Städteordnung
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eine Gemeindeordnung, welche ausschließlich für die Städte gilt. Die Städte hatten im Mittelalter zum Teil Autonomie (s. Stadtrechte). Als die Landesherren mächtiger wurden, begannen sie die Stadtrechte zu modifizieren, bis man endlich dahin kam, die verschieden abgestuften Privilegien zu beseitigen und S. zu entwerfen, welche für alle Städte eines Landes oder doch eines Landesteiles Geltung erhielten. In manchen Ländern ging man in neuester Zeit noch weiter, indem man Gemeindeordnungen (s. d.) für alle Gemeinden ohne Unterschied zwischen Städten und ländlichen Gemeinden erließ.
Hinsichtlich der Anforderungen, welche an S. zu machen sind, ist man in Deutschland [* 2] darüber allgemein einig, daß die Städte möglichst selbständig gestellt werden und die volle Selbstverwaltung (s. d.) besitzen sollen; ferner, daß den Gemeindeangehörigen ein ausreichender Einfluß auf die Gemeindeangelegenheiten und auf die Verwaltung gesichert werden muß. In Preußen [* 3] fand zuerst eine vollständige Umgestaltung der ehemaligen städtischen Verfassung durch die Steinsche S. vom statt, welche später für die übrigen deutschen S. zum Vorbild diente.
Sie verfolgte das Ziel, die in Klassen und Zünfte sich teilenden Bürger einheitlich zusammenzufassen, ihnen eine thätige Einwirkung auf die Verwaltung des Gemeinwesens beizulegen und so den Gemeinsinn zu fördern. Der Staat behielt sich die allgemeine Aufsicht über die Städte vor, diese aber verwalteten ihre Angelegenheiten selbständig. Die Vertreter der Bürgerschaft waren die gewählten Stadtverordneten (s. Gemeinderat), welche unbeschränkte Vollmacht besaßen.
Die Verwaltung lag gemäß den Beschlüssen der Stadtverordneten in der Hand [* 4] des von letztern gewählten Magistrats, dessen in der Mehrzahl unbesoldete Mitglieder aus den Bürgern genommen werden mußten, und in der Hand der Verwaltungsdeputationen, in welchen Stadtverordnete und andere Bürger neben Magistratsmitgliedern saßen. Bürger waren vorzugsweise die Grundeigentümer und die Gewerbtreibenden. Diese S. von 1808 wurde später durch die revidierte S. vom ersetzt, welche man jedoch nicht aufdrang, so daß sie sich erst nach und nach verbreitete.
Übrigens gab es in Preußen neben jenen beiden noch andere S. von geringerer Wichtigkeit, von denen die alten, aus Observanzen hervorgegangenen und auf besondern Recessen beruhenden Städteverfassungen von Neuvorpommern und Rügen mit Magistrat und Repräsentantenkollegium nach dem Gesetz vom noch jetzt fortdauern. Die Gemeindeordnung vom die alle S. beseitigte, wurde nur in wenigen Städten eingeführt und bereits 1853 wieder aufgehoben.
Gegenwärtig gelten in den alten preuß. Provinzen außer Neuvorpommern und Rügen die S. für die sechs östl. Provinzen vom die S. für Westfalen [* 5] vom die S. für die Rheinprovinz [* 6] vom Alle drei knüpften an die S. von 1808 und 1831 oder an die rhein. Gemeindeordnung von 1845 an, gewährten jedoch der Regierung mehr Einfluß und erweiterten auch die Befugnisse des Magistrats, zwei Punkte, in deren Gestaltung die S. von 1808 sich unzweifelhaft nicht bewährt hatte.
In der Rheinprovinz besteht ein Magistratskollegium nicht, sondern hier sind dem Bürgermeister, der zugleich Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung ist, Beigeordnete zugeteilt, die zwar ebenfalls aus der Wahl der Stadtverordneten hervorgehen, deren Thätigkeit aber von jenem allein bestimmt wird; die Einrichtung eines kollegialischen Magistrats ist jedoch zulässig. Das Stimmrecht der Bürger wird nach dem Dreiklassenwahlsystem ausgeübt. In Neuvorpommern und Rügen sind noch die besondern, auf speciellen Rezessen beruhenden Verfassungen der einzelnen Städte in Kraft. [* 7]
In den neuen Provinzen erhielt Frankfurt [* 8] a. M. eine eigene S. vom die schleswig-holsteinische S. vom überwies die Verwaltung dem Magistratskollegium aus Bürgermeister und Ratsverwandten; an der Spitze der hier nicht nach dem Dreiklassenwahlsystem gewählten Stadtverordneten steht der Bürgerworthalter. In Hannover [* 9] bilden nach der revidierten S. vom der Magistrat und die Bürgervorsteher (Gemeindevorstand und Gemeindeausschuß) gleichfalls Kollegialbehörden. Für den Reg.-Bez. Wiesbaden [* 10] mit Ausnahme von Frankfurt wurde eine besondere S. erlassen.
Bayern [* 11] regelte seine Städteverfassung einigermaßen im Sinne der Steinschen S. 1817 und 1818 und durch die geltende Gemeindeordnung von 1869 (abgeändert 1872), und Württemberg [* 12] durch das Verwaltungsedikt von 1822, das 1849, 1853, 1885, 1891, 1894 einige wichtige Zusätze erhielt. In Sachsen [* 13] trat an Stelle der S. von 1832 und 1833 die revidierte S. vom und die S. für mittlere und kleinere Städte ¶
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vom Vielfach beschäftigte sich Baden [* 15] mit der Gemeindegesetzgebung; nach dem Gemeindegesetz von 1831, mit Abänderungen von 1833,1837, 1851, 1858, 1862 und 1870, erging 1874 eine S., die jetzt in einer Redaktion von 1884 mit Abänderungen von 1886, 1892 und 1894 gilt. Die hessische S. ist von 1874 und 1894. Mecklenburg [* 16] kennt nur lokale Städteverfassungen; in Meiningen [* 17] und Altenburg [* 18] beruhen dieselben im wesentlichen auf Statuten; in Coburg [* 19] haben die Städte Coburg und Neustadt [* 20] eigene S.,: in den übrigen deutschen Staaten, außer Braunschweig, [* 21] Lippe, [* 22] Schaumburg-Lippe, bestehen einheitliche Gemeindeordnungen für alle Gemeinden, insbesondere auch in Elsaß-Lothringen, [* 23] wo an Stelle der französischen mit eine besondere freiheitlichere elsaß-lothr.
Gemeindeordnung vom getreten ist. Die Freien Städte Lübeck, [* 24] Hamburg [* 25] und Bremen [* 26] sind nicht nur Städte, sondern auch Staaten. Der Entwurf einer revidierten S., welchen die preuß. Regierung 1876 dem Landtag vorlegte, kam nicht zur Erledigung, weil Regierung und Abgeordnetenhaus sich nicht über das staatliche Bestätigungsrecht bei Gemeindewahlen einigten. In Österreich [* 27] haben die Städte eine ähnliche Entwicklung durchgemacht wie in Deutschland. Im Mittelalter lebten sie nach ihren eigenen Verfassungen, fast gar nicht beschränkt durch die Staatsgewalt.
Seit dem 16., besonders aber im 18. Jahrh. wurden sie der weitgehendsten Staatsaufsicht unterworfen und jeder Selbständigkeit beraubt. Erst 1849 wurde das Princip der freien Selbstverwaltung wieder anerkannt; erst in diesem Jahre begann die Gesetzgebung allgemeine und einheitliche Vorschriften über die Gemeindeverfassung aufzustellen. Gegenwärtig ist für das cisleithanische Gebiet das Gemeindegesetz vom maßgebend. Dasselbe enthält jedoch nur allgemeine Grundsätze, die weitere Ausführung überläßt es den im Wege der Landesgesetzgebung der einzelnen Kronländer erlassenen Gemeindeordnungen. Einzelne größere Städte haben besondere durch Statuten geregelte Verfassungen (sog. Statutargemeinden). Für Galizien besteht eine besondere S. vom
Die Städteverfassungen in England sind von den Einflüssen der Regierung zwar fast vollständig befreit, aber, bei dem Durcheinander von Kompetenzen und Bezirken in der engl. Kommunalverwaltung, in ihrem Wirkungskreise sehr eingeengt. (S. Municipal Corporations.) In Frankreich ist von Selbständigkeit der Städte, auch der großen, und einer S. keine Rede, da die Gemeinden nicht als selbstthätige Glieder [* 28] des Staatskörpers, sondern als staatliche Verwaltungsbezirke einerseits und als privatrechtliche Vermögenssubjekte andererseits betrachtet werden. In den slaw. Ländern fehlt der für die Entwicklung des städtischen Wesens notwendige Mittelstand, über die russische S. s. Gorod. Schweden [* 29] suchte durch das Gesetz vom seine Städte zu heben, indem es ihnen Selbstverwaltung verlieh. In der Schweiz, [* 30] wo diese Selbständigkeit seit langer Zeit vorhanden ist, ist die städtische Verfassung im Fluß begriffen, da sich neben den Bürgergemeinden die Einwohnergemeinden ausbilden.
Vgl. von Maurer, Geschichte der Städteverfassung in Deutschland (4 Bde., Erlangen [* 31] 1869–71);
Heusler, Der Ursprung der deutschen Stadtverfassung (Weim. 1872);
Sohm, Entstehung des deutschen Städtewesens (Lpz. 1890);
von Below, Ursprung der deutschen Stadtverfassung (ebd. 1892);
Keutgen, Untersuchungen über den Ursprung der deutschen Stadtverfassunq (ebd. 1895);
Georg Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts (4. Aufl., ebd. 1895), §§. 110 fg.; Artikel Städte im «Österr. Staatswörterbuch», Bd. 2 (Wien [* 32] 1896);
Rietschel, Markt und Stadt (Lpz. 1897).