Staatsrecht
(Jus publicum) im weitern Sinn s. v. w. öffentliches Recht; im engern und eigentlichen und zwar im subjektiven Sinn wird damit unter Ausscheidung des Straf- und Prozeßrechts, des Kirchen- und Völkerrechts der Inbegriff der Rechte und Pflichten bezeichnet, welche durch das Staatswesen für die Regierung und für die Regierten im Verhältnis zu einander und für die letztern untereinander begründet, im objektiven Sinn die Gesamtheit derjenigen Rechtsgrundsätze, durch welche jene Rechte und Pflichten normiert werden. Je nachdem nun diese Grundsätze unmittelbar aus dem Begriff und aus dem Wesen des Staats überhaupt abgeleitet und entwickelt werden, oder je nachdem es sich um die positiven Satzungen eines bestimmten Staats, z. B. des Deutschen Reichs, handelt, wird zwischen allgemeinem (philosophischem, natürlichem) und besonderm (positivem, historischem) S., z. B. dem S. des Deutschen Reichs, unterschieden.
Ferner unterscheidet man nach den Gegenständen, auf welche sich jene
Satzungen beziehen, zwischen äußerm
und innerm S., je nachdem es sich um die äußern Verhältnisse und um die
Stellung des
Staats andern
Staaten gegenüber oder
um innere Staatsangelegenheiten handelt. Für
Deutschland
[* 2] insbesondere war zur Zeit des frühern
Deutschen
Reichs die
Einteilung
in Reichsstaatsrecht
und
Territorial- oder Landesstaatsrecht
von Wichtigkeit, indem man damit die auf
Verfassung und
Regierung des
Reichs bezüglichen
Satzungen den für die einzelnen Territorien besonders gegebenen staatsrech
tlichen
Bestimmungen gegenüberstellte, eine
Einteilung, welche nach der Errichtung des neuen
Deutschen
Reichs, und nachdem so die bisherige
Einteilung in Bundesrecht und Landesstaatsrecht
hinweggefallen, wiederum praktische Bedeutung gewonnen
hat.
Ferner pflegt man neuerdings aus dem S. das Verwaltungsrecht auszuscheiden, als den Inbegriff derjenigen Rechtsgrundsätze, nach welchen sich die Thätigkeit der Verwaltungsorgane in den einzelnen Fällen richtet. Dem S. (Verfassungsrecht) verbleibt alsdann die Lehre [* 3] von dem Herrschaftsbereich und von der Organisation der Staatsgewalt (Monarch, Volksvertretung, Behörden, Kommunalverbände), von ihren Funktionen und von den Rechtsverhältnissen der Unterthanen.
Die staatsrech
tliche Litteratur, namentlich die deutsche, ist eine sehr reichhaltige. Die zahlreichen
Publizisten des 16. und 17. Jahrh.,
unter denen besonders
Pufendorf,
Leibniz,
Cocceji und
Thomasius zu nennen sind, wurden von J. J.
Moser durch die Gründlichkeit,
womit er in seinen zahlreichen
Schriften die verschiedenen
Zweige des Staatsrechts
behandelte, und von
Pütter, dem größten Staatsrecht
slehrer des vorigen
Jahrhunderts, übertroffen, welcher auf historischer Grundlage zuerst
einer systematischen Bearbeitung des Staatsrechts
die
Bahn eröffnete. Unter den neuern
Systemen des Staatsrechts
sind die
von
Zachariä (3. Aufl.,
Götting. 1865-67, 2 Bde.),
Zöpfl (5. Aufl., Leipz. 1863),
Held (Würzb. 1856-57, 2 Bde.),
Gerber (3. Aufl., Leipz. 1880),
Laband
(Tübing. 1876-82, 3 Bde.), G.
Meyer (2. Aufl., Leipz. 1885),
Zorn (Berl. 1880-83, 2 Bde.),
H.
Schulze (Leipz. 1881), Kirchenheim (Stuttg. 1887) und
Gareis u.
Hinschius (Freib. 1887) hervorzuheben. Unter den Bearbeitungen
des partikulären Staatsrechts
, von welchen besonders die von
Schulze
(Preußen),
[* 4]
Mohl
(Württemberg),
[* 5]
Pözl
(Bayern),
[* 6] Milhauser
(Sachsen)
[* 7] und
Wiggers
(Mecklenburg)
[* 8] zu nennen sind, steht
Rönnes »S. der preußischen
Monarchie« (4. Aufl.,
Leipz. 1882 ff., 5 Bde.)
obenan. Ebenso ist unter den systematischen Bearbeitungen des deutschen Reichsstaatsrechts
der Gegenwart das Werk von
Rönne
(2. Aufl., Leipz. 1877) wegen seiner Reichhaltigkeit
und Gründlichkeit von Bedeutung. Um die Bearbeitung des allgemeinen Staatsrechts
hat sich namentlich
Bluntschli verdient
gemacht, welcher in der
»Deutschen Staatslehre für Gebildete« (2. Aufl.,
Nördling. 1880) auch eine populäre
Darstellung des
Staatsrechts
zu geben versuchte.
Vgl. außer den angeführten
Lehr- u. Handbüchern des Staatsrechts:
Bluntschli,
Lehre vom modernen
Staat (Stuttg. 1875 ff.), Bd. 1. »Allgemeine
Staatslehre«, Bd. 2: »Allgemeines S.« (6. Aufl. des frühern Werkes, welches unter diesem
Titel erschien),
Bd. 3: »Politik«; Sarwey, Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspflege (Tübing. 1880);
Marquardsen, Handbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart (in Einzelbeiträgen, Freib. 1885 ff.);
Hirth, Annalen des Deutschen Reichs (Leipz. 1871 ff.).
Encyklopädische Werke: Rotteck u. Welcker, Staatslexikon (3. Aufl., Leipz. 1856-66, 14 Bde.);
Bluntschli und Brater, Staatswörterbuch (Stuttg. 1856-70, 11 Bde.);
kleinere Lexika von K. Baumbach (Lpz. 1882), Rauter (Wien [* 9] 1885) u. a.