Starrkrampf
(Tetanus), eine tonische, d. h. andauernde Zusammenziehung der Muskeln, [* 2] beruhend auf krankhaft gesteigerter Reflexerregbarkeit des Rückenmarks und nicht mit der Starrsucht (s. d.) zu verwechseln. Er erhält nach den von ihm ergriffenen Muskelpartien verschiedene Namen: so heißt er Trismus (Kinnbackenkrampf, Mundklemme, Mundsperre), wenn der Unterkiefer fest an den Oberkiefer angezogen wird;
Pleurothotonus, wenn die Muskeln einer Seite des Körpers, davon befallen, denselben nach dieser Seite krümmen;
Opisthotonus, wenn die Rückenmuskeln Kopf und Rumpf nach hinten, Emprosthotonus, wenn die Bauch- und Halsmuskeln sie nach vorn zusammenziehen, und endlich Tetanus universalis, wenn alle Muskeln davon ergriffen sind.
Letzterer verbreitet sich gewöhnlich von oben nach unten, zuerst über die Hals- und Gesichtsmuskeln, dann über die des Rumpfes und der Extremitäten und endlich das Zwerchfell und das Herz. Die kontrahierten Muskeln sind dabei gespannt, brettartig hart und der Sitz äußerst heftiger Schmerzen, die denjenigen beim Wadenkrampf zu vergleichen sind. Die entsetzliche Krankheit läßt das Bewußtsein und die Sinne meist bis zum Tode ungetrübt. Auch die meisten übrigen Funktionen geben ungestört von statten; die unglücklichen Kranken leiden Hunger und Durst, weil sie wegen der heftigen Krämpfe der Schlundmuskeln nicht schlingen können.
Die Atmung ist sehr erschwert, weil auch die Atmungsmuskeln von Krämpfen betroffen werden, und Atemnot ist daher ein häufiges Symptom des S. Andauernde Krämpfe der Atmungsmuskulatur führen durch Behinderung der Atmung zu Erstickungsanfällen und Tod. Der S. kann anhaltend sein, aber auch wieder nachlassen und in erneuten Anfällen zurückkehren. Letztere hängen besonders von äußern Reizungen der Empfindungsnerven ab, so daß manchmal schon das bloße Anrühren oder Anfächeln, das Anreden des Kranken, ein kalter Tropfen, der Versuch zu schlucken u. dgl. den Anfall hervorruft.
Die
Dauer der
Krankheit, ehe sie in Genesung oder
Tod übergeht, kann sich von nur wenigen Minuten bis auf mehr als einen
Monat
belaufen, weshalb man auch eine akute und eine chronische Form unterscheidet.
Bei den
Leichenöffnungen hat
man
Blutüberfüllung, entzündliche Vorgänge und Bindegewebswucherungen im Rückenmark gefunden.
Am häufigsten findet
sich die
Krankheit bei neugeborenen
Kindern vom ersten bis zum siebenten
Tage nach dem
Abfallen der Nabelschnur
(Trismus neonatorum)
und bei kräftig konstituierten Männern im reifern
Alter, in heißen Gegenden, nach Verwundungen (Riß- und Quetschwunden),
besonders wo Flechsen und
Nerven
[* 3] verletzt sind (Wundstarrkrampf
), nach heftiger Erkältung, besonders
Nachtlagern im
Freien (rheumatischer S.), bei
Vergiftung mit
Strychnin
(Brechnuß, Upasgift),
Brucin und andern sog. Rückenmarksgiften
(toxischer S.).
Für den Wundstarrkrampf
(Tetanus traumaticus) ist nach neuern Untersuchungen von
Nicolaier und namentlich Kitasato ein
Bacillus
die
Ursache, von schmaler, trommelschlegelartiger Gestalt, wenig beweglich und mit eigentümlicher arthrogener
Sporenbildung; die Reinkultur der streng anaëroben
Bacillen (s.
Anaërobien) gelingt nur unter besondern Vorsichtsmaßregeln.
Der Tetanusbacillus dringt in die Wunden ein, wenn sie mit
Staub oder Gartenerde in Berührung kommen, wo er häufig vorkommt,
vermag jedoch nur bei absolutem Sauerstoffabschluß zu wachsen.
Die Überimpfung der sehr widerstandsfähigen Sporen auf Mäuse tötet diese sicher, doch verschwinden die Bacillen im Blute sehr rasch. Aus den Kulturen stellte Brieger das Tetanin dar, ein typische Anfälle von S. erzeugendes Gift. Hinwegräumung der Ursachen ist das erste Erfordernis der Behandlung des S. und bei einer der häufigsten, bei Verwundungen, kann durch zweckmäßiges Verbinden, entsprechende chirurg. Operationen und sonstige Pflege viel zur Verhütung von S. gethan werden.
Für die Linderung und Verhütung der Anfälle sind narkotische und anästhetische Mittel (besonders Opiate, Morphium, Chloral, Chloroform) fast unentbehrlich, auch warme Bäder oft von Vorteil. Daneben sucht man jeden Sinnesreiz (Licht, [* 4] Schall), [* 5] jede Bewegung, jede Gemütserregung, fast jede Berührung von dem Kranken entfernt zu halten. Neuerdings versucht man den S. durch Schutzimpfung (s. d.), Einspritzungen von Blutserum von Tieren, die durch Impfung [* 6] mit abgeschwächten Kulturen der Tetanusbacillen immunisiert wurden, zu heilen; jedoch konnte bisher eine sichere Heilung nur dann erzielt werden, wenn das Antitoxin vor Ausbruch des S. angewandt wurde.
S., auch Hirschkrankheit genannt, kann auch die Haustiere befallen. Die Tiere halten den Kopf steif und mitunter horizontal (Hirschkrankheit), vermögen nicht mehr zu kauen (Maulsperre), stehen da «wie ein Sägebock»; bei Berührung werden Krampfanfälle ausgelöst. Die Aussichten für die Heilung sind ungünstig. Vor allen Dingen muß die Wunde, von der die Ansteckung ausging, weit eröffnet und nachdrücklichst mit Carbolsäure, Sublimatwasser desinfiziert werden. Hierauf sind die erkrankten Tiere in einen dunkeln, ruhigen Stall zu verbringen und vermittelst Mehl- oder Kleiengesöffs zu ernähren. Heilmittel erwiesen sich bis jetzt als nutzlos.