Sprichwort
,
minder richtig Spruchwort, im weitesten Sinne ein dem Volksmunde entsprungener, in ihm oder auch in der Litteratur sich fortpflanzender Ausspruch von präciser, gern bildlicher Form und eindrucksvollem, sinnfälligem Gepräge, der sich bei bestimmten Anlässen als natürlicher Ausdruck einer bewährten Erfahrung wie von selbst einstellt. Durch seine volkstümliche Herkunft und allgemeine Beliebtheit unterscheidet er sich von den persönlichen Denk- und Wahlsprüchen und den meist litterar.
Quellen entnommenen Sentenzen. Doch ist nicht gerade ausgeschlossen, daß auch glücklich gefaßte Aussprüche litterar. Ursprungs (z. B. aus der Bibel) [* 2] allmählich zum S. werden; dahin gehören namentlich manche der sog. geflügelten Worte. Das sicherste Kriterium für das S. wird immer seine kurze, volkstümliche Form und sein volkstümlicher Gebrauch sein müssen: nur der thatsächliche Erfolg, die wiederholte Anwendung im Munde anderer Leute als des Autors macht ein Wort zum S. Von jeher hat man das S. als Quelle [* 3] reicher Lebensweisheit geschätzt. Besondere Bedeutung hat es außerdem auch für Sprachkunde und Kulturgeschichte.
Seit dem 16. Jahrh. begann man in Deutschland [* 4] die einheimischen S. zu sammeln und zu erklären. Die wichtigsten ältern Sammlungen sind die von Tunnicius (zuerst 1513), Joh. Agricola (zuerst 1529), Sebast. Frank (1541 u. ö.), von einem Ungenannten in Egenolffs Verlag (1548), von Eyering (1601), Petri (1605), Lehmann (zuerst 1630), Blum (1780) u. s. w. Mit Wagener (1813), dessen Sammlung 3737 S. enthält, beginnt die Gruppierung unter alphabetisch geordneten Hauptbegriffen, eine Form, die Körte (1837) mit 7202, Eiselein (1838) mit etwa 12000 und Simrock (1846) mit 12 396 S. als die zweckmäßigste beibehielten.
Doch ist man einer vollständigen Sammlung des reichen deutschen Sprichwörterschatzes erst näher gekommen, seit die wissenschaftliche Erforschung der Volksmundarten auch aus diesen die üblichen S. gesammelt hat; es giebt Sammlungen für die Schweiz [* 5] von Sutermeister und Curti, für die Alpenländer von Hörmann, für Schwaben von Birlinger, für die Oberpfalz von Schönwerth, für Bayern [* 6] von Sailer, für Luxemburg [* 7] von Dicks, für Nassau von Kehrein, für Köln [* 8] von Honig, für die Grafschaft Mark von Woeste, für Waldeck [* 9] von Curtze, für Franken von Hartmann, für Sonneberg [* 10] von Schleicher, für Rudolstadt [* 11] von Wagner, für Friesland von Johansen, Dirksen und Kern, für Göttingen [* 12] von Schambach, für Westfalen [* 13] von Prümer, für Meiderich von Dirksen, für Oldenburg [* 14] von Lübben, [* 15] für Bremen [* 16] von Mindermann, für Niederdeutschland von Eichwald, W. Schröder und Eckart, für die Altmark von Schwerin, [* 17] für Brandenburg [* 18] von Engelien, für Schlesien [* 19] von Langer und Peter, für Ostpreußen [* 20] von Frischbier, für Siebenbürgen ¶
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von Schuster. Den gesamten deutschen Sprichwörterschatz wohlgeordnet in übersichtlicher Fassung bietet das «Deutsche [* 22] Sprichwörter-Lexikon» von Wander (5 Bde., Lpz. 1867-80),
das etwa 300000 S. enthält und durch die vergleichende Zusammenstellung von «S. der german. und roman. Sprachen» von Ida von Düringsfeld (2 Bde., Lpz. 1872-75) eine wünschenswerte Ergänzung findet. -
Vgl. noch Borchardt, Die sprichwörtlichen Redensarten im deutschen Volksmund nach Sinn und Ursprung erläutert (5. Aufl., von Wustmann, Lpz. 1895).
Viel lückenhafter ist die Bearbeitung des S. in den andern Litteraturen. «Indische Sprüche» sammelte Böhtlingk (3 Bde., Petersb. 1870-73),
arabische Freytag («Arabum proverbia», 3 Bde., Bonn [* 23] 1838-45),
Carlo Landberg («Proverbes et dictons du peuple arabe», Bd. 1, Leid. 1883) und Snouck-Hurgronje («Mekkanische S. und Redensarten», Haag [* 24] 1886); 4500 nationale S. der Armenier gab der Mechitarist Simon Guilardian heraus (Vened. 1880). Sammlungen griechischer S. wurden schon in alter Zeit veranstaltet; erhalten sind uns nur die der spätern Grammatiker. (S. Parömie.) Über mittelgriechische S. handelt Krumbacher (in den «Sitzungsberichten» der Münchener Akademie, 1893). G. Kavardio auf der Insel Korfu [* 25] hat 1876 eine Sammlung neugriechischer S. herausgegeben, von der aber nur sechs Bogen, [* 26] 1141 S. enthaltend, erschienen sind. Eine große Anzahl griechischer und lateinischer S. gab Erasmus in seinen viel gelesenen «Adagia» (zuerst Par. 1500) heraus, die in sehr vielen Auflagen und Bearbeitungen erschienen sind (letzte Ausg. von Suringar, Utrecht [* 27] 1873, der auch Heinr. Bebels «Proverbia germanica» mit Parallelen neu herausgab, Leid. 1879). Über die griechischen und römischen S. handelten ferner Leutsch und Schneidewin (in ihrer Ausgabe der «Parömiographen», Gott. 1839),
C. S. Köhler («Das Tierleben im S. der Griechen und Römer», [* 28] Lpz. 1881). Sammlungen lateinischer S., teils mit, teils ohne deutsche Übertragung, hat man von Gruter (1610),
Seybold (1677),
Faselius (1859),
Wüstemann (1856),
Georges (1863),
Kruse (1863),
Otto (1890). Das geordnetste und vollständigste nichtdeutsche Sprichwörterwerk ist das «Spreekwoordenboek» der niederländ. Sprache [* 29] von Harrebomée (3 Bde., Utrecht 1858-65). Ein nordisches Sprichwörter-Lexikon von Pastor Strömbäck in Öregrund (Schweden), [* 30]
die schwedischen, norwegischen, dänischen und isländischen S. umfassend, liegt druckfertig in der königl. Bibliothek zu Stockholm, [* 31] nur der Herausgabe harrend. Dänische S. teilte Mau («Dansk Ordsprogs-Skat», 2 Bde., Kopenh. 1879),
englische Hazlitt («English proverbs», Lond. 1869),
schottische Hislop («The proverbs of Scotland», Glasg. 1862) mit. Franz. Sprichwörtersammlungen gaben Quitard («Dictionnaire des proverbes français», Par. 1842; dazu seine «Études sur les proverbes français», ebd. 1860) und Le [* 32] Roux de Lincy (2. Aufl., 2 Bde., ebd. 1859); Bladé stellte besonders zusammen die S. der Armagnaken (ebd. 1880), Canel die normannischen S. (Rouen [* 33] 1859) u. s. w. In Italien [* 34] brachte Giuseppe Pitré (1882) 13000 S. auf; dazu kamen toscanische S. von Giusti (Flor. 1853), venetische von Pasqualigo (Vened. 1879), lombardische von Bonifacio (Mail. 1858) und mailändische von Restelli.
Für Spanien [* 35] sammelte Sbarbi («El refranero general español», 10 Bde., Madr. 1874-78); altspanische S.und sprichwörtliche Redensarten gab Haller heraus (2 Bde.,),
Regensburg [* 36] 1883 u. 1884),
ein «Liber proverbiorum polonicorum (Księga przystów polskich)» S. Adalberg (Warschau [* 37] 1889-94). Vergleichende Sprichwörtersammlungen veranstalteten Gaal, «Sprichwörterbuch in sechs Sprachen» (Wien [* 38] 1830),
und Marin, «Ordspråk» (Stockh. 1867); vgl. auch die Studie von Wahl, Das S. der neuern Sprachen (Erf. 1877). Allgemeine, über alle Litteraturen sich erstreckende Verzeichnisse von Sprichwörtersammlungen geben Nopitsch in seiner «Litteratur der S.» (2. Ausg., Nürnb. 1833); Duplessis, «Bibliographie parémiologique» (Par. 1847); nur deutsche Sammlungen verzeichnet Zacher, «Die deutschen Sprichwörtersammlungen» (Lpz. 1852).