Zwar erhob ihn
Napoleon noch im
August 1807 zum Vizegroßwahlherrn (vice-grand-électeur) und nahm ihn 1808 mit nach
Bayonne
und
Erfurt;
[* 10] doch war Talleyrand-Périgord gegen die unaufhörlichen Eroberungskriege, fiel deshalb in
Ungnade, verlor seinen Ministerposten und
zog sich 1808 auf sein
LandgutValençay zurück. Nach der
Katastrophe in Rußland
trat er in geheime Unterhandlungen
mit den
Bourbonen und betrieb nach dem Einrücken der Verbündeten in
Frankreich ihre
Restauration.
Auch ging er als
Botschafter nach
London,
[* 15] wo er eine Verständigung über die griechische und belgische
Frage zu stande brachte.
Die Unterzeichnung der
Quadrupelallianz 1834, durch welche zunächst im europäischen
Westen das konstitutionelle
Prinzip aufrecht erhalten werden sollte, war sein letztes diplomatisches Werk. Er lebte fortan zurückgezogen in
Valençay,
wo er starb.
SeinGeist und sein schlagfertiger, feiner
Witz in der Unterhaltung, seine kurze, treffende Ausdrucksweise
sind berühmt.
Eine
Menge glücklicher Wendungen werden von ihm überliefert und sind
geflügelte Worte geworden. Die bekannteste (freilich
nicht zuerst von Talleyrand-Périgord herrührende) ist, daß dem
Menschen die
Sprache
[* 16] gegeben sei, um seine
Gedanken zu verbergen. Sehr bequem,
verstand er vortrefflich die
Kunst, andre für sich arbeiten zu lassen. Egoist im höchsten
Grad, war er,
von der
Sucht nach
Gold
[* 17] abgesehen, fast ohne alle
Leidenschaften, verstand es aber vortrefflich, andrer
Leidenschaften für sich
auszubeuten.
Sein auf 18 Mill.
Frank sich belaufendes
Vermögen vermachte er größtenteils seiner
Nichte, der Herzogin von
Dino.
Von seinen hinterlassenen
Memoiren ist bisher nur ein
Auszug
(»Extraits des mémoires du prince Talleyrand-Périgord«, Par.
1838, 2 Bde.) veröffentlicht. Seine
Korrespondenz mit
Ludwig XVIII. während des
WienerKongresses gab Pallain (Par. 1881, 2 Bde.;
deutsch von Bailleu, Leipz. 1887),
»Lettres inédites de à
Napoléon 1800-1809« (Par. 1889)
Bertrand und die »Correspondance
diplomatique de Talleyrand-Périgord La mission de à
Londres en 1792« Pallain (das. 1889) heraus.
Vgl. Pichot,Souvenirs
intimes sur Talleyrand-Périgord (Par. 1870).
¶
diplomatique« veröffentlichte Pallain zwei weitere Bände: »Le
[* 19] ministère de Talleyrand-Périgord sous le Directoire«
(1890) und »Ambassade de à Londres 1830-34« (1891).
(spr. tall’ráng -gohr), Charles Maurice, Herzog von, Fürst von Benevent, Herzog von Dino, franz.
Diplomat, wurde zu Paris geboren und widmete sich dem geistlichen Stande, weil ihn ein Klumpfuß
[* 21] zur militär. Carrière untauglich machte. Seine Verbindungen verschafften ihm bald reiche Abteien, 1780 die Stelle eines Generalagenten
des franz. Klerus, d. h. eines Verwalters der Kirchenfonds
von Frankreich, und 1788 das Bistum von Autun. Schon in der Notabelnversammlung von 1788 und sofort 1789 in
den Generalständen trat er für die Forderungen des dritten Standesauf und führte 19. Juni die Majorität des Klerus zur Nationalversammlung
hinüber. Unter den Anträgen, die auf ihn zurückgehen, ragt der auf Einziehung der Kirchengüter hervor, dem
eine Reihe verwandter Beschlüsse folgte. Bei dem Bundesfeste auf dem Marsfelde las er am
Altar des Vaterlandes die Messe. Ohne gerade die Anträge auf die Civilkonstitution des Klerus zu unterstützen, gab er doch
seine Zustimmung, leistete den Eid auf sie und trotzte den päpstl. Breven, die dagegen erschienen und von
denen eins ihn mit dem Bann belegte. Seit Febr. 1792 Gesandter in London, führte er hier die GeschäfteFrankreichs mit
¶
mehr
kurzer Unterbrechung bis Ende 1792, wo ihn die Anklage intimer Verbindungen mit Ludwig XVI. traf und von Frankreich ausschloß.
Auch in England 1794 nicht mehr geduldet, ging er nach Nordamerika, dann nach Hamburg.
[* 23] 1796 erhielt er die Erlaubnis, nach
Paris zurückzukehren, und bald gelang es ihm, besonders durch den Einfluß der Madame de Staël, sich
mit Barras so eng zu verbinden, daß ihm dieser im Juli 1797 das Ministerium des Äußern gab. Mit sicherm Instinkt folgte
er alsbald dem aufsteigenden Gestirn Bonapartes, dem er die Revolution vom 18. Brumaire vollbringen half. Er leitete
die Unterhandlungen, die zu den Friedensschlüssen von Lunéville und Amiens führten, und trug 1802 viel
zur Abschließung des Konkordats bei, wofür ihn der Papst von den geistlichen Weihen entband, so daß er sein schon seit längerer
Zeit bestehendes Verhältnis mit einer Witwe Grant durch die Ehe legitimieren konnte.
Nach Errichtung des Kaiserthrons 1804 erhielt er die Würde eines Oberkammerherrn, 1805 schloß er den
Frieden zu Preßburg mit Österreich. Nachdem Talleyrand-Périgord zum Fürsten von Benevent erhoben war, folgte er dem Kaiser in den
preuß.-russ. Krieg. Um diese Zeit drang er mehr als je in Napoleon, den allgemeinen Frieden durch ein Bündnis mit
Österreich und England zu sichern; Napoleon hingegen neigte zu Rußland. Infolge dieses Zwiespalts mußte Talleyrand-Périgord nach dem Frieden
zu Tilsit, den Ministerposten niederlegen und ward dafür zum Reichsvicegroßwahlherrn (Vice-grand-électeur)
ernannt.
Seitdem wurde T.s Salon der Sammelplatz der Mißvergnügten. 1808 begleitete er den Kaiser auf den Fürstenkongreß nach
Erfurt, frondierte hier schon im geheimen, fiel dann im Jan. 1809 ganz in Ungnade und zog sich auf sein Landgut bei Valençay
zurück. Seitdem begann er mehr und mehr sein Augenmerk auf die Bourbons zu richten. Vergebens riet er, als ihn Napoleon nach
der Schlacht bei Leipzig
[* 24] wieder zu sich berief, zum Frieden. Nach dem Einzuge der Verbündeten in Paris 1814 arbeitete
er eifrig an der Wiedereinsetzung der Bourbons. Er bemächtigte sich des Senats, bewirkte die Absetzung Napoleons, die Proklamation
Ludwigs XVIII. und brachte eine Provisorische Regierung zu stande, an deren Spitze er selbst trat.
Ludwig XVIII. erhob Talleyrand-Périgord zum Oberkammerherrn und zum Minister des Auswärtigen, in welcher Eigenschaft er
sich auf den Kongreß nach Wien begab, wo er eine VerbindungFrankreichs mit Österreich und England gegen Rußland und Preußen
anbahnte. Die Rückkehr Napoleons schlug die Zerwürfnisse nieder, die durch seine geschickte Hand
[* 25] zwischen den siegreichen
Mächten genährt wurden. Napoleon nahm Talleyrand-Périgord von der Amnestie vom aus und verfügte die Konfiskation
seiner Güter; Talleyrand-Périgord hingegen betrieb die Ächtung des Kaisers durch die verbündeten Mächte.
Nach der zweiten Restauration übernahm er abermals die auswärtigen Angelegenheiten zugleich mit der Präsidentschaft des
Ministeriums. Vergeblich versuchte er die härtern Bedingungen des zweiten Pariser Friedens zu mildern.
Dieser Mißerfolg und die royalistische Reaktion brachten ihn im September um sein Ministerium. Das Fürstentum Benevent fiel
jetzt an den Kirchenstaat zurück; dafür verlieh der König beider Sicilien Talleyrand-Périgord den Titel eines Herzogs von Dino, In
Frankreich wurde er zum erblichen Pair und zum Herzog
von Talleyrand-Périgord ernannt; auch ward ihm gestattet,
da er kinderlos war, diese Würden auf seinen Neffen zu übertragen.
Nach der Thronbesteigung Karls X. zog Talleyrand-Périgord sich nach Valençay zurück. Vor den Ereignissen der Julirevolution war er für die
Orléans
[* 26] thätig; auf seinem Schlosse wurde ein Journal gegründet, das ihren Interessen dienen sollte.
Nach dem Losbruch der Bewegung riet er Ludwig Philipp durch dessen Schwester Adelaïde zur Annahme der Regentschaft zunächst
als Generalstatthalter. Talleyrand-Périgord ging im Sept. 1830 als franz. Botschafter nach London und vermittelte hier eine friedliche Verständigung
der Großmächte über Belgien.
[* 27]
Der Abschluß der Quadrupelallianz vom zwischen Frankreich, Großbritannien,
[* 28] Spanien
[* 29] und Portugal,
die das konstitutionelle Princip in Westeuropa schützen sollte, war sein letztes Werk. Er ließ sich 1835 aus London abberufen
und zog sich wieder nach Valençay zurück. Talleyrand-Périgord starb zu Paris. Die «Mémoires du prince de Talleyrand-Périgord» (5
Bde., Par. 1891; deutsch, 5 Bde.,
Köln 1891-92) gab der Herzog von Broglie heraus. Die «Extraits des Mémoires du prince Talleyrand-Périgord» (2
Bde., Par. 1838) sind unecht.
Pallain veröffentlichte die «Correspondance inédite du prince de et du roi Louis
XVIII pendant le Congrès de Vienne» (Par. 1881; deutsch Lpz.
1881),
die «Correspondance diplomatique de Talleyrand-Périgord» (2 Bde.,
Par. 1889-90),
Bertrand die «Ambassade de à Londres, 1830-34» (2 Bde.,
ebd. 1891),
«Lettres inédites de à Napoléon, 1800-9» (ebd. 1889),
die Gräfin Mirabeau «Le Prince de et la maison d'Orléans.
Lettres du roi Louis-Philippe, de Mademoiselle Adelaïde et du prince de Talleyrand-Périgord» (ebd. 1890). AndereBriefe
T.s sind in der «Revue d'histoire diplomatique» (1887, 1890, 1892) und im «Correspondant»
(1893) erschienen. -
Vgl. Mignet, Notice sur Talleyrand-Périgord (Par. 1838);