Stil
(v. lat. stilus
,
»Griffel«, Schreibart), bezeichnet in der Litteratur die Art und
Weise der
sprachlichen
Darstellung, wie sie sowohl durch die geistige Fähigkeit und subjektive Eigentümlichkeit des Schriftstellers
als auch durch den
Inhalt und den
Zweck des Dargestellten bedingt wird. Da der
S. also als die durch das Ganze der schriftlichen
Darstellung herrschende Art, einen Gegenstand aufzufassen und auszudrücken, nicht nur von dem
Inhalt des
Gegenstandes, sondern auch von dem
Charakter und der
Bildung des
Menschen abhängig ist, so hat eigentlich jeder Schriftsteller
seinen eignen S., was
Buffon meint, wenn er sagt: »Der S. ist der
Mensch selbst« (»le style c'est l'homme même«). Die erste
Forderung, die man an jede Art des Stils
macht, ist Deutlichkeit und
Klarheit. Die Deutlichkeit verlangt
aber Reinheit der
Sprache
[* 3] oder Vermeidung aller
¶
mehr
Wörter, die das Bürgerrecht in der Sprache nicht erlangt haben, z. B. aller Provinzialismen, ausländischer, ohne Not neugeschaffener oder veralteter Wörter;
treue Beobachtung der durch die Grammatik bestimmten Gesetze;
Korrektheit, wonach man das den darzustellenden Begriff bezeichnende und deckende Wort wählt;
Präzision oder Bestimmtheit, wonach alles Überflüssige entfernt und nicht mehr oder weniger gegeben wird, als was zur genauen Darstellung des Gedankens erforderlich ist.
Inhalt und Zweck der stil
istischen
Darstellung können verschieden sein, und man unterscheidet insbesondere drei Kräfte, die bei derselben in Wirksamkeit treten:
Verstand, Einbildung und Gefühl, weshalb man von einem S. des Verstandes, der Einbildung und des Gefühls
spricht. Bei dem erstern wird man sich vor allem der Deutlichkeit, bei dem zweiten der Anschaulichkeit und bei dem dritten
der Leidenschaftlichkeit zu befleißigen haben. Zu dem ersten gehört die prosaische Darstellung im allgemeinen, zu dem zweiten
die Epik und das Drama, zu dem dritten die Lyrik und die Rede.
Die alten Griechen und Römer
[* 5] unterschieden, ungefähr dem entsprechend, aber ohne Rücksicht auf Inhalt und Zweck der Darstellung,
in der Prosa einen niedern (genus submissum), einen mittlern (g. medium) und einen höhern S. (g. sublime), und es sollen nach
ihrer Regel z. B. in einer Rede alle drei Stil
arten miteinander abwechseln (vgl. Rede). Im übrigen unterscheidet
man mehrere stil
istische Gattungen mit gewissen feststehenden Formen, z. B. den philosophischen, den didaktischen, den historischen,
den Geschäfts- und Briefstil.
Die Theorie des Stils
oder Stilistik ist die geordnete Zusammenstellung aller Regeln des guten
Stils
oder der üblichen Art, sich schriftlich auszudrücken.
Vgl. Wackernagel, Poetik, Rhetorik und Stilistik (2. Aufl., Halle [* 6] 1888). -
In der bildenden Kunst versteht man unter S. einerseits die in einem Kunstwerk zur Darstellung gebrachte formale und geistige
Anschauung, wie sie bei einem Volk oder in einer gewissen Zeit für die verschiedenen Künste als maßgebend angesehen ward,
anderseits die individuelle, sich von der allgemeinen Richtung in Einzelheiten unterscheidende Darstellungsweise
eines Künstlers. Wenn sich dieser individuelle S. zu einseitig ausprägt oder seinen geistigen Inhalt verliert, nennt man
diese Darstellungsweise Manier (s. d.). Ebenso bezeichnet S. in der Musik sowohl die für eine Kompositionsgattung oder für
bestimmte Instrumente erforderliche Schreibweise (Opernstil
, Klavierstil, Kirchenstil, Vokalstil etc.)
als auch die eigentümliche Schreibweise eines Meisters.
Auch spricht man von einem strengen oder gebundenen S. und versteht darunter die Schreibweise mit reellen Stimmen unter Beobachtung
der für den Vokalstil
gültigen Gesetze, und von einem freien oder galanten S., welcher sich nicht an eine bestimmte Anzahl
Stimmen bindet, sondern dieselben nach Belieben vermehrt oder vermindert etc.
Endlich heißt auch S. die verschiedene Rechnungsart nach dem julianischen und gregorianischen Kalender. Man unterscheidet
alten S., nach dem julianischen (noch jetzt bei den Russen gebräuchlich), und neuen S., nach dem gregorianischen Kalender,
die beide um zwölf Tage voneinander abweichen; daher datiert man meist 12./24. Jan., d. h. 12. Jan. nach
dem alten und 24. Jan. nach dem neuen S.