Titel
Struensee
,
1)
Karl
Gustav von, preuß.
Minister, geb. zu
Halle,
[* 2] Sohn
Adam Struensees
, des Verfassers des alten
Halleschen
Gesangbuchs,
Predigers an der Ulrichskirche daselbst, dann zu
Altona,
[* 3] studierte in
Halle
Mathematik
und
Philosophie und wurde 1757
Professor an der
Ritterakademie zu
Liegnitz.
[* 4] Hier benutzte er seine Muße, die Anwendung der
Mathematik
auf die
Kriegskunst zu studieren, und gab »Anfangsgründe der
Artillerie« (3. Aufl., Leipz. 1788) und »Anfangsgründe
der
Kriegsbaukunst« (das. 1771-74, 3 Bde.; 2. Aufl.
1786) heraus, das erste bessere Werk in diesem
Fach in
Deutschland.
[* 5]
Auf Veranlassung seines Bruders ging er 1769 nach Kopenhagen, [* 6] wo er eine Anstellung als dänischer Justizrat und Mitglied des Finanzkollegiums erhielt. Nach dem Sturz seines Bruders 1772 wurde er von Friedrich d. Gr. als preußischer Unterthan reklamiert, so daß man ihn frei in sein Vaterland entlassen mußte. Nachdem er längere Zeit auf seinem Gut Alzenau bei Haynau in Schlesien [* 7] den Wissenschaften gelebt, ward er 1777 zum Direktor des Bankkontors in Elbing [* 8] ernannt, 1782 als Oberfinanzrat und Direktor der Seehandlung nach Berlin [* 9] berufen, 1789 vom König von Dänemark [* 10] unter Hinzufügung des Namens v. Karlsbach geadelt und 1791 zum preußischen Staatsminister und Chef des Accise- und Zolldepartements ernannt. Obwohl von stattlicher Persönlichkeit und bedeutenden Gaben, dabei streng rechtlich, vermochte S., durch den Neid und die Feindseligkeit seiner hochadligen Kollegen behindert, doch nicht die freisinnigen Reformen im Finanzwesen durchzuführen, welche er in seinen Schriften empfohlen hatte. Er starb
Vgl. v.
Held, Struensee
(Berl. 1805).
2) Johann Friedrich, Graf von, dän. Minister, Bruder des vorigen, geb. zu Halle, studierte in seiner Vaterstadt Medizin, ward 1759 Stadtphysikus zu Altona und 1768 Leibarzt und Begleiter des jungen Königs Christian VII. von Dänemark auf dessen Reise durch Deutschland, Frankreich und England. Schnell erwarb er sich die Gunst des Königs und ward 1770 auch mit der Erziehung des Kronprinzen beauftragt und zum Konferenzrat und Lektor des Königs und der Königin Karoline Mathilde (s. Karoline 1) ernannt.
Die von ihrem Gatten mit Gleichgültigkeit behandelte Königin fand bald Interesse an seinem Umgang und glaubte in ihm den Mann gefunden zu haben, mit dessen Hilfe sie die ihr abgeneigte dänische Adelsaristokratie stürzen könnte. Nachdem S. ein besseres Einvernehmen zwischen dem König und der Königin hergestellt, wußte er die bisherigen Günstlinge und Minister vom Hof [* 11] zu entfernen, zuerst den Grafen von Holck, an dessen Stelle sein Freund Brandt als königlicher Gesellschafter eintrat, dann auch den verdienten Minister Grafen Bernstorff, und Ende 1770 hob er den ganzen Staatsrat auf. Die Königin und S. herrschten nun unumschränkt, indem sie den schwachen König von den Staatsgeschäften fern hielten. Bald entspann sich zwischen ihnen ein näheres Verhältnis. Während Karoline Mathilde S. zärtlich liebte und ihre Gefühle oft unvorsichtig verriet, war diesem die Neigung der Königin besonders deswegen von Wert, weil er sich durch sie in seiner Machtstellung zu behaupten hoffte. Seine Herrschaft über den eingeschüchterten König ¶
mehr
war so groß, daß er sich schließlich sogar die Vollmacht erteilen ließ, Kabinettsbefehle ohne königliche Unterschrift auszufertigen. Es ward ein neues Ministerium gebildet, S. selbst aber im Juli 1771 zum Kabinettsminister ernannt. Abweichend von der bisher verfolgten Politik, suchte S. Dänemark von dem Einfluß Rußlands frei zu machen und dafür mit dem stammverwandten Schweden [* 13] eine enge Verbindung herzustellen. Im Innern wollte er nach dem Muster Friedrichs II. von Preußen [* 14] durch einen aufgeklärten Despotismus gewerbliche Thätigkeit, Wohlstand und freiheitliche Bildung begründen.
Die Finanzen wurden geordnet, die Abgaben verringert, viele der Industrie und Handel hemmenden Fesseln gelöst, Bildungsanstalten gegründet, die strengen Strafgesetze gemildert, die Folter abgeschafft und alle Zweige der Verwaltung nach Vernunftgrundsätzen geordnet; doch ging S. dabei mit zu rücksichtsloser Eile zu Werke, verfeindete sich mit allen hervorragenden Persönlichkeiten, reizte das Volk durch Verdrängung der S. unbekannten dänischen Sprache [* 15] zu gunsten der deutschen und ward daher als Tyrann verschrien, insbesondere von der orthodoxen Geistlichkeit.
Dazu ward sein Verhältnis zu der Königin verdächtigt, namentlich als diese eine Tochter gebar. An der Spitze der
ihm feindlichen Partei stand die herrschsüchtige Stiefmutter Christians VII., Juliane Maria, Prinzessin von Braunschweig-Wolfenbüttel,
und an sie schlossen sich mehrere einflußreiche Männer an, darunter der Kabinettssekretär Guldberg und
der General Rantzau-Aschberg. Am frühen Morgen des drangen diese Verschwornen in das Schlafzimmer des Königs und
zwangen denselben zur Unterzeichnung des Befehls zur Verhaftung der Königin, Struensees
und Brandts. S. ward in Ketten auf die
Citadelle gebracht und eines Anschlags gegen die Person des Königs, um ihn zur Abdikation zu zwingen, des
strafbaren Umgangs mit der Königin, der Anmaßung und des Mißbrauchs der höchsten Gewalt angeklagt.
Auf sein Geständnis eines verbrecherischen Umgangs mit der Königin begab sich eine zweite Kommission zur Königin nach Kronborg,
um aus dieser ein gleiches Geständnis herauszulocken, was auch gelang. Die königliche Ehe ward getrennt,
S. aber »eines großen, todeswürdigen Verbrechens wegen« 6. April zu grausamer Hinrichtung verurteilt. Ebenso lautete das Urteil
gegen Brandt als Genossen Struensees.
Nachdem der König das Urteil bestätigt hatte, erfolgte die Exekution, indem
ihnen erst die rechte Hand,
[* 16] dann der Kopf abgeschlagen und der Rumpf zerstückelt wurde.
Beide Verurteilte fielen dem Haß der von ihnen schwer beleidigten Adelsaristokratie zum Opfer. Michael Beer und Heinrich Laube
machten Struensees
Schicksal zum Gegenstand gleichnamiger Trauerspiele. Bouterwek lieferte einen seiner Zeit anerkannten Roman.
Vgl. Höst, Geheimer Kabinettsminister Graf J. F. S. und sein Ministerium (deutsch, Kopenh. 1826);
Jenssen-Tusch, Die Verschwörung gegen Karoline Mathilde von Dänemark und die Grafen S. und Brandt (Jena [* 17] 1864);
Wittich, Struensee
(Leipz. 1878).
3) Gustav Otto von (pseudonym Gustav vom See), Romanschriftsteller, geb. zu Greifenberg in Pommern, [* 18] studierte zu Bonn [* 19] und Berlin die Rechte, ward 1834 Regierungsrat in Koblenz [* 20] und 1847 Oberregierungsrat in Berlin. Er starb in Breslau. [* 21] Unter seinen ältern Romanen (gesammelt Bresl. 1867-69, 18 Bde.; neue Ausg. 1876, 6 Bde.) verdienen »Die Egoisten« (1853),
»Vor fünfzig Jahren« (1859) und »Herz und Welt« (1862) hervorgehoben zu werden. Seine stärkste Produktivität entfaltete der talentvolle und gebildete Erzähler in den letzten Jahrzehnten seines Lebens, wo er unter andern die Romane: »Wogen des Lebens« (Bresl. 1863, 3 Bde.),
»Gräfin und Marquise« (Leipz. 1865, 4 Bde.) mit der Fortsetzung »Ost und West« (Bresl. 1865, 4 Bde.),
»Arnstein« (das. 1868, 3 Bde.),
»Valerie« (das. 1869, 4 Bde.),
»Falkenrode« (Hannov. 1870, 4 Bde.),
»Krieg und Friede« (Berl. 1872, 4 Bde.),
»Gänseliese« (Hannov. 1873, 3 Bde.),
»Ideal und Wirklichkeit« (das. 1875, 3 Bde.),
»Erlebt und erdacht«, Novellen (das. 1875, 2 Bde.),
»Die Philosophie des Unbewußten« (das. 1876, 3 Bde.) etc. erscheinen ließ.