Tanzkunst
,
im weitesten Sinne diejenige Kunst, welche die Darstellung innerer Zustände durch entsprechende Bewegungen des Körpers zum Gegenstand hat. Da sie als schöne Kunst etwas Inneres, in sich Vollendetes zur Anschauung bringen soll, so kann nur dasjenige Stoff dieser Kunst sein, was sich durch mannigfaltig abwechselnde, rhythmische Bewegungen des Körpers ästhetisch versinnlichen läßt. Der Tanz als Kunstwerk betrachtet, kann daher auch nicht eigentlich eine abgeschlossene poet.
Handlung im Sinne des Dramas darstellen, sondern er kann nur entweder einzelne Gefühle und Neigungen oder eine Reihe von Gefühlen und Lagen zu einer sinnlich-wahrnehmbaren Handlung zusammenreihen, deren Einheit dann mehr in der Einheit der Wahrnehmung und des Gefühls besteht. Das Hilfsmittel dieser Anreihung ist die pantomimische Darstellung und die scenische Kunst, wodurch das pantomimische Ballett (s. d.) entspringt. Zu den theatralischen Tänzen gehören teils die lyrischen Tänze, die in Opern und Schauspiele eingeflochten sind oder als Zwischenspiele aufgeführt werden, teils die Balletts im engern Sinne, in welchen sich die in ihrem höchsten Umfange und Vermögen zeigt, nämlich der dramat. Tanz, der einen histor., mythischen oder poet.
Gegenstand hat. Die Folge künstlicher Bewegungen wie die Töne eines Tonstücks bildlich zu verzeichnen, lehrt die Choreographie (s. d.). Der gesellschaftliche Tanz, d. h. derjenige, welcher das gesellschaftliche Vergnügen zum Zweck hat und nur von Liebhabern dieser Kunst (Dilettanten) ausgeführt wird, ist meist lyrischer Art; er drückt eine einzelne Stimmung, z. B. Freude aus. Zu dieser Gattung gehören auch verschiedene Nationaltänze, die einen eigenen Rhythmus haben und mit eigenen Melodien begleitet werden. Sie sind zugleich als charakteristische Tänze von vorzüglichem Werte. Hierher gehören die Menuett, Masurek oder Masur, die Polonaise, der Walzer, der Kontertanz u. s. w.
Wenn von den Tänzen der Griechen und
Römer
[* 2] berichtet wird, man habe den
Achilles,
Alexander u. s. w., die Liebesgeschichte
des
Mars
[* 3] und der
Venus, die
Freiheit u. s. w. getanzt, so ist dies von der fortschreitenden
pantomimischen
Darstellung eines Charakters oder einer Fabel, weniger von dem eigentlichen Tanze zu verstehen, da überhaupt
das Wort saltare, d. h. tanzen, bei den Alten in sehr weiter Bedeutung genommen und auch das
Gebärdenspiel dazu gerechnet wurde, bei den Griechen aber das Wort Orchesis die Kunst der
Gebärden und
Bewegungen überhaupt bezeichnete, mithin die
Aktion in sich begriff, überhaupt war die Tanzkunst
bei den Griechen früher von
Poesie
und Schauspielkunst
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mehr
gar nicht getrennt. Der Tanz wurde sogar bei allen religiösen Festen, verbunden mit Hymnengesang, angewendet, und die Griechen,
bei denen diese Kunst Orchestik hieß, erreichten auch in ihr einen hohen Grad der Vollkommenheit. Von den Römern pflanzte
sich der Tanz auf die Volksbühnen der Italiener fort. Schon im 16. Jahrh. schrieben mehrere Italiener über
den Tanz (Fabricio Caroso, «Nobilità di Dame», Vened. 1600; Cesare Negri). Sie und vorzüglich die Franzosen (Th. Arbeau, «Orchésographie»,
Langres 1588 und 1596) haben die neuere Tanzkunst
ausgebildet und auf ihre heutige Vollkommenheit gebracht.
Unter Ludwig XIV. wurde durch Beauchamp der erste Grund zu dem künstlichen theatralischen Tanze der Franzosen
gelegt. Noch mehr aber verdankt die Tanzkunst
dem berühmten Noverre (s. d.).
Gegenwärtig noch bilden die franz. und ital. Tänze zwei
verschiedene Schulen, von welchen jedoch die erstere das Übergewicht hat. Die Familien Vestris und Taglioni, die Tänzerinnen
Elßler, Cerrito, Grisi und Grahn, sowie die Tänzer A. Leon und K. Müller gehören zu den Koryphäen der
neuern Tanzkunst.
Zu leugnen ist jedoch nicht, daß der theatralische Tanz vielfach zu einem Kunststückmachen ausgeartet
ist und die plastische Bedeutung verloren hat.
Vgl. Saint-Leon, Sténocoréographie (1858);
Waldau, Böhm. Nationaltänze (Prag [* 5] 1859);
Klemm, Katechismus der Tanzkunst
(6. Aufl., Lpz.
1894);
Czerwinski, Geschichte der Tanzkunst
(ebd. 1862);
ders., Die Tänze des 16. Jahrh. (Danz. 1878);
ders.,
Brevier der Tanzkunst
(Lpz. 1879);
Voß, Der Tanz und seine Geschichte.
Eine kulturhistor.-choreographische Studie (Berl. 1868);
Angerstein, Die Volkstänze im deutschen Mittelalter (2. Aufl., ebd. 1874);
Böhme, Geschichte des Tanzes in Deutschland [* 6] (2 Tle., Lpz. 1886);
Zorn, Grammatik der Tanzkunst
(nebst Atlas,
[* 7] ebd. 1887);
Freising, [* 8] Leitfaden für den Tanzunterricht (Berl. 1892);
ders., Tanzkurzschrift (ebd. 1891);
Zibet, Geschichte des Tanzes in Böhmen, [* 9] Mähren und Schlesien [* 10] (czechisch, Prag 1895);
Dieringer, Die Tanzkunst
(4. Aufl.,
Münch. 1895).