Synodalverfassung
681 Wörter, 5'579 Zeichen
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Synodalverfassung,
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Synodalverfassung,
in der prot. Kirche diejenige organische Einrichtung, nach welcher die kirchliche Gemeinde durch Synoden und Presbyterien (s. Presbyter; daher auch Synodal-und ¶
Presbyterialverfassung genannt) vertreten wird. Das Presbyterium bildet den Vorstand einer Lokalgemeinde und besteht aus dem Geistlichen derselben, der in der Regel den Vorsitz führt, und einer Anzahl von Gemeindemitgliedern (Kirchenvorstand, Gemeindekirchenrat). Zu seinem Wirkungskreise gehört die Fürsorge für alle äußern kirchlichen Angelegenheiten der Gemeinde, die Verwaltung des Kirchenvermögens, die Aufsicht über die Kirchen- und Schulgebäude, die Kirchhöfe, ferner über das religiös-sittliche Leben in der Gemeinde, die kirchliche Armenpflege, die Beratung allgemeiner kirchlicher Angelegenheiten, die Zustimmung zu Änderungen im Gottesdienst, zur Einführung neuer Gesangbücher und Katechismen, sowie die Teilnahme an der Wahl der Pfarrer, wo deren Ernennung nicht ausschließlich durch das Kirchenregiment geschieht.
Die Synoden bilden in den Kreis-, Diöcesan- oder Provinzialsynoden und in den Landes-(General-)Synoden eine aufsteigende Instanz und bestehen aus Geistlichen und Laien, sei es zu gleichen Teilen, sei es mit Übergewicht des Laienelements. In den Kreissynoden haben alle Pfarrer des Kreises und gewählte Abgeordnete der Presbyterien Sitz und Stimme, in den Synoden der höhern Stufen jedoch nur eine Anzahl gewählter Geistlicher neben einer entsprechenden Zahl von Laiendeputierten, die von den Kreis- oder Provinzialsynoden gewählt werden. In Berlin [* 3] werden die Kreissynoden in bestimmten Zeiträumen als Stadtsynode vereinigt; diese hat sehr ausgedehnte Rechte, besonders finanzieller Natur.
Vielfach ist auch für die höhern Synodalstufen, in Preußen [* 4] für Provinzial- und Generalsynode, dem Landesherrn als Inhaber des Kirchenregiments das Recht der Ernennung einer Anzahl von Mitgliedern vorbehalten. Die Landessynode ist der höchste kirchliche Vertretungskörper der Landeskirche, welcher in Gemeinschaft mit dem Kirchenregiment die gesetzgebende Gewalt in der Kirche zu üben und nach den meisten Verfassungen auch durch einen ständigen Ausschuß an wichtigern Verwaltungsmaßregeln Anteil zu nehmen hat.
Dieser Ausschuß, in Preußen Generalsynodalvorstand genannt, wird von der Landessynode am Schlusse jeder ordentlichen Sitzung
gewählt und fungiert so lange, bis die Synode wieder zusammentritt und sich ein Präsidium bestellt hat. Die Geschäfte dieses
Ausschusses sind teils selbständige, teils in Gemeinschaft mit der obersten landesherrlichen Kirchenbehörde
(Oberkirchenrat) auszuübende. Selbständige Funktionen des Ausschusses sind insbesondere: Beschlußfassung über die vom
Kirchenregiment gemachten Vorlagen, über vorgefundene Mängel der kirchlichen Gesetzgebung und Verwaltung, provisorische Zustimmung
zu unaufschieblichen Erlassen des Kirchenregiments an Stelle der nicht versammelten Synode, Vorbereitung der nächsten Versammlung
der letztern, Vollziehung der Beschlüsse der vorangegangenen Synodalver
sammlung, Verwaltung oder wenigstens Beaufsichtigung
der Verwaltung der Synodalkasse.
Gemeinschaftlich mit dem Oberkirchenrat, zu dessen Sitzungen er dann zugezogen wird, beschließt und entscheidet der Ausschuß: als letzte Instanz über die dogmatische Stellung eines designierten Pfarrers oder die Lehre [* 5] eines angestellten Geistlichen, über alle der Generalsynode vorzulegenden Gesetzentwürfe, über Vorschläge zur Besetzung der höchsten Kirchenämter, über die vermögensrechtliche Vertretung der Landeskirche und über alle sonstigen Angelegenheiten, in welchen wegen ihrer vorzüglichen Wichtigkeit der Oberkirchenrat die Zuziehung des Synodalvorstandes beschließt.
Das Kirchenregiment ruht in den meisten Kirchenverfassungen bei dem Landesherrn und den landesherrlich eingesetzten Kirchenbehörden (Oberkirchenrat, Oberkonsistorium, Landeskonsistorium, Provinzialkonsistorium). (S. Konsistorium.) In den Einzelbestimmungen über Befugnis und Zusammensetzung der Presbyterien und Synoden weichen die Kirchenverfassungen ziemlich weit voneinander ab.
Gegenwärtig sind in den meisten evang. Landeskirchen Presbyterial- und Synodalver
fassungen
eingeführt. Auf diese Gestaltung wirkten reform. Anschauungen (die reform. Kirche faßt die Gemeindeverfassung dogmatisch)
unzweifelhaft ein. Jedoch waren die reform. Presbyterien aus der Zeit Calvins kirchlich-aristokratische
Körperschaften, die sich selbst durch Kooptation ergänzten und außer der Verwaltung in außerkirchlichen Angelegenheiten
sonst nur mit der Übung der Kirchenzucht beauftragt waren.
Die jetzigen S. dagegen sind vielfach auch aus dem Verlangen entsprungen, die Grundsätze des konstitutionellen Regiments auf die Kirche zu übertragen, was ein unrichtiger Gedanke ist. Doch dürfte nicht zu bestreiten sein, daß die Durchführung der S. in den evang. Landeskirchen Deutschlands [* 6] wesentlich zur Hebung [* 7] des kirchlichen Sinns in der Laienwelt beigetragen hat. Die neueste und wegen der äußern und innern Bedeutung der durch sie organisierten Landeskirche bedeutendste S. ist die in den J. 1873-76 durchgeführte Organisation der preuß. Landeskirche. Dazu neuerdings (Gesetz vom Abänderungen und Ergänzungen. Nähere Angaben über das in Betracht kommende sehr umfassende Gesetzesmaterial vgl. in den Lehrbüchern des Kirchenrechts von Richter-Dove-Kahl und Zorn, sowie in dem Artikel Kirchengemeinde in Stengels «Wörterbuch des Verwaltungsrechts».