Strafrecht
,
früher Kriminalrecht oder Peinliches
Recht genannt, im objektiven
Sinne der
Inbegriff
derjenigen Rechtssätze, durch welche die Ausübung des staatlichen S. begrenzt und sein
Bestand festgestellt wird; im subjektiven
Sinne das
Recht zu strafen. In letzterm
Sinne kommt es
an sich auch einzelnen
Personen
zu: dem
Vater,
Lehrer, Lehrherrn (Züchtigungsrecht),
Beamten, der Geistlichkeit (Disciplinarstrafrecht
). Aber wenn von S. ohne weiteres die Rede ist,
so wird darunter das S. des
Staates verstanden. Dies S. hat es, im Gegensatz zum bürgerlichen (Civil-)Recht, mit dem strafbaren
Unrecht im Gegensatz zum Civilunrecht (s.
Arglist und Delikt) zu thun. Der Gesetzgeber kann nicht jedes Unrecht strafen;
Strafe
tritt nur da ein, wo der Zwang des Civilgesetzes zur Niederhaltung des Unrechts nicht ausreicht. Die
Grenzen
[* 2] des S. sind keine absoluten; sie sind andere bei andern Kulturverhältnissen und Volksanschauungen.
Die Untersuchung der Frage, woher dem Staate das Recht kommt, über seine Angehörigen bei gewissen Handlungen Strafen in Form von empfindlichen Übeln zu verhängen, hat zu der Aufstellung von sog. Strafrechtstheorien (s. d.) geführt. Ein staatliches S. existiert in den Anfängen menschlicher Kultur so wenig wie der Begriff «Staat» im heutigen Sinne. Das S. ruht bei den Blutsverbänden, welche dasselbe nicht nur ihren Angehörigen, sondern auch denjenigen gegenüber in Anspruch nehmen, welche an ihren Angehörigen gefrevelt haben.
Dies
Recht ist vielfach von theokratischen
Anschauungen beeinflußt, von dem
Gedanken, daß die Gottheit durch den Frevel beleidigt
sei, daß der Getötete keine Ruhe habe, bis der auf ihm lastende
Bann durch rächende
Vergeltung gelöst ist. Aus dieser
Anschauung
wird das
Recht zu strafen zu einer Pflicht (Blutrache, s. d.).
Dieser Zustand enthielt den
Keim zu ständiger
Fehde zwischen den beteiligten Volksgemeinschaften. Die damit verbundenen Übelstände
führten zu gewissen Vereinbarungen mit Einschränkungen des unbedingten Racherechts: Flucht,
Asyl,
Loskauf, Sühnegeld. An
Stelle des vereinbarten Sühnegeldes trat, je intensiver die Gefährdung des öffentlichen Friedens durch die Übelthat
war, die von den interessierten größern Volksgemeinschaften auferlegte
Buße
(Komposition), und damit
sind die Anfänge gerichtlicher Intervention und staatlicher
Strafe gegeben, die zwar anfangs noch die Bedeutung einer Privatstrafe
zu Gunsten des Verletzten hat, allmählich aber durch die öffentliche
Strafe verdrängt wird. In
Deutschland
[* 3] war die
Anschauung,
daß das
Deutsche Reich
[* 4] das röm. Kaisertum fortsetze, und die staatsrechtliche,
unerträgliche Zersplitterung von erheblichem Einfluß einerseits auf die Behandlung des römischen, für die ethischen
Anschauungen
deutscher Nation wenig geeigneten S., andererseits auf die Ausbildung einer geordneten
Strafgesetzgebung (s. d.).
Über
Internationales
Strafrecht
s. d. -
Vgl. von Bar, Handbuch des S. (Bd. 1, Berl. 1882);
Binding, Handbuch des S. (Bd. 1, Lpz. 1885);
ders., Grundriß des gemeinen deutschen S. (Bd. 1, 5. Aufl., ebd. 1897);
Merkel, Lehrbuch des deutschen S. (Stuttg. 1889);
ders., Über den Zusammenhang zwischen der Entwicklung des S. und der Gesamtentwicklung der öffentlichen Zustände (Straßb. 1889);
Brunner,
Quellen und Geschichte des deutschen
Rechts,
und Geyer und Merkel, Strafrecht
(in von Holtzendorffs
«Encyklopädie der Rechtswissenschaft», Lpz. 1890);
Berner, Lehrbuch des deutschen S. (17. Aufl., ebd. 1895);
von Liszt, Lehrbuch des deutschen S. (8. Aufl., Berl. 1897);
Stintzing, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft (Münch. und Lpz. 1880 u. 1884);
J. Kohler, Das Wesen der Strafe (Würzb. 1888);
Günther, Die Idee der Wiedervergeltung in der Geschichte und Philosophie des S. (3 Abteil., ¶
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Schmidt, Aufgaben der Strafrecht
spflege (Lpz. 1895).