koksbereitung als Nebenprodukt gewinnt. Er ist schwarz bis braunschwarz, übelriechend, dickflüssig,
vom spez. Gew. 1,15-1,22.
Er besteht aus flüssigen und festen
Kohlenwasserstoffen
(Benzol,
Toluol, Cumol, Cymol,
Anthracen,
Naphthalin etc.),
Säuren
(Phenol,
Kresol, Phlorol,
Rosolsäure),
Basen
(Anilin,
Chinolin,
Toluidin etc.) und
Asphalt bildenden
Substanzen.
Die quantitative Zusammensetzung des Teers schwankt je nach der Beschaffenheit der Kohle und der Ausführung der Destillation. Im allgemeinen entsteht bei schneller Destillation in hoher Temperatur viel Gas und wenig Teer, welcher arm an Ölen, aber reich an Naphthalin ist. Die Bestandteile des Steinkohlenteers bilden das Rohmaterial für mehrere wichtige Industriezweige. Um sie zu gewinnen, unterwirft man den Teer in sehr großen Blasen, liegenden Cylindern oder kofferförmigen Retorten aus Eisenblech einer Destillation über freiem Feuer. Es entweichen zuerst Gase, [* 10] dann gehen mit steigender Temperatur ammoniakalisches Wasser, leichte Öle, schwere Öle und feste Kohlenwasserstoffe über, und als Rückstand bleibt Steinkohlenasphalt, welcher um so härter ausfällt, je weiter die Destillation bei immer gesteigerter Temperatur getrieben wurde. Bisweilen treibt man die flüchtigsten Öle durch Wasserdampf ab, den man ¶
mehr
direkt in den Teer leitet. Der Wasserdampf reißt die flüchtigen Kohlenwasserstoffe dampfförmig mit sich fort und wird mit ihnen zugleich in Kühlapparaten verdichtet. Die erste Verwertung des Teers zur Gewinnung von Leuchtölen datiert von 1839, wo Selligue und de la Haye in Autun den Teer von bituminösem Schiefer in dieser Weise verarbeiteten. Zu Ende der 40er Jahre stellte Young bei Glasgow [* 12] aus Bogheadkohlenteer ein Mineralöl (Hydrokarbür) und Paraffin dar, und um dieselbe Zeit entstanden die irischen Öl- und Paraffinfabriken, welche Torf verarbeiteten.
Seit 1850 entwickelte sich die Paraffinindustrie in Deutschland [* 13] (vgl. Paraffin). Steinkohlenteer wurde zuerst etwa 1846 destilliert, um karbolsäurehaltiges Teeröl zur Imprägnierung von Eisenbahnschwellen zu gewinnen. Das leichte Teeröl wurde nur von Brönner als Fleckwasser benutzt und galt als lästiges Nebenprodukt, bis es um 1856 durch die Entwickelung der Anilinfarbenindustrie allmählich der wichtigste Bestandteil des Teers wurde. Die erste größere Fabrik zur Verarbeitung von Steinkohlenteer in Deutschland wurde 1860 in Erkner bei Berlin [* 14] gegründet.
Erst später gewannen wieder die schwerer flüchtigen Teerbestandteile, wie Karbolsäure, Naphthalin und Anthracen, erhöhte Bedeutung. Die leichten Steinkohlenteeröle werden wegen ihres Gehalts an Benzol und Toluol hauptsächlich in der Farbenindustrie benutzt, schwerere karbolsäurehaltige Öle dienen zum Imprägnieren des Holzes, schwere Kohlenwasserstoffe als Schmieröl, Naphthalin und Anthracen finden Verwendung in der Farbenindustrie, ebenso das Phenol, welches aber auch zu sehr vielen andern Zwecken, namentlich zur Darstellung von Salicylsäure und in der Medizin, benutzt wird. Aus Toluol und Naphthalin stellt man auch Benzoesäure dar. Der Asphalt wird zur Darstellung von Asphaltröhren und Briketten, zum Belegen von Fußböden etc. benutzt, außerdem dient Steinkohlenteer auch zu konservierenden Anstrichen, zum Vertreiben von Ungeziefer, und wo er keinen Absatz findet, verbrennt man ihn in Gasanstalten zum Heizen der Retorten. Der Steinkohlenteer der Berliner [* 15] Gasanstalten liefert:
Benzol und Toluol | 0.80 |
Sonstige wasserhelle Öle | 0.60 |
Kristallisierte Karbolsäure | 0.20 |
Kresol etc. | 0.30 |
Naphthalin | 3.70 |
Anthracen | 0.20 |
Schwere Öle | 24.00 |
Steinkohlenpech | 55.00 |
Wasser und Verlust | 15.20 |
Die Teermenge beträgt bei der Leuchtgasfabrikation 5 Proz. vom Gewicht der Steinkohlen, und da nun in Berlin jährlich 6 Mill. Ztr. Kohle verarbeitet werden, so erhält man 300,000 Ztr. Teer, dessen Beschaffenheit aber von der Beschaffenheit der Kohle abhängig ist. In England verarbeitet man jährlich 3,5, in Frankreich 1, in Deutschland 0,75, in Belgien [* 16] und Holland 0,45, zusammen 5,7 Mill. Ztr. Teer, welche an Ausbeute ergeben: Anthracen 19,000, Benzol 57,000, Naphtha 42,700 Ztr. Von großer Bedeutung dürfte der Teer werden, welcher beim Raffinieren des Erdöls als Rückstand bleibt, insofern derselbe, wenigstens derjenige von südrussischem Erdöl, [* 17] Produkte liefert, die reich an Benzol, Toluol und Anthracen sind und daher für die Teerfarbenindustrie ein wertvolles Rohmaterial bilden.
Vgl. Lunge, [* 18] Destillation des Steinkohlenteers (Braunschw. 1867);
Derselbe, Industrie der Steinkohlenteerfabrikation (3. Aufl., das. 1888);
Bolley-Kopp, Chemische [* 19] Verarbeitung der Pflanzen- und Tierfasern (das. 1867-74);
Wagner, Übersicht der Produkte der trocknen Destillation der Steinkohlen (Würzb. 1873);
Schultz, Chemie des Steinkohlenteers (2. Aufl., Braunschw. 1887 ff., 2 Bde.),