Stimme
(Vox), im physiol. Sinne der Inbegriff der Töne, die im tierischen Organismus beim Durchgange eines kräftigen Luftstroms durch den Kehlkopf [* 2] willkürlich erzeugt werden. Es sind daher Lungen, Luftröhre, Kehlkopf, Mund- und Nasenhöhle sowie die Mitwirkung der Stimmnerven durch den Willen notwendige Erfordernisse zur Hervorbringung der S., und nur Säugetiere, Vögel [* 3] (mit wenigen Ausnahmen) und einige Reptilien und Amphibien besitzen eine S., während die von manchen andern Tieren, z. B. einigen Fischen, Käfern, Grillen u.s.w. hervorgebrachten Töne sowenig wie die beim Husten, Schluchzen, Röcheln u.s.w. gehörten Geräusche Anspruch auf diese Benennung haben.
Das menschliche Stimmorgan, das sich am besten mit einer Zungenpfeife mit zwei Zungen vergleichen läßt, ist zusammengesetzt aus einem tonbildenden Körper, d.i. der Kehlkopf (s. d.), aus einem Windrohr, das die Luft den membranösen Zungen zuleitet, d.i. die Luftröhre, aus einem Blasebalg, d.i. der Brustkasten mit den Lungen, die den Luftstrom erzeugen, und endlich ans einem Ansatzrohr, d.i. die Mund- und Nasenhöhle, welches den erzeugten Ton zum Klang, Vokal- oder Nasenlaut umwandelt.
Stärke (natürliches Vo

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Stärke.Geschaffen wird die S. in der Stimmritze, einer im Kehlkopfe durch die untern oder wahren Stimmbänder (ligamenta glottidis) gebildeten länglichen Spalte, indem diese Bänder von der ausgestoßenen Luft, wie Zungen in den sog. Zungenpfeifen, in Schwingungen versetzt werden. Die oberhalb des Kehlkopfes gelegenen Teile, namentlich die Mundhöhle, dienen als Schallraum und bewirken in ihrer verschiedenen Stellung die Klangfarbe des Tons. Die Stärke [* 4] des Tons wird durch die Stärke des Luftstroms, seine Höhe durch die Länge und Spannung der Stimmbänder bestimmt.
Daher haben Frauen und
Kinder mit kürzern
Stimmbändern eine höhere S. als
Männer. Der Übergang der
höhern Kinderstimme
in die klangvollere und tiefere S. des Erwachsenen
(Stimmwechsel, Mutation) findet während der Zeit
der
Pubertät statt. Die S. dient teils zur (lauten)
Sprache,
[* 5] teils zum
Gesange, teils zu dem weniger als diese beiden artikulierten
und modulierten Geschrei. (S.
Sprachorgane.) Krankhafte
Affektionen des
Kehlkopfes und der übrigen Stimmorgane
haben auch fast immer
Veränderungen der S. zur Folge.
Kehlkopfspiegel - Kehr

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Kehlkopfspiegel.Abweichungen von der Regelmäßigkeit der S. nennt man Stimmfehler (Cacophonia oder Paraphonia), gänzlichen Mangel derselben Stimmlosigkeit (aphonia). Die letztere beruht meist auf einer Stimmbandlähmung (s. Kehlkopf). Zu den Stimmfehlern kann man die hohe S. bei Kastraten und Männern, deren Geschlechtsteile überhaupt in der Entwicklung zurückgeblieben sind, sowie die tiefe S. bei sog. Mannweibern rechnen. Zu den Untersuchungen des Stimmorgans dient vorzüglich der Kehlkopfspiegel [* 6] (s. d.). In der Gesangsmusik bezeichnet S. die Fähigkeit, musikalische Töne hervorzubringen und zu verbinden, sowie auch die eigentümliche Beschaffenheit der Töne selbst.
Die Güte der S. beruht vorzüglich
auf der Gesundheit und Kraft
[* 7] der Stimmorgane und äußert sich durch
Stärke, Deutlichkeit
und Bestimmtheit, Reinheit, Leichtigkeit,
Dauer,
Gleichheit,
Wohlklang und Fülle der
Töne. In Hinsicht auf den
Umfang nimmt
man vier Hauptgattungen der S. (auch die vier S. genannt) an, nämlich
Sopran oder die höhere Frauenstimme
von c1 (mit 256 Schwingungen in der Sekunde) bis c3 (1024),
Alt oder die tiefere Frauenstimme
von f (171) bis f2 (684),
Tenor
oder die hohe Männerstimme
von c (128) bis c2 (512) und
Baß oder die tiefe Männerstimme
von E (80)
bis f1 (342). Nur wenige
Töne, nämlich von c1 (256) bis f1 (342), sind allen Stimmlagen gemeinsam, haben aber bei jeder
eine andere
Klangfarbe.
Zwischen dem tiefsten
Baß- und höchsten Sopranton liegen etwas über 3½ Oktaven. Den
Sopran nennt man
Oberstimme, auch Hauptstimme
,
weil er jetzt in der Regel die Melodie hat; der
Baß ist die eigentliche Grundstimme
, auf deren
Tönen die
Accorde ruhen; die zwei mittlern heißen Mittelstimmen.
Früher war der
Tenor (s. d.) die Hauptstimme
, woher auch sein
Name
stammt, und
Alt (s. d.) bedeutet soviel wie hoher
Tenor. Eine Zwischengattung zwischen
Sopran und
Alt ist der
Mezzosopran.
In der kontrapunktisch-mehrstimmigen Kunstmusik giebt es keine Haupt- oder Nebenstimmen
, weil alle S.
von gleicher Bedeutung sind. In jeder menschlichen S. unterscheidet man Stimmarten oder
Stimmregister. Sie ist nämlich
Bruststimme
und
Kopfstimme. Die
Töne der erstern werden durch gleichmäßige Verengerung, die der letztern durch teilweise Verschließung
der
Stimmritze hervorgebracht. Die tiefe männliche S. gebraucht fast nur das Brustregister. Die weiblichen
S. sind von Natur entweder Diskantstimmen
oder Altstimmen, die Knabenstimmen dem
Tone nach gewöhnlich Altstimmen
, wenn sie
auch den
Umfang des hohen Diskant haben.
Beim
Übertritt des
Knaben in das Jünglingsalter verändert sich die
S. und geht aus Diskant oder
Alt in
Tenor oder
Baß oder eine Zwischengattung
(Bariton) über. Aber durch Kastrieren oder Verschneiden während der Kindheit bleibt
die S. stehen und erhält daneben männliche Fülle und Kraft, wodurch die S. der Kastraten (s. d.)
entsteht. Das Verhältnis der vier Singstimmen
hat man auch auf die übrige
Musik übertragen und spricht
von vierstimmigem
Satze, sowie bei den
Instrumenten von Diskant-,
Mittel- und Grundstimme
je nach ihrer Tonhöhe.
Desgleichen nennt man jeden einer Singstimme
oder einem
Instrument übertragenen Anteil an einem Tonstück S. oder Partie,
sei es
Begleitung oder Hauptstimme. Die
Besetzung der Partien durch mehrere Singstimmen oder
Instrumente derselben Art bewirkt
den Unterschied der
Solostimmen und der Ripien- oder Füllstimmen. –
Vgl. Liskovius, Physiologie der menschlichen S. (Lpz. 1846);
Merkel, Anatomie und Physiologie des menschlichen Stimm- und Sprachorgans (ebd. 1857; 2. Aufl. 1863);
Roßbach, [* 8] Physiologie und Pathologie der menschlichen S., Tl. 1 (Würzb. 1869);
Meyer, S. und Sprachbildung (Berl. 1870);
Helmholtz, Lehre [* 9] von den Tonempfindungen (5. Aufl., Braunschw. 1896);
Grützner, Physiologie der S. und Sprache (in Hermanns «Handbuch der Physiologie», Bd. 1, Tl. 2, Lpz. 1879);
Mandl, Die Gesundheitslehre der S. in Sprache und Gesang (Braunschw. 1876);
Trüg, Die menschliche S., nach Lunns «Philosophy of voice» bearbeitet (Düsseld. 1892). ¶