Titel
Städterein
igung,
der Inbegriff aller derjenigen Maßregeln, welche die Entfernung der städtischen Abfallstoffe und die Reinigung der Straßen und Plätze erstreben. (S. Straßenreinigung.) [* 2] Die Entfernung der Abfallstoffe, welche in ländlichen Distrikten jedem einzelnen Haushalt überlassen bleiben kann, bedarf in Städten einer einheitlichen Ausführung und gestaltet sich besonders in Großstädten zu einer der wichtigsten und oft, in Anbetracht der großen Mengen von Abfallstoffen, schwierigsten Aufgaben der Kommunalverwaltung.
Die
Abfälle der städtischen
Bevölkerung
[* 3] setzen sich zusammen aus den Küchen- und Hausabwässern
, dem
Urin und den Fäkalien,
dem trocknen Hausmüll und Straßenkehricht, sowie den Tierkadavern, Schlachthausabfällen u.s.w. Abgesehen von dem dringenden
ästhetischen Bedürfnis, diese ekelerregenden
Stoffe möglichst rasch und vollständig zu beseitigen,
ist es vor allem eine wichtige sanitäre Forderung, die Möglichkeit einer Gesundheitsschädigung durch die Abfallstoffe
zu vermeiden. Denn
1) liefern die faulenden Abfallstoffe große Mengen übelriechender Gase, [* 4] welche besonders bei schlecht konstruierten Abort- und Kanalanlagen leicht in die Wohnräume gelangen und dort die Luft verunreinigen; fälschlicherweise werden diese gasförmigen Produkte oft für die gefährlichste Wirkung der Abfallstoffe gehalten und ihnen sogar, besonders in England, eine ursächliche Bedeutung für die Entstehung der Infektionskrankheiten, z.B. des Typhus, der Diphtherie u. s. w., zugeschrieben; dem gegenüber muß betont werden, daß Infektionskrankheiten durch specifische lebende Mikroorganismen, nicht durch Fäulnisgase erzeugt werden.
2) Werden die Abfallstoffe in durchlässigen Gruben aufbewahrt, wie dies vielfach in kleinern Orten üblich ist, so können eine große Menge organischer, fäulnisfähiger Stoffe in den Boden übergehen, das Grundwasser [* 5] und die Brunnen [* 6] verunreinigen und so die Benutzung desselben als Trink- und Brauchwasser unmöglich machen. Auch können von dem stark verunreinigten Boden üble Gerüche in die Luft aufsteigen. Die noch mehrfach verbreitete Ansicht, daß ein solcher verunreinigter Boden die Verbreitung von Infektionskrankheiten begünstige, ist nach neuern Forschungen jedoch als unhaltbar anzusehen.
3) Enthalten die Abfallstoffe lebende Keime von Infektionskrankheiten, so kann eine Weiterverbreitung solcher ansteckender Krankheiten erfolgen. In dieser Hinsicht kommen zunächst die menschlichen Exkremente in Betracht, sofern sie z. B. von Cholera-, Typhus-, Ruhrkranken u. s. w. herrühren, ferner die Hauswässer, die zahlreiche Abgänge von Kranken enthalten, endlich vor allem der trockne Stubenkehricht, in dem sich häufig Eitererreger und Tuberkelbacillen finden. Über die Gefahr der Verbreitung von Infektionserregern infolge Verstäubens wissen wir, daß die Mehrzahl derjenigen, welche nicht Sporen bilden, so hochgradige Austrocknung, wie zum Verstäuben erforderlich ist, nicht vertragen, sondern vorher absterben.
Bei der Beseitigung der Abfallstoffe kommen neben der Leistungsfähigkeit der betreffenden Methode auch ¶
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noch die Kosten und die event. Verwendung der Stoffe zu landwirtschaftlichen Zwecken in Betracht. Da von allen Abfallstoffen nur die menschlichen Exkremente einen erheblichen Dungwert besitzen, während die großen Massen der flüssigen Abgänge, der Haus- und Küchenwässer u. s. w. für den Landwirt unbrauchbar sind, so hat man die sog. Abfuhrsysteme, bei denen die Fäkalien getrennt von den übrigen Abfallstoffen beseitigt werden, eingeführt. Die einfachste Form dieser Methoden stellt das sog. Grubensystem dar, bei welchem die Fäkalien in einer in der Nähe des Hauses gelegenen Grube aufgesammelt und zeitweise abgefahren werden.
Die Abfuhr geschieht oft noch durch die wenig reinliche Handarbeit mit Eimern, indem die Leerung der Gruben (s. Senkgrube) durch Arbeiter geschieht, welche in die Gruben hinabsteigen und die gefüllten Eimer in Transportwagen entleeren. Praktischer und geruchloser sind die mechan. Verfahren zur Entleerung der Gruben. Bei der einen Methode wird eine fahrbare Hand- oder Dampfpumpe, durch Schlauchleitung einerseits mit der Grube, andererseits mit dem Transportgefäß verbunden, das dann ein eiserner, auf Rädern liegender Cylinder ist.
Ein anderes Verfahren besteht darin, daß man vorher luftleer gemachte Fässer mit der Grube in Verbindung setzt, so daß die Jauche direkt in die Fässer gesogen wird. Die Luftleere wird erzeugt durch eine fahrbare Pumpe [* 8] mit Handbetrieb, welche die aus dem Fasse gesaugte übelriechende Luft durch ein Kohlenfeuer in einen Schornstein drückt. Leistungsfähiger sind die Systeme von Talard, Lokomobile [* 9] mit Luftpumpe, [* 10] angewendet in Straßburg, [* 11] Metz, [* 12] Karlsruhe, [* 13] München, [* 14] Hannover, [* 15] sowie von Lenoir und Schneitler, welche die Jauche in ein neben der Luftpumpe stehendes, vorher luftleer gemachtes Blechgefäß steigen lassen und von hier in die Transportfässer drücken, wodurch für letztere die luftdichten Wandungen erspart werden, und der Dampfstrahlapparat von Keller-Philippot, zwar einfacher als die Luftpumpen [* 16] und ohne bewegliche Teile, aber gefährlich wegen seiner hohen Dampfspannung und teuer wegen hohen Brennstoffverbrauchs, angewendet in Straßburg und Mülhausen. [* 17]
Zweckmäßig ist auch die Luftleermachung der Transportgefäße außerhalb der Städte auf bestimmten Stationen. In Münster [* 18] und Bremen [* 19] wird hierzu Dampf [* 20] benutzt, der eingelassen und dann kondensiert wird. Klein, Schanzlin + Becker in Frankenthal [* 21] befestigen an jedes Transportgefäß eine kleine Luftpumpe, welche durch eine Kraftübertragung mit der Wagenachse verbunden ist, so daß die Pumpe beim Fahren des Gefäßes in Bewegung gesetzt werden kann (billige Betriebskraft für die Luftpumpe, aber hohe Anschaffungskosten).
Ein großer Übelstand der angeführten Abfuhr ist das Ansammeln der Exkremente in den Gruben bis zu dem Termin der Entleerung, welches eine Verschlechterung des Untergrundes durch Einsickern, Verunreinigung der Luft in den Häusern und Verminderung des landwirtschaftlichen Wertes der Jauche bedingt. Deshalb ist man dazu veranlaßt worden, die Exkremente in kleinern und beweglichen Behältern zu sammeln, welche in ganz kurzen Zwischenräumen entleert werden, also offene Eimer direkt unter den Abtrittsitz gestellt, welche z. B. in Bremen und Groningen vor dem Hause in Wagen entleert und über dem Rinnstein gereinigt werden, in Kiel, [* 22] Rostock, [* 23] Emden, [* 24] Amsterdam [* 25] fest verschlossen und mit dem Inhalt abgefahren werden.
Letzteres Verfahren, welches allerdings einen doppelten Satz von Tonnen erfordert, ist dem erstem vorzuziehen, besonders bei dem sog. Heidelberger Tonnensystem (s. Tonnensystem), das gut verschlossene, schnell wechselbare Gefäße (s. Heidelberger Tonnen) anwendet und gut angelegte Fallrohre mit Wasserverschluß besitzt, welche geruchfrei mit dem Abtrittsitz und der Tonne verbunden sind. Die diesen Systemen anhaftenden Nachteile, einerseits die Ansammlung der Jauche in den Gruben, andererseits die Umständlichkeit der Tonnenabfuhr, haben dazu geführt, die Exkremente durch ein Netz unterirdischer Röhren [* 26] zu entfernen unter Zuhilfenahme von Luftdruck, also Transport auf pneumatischem Wege.
Liernur legt außerhalb der Stadt ein Centralreservoir mit Luftpumpe an, von welchem sog. Magistralröhren nach mehrern in der Stadt verteilten, voneinander gesonderten Bezirksreservoirs, je für 2–3000 Einwohner, führen. Von den Reservoirs gehen Straßenröhren von etwa 300 m Länge aus, an welche die Hausröhren angeschlossen sind. Das Centralreservoir wird luftleer gemacht und mit Hilfe desselben durch die Magistralröhren nacheinander die Bezirksreservoirs.
Alsdann werden die Hähne der Hausröhren geöffnet und der des betreffenden Straßenrohrs, wodurch die gleichzeitige Entleerung der Abtritte der angeschlossenen Häuserreihe in das Bezirksreservoir erfolgt. Dieser Vorgang wird so oft unter jedesmaliger Luftleermachung des Bezirksreservoirs wiederholt, bis die sämtlichen Straßenröhren des Bezirks angeschlossen gewesen sind. Nun erst wird das gefüllte Bezirksreservoir durch sein Magistralrohr in das Centralreservoir entleert. Es können also die Abtritte einer ganzen Stadt täglich entleert werden, ein großer Vorteil dieses Systems.
Die gleichzeitige Entleerung aller Häuser einer Straßenröhre im Verein mit der von Liernur bisher angewendeten Anschlußvorrichtung der Hausröhren, welche eine vollständige Leerung des Röhrennetzes nicht erreichen können, haben Berlier dahin geführt, unter sonstiger Beibehaltung des Liernurschen Röhrennetzes eine selbstthätig wirkende Vorrichtung in jedem Hause unter Aufstellung eines sog. Aufnehmers und damit verbundenen Entleerers anzubringen, bei welcher das Ventil, [* 27] welches die Haus- mit der Straßenröhre verbindet, gehoben wird, wenn der mit ihm verbundene Schwimmer, welcher in der sich sammelnden Fäkalmasse schwimmt, eine bestimmte Höhe erreicht hat. Es schließt sich also jedes Haus selbst nach Bedarf an die Straßenröhre an, und die Anzahl der Hähne wird verringert, jedoch ist die Reinigung und Unterhaltung der automatischen Vorrichtung mit Schwierigkeiten verknüpft. Das Liernursche System besteht in Stadtteilen von Prag, [* 28] Amsterdam, Leiden [* 29] und Dordrecht, [* 30] das von Berlier versuchsweise in einer Kaserne in Paris. [* 31]
Die Verwertung der Exkremente erfolgt durch Verkauf direkt an den Landwirt oder an Unternehmer, oder Abfuhrgesellschaften. Größere Städte sind gezwungen, entweder Sammelgruben außerhalb der Stadt anzulegen (Straßburg und Karlsruhe besitzen solche Gruben, welche die Exkremente von drei Monaten aufzunehmen im stande sind), oder Bahntransporte einzurichten, z. B. von Stuttgart [* 32] aus 70–90 km weit. Dann ist die Anlage von Fäkalbahnhöfen notwendig, auf welchen die Faßwagen durch Röhren in die tiefer stehenden Bahnwagen entleert werden, welche, wie in München, Dresden, [* 33] Leipzig, [* 34] je einen Behälter bis 10 cbm Inhalt ¶
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enthalten. Die Empfänger zapfen dann die Jauche auf den betreffenden Stationen in ihre tiefer aufgestellten Abfuhrwagen ab. Da der Verkauf der Exkremente wegen der vielen in ihnen enthaltenen, für die Landwirtschaft wertlosen Stoffe auf Schwierigkeiten stößt, ist auf mannigfaltige Weise versucht worden, die wertvollen Bestandteile auszuziehen und als Poudrette (s. d.) in eine geeignete Form zu bringen. Mit Rücksicht sowohl auf die besprochenen Schwierigkeiten des Verkaufs der Fäkalien, als auch auf die dringende Notwendigkeit, auch die Spülwässer u. s. w., die meist hygieinisch bedenklicher sind als die Fäkalien, in sicherer und rascher Weise zu beseitigen, entledigen sich viele größere Städte der Fäkalien durch ein unterirdisches Kanal- und Röhrennetz zugleich mit den sämtlichen Abwässern (s. d.). Hierdurch wird eine sehr starke Verdünnung der Jauche erzielt, die Verunreinigung der Röhren und Kanäle auf ein Minimum beschränkt und der große Vorteil erreicht, daß die Fäkalien sich innerhalb weniger Stunden nach ihrem Abgang außerhalb der Stadt befinden, ein Umstand, der in sanitärer Beziehung außerordentlich hoch anzuschlagen ist. Über dieses System der Entwässerung, die sog. Schwemmkanalisation, s. Kanalisation. Einen Nachteil bereitet oft die Unterbringung der Schwemmmasse, die entweder auf Rieselfelder (s. d.) geleitet oder auf chem. Wege und durch Klärung in besondern Anlagen gereinigt wird. (S. Wasserreinigung.)
Noch ein dritter Weg wird häufig eingeschlagen, eine Verbindung von Abfuhr und Kanalisation, indem die flüssigen Bestandteile der Abfallstoffe durch Kanäle, die festen durch Abfuhr beseitigt werden. Die Scheidung erfolgt bei Anwendung von Wasserklosetts durch Überläufe in den Abtrittsgruben (Amsterdam, Wiesbaden, [* 36] Baden [* 37] und in engl. Städten). Die Anwendung von Scheidetonnen (Diviseurs), namentlich in Paris und Zürich [* 38] im Gebrauch, ist in gesundheitlicher Beziehung empfehlenswerter; eine in der Tonne befindliche durchlöcherte Scheidewand bewirkt die Trennung der flüssigen und festen Teile, welche erstern hierbei schneller, also in frischerm Zustand wie bei den Überläufen, abgeführt werden und infolgedessen einen größern Wert besitzen. Zu erwähnen sind noch die in Stockholm [* 39] und andern Städten Schwedens eingeführten sog. schwedischen Klosetts, bei welchen die flüssigen Bestandteile der Exkremente gleich beim Entstehen von den festen durch Trichter oder Scheidewände getrennt werden; erstere laufen dann in die Straßenkanäle, letztere werden in Tonnen gesammelt und abgefahren, wodurch zwar die Abfuhrmenge eine sehr geringe wird, aber auch ihr Wert bei längern Abholterminen vermindert wird. Alle diese Systeme stellen jedoch in Anbetracht der geringen Vorteile, welche durch Verwendung der Fäkalien als Dünger erreicht werden können, nur unnütze Komplikationen der einheitlichen Schwemmkanalisation dar, die die Beseitigung der Abfallstoffe in idealster Weise erfüllt.
Der Hausmüll und Straßenkehricht werden meist gemeinsam beseitigt; die hygieinische Bedeutung beider ist aber sehr verschieden, indem der Hausmüll sehr oft Infektionserreger enthält, während der Straßenkehricht meist ganz unbedenklich ist. (Über die Methoden der Kehrichtbeseitigung s. Straßenreinigung.)
Ferner sind als Einrichtungen, welche die Reinigung der Städte in hohem Grade fördern, die öffentlichen Schlachthäuser (s. d.) und Markthallen [* 40] (s. d.) zu nennen. Nicht verwendbare Teile von Schlachttieren und Tierkadaver werden nach der Abdeckerei geschafft.
Litteratur. Bürkli, Anlage städtischer Abzugskanäle und Behandlung der Abfallstoffe (Zür. 1866);
Barrentrapp, über Entwässerung der Städte (Berl. 1868);
Virchow, Kanalisation oder Abfuhr (ebd. 1869);
Reinigung und Entwässerung Berlins (13 Hefte und 3 Anhangshefte, ebd. 1870–79);
Bisser, Die Reinlichkeit in den Städten (Lpz. 1876);
Pettenkofer, Vorträge über Kanalisation und Abfuhr (Münch. 1876);
Sommaruga, Die Städterein
igungssysteme in ihrer land- und volkswirtschaftlichen Bedeutung (Halle
[* 41] 1874);
Liernur, Das Kanalisieren auf getrenntem Wege (Frankf. 1879);
Kaftan, Reinigung und Entwässerung der Städte (Wien [* 42] 1880);
Eulenburg, Handbuch des öffentlichen Gesundheitswesens (2 Bde., Berl. 1882);
Heiden, Die menschlichen Exkremente (Hannov. 1882);
Fischer, Die menschlichen Abfallstoffe (Braunschw. 1882);
Hobrecht, Beiträge zur Beurteilung des gegenwärtigen Standes der Kanalisations- und Berieselungsfrage (Berl. 1883);
Liernur, Rationelle Städteentwässerung (4 Bde., ebd. 1883–91);
Heiden, Müller und von Langsdorff, Die Verwertung der städtischen Fäkalien (Hannov. 1883);
Blasius und Büsing, Die S. (Jena [* 43] 1894);
Büsing, Die S. (Stuttg. 1897);
Weyl, Die S. (Jena 1897).