Titel
Stimmung,
in der Musik s. v. w. Feststellung der Tonhöhe und zwar 1) Feststellung der absoluten Tonhöhe, d. h. der Schwingungszahl eines Tons, nachdem die übrigen gestimmt werden. In ältern Zeiten hatte man verschiedene Stimmungen für verschiedene Instrumente: die einen waren in den Chorton (s. d.), die andern in den Kammerton (s. d.) gestimmt;
in der neuern Zeit bediente man sich allgemein des Kammertons (vgl. A).
Indessen war nicht nur die Tonhöhe des letztern an verschiedenen Orten eine verschiedene, so daß man von einer Pariser, Wiener, Berliner, Petersburger S. etc. spricht, sondern es hat sich außerdem in den letzten anderthalb Jahrhunderten ein stetiges Hinauftreiben der S. herausgestellt. Zu Lullys Zeiten (1633-87) war dieselbe fast anderthalb Töne tiefer als jetzt; seit Händel und Gluck ist sie um einen ganzen Ton gestiegen, seit Mozart um einen halben. Nach der Pariser S. von 1788 zeigte das eingestrichene a 409 (Doppel-) Schwingungen in der Sekunde, nach der ältern Mozart-Stimmung etwas über 421, nach der Pariser S. von 1835: 449, nach der Wiener und Berliner S. von etwa 1850: 442. Um diesem fortdauernden Schwanken des Kammertons Einhalt zu thun und die Einführung einer allgemein gültigen S. anzubahnen, nahm man in Deutschland in Übereinstimmung mit der Deutschen Naturforschergesellschaft (1834) Scheiblers Bestimmung als für den Kammerton maßgebend an, nach welcher dem eingestrichenen a in der Sekunde 440 Schwingungen zukommen, während man 1858 zu Paris auf Anlaß Napoleons III. durch eine Kommission von Sachverständigen einen neuen Kammerton (diapason normal) feststellte, welcher zunächst für Frankreich die normale Tonhöhe auf 870 einfache (= 435 Doppel-) Schwingungen bestimmte. Dieselbe kam bald auch auf mehreren deutschen Bühnen (z. B. der Wiener, Dresdener und
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Berliner) zur Geltung und wurde auf der 16.-19. Nov. 1885 in Wien tagenden internationalen Konferenz zur Feststellung eines einheitlichen Stimmtons endlich einstimmig angenommen. - 2) Theoretische Bestimmung der relativen Tonhöhen, der Verhältnisse (Intervalle) der Töne untereinander, welche wieder auf zweierlei Weise möglich ist: a) abstrakt theoretisch als mathematisch-physikalische Tonbestimmung (s. d.), und b) für die Praxis berechnet, welche statt der zahllosen theoretisch definierten Tonwerte nur wenige substituieren muß, wenn sie einen sichern Anhalt für die Intonation gewinnen will, als Temperatur (s. d.). - 3) Die praktische Ausführung der Temperatur, welche jetzt für Orgel wie Klavier allgemein die gleichschwebende zwölfstufige ist.
Exakt durchführbar ist dieselbe nicht, doch erreicht die Routine befriedigende Resultate. Was mit der Undurchführbarkeit der gleichschwebenden Temperatur versöhnen kann, ist der Umstand, daß diese selbst keine exakten Werte vorstellt, sondern nur Näherungswerte, Mittelwerte, und daß eine etwanige Abweichung ein Intervall schlechter, dafür aber ein andres besser macht. Das einzige Intervall, das absolut rein gestimmt werden muß, ist die Oktave; die Quinte muß ein wenig tiefer sein, und zwar beträgt die Differenz in der eingestrichenen Oktave etwa eine Schwingung, d. h. wenn man jede Quinte so viel tiefer stimmt, daß sie gegen die reine Quinte eine Schwebung in der Sekunde macht, und jede Quarte um ebensoviel höher, so wird man ungefähr genau auskommen.
Von Schriften, welche die S. der Klavierinstrumente behandeln, seien besonders die von Werkmeister (1691 und 1715), Sinn (1717), Sorge (1744, 1748, 1754, 1758), Kirnberger (1760), Marpurg (1776 und 1790), Schröter (1747 und 1782), Wiese (1791, 1792, 1793), Türk (1806), Abt Vogler (1807) und Scheibler (1834, 1835 und 1838) erwähnt. Die Mehrzahl der ältern Stimmmethoden sind gemischte, ungleich schwebend temperierte, d. h. sie bewahren einer Anzahl Intervallen ihre akustische Reinheit, während andre dafür desto schlechter ausfallen. - Im geistigen Sinn bezeichnet S. einen bestimmten Gemütszustand, den in aller Reinheit zum Ausdruck zu bringen eine der Hauptaufgaben der Musik wie jeder andern Kunst ist.