die sittliche
Abnormität unter religiösem
Gesichtspunkt, jede mit
Freiheit geschehene
Abweichung von dem erkannten
göttlichen
Gesetz. Obwohl
Paulus, welcher die
Lehre
[* 2] von der S. begründet hat, als Anfang der allgemeinen
Sündhaftigkeit nach jüdischer
Weise den
SündenfallAdams voraussetzt, so leitet er doch zugleich die S. spekulativ aus dem
Fleisch (s. d., S. 363
f.) ab. Damit war das
Problem gegeben, an dessen
Auflösung die Kirchenlehre sich zerarbeitete, indem
sie den historischen Anfang mit dem moralischen Ursprung in
Einklang zu bringen suchte.
Übrigens unterscheidet sie: Erbsünde (s. d.) und die aus dieser erst hervorgehende Thatsünde (peccatum
actuale);
rücksichtlich der Form, unter welcher das
Gesetz auftritt, Begehungssünde (p. commissionis), die
Übertretung des
Verbots, und Unterlassungssünde (p. omissionis);
rücksichtlich der
Handlung selbst innere Sünden (peccata interna), unerlaubte
Gedanken und Entschließungen, und äußere Sünden (p. externa), unerlaubte
Reden und Thaten;
nach dem
Grade der in ihr liegenden Verkehrtheit vorsätzliche oder Bosheitssünden (p. voluntaria), die unmittelbar aus einem
bösen Entschluß hervorgehenden
Handlungen, und unvorsätzliche oder Schwachheits-, Übereilungssünden (p. involuntaria,
ex infirmitate, temeritate oriunda).
Unter der
Matth. 12, 31. f. erwähnten
unvergeblichen S. wider den
HeiligenGeist versteht man den definitiven Unglauben der im
Bösen verhärteten, eigne bessere
Überzeugung erstickenden Persönlichkeit. Darauf und auf
1. Joh. 5, 16. 17 beruht die besonders in der katholischen
Praxis
bedeutungsvolle
Einteilung der Sünden in vergebliche oder büßliche (peccata remissibilia sive venialia) und unvergebliche
oder
Todsünden (p. irremissibilia sive mortalia), die den Verlust des
Gnadenstandes nach sich ziehen,
ohne daß sie jedoch von der katholischen
Lehre in einem bestimmten
Katalog zusammengestellt worden wären.
Vgl. Jul.
Müller,
Die christliche
Lehre von der S. (6. Aufl., Bresl. 1878, 2 Bde.).
nach der ursprünglichen Bedeutung des Wortes jede Verletzung eines Gesetzes, wodurch
eine Sühne, d. h. eine Verbüßung der Schuld durch Strafe, erforderlich wird; nach theol. Sprachgebrauch jede der Zurechnung
fähige und daher Sühne heischende Übertretung göttlicher Gebote. Daher fallen nicht bloß die zur Vollziehung gekommenen
Thaten, sondern schon die mit dem erkannten göttlichen Gesetze streitenden Willensbewegungen und Gedanken
unter den Begriff der S. Da aber die einzelnen sündigen Gedanken und Handlungen auf einem dem göttlichen Gesetze widerstreitenden
innern Zustande des Subjekts beruhen, so unterscheidet man von der einzelnen S. (der S. in concreto) die Sündigkeit als gottwidrige
Bestimmtheit des menschlichen Willens.
Letztere setzt, um zurechnungsfähig zu sein, die menschliche Freiheit voraus, ist also in irgend welchem
Maße immer zugleich selbstverschuldet. Von der sündigen Willensbethätigung (dem materiale actionis) ist jedoch das
Bewußtsein ihrer Sündlichkeit oder das Schuldbewußtsein (das formale actionis) noch zu unterscheiden; denn letzteres
tritt oft erst nach der That, manchmal überhaupt nicht ein. Hierauf beruht der Unterschied der S. im
objektiven und subjektiven Sinne oder der dem göttlichen Gesetze thatsächlich widersprechenden Beschaffenheit der Handlung
oder Willensrichtung und der vom Subjekt selbst zugestandenen Zurechnung.
Bei der Frage, ob die S. vermeidlich sei oder nicht, ist zunächst die S. im subjektiven Sinne gemeint, deren
mindestens relative Vermeidlichkeit eine unumstößliche Aussage des sittlichen Selbstbewußtseins ist, worauf überhaupt
alle Zurechnung der S. beruht. Andererseits lehrt die Erfahrung, daß die S. immer wieder aus dem anfänglichen Übergewicht
der sinnlichen Naturbestimmtheit über den persönlichen Willen hervorgeht und im Gesamtleben als eine objektive Macht des
Bösen sich darstellt, deren Einfluß der Einzelne unterliegt.
Das gleichwohl eintretende Schuldbewußtsein aber verrät die gegen ihre Unterdrückung reagierende sittliche Anlage des Menschen
und wird zum Motiv eines die Entwicklung vorwärts treibenden Befreiungstrachtens, das im Christentum als Erlösungsbedürfnis
auftritt. In dem Dogma von der Erbsünde (s. d.) hat die kirchliche Theologie den Versuch gemacht, sowohl
das Moment der Freiheit als das Moment der Notwendigkeit in der S. zur Geltung zu
bringen, so jedoch, daß sie die Freiheit nur
von dem ersten Menschen vor dem Fall, die Notwendigkeit aber von der ganzen nachfolgenden Entwicklung (abgesehen von der Erlösung)
behauptet, wobei wegen der Freiheit der ersten S. auch die Schuld derselben sich vererbt haben soll.
Die biblische Lehre ist in der Behauptung eines absoluten Sündenverderbens der Menschheit keineswegs einig, betont aber meistens
beides, den natürlichen Anlaß der S. in der Schwachheit des Fleisches und die niemals völlig fehlende persönliche Schuld.
Ohne diese letztere irgendwie abzuschwächen, lehrt indes Paulus, daß der Mensch vermöge seiner fleischlichen
Natur notwendig unter der Herrschaft der S. stehe, deren Macht durch die Gebote des Gesetzes statt zurückgedrängt, vielmehr
gerade erregt werde, wobei aber das Erwachen des Bewußtseins von der Abweichung des Willens vom Gesetz die notwendige Vorbedingnng
für die Erlösung von der objektiven Sündenmacht sei.
Das Alte Testament unterscheidet Unwissenheitssünden, die vergeben werden können, und S. «mit
erhobener Hand»,
[* 3] die als bewußte Verletzungen des göttlichen Bundeszwecks mit Ausrottung aus dem Volke bedroht werden. Paulus
hat diese Unterscheidung zurückgestellt, unterscheidet aber von der zum Suchen der Vergebung treibenden Sündenschuld noch
den in Selbstgerechtigkeit gegründeten Ungehorsam gegen den in Christus offenbarten Gnadenwillen. Dieser
Ungehorsam ist die vom Heile ausschließende S. Wesentlich etwas anderes besagt die kath. Unterscheidung von Todsünde (s. d.)
und Erlaßsünde (s. d.).
Ihren ersten Ursprung nimmt alle S. in der Sinnlichkeit; sie steigert sich aber in dem Maße, als der persönliche Wille, statt
von den Fesseln der sinnlichen Natur sich loszuringen, sich selbst in den Dienst der sinnlichen Triebe
begiebt, zur persönlichen Sündhaftigkeit, die als Gegensatz der selbstischen Zwecke des Einzelnen gegen die sittlichen
Zwecke der Gemeinschaft zur Selbstsucht, als eigenwilliges Sichverschließen des Subjekts gegen die göttlichen Ordnungen
zum bewußten Ungehorsam wird, dessen höchste keiner Vergebung fähige Steigerung das Neue Testament als
S. wider den HeiligenGeist bezeichnet. -
Vgl. Ernesti, Vom Ursprünge der S. nach Paulinischem Lehrgehalt (2 Bde.,
Gott. 1862);
Jul. Müller, Die christl. Lehre von der S. (6. Aufl., 2 Bde.,
Stuttg. 1878; neue Ausg., Brem. 1888);
Clemm, Die christl. Lehre von der S. (Tl. 1, Gött. 1897).