Staatsanwalt
,
der zur
Wahrnehmung des öffentlichen
Interesses in
Rechtssachen und insbesondere in
Untersuchungssachen bestellte Staatsbeamte; Staatsanwa
ltschaft (ministère public), die hierzu geordnete ständige Behörde.
Dem
Altertum war das
Institut der Staatsanwa
ltschaft fremd. Man überließ es dem Verletzten oder seinen Familiengenossen,
gerichtliche
Genugthuung zu suchen, und nur zuweilen traten Redner mit einer öffentlichen
Anklage hervor, ohne daß sie
von
Staats wegen dazu veranlaßt waren.
Der Ursprung der S. ist in
Frankreich zu suchen, woselbst die heutigen Staatsanwalte
aus den fiskalischen Beamten (gens du
roi, avocats généraux, procureurs du roi) hervorgingen, welche die königlichen
Gerechtsame bei den
Gerichten wahrnahmen
und die fiskalischen
Interessen zu vertreten hatten. Aber schon im
Mittelalter wurde diesen Beamten auch
die
Wahrnehmung der öffentlichen
Interessen verbrecherischen
Handlungen gegenüber
übertragen, und so entwickelte sich in
Frankreich
die strafprozessualische Thätigkeit der Staatsanwa
ltschaft als die hauptsächlichste, wenn auch nicht ausschließliche Berufssphäre
derselben. Nach heutigem französischen
Recht, wie dasselbe namentlich durch das Organisationsgesetz
Napoleons I. vom normiert
ist, gilt nämlich der S. überhaupt als
Wächter des
Gesetzes. Er tritt daher auch in bürgerlichen
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mehr
Rechtsstreitigkeiten, auch wenn das staatliche Interesse direkt dabei nicht in Frage kommt, in Thätigkeit. Der S. vermittelt ferner den Verkehr des Justizministeriums mit den Gerichten; er nimmt als Vertreter der bürgerlichen Gesellschaft auch an Akten der freiwilligen Gerichtsbarkeit teil, vermittelt den Verkehr der Gerichte untereinander und mit dem Ausland, überwacht den Geschäftsgang der Gerichte, beantragt Disziplinaruntersuchungen, beaufsichtigt die Anwalte und die Subalternbeamten und überwacht das Gefängniswesen. In Strafsachen geht die Verfolgung aller verbrecherischen Handlungen und ebenso der Vollzug der Strafurteile von dem S. aus.
Die Funktionen der Staatsanwa
ltschaft werden bei dem Kassationshof durch den Procureur général (Generalprokurator) und sechs
Vertreter desselben (avocats généraux) wahrgenommen. Ebenso fungiert bei den Appellhöfen ein Generalprokurator,
welchem Generaladvokaten und Substituten (substituts du procureur général) beigegeben sind. Bei den Untergerichten sind Staatsanwalte
(procureurs de la république) und Substituten oder Gehilfen derselben bestellt, während bei den Polizeigerichten die staatsanwalt
lichen
Funktionen von Polizeikommissaren wahrgenommen werden.
Nach diesem französischen Muster ist die Staatsanwalt
schaft in den meisten europäischen Staaten eingerichtet
worden; doch war es, wenigstens in Deutschland,
[* 3] die strafprozessualische Seite der staatsanwalt
schaftlichen Thätigkeit, auf
welche sich diese Nachahmung beschränkte, abgesehen von der in den Rheinlanden vollständig nach französischem Muster durchgeführten
Justizorganisation. Die deutschen Justizgesetze von 1877 haben jene Einschränkung zur Regel erhoben.
Die Zivilprozeßordnung kennt eine Mitwirkung der Staatsanwalt
schaft im öffentlichen Interesse nur in Ehesachen und im Entmündigungsverfahren,
wenn es sich darum handelt, eine Person unter Zustandsvormundschaft zu stellen. Das deutsche Gerichtsverfassungsgesetz aber
erklärt ausdrücklich, daß den Staatsanwalten
eine Dienstaufsicht über die Richter nicht übertragen werden dürfe. Das
Amt der Staatsanwalt
schaft selbst wird bei dem Reichsgericht durch einen Oberreichsanwalt und durch einen
oder mehrere Reichsanwalte, bei den Oberlandesgerichten, den Landgerichten und den Schwurgerichten durch einen oder mehrere Staatsanwalte
und bei den Amts- und Schöffengerichten durch einen oder mehrere Amtsanwalte ausgeübt.
Zum Oberreichsanwalt, zu Reichsanwalten und Staatsanwalten
können nur zum Richteramt befähigte Beamte
ernannt werden. Oberreichsanwalt und Reichsanwalte sind dem Reichskanzler untergeordnet, während hinsichtlich aller übrigen
staatsanwalt
schaftlichen Beamten die Landesjustizverwaltung das Recht der Aufsicht und Leitung ausübt; auch sind den ersten
Beamten der Staatsanwalt
schaft bei den Oberlandesgerichten und Landgerichten alle Beamten der Staatsanwalt
schaft ihres Bezirks
untergeordnet.
Die ersten Staatsanwalte bei den Oberlandesgerichten und in manchen Staaten auch die bei den Landgerichten führen den Titel Oberstaatsanwalt. Der frühere Amtstitel »Generalstaatsanwalt« für den S. bei den Gerichten höchster Instanz kommt nur noch als Auszeichnungstitel vor. Die Bezeichnung »Kronanwalt« ist nicht mehr üblich. In Österreich [* 4] führt der S. bei dem obersten Gerichts- und Kassationshof in Wien [* 5] den Titel »Generalprokurator«. Bei den österreichischen Oberlandesgerichten fungieren Oberstaatsanwalte.
Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen Weisungen ihres Vorgesetzten nachzugehen. Die Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes sind Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft und sind in dieser Eigenschaft verpflichtet, den Anordnungen der Staatsanwalte und der diesen vorgesetzten Beamten Folge zu leisten. Die Thätigkeit der Staatsanwaltschaft besteht nach der deutschen Strafprozeßordnung im wesentlichen in der Vorermittelung verbrecherischer Handlungen (Vorverfahren, Ermittelungs-, Skrutinialverfahren), in dem Antrag auf Voruntersuchung und dem Mitwirken bei derselben sowie in der Erhebung und Vertretung der öffentlichen Klage bei strafbaren Handlungen.
Nur bei Körperverletzungen und Beleidigungen, soweit diese Vergehen auf Antrag verfolgt werden, ist es Sache des Verletzten oder des an seiner Stelle zur Stellung des Strafantrags Berechtigten, die Strafverfolgung mittels der Privatklage zu betreiben. Bloß dann, wenn dies im öffentlichen Interesse geboten erscheint, übernimmt auch in solchen Fällen der S. die Strafverfolgung. Die sogen. subsidiäre Privatklage, d. h. das Recht des Verletzten, im Fall einer Ablehnung der Strafverfolgung seitens der Staatsanwaltschaft diese Strafverfolgung selbst zu betreiben, wurde in die Strafprozeßordnung nicht aufgenommen, obwohl sich der deutsche Juristentag dafür ausgesprochen hatte. Es ist aber für den Fall, daß die Staatsanwaltschaft dem bei ihr angebrachten Antrag auf Erhebung der öffentlichen Klage keine Folge gibt, nicht nur das Recht der Beschwerde an die vorgesetzte Dienstbehörde, sondern auch gegen einen ebenfalls ablehnenden Bescheid der letztern die Berufung auf gerichtliche Entscheidung statuiert.
Diese geht von dem Oberlandesgericht und in den vor das Reichsgericht gehörigen Sachen von diesem selbst aus. Auf diese Weise ist also das sogen. Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft abgeschwächt. Übrigens kann die Staatsanwaltschaft gerichtlichen Entscheidungen gegenüber auch zu gunsten des Beschuldigten von den gesetzlich zulässigen Rechtsmitteln Gebrauch machen. Endlich ist auch die Strafvollstreckung Sache der Staatsanwaltschaft. In Preußen [* 6] liegt übrigens dem S. auch die Überwachung der durch das Handelsgesetzbuch den Kaufleuten auferlegten Verpflichtungen ob.
Vgl. Deutsches Gerichtsverfassungsgesetz, § 142-153; Deutsche [* 7] Strafprozeßordnung, § 151-175, 225 ff., 483 ff.; Österreichische Strafprozeßordnung, § 29 ff.; Berninger, Das Institut der Staatsanwaltschaft (Erlang. 1861);
von Holtzendorff, Die Umgestaltung der Staatsanwaltschaft (Berl. 1865);
Keller, Die Staatsanwaltschaft in Deutschland (Wien 1866);
Gneist, Vier Fragen zur Strafprozeßordnung (das. 1874);
König, Die Geschäftsverwaltung der Staatsanwaltschaft in Preußen (Berl. 1882);
Tinsch, Die Staatsanwaltschaft im deutschen Reichsprozeßrecht (Erlang. 1883);
von Marck, Die Staatsanwaltschaft bei den Land- und Amtsgerichten (Berl. 1884);
Massabiau, Manuel du ministère public (4. Aufl., Par. 1876, 3 Bde.; »Répertoire« dazu, 1885).