Technisches
Unterrichtswesen, die Gesamtheit aller Lehreinrichtungen zur Erlernung technischen
Wissens. Am weitesten
zurück reicht das in Technisches Unterricht
swesen
Frankreich. Die Fürsorge Colberts für die
Entwicklung franz. Kunst und franz. Kunstgewerbes führte 1662 zur
Errichtung einer königl. Möbelmanufaktur unter
Lebruns Leitung, welche Werkstätten für Holz- und Metallarbeit,
Textilindustrie, Uhrmacher- und
Goldschmiedekunst
[* 3] mit den
Ateliers hervorragender Künstler, deren
Entwürfe in jenen Werkstätten
ausgeführt wurden, vereinigte.
Mit dieser Anstalt war eine Zeichenschule verbunden. Vorübergehend aufgehoben, besteht die Zeichenschule noch heute. 1740 wurde
von dem
Architekten
Blondel zu
Paris
[* 4]
die erste
Baugewerkenschule ins Leben gerufen, und dieser folgten bald
Zeichenschulen in vielen franz.
Städten, 1766 eine vom Blumenmaler
Bachelier gegründete unentgeltliche Zeichenschule für
Gewerbtreibende in
Paris, die noch jetzt als École nationale des arts décoratifs besteht. Wenn schon an diesen Anstalten
mit Rücksicht auf die Bedürfnisse des technischen
Zeichnens Geometrie und Perspektive, an der
Baugewerkenschule
auch Mechanik und Physik gepflegt wurden, so gelangten die im 18. Jahrh. sich schnell entwickelnden
exakten Wissenschaften zu höherer Geltung an der für Ausbildung der
Straßen- und Brückenbaubeamten bestimmten École des
ponts et chaussées, die aus dem 1716 gegründeten
Bureau der Staatsingenieure 1747 hervorgegangen ist und 1775 staatlich
als Schule organisiert wurde; ferner an der für
Bergbeamte bestimmten École des mines, die 1778 gegründet, 1783 erweitert
wurde; vorzüglich aber an den militär.-technischen
Bildungsanstalten.
Die franz. Revolution führte, nachdem sich 1793 eine Zeit lang aller Unterricht
aufgelöst
hatte, zu einer völligen Neugestaltung des Bildungswesens.
In den Mittelpunkt des vorzüglich von Monge
organisierten höhern technischen Unterrichts
trat die École polytechnique (s. Polytechnische
Schule),
neben welcher die oben genannten höhern Schulen in neuer Organisation wieder auflebten. Dazu trat das Conservatoire nationale
des arts et métiers (s. d.), mit welchem im Laufe der Zeit gewerbliche Schulen
verschiedenen Charakters verbunden wurden, und an der zur Ausbildung von Lehrern bestimmten École normale
wurden die exakten Wissenschaften durch eine Reihe der glänzendsten
Namen vertreten. Den Hochschulen der franz.
Technik schließt,
sich seit 1829 die für
Civilingenieure bestimmte École centrale des arts et manufactures an und die in derselben Zeit ausgebildete
Schule für die
Beamten der vom
Staate betriebenen
Tabak- und Pulverfabrikation, die École des manufactures
de l'Etat. - In die Zeit der ersten Organisation des höhern in Technisches Unterricht
swesen
Frankreich fällt auch die Gründung technischer Mittelschulen.
Eine vom
Herzog Larochefoucauld-Liancourt begründete Schule wurde 1803 von Napoleon I. als École des arts et métiers organisiert
und 1806 nach Châlons-sur-Marne verlegt, wo sie noch besteht. Die gleichbenannte Lehranstalt zu
Angers
wurde bald danach, die zu
Aix 1843 begründet. Zu diesen drei höhern Gewerbeschulen trat seit 1826 die private Schule La
Martinière zu
Lyon
[* 5] und seit 1846 das ebenfalls private
Institut Nivet zu Nantes,
[* 6] denen sich seit 1870 noch eine Anzahl
derartiger Schulen in franz. Provinzialstädten anschließen. - Auf die drei staatlichen
Gewerbeschulen, die bei der
Aufnahme höhere
Ansprüche an die Fähigkeiten ihrer
Schüler stellen, bereiten eine Anzahl Schulen
und Unterricht
skurse vor, welche an die
Volksschule anschließen, die allgemeine
Bildung fördern, aber zugleich die
Schüler
in Laboratorium
[* 7] und Werkstatt beschäftigen oder in die kaufmännische Thätigkeit einführen.
Diese seit 1833 bestehenden, aber früher vernachlässigten höhern Volksschulen und Ergänzungsschulen sind ebenso wie die seit 1870 von Salicis angeregten Handarbeitsschulen (École manuelle d'apprentissage) durch die Gesetze von 1880 und 1886 in das Erziehungssystem Frankreichs organisch eingefügt worden. Neben ihnen sorgen Abend- und Sonntagsschulen sowie Lehrwerkstätten für die niedere technische Bildung, und Fachlehrer für diese gewerblichen und kaufmännischen Schulen bildet das seit 1865 bestehende Seminar zu Cluny (École normale de l'enseignement spécial).
In
Deutschland
[* 8] wurden im Laufe des 18. Jahrh. mehrfach Schulen gegründet, die unmittelbar
für die gewerbliche oder kaufmännische Thätigkeit vorbereiten sollten. Aber, abgesehen von den
Bergschulen,
überwog in diesen Anstalten sehr bald die
Aufgabe, die allgemeine
Bildung zu fördern, sie entwickelten sich zu Realschulen
und Realgymnasien und schieden somit aus dem aus; Technisches Unterricht
swesenaus; nur das 1745 unter
Herzog
Karl I. vom
Abt
Jerusalem
[* 9] gegründete Collegium
Carolinum zu
Braunschweig
[* 10] erhielt sich dem und Technisches Unterricht
swesenund gestaltete sich zur dortigen
Technischen Hochschule um. - Auch der zweite
Anlauf
[* 11] zur
Entwicklung des in Technisches Unterricht
swesen
Deutschland, der durch die Schöpfung der Gewerbeschulen 1821 bezeichnet
wird, nahm wenigstens in dem führenden
Staate einen ähnlichen Verlauf. Die mächtige Anregung zur Fürsorge der Regierungen
für die technische Ausbildung, die von der Erfindung und
Verbreitung der
Spinnmaschine
[* 12] und der Dampfmaschine
[* 13] ausging und durch
Frankreichs
Beispiel befördert, durch die Kriegserschöpfung
¶
mehr
verzögert wurde, schuf die Schulen, aus denen dann unter dem Einflusse der Entwicklung des Eisenbahnwesens und des Aufschwungs
der exakten Wissenschaften die jetzigen Technischen Hochschulen (s. d.) hervorgingen; aber das mittlere (s. Technische Mittelschulen
und Fachschulen) und niedere für Technisches Unterrichtswesenfür
das diese Schulen ursprünglich geplant waren, wurde
in Preußen
[* 15] gänzlich vernachlässigt, während mehrere der deutschen Mittelstaaten mit Eifer an die
neue Bildungsaufgabe herantraten, vor allen Württemberg
[* 16] (s. Gewerbliche Fortbildungsschulen), dann Baden
[* 17] (s. Gewerbeschulen),
Hessen
[* 18] (s. Handwerkerschulen), Sachsen
[* 19] (s. Fachschulen und Gewerbeschulen).
Erst seit etwa 1875 hat die preuß. Regierung unter dem Drängen der Techniker und infolge der Mängel deutscher Industrie,
die bei den Weltausstellungen, besonders der zu Philadelphia,
[* 20] offenbar wurden, auch mit Rücksicht auf die socialistische
Erregung der deutschen Arbeiter ihre Aufmerksamkeit entschiedener dieser Seite des zugewendet. Technisches Unterrichtswesen
Bis in die neueste Zeit hat
die Entwicklung des mit Technisches Unterrichtswesenmit
einer in andern Ländern, insbesondere in Frankreich, fast unverständlichen
Unterschätzung der technischen Bildung zu kämpfen.
Österreich
[* 21] begründete bereits 1806 in Prag,
[* 22] 1813 in Wien
[* 23] technische Schulen, deren Ausbau zu Technischen Hochschulen, zu denen
später noch Brünn,
[* 24] Graz,
[* 25] Lemberg
[* 26] und Budapest
[* 27] traten, ebenso wie Österreichs damaliges Vorgehen auf dem Gebiete des mittlern
und niedern der Technisches Unterrichtswesender
Entwicklung in Deutschland gleichläuft. Aber besonders durch die 1867 erfolgte Eröffnung
des Museums für Kunst und Industrie in Wien, das mit einer Kunstgewerbeschule verbunden wurde, und durch die Schöpfung der
Staatsgewerbeschulen (s. d.) gewann Österreich einen Vorsprung.
In den meisten übrigen Staaten zeigt die Entwicklung des im Technisches Unterrichtswesen
ganzen die gleichen Ziele; frühzeitig (seit
1840) gefördert wurde sie besonders in Belgien,
[* 28] wo sich die Lehrwerkstätten (s. d.) gut bewährten. Eine eigenartige Gestalt
des entwickelte Technisches Unterrichtswesen
entwickelte sich, durch die besondern Arbeitsverhältnisse der Hausindustrie bedingt,
in den nordischen Staaten. An die Förderung des Hausfleißes, auf die dort hauptsächlich die technische Erziehung gerichtet
sein mußte, knüpfen die Bestrebungen von Clauson-Kaas an, die Handarbeit zum allgemeinen Erziehungsmittel
zu erheben. (S. Handarbeitsunterricht.)
Einen auffällig tiefen Stand zeigt die Organisation des in Technisches Unterrichtswesen
England, obschon dieser Staat zwei Mittelpunkte technischer
Erziehung besitzt, das Kensington-Museum und das Polytechnische Institut in London
[* 29] (s. Gewerbemuseen). Es werden zwar von großen
Vereinen technische Prüfungen abgehalten, aber eine staatliche Ordnung des fehlt Technisches Unterrichtswesen
fehlt
noch. (S. auch Technische Mittelschulen und Fachschulen.)
Litteratur. Mortimer d'Ocagne, Les grandes écoles de France (2. Aufl., Par. 1887);
Paulet, L'enseignement primaire professionnel (ebd. 1889);
Block, Dictioinnaire de l'administration française (3. Aufl., ebd. 1890-92);
von Nördling, Über das technische Schul- und Vereinswesen Frankreichs (Wien 1881);
Riedler, Amerikanische technische Lehranstalten (Berl. 1893);
Holzapfel, Die technischen Schulen und Hochschulen und die Bedürfnisse der deutschen Industrie (2. Aufl., Lpz. 1897).