Sterblichk
eitsstatistik
(Mortalitätsstatistik), neben der
Ehe- und der
Geburtsstatistik einer der wichtigsten
Teile
der
Darstellung der sog.
Bewegung der
Bevölkerung
[* 2] (s. d.). Als Grundlage dienen ihr in erster
Linie diejenigen Nachweise über die Gestorbenen, welche den Aufzeichnungen der
Kirchenbücher oder den von den
Standesbeamten
geführten Civilstandsregistern
(s. o.) entnommen werden. Für die
Darstellung der Sterblichkeit
in der menschlichen Gesellschaft
ist neben der Gesamtzahl der Verstorbenen namentlich das Geschlecht, der Familienstand und das
Alter wichtig. In
Bezug auf
den Familienstand ist die Frage nach der
Dauer der durch den
Tod gelösten
Ehe und der Zahl der
Kinder für
die Feststellung der
Dauer der
Ehe (s.
Ehestatistik) und der ehelichen
Fruchtbarkeit (s.
Geburtsstatistik) von hohem Wert. Die
statist. Aufzeichnung des
Alters der Verstorbenen sollte nach einjährigen
Altersklassen, bei den
Kindern
auch nach
Karl
Beckers Vorgang für jedes Sterbejahr nach einzelnen
Monaten erfolgen. Um ein möglichst brauchbares Material
zur Herstellung der
Sterbetafeln zu gewinnen, ist die gleichzeitige
¶
mehr
Berücksichtigung des Geburtsjahres der Verstorbenen erforderlich, obwohl dem in der Praxis bisher nur ausnahmsweise entsprochen
worden ist. Weitere Nachweise über die Gestorbenen beziehen sich auf die Sterblichkeit
in den einzelnen Monaten, den Beruf
und die sociale Stellung der Gestorbenen sowie auf die Todesarten und Todeskrankheiten. Die Fragen in betreff der
Totgeborenen werden zweckmäßiger von der Geburtsstatistik erledigt.
Unter den von der S. zu lösenden Aufgaben nimmt die Feststellung der Zahl der in jedem Jahre Verstorbenen das nächste Interesse in Anspruch. Die neuesten im Deutschen Reiche angestellten Ermittelungen ergeben folgendes Bild:
Jahre | Mittlere Bevölkerung | Gestorbene (einschließlich Totgeborene) | Auf 1000 E. entfallen Gestorbene |
---|---|---|---|
1879 | 44639000 | 1214643 | 27,21 |
1830 | 45093000 | 1241126 | 27,52 |
1881 | 45426000 | 1222928 | 26,92 |
1882 | 45717000 | 1244006 | 27,21 |
1883 | 46014000 | 1256177 | 27,30 |
1884 | 46334000 | 1271859 | 27.45 |
1885 | 46705000 | 1268452 | 27,16 |
1886 | 47132000 | 1302103 | 27,64 |
1887 | 47628000 | 1220406 | 25,67 |
1888 | 48166000 | 1209798 | 25,19 |
1889 | 48715000 | 1 218 956 | 25,13 |
1890 | 49239000 | 1260017 | 25,59 |
1891 | 49738000 | 1227409 | 24,66 |
1892 | 50287000 | 1272430 | 25,31 |
1893 | 50710000 | 1310756 | 25,81 |
1894 | 51301000 | 1207423 | 23,50 |
1895 | 51970000 | 1215854 | 23,40 |
In dem hier berechneten Verhältnis der Gestorbenen zur Gesamtbevölkerung findet die Sterblichkeit
(Mortalität) der
Bevölkerung einen ziffernmäßigen Ausdruck. Diese «allgemeine Sterblichk
eitsziffer» entspricht der Heirats-
und Geburtsziffer in der Ehestatistik (s. d.) und Geburtsstatistik (s. d.). Sie hat jedoch wegen der Nichtberücksichtigung
der Altersunterschiede für die Erforschung der Mortalitätsverhältnisse nur sehr geringe Bedeutung. So wird allein schon
eine starke Zunahme der Geburten, infolge der hierdurch veranlaßten größern Kindersterblichkeit
, die Ziffer beträchtlich
steigern, ohne daß der Gesundheitszustand der Bevölkerung ein anderer geworden ist. Immerhin ist es
von Interesse zu erfahren, daß die Sterblichk
eitsziffer für das Gebiet des Deutschen Reichs 1841-50: 28,2, 1851-60: 27,8,
1861-70: 28,4, 1871-80: 28,8 und 1881-90: 26,5 auf 1000 E. betragen hat. Überhaupt machen sich bei Betrachtung größerer
Zeiträume in demselben Lande jene Bedenken weniger geltend als bei einem internationalen Vergleich. Auf 1000 E.
entfielen Gestorbene (ausschließlich Totgeborene) in:
Länder | 1891 | 1892 | 1893 | 1894 | 1895 |
---|---|---|---|---|---|
Deutsches Reich | 23,4 | 24,1 | 24,6 | 22,3 | 23,1 |
Frankreich | 22,9 | 22,8 | 22,6 | 21,3 | -- |
Großbritannien | 20,3 | 19,0 | 19,2 | 16,7 | 18,8 |
Irland | 18,4 | 19,4 | 18,0 | 18,2 | 18,4 |
Italien | 26,3 | 26,4 | 25,4 | 25,2 | -- |
Niederlande | 20,7 | 21,0 | 19,2 | 18,5 | 18,7 |
Schweiz | 20,7 | 19,3 | 20,5 | 20,9 | 19,7 |
Österreich | 28,0 | 28,7 | 27,2 | 27,9 | -- |
Ungarn | 33,1 | 35,0 | 31,1 | -- | -- |
Belgien | 21,1 | 21,7 | 20,2 | 18,8 | -- |
Eine größere oder geringere Sterblichkeit
ist unter allen Umständen ein ungünstiges oder günstiges Zeichen und
giebt
deshalb für die Beurteilung des Wohlbefindens einer Nation eine weit sicherere Grundlage ab als die
Heirats- und Geburtenfrequenz.
Die Monate des Jahres gefährden das menschliche Leben nicht in gleich starkem Maße. Während des Zeitraums 1872-88 kamen im Deutschen Reich bei einem Tagesmittel von 1000 Gestorbenen (mit Einschluß der Totgeborenen) für das ganze Jahr auf die Monate: Januar 1038, Februar 1079, März 1102, April 1061, Mai 1015, Juni 943, Juli 961, August 998, September 978, Oktober 920, November 933, Dezember 977. Hiernach erweisen sich der Winter, insbesondere der Übergang von diesem zum Frühling, in geringerm Maße auch der Spätsommer als gesundheitsschädlich, und zwar ist jene Jahreszeit vornehmlich den Greisen, diese den Kindern gefährlich.
Das Alter ist überhaupt von tiefgreifendstem Einfluß auf die Sterblichkeit.
Unter 100 Gestorbenen (mit Ausschluß der Totgeborenen)
standen
Im Alter von Jahren | Preußen (1876-85) | Italien (1872-85) | Frankreich (1875-85) | Schweden (1878-85) |
---|---|---|---|---|
0-1 | 31,01 | 26,61 | 18,68 | 19,88 |
1-5 | 16,52 | 20,93 | 9,56 | 13,92 |
5-10 | 4,35 | 4,47 | 2,64 | 5,50 |
10-15 | 1,71 | 1,95 | 1,62 | 2,47 |
15-20 | 1,85 | 2,13 | 2,30 | 2,51 |
20-30 | 4,75 | 5,26 | 6,24 | 5,50 |
30-40 | 5,37 | 4,90 | 6,18 | 5,06 |
40-50 | 5,78 | 5,24 | 6,86 | 5,90 |
50-60 | 7,38 | 6,68 | 9,04 | 8,24 |
60-70 | 9,59 | 9,04 | 13,45 | 11,27 |
70-80 | 8,27 | 8,87 | 15,31 | 12,05 |
80 und mehr | 3,42 | 3,92 | 8,12 | 7,70 |
Hieraus erhellt die große Bedeutung der Kindersterblichkeit für die Mortalitätsverhältnisse eines Landes; in Preußen [* 4] und Italien [* 5] besteht fast die Hälfte, in Frankreich und Schweden [* 6] etwa ein Drittel aller Verstorbenen aus Kindern unter 5 Jahren.
Nur die Sterbetafeln können ein hinreichend befriedigendes Ergebnis liefern. Die wissenschaftlichen Bestrebungen auf diesem Gebiete sind verhältnismäßig alt. Schon E. Halley brachte 1693 das allmähliche Absterben einer bestimmten Anzahl Neugeborener dadurch zur Darstellung, daß er die Gesamtheit aller Gestorbenen einer Periode mit Unterscheidung ihres Alters seiner Rechnung zu Grunde legte, die indes schon deshalb sehr mangelhaft sein mußte, weil sie von einer stillstehend gedachten Bevölkerung ausging und auf die Vermehrung der Bevölkerung keine Rücksicht nahm.
Mit in der Hauptsache unerheblichen Verbesserungen sind seither eine Reihe von Sterbetafeln aufgestellt worden. Einen wesentlichen Erfolg stellte aber die ungleich zuverlässigere, von Hermann in den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts eingeschlagene sog. direkte Methode dar, nach der die in einer Periode Geborenen bis zu ihrem Absterben statistisch verfolgt werden. Die Schwierigkeiten dieser Methode liegen teils in der langen Beobachtungszeit, teils in den durch die Wanderungen hervorgerufenen Fehlerquellen, welche Umstände sie nur als auf die jugendlichsten Altersklassen anwendbar erscheinen lassen.
Eine neue, jetzt vorzugsweise angewendete sog. indirekte Methode, die zuerst von Karl Becker theoretisch begründet und praktisch durchgeführt, nachher von andern, wie Knapp und Zeuner, weiter ausgebildet wurde, ist sehr umständlich und leidet an dem Mangel, daß die Berechnung der Sterbenswahrscheinlichkeit nach Beschaffenheit der Unterlagen nicht ganz einwandfrei sein kann; sie hat aber der Hermannschen gegenüber den Vorzug der vollständigen Durchführbarkeit nach verhältnismäßig nur wenigen Beobachtungsjahren und der Geltung für die ¶
mehr
Gegenwart (nicht wie bei dem direkten Verfahren, wenn nämlich der Tod in hohem Alter, also weit von der Geburt entfernt erfolgt, für eine zum Teil längst vergangene Zeit). Die indirekte Methode zieht sowohl die Lebenden wie die Gestorbenen auf den verschiedenen Altersstufen heran und berechnet daraus die Sterbenswahrscheinlichkeit für jedes Lebensalter, einen Bruch, dessen Nenner die Zahl der in das Lebensalter eingetretenen, und dessen Zähler die Zahl derjenigen Personen bedeutet, die das nächste Lebensjahr nicht erreicht haben.
Diese für alle Lebensjahre von der Geburt bis zur äußersten Grenze berechneten Sterbenswahrscheinlichkeiten bilden die Grundlage der Absterbeordnung des Landes, worin die von einer bestimmten Zahl (z. B. 1000, 100000 u. s. w.) Lebendgeborener am Schlusse der einzelnen Lebensjahre Überlebenden in eine Reihe gestellt sind. Während das durchschnittliche Alter der Gestorbenen durch das Zusammenzählen der von sämtlichen Gestorbenen (überhaupt oder nach Erreichung eines bestimmten Alters) erlebten Jahre und Teilung der Summe durch die Zahl der Gestorbenen gewonnen wird, ist für alle feinern Arbeiten der polit.
Arithmetik die Kenntnis der wahrscheinlichen Lebensdauer (Lebenserwartung, vie probable), d. h. desjenigen Alters nötig, welches verfließt, bis die Hälfte der vorhandenen Altersgenossen gestorben ist, desgleichen die der mittlern (durchschnittlichen) Lebensdauer (Vitalität, vie moyenne), d. h. die Anzahl Jahre, welche durchschnittlich von Personen eines bestimmten Alters noch durchlebt wird. Beide Größen werden aus der Absterbeordnung hergeleitet.
Eine übersichtliche Zusammenstellung der genannten Werte bildet die Sterbetafel. Übrigens ist die Frage nach der zweckmäßigsten Konstruktion von Sterbetafeln noch nicht endgültig entschieden und hat erst neuerdings wieder den Gegenstand lebhafter Erörterungen der Fachmänner gebildet. (Vgl. Litteratur.) Folgende Daten sind einer auf die deutsche Reichsbevölkerung bezüglichen, für die J. 1871-81 berechneten Sterbetafel entnommen:
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Die Unterschiede in der Sterblichkeit der beiden Geschlechter sind beträchtlich und lassen eine getrennte Behandlung des Geschlechtsverhältnisses der Gestorbenen durchaus geboten erscheinen. Im allgemeinen ist die Sterblichkeit beim männlichen Geschlecht größer als beim weiblichen. Eine Ausnahme bildet insbesondere etwa das Alter von 30 J., in der die Entbindungen zu einer dem weiblichen Geschlecht ungünstigen Verschiebung beitragen. Letzteres würde bei Unterscheidung des Familienstandes noch deutlicher hervortreten, die aber nur bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Altersstufen vorgenommen werden sollte.
Günstiger als bei den auf die Gesamtbevölkerung eines Landes bezüglichen Sterbetafeln stellen sich die Mortalitätsverhältnisse nach den Beobachtungen der Lebensversicherungsgesellschaften, weil bei diesen die mit chronischen Krankheiten und sonstigen schweren Leiden [* 8] behafteten Personen nicht aufgenommen werden, zudem auch die ärmere, gewöhnlich bedrohtere Bevölkerung nicht beteiligt zu sein pflegt. Über die wichtige Frage der Lebensgefährlichkeit der Berufsarten sind bereits viele wertvolle Einzeluntersuchungen angestellt worden, ohne daß es bis jetzt gelungen wäre, eine einheitliche Darstellung zu liefern (s. Unfallstatistik).
Die menschliche Lebensdauer ist unter verschiedenen Verhältnissen verschieden. Im allgemeinen leben die Wohlhabenden länger als die Armen (Berufskrankheiten, schlechte Ernährung), die Verheirateten länger als die Ledigen. Die geistigen Berufsarten Angehörigen weisen eine hohe Lebensdauer auf, namentlich wenn sich mit ihrer Beschäftigung eine gewisse Behaglichkeit verbindet, wie bei Geistlichen, Professoren u. dgl. Weniger günstig gestaltet sich die Lebensdauer bei solchen geistig Thätigen, die großen Aufregungen ausgesetzt sind, weniger geordnet leben (Politikern, Schriftstellern, Künstlern, Schauspielern), am ungünstigsten unter diesen bei Ärzten und Lehrern. Am größten ist die Lebensdauer bei solchen, die sich bei mäßiger Muskelanstrengung viel im Freien aufhalten (Bauern, Soldaten im Frieden, Fuhrleuten, Landwirten, Forstleuten).
Auch das Klima ist von Einfluß auf die Lebensdauer; in hochgelegenen, mäßig kalten und trocknen Ländern (Schottland, Dänemark, [* 9] Schweden, südl. Rußland) finden sich verhältnismäßig mehr alte Leute als in Gegenden mit häufigem Wechsel von Wärme [* 10] und Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit. Ob die Lebensdauer des Menschen gegen früher zu- oder abgenommen hat, darüber sind die Ansichten der Statistiker geteilt; nach Engels eingehenden Untersuchungen scheint die menschliche Lebensdauer in den letzten Jahrzehnten unsers Jahrhunderts eher eine Abnahme erlitten zu haben, sicher aber hat sie gegenüber frühern Jahrhunderten zugenommen; nur die Zahl der Langlebigen hat abgenommen.
Um für rechtliche Verhältnisse, in denen die voraussichtliche Lebensdauer von erheblicher Bedeutung wird, eine sichere Grundlage zu gewinnen, haben einzelne Rechte hierfür feste Regeln aufgestellt, so das röm. Recht für die Berechnung der Falcidischen Quart [* 11] (s. d.) in L. 68 pr. D. 35,2, welche dann auch in der Praxis auf andere Fälle angewandt wird. Diesem Vorgange folgend, hat das Sächs. Bürgerl. Gesetzbuch im §. 35 ganz allgemein eine von jener wesentlich abweichende Tabelle aufgestellt. Das Preuß. Erbschaftssteuergesetz vom enthält im §. 14 für die Berechnung der Steuer eine ähnliche Tabelle. Andere Gesetze, so auch das Deutsche [* 12] Bürgerl. Gesetzbuch, haben davon ¶