Tastsinn
(lat. tactus,
d. i. Gefühl), auch
Hautsinn genannt, die Empfänglichkeit der
Haut
[* 2] und Schleimhaut für Sinnesreize.
Das Centrum für den Tastsinn
liegt in den Centralwindungcn der Großhirnrinde. Der Tastsinn führt dem
Bewußtsein
Wahrnehmungen über gewisse Eigenschaften der äußern Dinge, mit Einschluß des eigenen Leibes, zu. Es sind die geometrischen
und physik. Eigenschaften der Form, der Oberflächenbeschaffenheit, der Härte, des
Widerstandes gegen Deformationen, der
Temperatur, die durch den Tastsinn
erkannt werden; oder richtiger gesagt: aus den mannigfaltigen Empfindungen,
die der Tastsinn
liefert, werden durch
Vergleich unter sich und mit den Empfindungen anderer
Sinne die oben aufgezählten
Abstraktionen gebildet.
Der Tastsinn
gehört demnach zu den objektivierenden
Sinnen im Gegensatz zu dem sog.
Gemeingefühl, dessen Empfindungen,
Schmerz und
Wollust, durch die meist stürmische Art ihres Auftretens zu solcher Vergleichung und
Abstraktion wenig geeignet erscheinen.
Die Wahrnehmungen des Tastsinn
sind Wahrnehmungen des Druckes (Drucksinn) und Wahrnehmungen der
Temperatur
(Temperatursinn). Zu diesen Wahrnehmungen sind durchaus nicht alle
Teile der
Haut oder der Schleimhäute befähigt.
Durch Anwendung möglichst umschriebener und möglichst schwacher Reize (kleinflächiger Schwellenreize) läßt sich mit aller Schärfe nachweisen, daß die Empfindung des Druckes nur gewissen Punkten (Druckpunkten) eigentümlich ist. Ebenso sind es nur gewisse Punkte, welche Kälte (Kaltpunkte), und wieder andere, welche Wärme [* 3] empfinden (Warmpunkte). Diese Sinnespunkte zeigen in den verschiedenen Bezirken der Körperoberflüche sehr wechselnde Verteilung; sie fehlen an manchen Orten auch ganz.
Überall zeigen sie die Erscheinung der sog. specifischen
Energie, d. h. jede Art von Reiz löst stets
nur die dem betreffenden Punkte eigentümliche Sinnesempfindung aus. Die Wahrnehmungen des Tastsinn
werden wesentlich
unterstützt durch Muskelbewegungen (Tastbewegungen), durch die der fühlende Körperteil über den zu betastenden Gegenstand
hinweggeführt wird. Der
Muskelsinn spielt daher bei den Tastwahrnehmungen eine wichtige Rolle und ist bei der Ausbildung
des zum
Teil sehr feinen
Ortssinns der
Haut wesentlich mitbeteiligt.
Letzterer ist an der Zungen- und Fingerspitze am feinsten, auf dem Rücken am gröbsten entwickelt. Bei Krankheiten des Nervensystems sind Störungen des in der einen oder andern oder auch in allen seinen Qualitäten über größere oder kleinere Bezirke des Körpers sehr häusig und von großer Bedeutung für die ärztliche Diagnose. Große Verschiedenheit der Tastorgane findet sich bei den Tieren. Hier sind es die sich in einen Rüssel endigenden Nasen einiger, die Barthaare, die Zunge, die Lippen anderer Säugetiere, die Zunge mancher Vögel [* 4] und Reptilien, die Fäden am Kopfe mehrerer Fische, [* 5] die Fühlhörner und Freßzangen mehrerer Insekten, [* 6] die Fühlhörner der Mollusken [* 7] u. a. -
Vgl.
E. H.
Weber, Tastsinn
und
Gemeingefühl (in R.
Wagners «Handwörterbuch der
Physiologie», Braunschw. 1846, auch gesondert gedruckt);
O. Funke in Hermanns «Handbuch der Physiologie» (Lpz. 1879);
M. Blix in der «Zeitschrift für Biologie», Bd. 20 u. 21 (1884);
M. Dessoir, Über den Hauptsinn (im «Archiv für Anatomie und Physiologie», 1892, physiol. Abteilung).