Sulzfluh
(Kt. Graubünden, Bez. Ober Landquart). 2820 m. Grenzgipfel zwischen dem Prätigau und Vorarlberg, im ö. Rätikon zwischen der Drusenfluh (2829 m) und der Scheienfluh (2630 m); 3,3 km sö. jener als malerisch-grossartige, steile Wand aufragend. Zwischen Sulz- und Drusenfluh führen das Drusenthor (Sporrenfurka; 2350 m), sowie im NO. und O. das Grüne Fürkli (2354 m) und der Grubenpass (2235 m) nach Schruns im Montavon hinüber. Die beiden letztern Pässe leiten direkt zur Tilisunahütte des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins (2050 m), von wo aus wieder der Plasseckenpass, der Sarotla- und Viereckerpass überschritten werden können.
Die Sulzfluh
bildet mit der weitgedehnten Kalkwanne der
«Gruben» unter dem
Grubenpass, sowie den
Wänden
der Scheien- und
Mittelfluh den imposanten Felsenzirkus des Partnunerthälchens hinter St. Antönien
(Partnun 1772 m), eine
wahrhaft heroische Landschaft im Böcklin'schen Stil. Ein ergreifendes Idyll ist der 1874 m hoch gelegene, an der einen
Seite
begrünte und von
Alpenrosen umblühte, am O.-Ufer mit kahlen Kalktrümmern besetzte Partnunersee osö.
der Sulzfluh.
Der SO.-Abhang der Sulzfluh
ist die
«Sulz»; an der
W.-Seite zieht sich die teils aus
Bergsturz- teils aus Moränentrümmern
bestehende 1,6 km lange «Ganda» zur Schierseralp Garschina hinab. Die Sulzfluh
fällt nach allen
Seiten in kühnen
Flühen und Stufen ab, die aus der Entfernung gesehen schier unersteiglich
erscheinen.
Oben aber breitet sich nach der österreichischen
Seite hin eine
geneigte, gletschertragende Hochfläche aus, an
deren SO.-Ecke die oberste
Spitze als stolzer Felsenkegel emporragt. Im O. senkt sich das Gemstobel, ein vielfach mit
Schutt
aufgefülltes schmales und gassenartig eingeschnittenes Hochthal, vom Bergplateau steil zum Partnunersee
hinab.
Die
«Gruben» unter dem
Grünen Fürkli und dem
Grubenpass sind eine riesige Kalkschale, die mit ihren Gletscherhöckern, -schliffen
und weiten Karrenfeldern jedem Naturfreund eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges bedeuten. An den steilen
Wänden der Vorderseite
befinden sich die vielgenannten Sulzfluh
höhlen mit unterirdischen Wasserläufen und einem winzigen
See am Höhlenende,
auch mit
Serpentin- und kristallinen Geschieben, die durch die
Gletscher der Eiszeit von der österreichischen
Seite hergeschafft
und in diese vom
Wasser gehöhlten
Stollen und Schächte hineingedrückt wurden. Es gibt z. B. eine Seehöhle, eine Kirchhöhle,
Herrenbalme und Abgrundshöhle, die in einer
Höhe von 2250-2300 m liegen und von denen die erstgenannte 85 m
lang ist.
Von der Tilisunahütte wie von der Schweizerseite her sind in der neuesten Zeit
Pfade zu diesen Sehenswürdigkeiten, die Naturwunder
im grossen Stil darstellen, erstellt worden. Die Sulzfluh
wird von St. Antönien und
Partnun aus durch das Gemstobel in 4½
und 3½ Stunden, von Schruns herauf über die Tilisunahütte (von hier weg nur 2½ Stunden) in 7-8 Stunden
erstiegen. Sie bietet mit der
Scesaplana und dem
Madrishorn die grossartigste Fernsicht im Rätikongebirge und wird wie die
Scesaplana massenhaft besucht.
Von beiden
Seiten her kann man mit der Ersteigung den Besuch der Sulzfluh
höhlen verbinden und so zu hohem
Genuss und tiefer Belehrung gelangen. Der geologische Aufbau ist wie im ganzen
Rätikon ungewöhnlich, auf riesenhaften tektonischen
Vorgängen und Störungen fussend. Die Kalk- und Dolomitwände der Sulzfluh
bestehen aus Malm und unterm Tithon (Strambergschichten)
mit massenhaften, freilich vielfach undeutlichen und darum lange Zeit nicht erkannten Versteinerungen von Cardium
corallinum, Itieria Moreana, Nerinea Lorioli und N. Partschi, Ptygmatis pseudobruntrutana, Cerithium, etc.
Die den grauen
und hellen Schichten eingelagerten blutroten Kalke, früher für Adnether Marmor, auch für Seewerschichten der Kreide gehalten,
sind ebenfalls tithonischen
Alters und wechsellagern in der Umgebung manchmal mit roten Mergeln derselben Stufe. Die ganze
Masse der Sulzfluh
ist überstürzt oder verkehrt gelagert, wie übrigens schon Theobald erkannt hatte,
und verdankt ihre Lage auf eozänen und wahrscheinlich auch z. T. der Kreide angehörenden Flyschschiefern und Kalksandsteinen
einer gewaltigen Ueberschiebung, die von N. her Trias- und Juragesteine auf die das Thal und die Vorhöhen zusammensetzenden
jüngsten Formationen als mächtige
Schollen und Decken hinbewegt hat.