Straubenzell
(Kt. St. Gallen, Bez. Gossau). 560-900 m. Grosse politische Gemeinde und sw. Vorstadt von St. Gallen, zu beiden Seiten der Sitter und im S. an den Kanton Appenzell grenzend. Die Gemeinde durchziehen die Eisenbahnlinien: St. Gallen-Winterthur-Zürich, die Appenzellerbahn (Winkeln-Herisau-Appenzell) und Strassenbahn St. Gallen-Gais-Appenzell, die Linie Bodensee-Toggenburg (im Bau), sowie die Trambahn St. Gallen-Bruggen. Stationen Bruggen, Winkeln, Riethäusle und Lustmühle.
Postwagen St. Gallen-Lachen-Vonwil-Engelburg. Zahlreiche schöne und gute Strassen. 3 Postbureaux, Telegraph und Telephon. Die Gemeinde umfasst das grosse und wohlgebaute Pfarrdorf Bruggen mit schöner katholischer und neuer reformierter Kirche, schönen Schul-, Geschäfts- und Privathäusern, sowie Bahnstation; ferner die immer mehr mit der Stadt St. Gallen verwachsenden grossen Ortschaften Lachen-Vonwil und Schönenwegen, das Dorf Winkeln mit Bahnstation und endlich zahlreiche Weiler und Häusergruppen wie Altenwegen, Bild, Grafenau, Gübsen, Hafnersberg, Hof, Kräzeren, Moosmühle, Scheidweg, Schoretshub, Sitterthal, Tobel; Burg, Feldli, Hofstätten, Oberstrass, Rosenberg, Schoren, Waldiacker; Ahorn, Au, Bernhardswies, Boppartshof, Haggen, Hinterberg, Lehn, Lerchenfeld, Moos, Oberstocken, Weiergütli, Wilen und Ziegelhütte.
Zusammen: 1671 Haushaltungen in 644
Häusern; 8090 Ew., wovon 4560 Katholiken und 3517 Reformierte. Die
Bevölkerungszahl hat sich seit 1850 (2200 Ew.) nahezu vervierfacht. Straubenzell
ist hinsichtlich der Einwohnerzahl die
fünfte Gemeinde des Kantons. Viele der Bewohner arbeiten in den verschiedenen Geschäften der Stadt
St. Gallen. Von industriellen
und gewerblichen Etablissementen und Betrieben in der Gemeinde Straubenzell
selbst sind zu nennen: mehrere Stickfabriken
und zahlreiche Einzelmaschinen, 4 Bleichereien und Appreturen, 3 mechanische Werkstätten, 2 Maschinenfabriken,
Kunstmühle, Kartonfabrik, Petroleumlager, Baugeschäfte, 3 Bierbrauereien, Schleiferei, Elektrizitätswerk im
Kubel. 4 grosse
Schulhäuser;
die ehemals konfessionell getrennten Schulen sind seit einigen Jahren vereinigt.
Grosses Gemeinde- und grosses Armenhaus. Eine Menge wohltätige, gemeinnützige, politische und religiöse Vereine; Sparkassen und Volksbibliotheken. Viel wird auch für das Armenwesen getan. Im W. und O. der Gemeinde liegen grössere Weier (Bild- und Burgweier), die im Winter von den Schlittschuhläufern als Eisbahn benutzt werden. Im W. dehnt sich der kantonale und eidg. Exerzierplatz Breitfeld aus, der sich noch weit in die Gemeinde Gossau hinein erstreckt. Zahlreiche Obstbäume und viel Wald.
Die
Sitter wird von drei grossen und schönen Brücken überschritten. Längere Zeit beschränkte sich der Name Straubenzell
auf wenige
Häuser am waldbewachsenen Berghang, wo heute die Häusergruppe
Hofstätten steht. Hier befand sich schon im 10. Jahrhundert
die
Zelle eines Klausners oder Waldbruders, an deren Stelle dann ein einer Familie Strub oder Straub
gehörendes Bauerngut trat, nach welchem später die ganze Gegend zwischen dem Wattbachtobel und der
Sitter den Namen Straubenzell
erhielt.
Der ursprüngliche Sitz der Edelleute gleichen Namens, von denen 1167 ein Walter de Straubencelle urkundlich vorkommt, ist nicht bekannt. Sehr alte Ortschaften der Gemeinde sind Brucken, Kräzern, Hacken, Menzeln, Wilen und Sturzenegg. Ums Jahr 1080 liess Abt Ulrich III. auf dem Hügel ob dem Sitterübergang eine Feste erstellen. 1085 siegte er hier im Kampf gegen den Grafen Diethelm von Toggenburg, während Abt Ulrich IV. 1209 dem Bischof von Konstanz unterlag, an welches Ereignis die Kapelle St. Barbara zu Bild erinnert.
Auf der
Güpfi, dem ältesten Gebäude der Gemeinde, hausten die Edeln von
Sturzenegg. Im Appenzellerkrieg hielten die obern
Höfe zu den Appenzellern. Auf dem
Hof
Waldi baute Ratsherr Grübel von St. Gallen
1474 die Burg
Waldeck, die später an die Abtei verkauft
und Sitz von deren Landeshofmeister wurde. 1525 nahm die Mehrzahl der Bewohner Straubenzells
die Reformation
an, um dann aber wie das ganze
Fürstenland unter Abt
Diethelm wieder zum alten Glauben zurückzukehren.
Brucken oder
Bruggen hat seinen Namen von einer alten
Brücke über die
Sitter und ist eine der ältesten Ortschaften der Gemeinde.
Hier befanden sich die uralte
Kapelle
St. Martin, sowie ein Armen- und Siechenhaus, das später zur Pilgerherberge
wurde.
Bruggen war auch Amts- und Versammlungsort des Gerichtes Straubenzell.
Seit 1404 eigene Pfarrei; erste Kirche 1600 erbaut,
1672-1682 erweitert und 1783 mit dem heutigen schönen Glockenturm versehen. 1566 baute Abt Bernhard die Papierfabrik
in der Kräzern.
Hauptmann Boppart erstellte 1642 das Schlösslein im Hof Hacken unterhalb der St. Wolfgangskapelle und 1680 in Schönenwegen die Kapelle Neu Maria Einsiedeln. Bis 1811 bildete die unten in der Tiefe der waldigen Sitterschlucht über den Fluss führende hölzerne Brücke mit steil ansteigender Zufahrt das einzige Verkehrsmittel der wichtigen Handels- und Heerstrasse von St. Gallen nach Wil und ins Toggenburg einerseits, nach Zürich andrerseits. 1811 wurde diese alte Brücke durch eine prächtige zweibogige Steinbrücke von 177 m Länge und 25 m Höhe, die schönste Brücke der Ostschweiz, ersetzt.
Dazu kam dann 1856 die mächtige eiserne Gitterbrücke (168 m lang und 61 m hoch) der Bahnlinie Zürich-St. Gallen. Von besonderm historischen Interesse ist die Burg Waldegg, die bis 1798 die Residenz der äbtischen Landeshofmeister, in weltlichen Dingen die rechte Hand des Landesherren, war. Mit der Aufhebung des Klosters kam auch Waldegg samt seinen Gütern an den Staat St. Gallen, um 1825 an Private überzugehen, welche hier neue Gebäude für industrielle Etablissemente erstellen liessen.
Zur Zeit befindet sich
im Schloss ein Erziehungsinstitut. Dieser nö. Teil der Gemeinde gehört zur katholischen Dompfarrei
St. Gallen.
Die Ziegelbrennereien bei
Schönenwegen und die Sitterwalke erscheinen schon frühzeitig als Besitz des Bauamtes St. Gallen.
Bei
der untern
Ziegelhütte befand sich eine uralte Gerichtsstätte, wo die Reichsvögte des
Thurgaues in ausserordentlichen Fällen
zu Gericht sassen. Auf dem nahen Hügel stand das Hochgericht. Unweit davon baute die Gemeinde Straubenzell
1841 ein Armenhaus.
Die zum Gericht Straubenzell
gehörigen 41 Ortschaften und
Höfe wurden 1803 zur politischen Gemeinde Straubenzell
vereinigt und dem Bezirk
Rorschach angegliedert, von dem diese 1831 an den Bezirk
Gossau überging. Fund von römischen Münzen
auf
Haggen und im
Hätterenwald. Die
Letzi an der
Kräzeren (Chrazarun) wird 1219 erwähnt. Vergl. Näf,
Aug. Chronik der Denkwürdigkeiten
der Stadt und Landschaft St. Gallen.
St. Gallen
1850.