Strategische
Eisenbahnen
, Eisenbahnen
, für deren Herstellung besonders Rücksichten auf die Landesverteidigung
maßgebend sind. Die
Entwicklung des Eisenbahnwesens hat dahin geführt, daß seine Ausnutzung zu Kriegszwecken
für die Versammlung der
Heere, für eine beschleunigte Versetzung derselben von einem
Kriegsschauplatz auf einen andern, für
den Nachschub im weitesten
Sinne des Wortes, für alle
Transporte von totem Material in den Vordergrund getreten ist.
Nicht immer fallen die Interessen des friedlichen Verkehrs mit den strategischen
Interessen der Landesverteidigung
zusammen, und manche Bahnlinie ist, obwohl sie vom Standpunkt des friedlichen Verkehrs noch für absehbare
Zeiten keine oder
nur geringe Rentabilität verspricht, ausschließlich aus strategischen
Rücksichten gebaut. Solche
Bahnen nennt man
S. E.
im engern
Sinne; im weitern
Sinne aber bezeichnet man mit diesem
Ausdruck überhaupt solche voneinander unabhängige durchgehende
Bahnlinien, welche gleichzeitig zum
Aufmarsch der
Heere an der Grenze benutzt werden können.
Bei den gewaltigen
Massen lebenden und toten Materials, welche bei dem strategischen
Aufmarsch eines modernen
Heers fortzuschaffen
sind, ist es unbedingt erforderlich, das vorhandene rollende Material einer Bahnlinie in unausgesetzter Folge immer von neuem
zu benutzen, ohne im
Transport der Gesamtheit eine Pause eintreten zu lassen. Ein doppeltes Gleis ist
daher ein Haupterfordernis für eine wirklich strategische
Bahnlinie.
Die
Steigerung der Leistungsfähigkeit der Eisenbahnen
durch
Ausbau des strategischen
Netzes, durch Legung der zweiten Gleise
auf bisher eingleisigen
Strecken, durch Vervollkommnung der
Betriebsmittel, durch Schaffung zahlreicher mit den
nötigen Vorrichtungen zum Aus- und Einladen der
Truppen versehener
Stationen sowie andererseits die Sicherung der für den
Aufmarsch bestimmten
Eisenbahnlinien gegen überraschende feindliche Unternehmungen, teils durch Befestigungsanlagen, teils
durch entsprechende Truppendislokationen schon im Frieden, sind
Aufgaben einer jeden Heeresverwaltung.
Für die Wichtigkeit der
S. E. spricht der Umstand, daß nach dem
Kriege von 1870/71 in allen großen
Heeren
Eisenbahntruppen geschaffen worden sind, denen im Kriegsfalle nicht nur der Betrieb der Eisenbahnen
, sondern auch die Herstellung
zerstörter und der
Bau neuer Linien obliegt.
Deutschland, [* 2] das infolge seiner innerpolit. Gestaltung vor 1870 für den Ausbau S. E. wenig gethan hatte, so daß Frankreich anfangs einen wesentlichen Vorsprung hatte, hat erst seitdem den S. E. gebührende Aufmerksamkeit zugewendet. 1870 bestanden nur 9 Linien, welche für den Aufmarsch an der Westgrenze benutzt werden konnten; jetzt dagegen 16 zweigleisige von Ost nach West laufende Linien und über 19 Eisenbahnübergänge über den Rhein. Für den Aufmarsch an der Ostgrenze stehen 11 Bahnlinien zur Verfügung, welche durch eine entsprechende Anzahl von Querlinien parallel der ausgedehnten östl. Grenze verbunden sind. Alle wichtigern Küstenpunkte der Ost- und Nordsee sind durch leistungsfähige Bahnlinien mit dem Innern, sowie durch Küstenbahnen untereinander verbunden.
Frankreich verfügt über 10 voneinander unabhängige, fast durchweg zweigleisige Bahnlinien für den Truppentransport nach der Ostgrenze; die Erbauung von Parallellinien für einzelne wichtige Strecken auch zu drei Gleisen und von zahlreichen Ausläufern nach der Grenze erfolgte meist in rein militär. Interesse.
Österreich-Ungarn [* 3] hat in erster Linie auf die Sicherung eines raschen und ungestörten Aufmarsches der Armee im nördl. Galizien Bedacht genommen, um hier womöglich der drohenden russ. Invasion zuvorzukommen und selbst die Offensive zu ergreifen; fünf leistungsfähige Linien führen aus dem Innern der Monarchie nach dem galiz. Grenzgebiet.
Rußland ist bei dem mit großem Eifer betriebenen
Ausbau seines
Eisenbahnnetzes ausschließlich von strategischen
Gesichtspunkten
ausgegangen, indem es in erster Linie die Möglichkeit eines raschen
Aufmarsches seiner
Armee an der Südwestgrenze
anstrebte, zweitens aber auch bei der
Anlage seiner ausgedehnten Schienenwege die Ausbreitung der russ. Macht in
Central- und
Ostasien und den schließlich doch unvermeidlichen Zusammenstoß mit England ins
Auge
[* 4] faßte.
Dem erstern Zweck diente der Ausbau der Bahnnetze in Polen und in den Grenzdistrikten zwischen der galiz.-rumän. Grenze und dem Dnjepr, sowie derjenigen Linien, welche aus dem Innern nach diesen Grenzdistrikten führen; dem letztern Zweck verdankten die Schienenwege nach der Grenze Asiens und dem Kaukasusgebiet, sowie die Transkaspische Eisenbahn (s. d.) und die teilweise bereits eröffnete Sibirische Eisenbahn (s. d.) ihre Entstehung. Aus dem Innern führen zur Zeit 6 Hauptlinien mit verschiedenen Verzweigungen und Zufuhrlinien konzentrisch nach der stark befestigten Weichsellinie und der galiz. Grenze, über die Weichsellinie hinaus nach der poln.-preuß. Grenze zu ist die Weiterführung der wirtschaftlich wünschenswerten Eisenbahnverbindungen wenig gefördert, während eine Anzahl teils bereits fertiggestellter, teils im Bau begriffener Linien dazu bestimmt sind, eine bessere Verbindung des südwestl. Rußlands mit der galiz.-rumän. Grenze zu schaffen und eine schnelle Versammlung großer Truppenmassen im Militärbezirk Kiew [* 5] zu ermöglichen.
Italien [* 6] hat zwei durchgehende Hauptlinien, welche die ganze Halbinsel an der Küste des Adriatischen und Tyrrhenischen Meers entlang durchziehen, mit ihren Verzweigungen die Hauptorte der lombard. Tiefebene berühren und im Verein mit der Linie Rom-Bologna bestimmt sind, die ital. Armee von den verschiedenen Punkten der langgestreckten Halbinsel nach der lombard. Tiefebene zu befördern. In dieser selbst ermöglichen zwei leistungsfähige Querverbindungen mit zahlreichen Nebenlinien und Ausläufern den Aufmarsch sowohl der franz. wie der österr. Grenze gegenüber. Die S. E. Italiens [* 7] sind vielfach der Gefährdung durch feindliche Flotten ausgesetzt, ihre Sicherung hängt daher von dem Schutz ab, den die ital. Flotte ihnen bietet.