Sprachunterricht.
Da die Sprachen in der Regel zu praktischen Zwecken erlernt werden, d. h. um verstanden und gesprochen zu werden, so bietet sich als der natürliche Weg zum Ziel die Art, wie wir unsre Muttersprache erlernen. Man gibt also Kindern ausländische Erzieherinnen und bringt es nicht selten dahin, daß gut begabte Kinder sich in mehreren Sprachen auszudrücken vermögen, allerdings meist auf Kosten ihrer Muttersprache; da aber die Korrektheit des Ausdrucks und der Umfang des Sprachmaterials notwendig von dem oft sehr geringen Bildungsgrad der Bonnen abhängen, so kann von einer Beherrschung der Sprache gar keine Rede sein. Für Erwachsene ist ein längerer Aufenthalt im Ausland sowie die unausgesetzte Übung im Gebrauch des fremden Idioms notwendig, wenn die Fertigkeit, sich leicht und fließend in der fremden Sprache auszudrücken, erreicht werden soll. »Es gehört eine gar große Gewandtheit dazu, der Natur entgegen, die eigentlich jeden nur an Eine Sprache, wie an Ein Vaterland gewiesen hat, sich zweier Sprachen bis zum Schreiben und Reden zu bemächtigen, und nur diejenigen können hierin den Mund zum Fordern weit aufthun, die keine solcher Forderungen selbst zu erfüllen vermögen« (Fr. A. Wolf). Leute, die als Dienstboten, Handwerker, Handlungsdiener etc. sich in einem fremden Land aufhalten, vermögen zwar nach einer gewissen Zeit sich im fremden Idiom auszudrücken; da sie aber immer nur einen eng umgrenzten Wortschatz und Ideenkreis beherrschen, so haben sie beim Versuch, sich in einer andern geistigen Sphäre zu bewegen, fast dieselben Schwierigkeiten zu überwinden, als sollten sie eine neue Sprache erlernen. Ebenso sind die Deutsch-Amerikaner ein redender Beweis dafür, daß der ausschließliche Gebrauch eines fremden Idioms, das bedingungslose Aufgehen in das Wesen einer fremden Nation immer den Verlust der Muttersprache zur Folge hat. In vielsprachigen Ländern, wie Österreich, Rußland etc., fehlt es nicht an Menschen, die fünf und sechs Sprachen nebeneinander sprechen; aber vollständig beherrschen sie selten auch nur eine.
Bei dieser Art der Spracherlernung kann natürlich von S. keine Rede sein; die Erfahrung hat aber gelehrt, daß ein Aufenthalt im Ausland erst dann wirklich fruchtbar ist, wenn die Grundlage einer guten grammatischen Vorbildung vorhanden ist. Diese muß sogar ausreichen für alle die, welche weder Zeit
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noch Mittel haben, das Ausland aufzusuchen, und denen es weniger auf Sprachfertigkeit als auf die Befähigung ankommt, die in der fremden Sprache geschriebenen Werke zu verstehen und vielleicht auch einen Brief in derselben abzufassen. Diese Vorbildung erwirbt man gewöhnlich mit Hilfe eines Lehrers unter Zugrundelegung eines Lehrbuchs; die Methoden des Unterrichts sind entweder die analytische oder die synthetische. Während die analytische Methode, welche auch die natürliche, praktische oder die induktive genannt wird, mit der mechanischen Einübung eines Sprachstoffes beginnt und an diesem die Gesetze der Sprache zu erkennen und zu entwickeln lehrt, geht die synthetische, wissenschaftliche oder deduktive Methode den umgekehrten Weg, von der Regel zum Beispiel, von dem in Form und Geltung erkannten Einzelwort zur Bildung eines Sprachganzen. Diesen Weg haben im allgemeinen alle gelehrten Schulen bis auf den heutigen Tag eingeschlagen, nur daß wohl kaum noch die Synthese in ihrer Reinheit angewendet wird; jedenfalls erfährt der propädeutische Kursus jetzt eine vorwiegend praktische und methodische Behandlung. Das Verdienst, diese in die Schule eingeführt zu haben, anfangs allerdings nur für das Französische, gebührt Seidenstücker (Rektor in Soest, gest. 1817). Nach ihm wird mit den einfachsten Sätzen begonnen, und an ihnen werden die Elemente der Sprache zur Anschauung gebracht, dann allmählich und stufenweise fortgeschritten, bis das Wichtigste aus der Grammatik sowie die notwendigsten lexikalischen Kenntnisse vorgeführt sind und durch unablässige Übung festgewußt werden; erst dann schreitet man zu leichtern, zusammenhängenden Lesestücken. Diese Methode, welche ohne besondere Berechtigung die Ahnsche genannt wird, ist von Schifflin, Seyerlein, Barbieux, Schmitz u. a. selbständig fortgebildet worden und hat ihre Anwendung auf alle europäischen Sprachen gefunden; sie ist am bekanntesten geworden durch die französischen Lehrbücher von Plötz (s. d.), welche eine große Verbreitung gefunden haben. Die geschickte Anordnung und leichtfaßliche Darstellung des Sprachstoffes sowie die Betonung der Wichtigkeit einer guten Aussprache sind ihre Hauptvorzüge, während mit Recht über die oft überaus trivialen Übungssätze, über den Zwang, den seine »Methodik« auf den Gang des Unterrichts ausübt, und über den Mangel an Wirtschaftlichkeit geklagt wird.
Die Versuche, die rein analytische Methode für den Unterricht nutzbar zu machen, gehen alle auf die Interlinearmethode des Franzosen Jacotot (s. d.) und des Engländers Hamilton (s. d. 9) zurück, welche darauf beruht, daß zuerst ein Sprachganzes vollständig eingeübt, dann in seine Teile zerlegt und erläutert wird. Es wird also ein Abschnitt aus dem zu Grunde gelegten Musterbuch (bei Jacotot der »Telémaque« von Fénelon, bei Hamilton das Evangelium Johannis), welches mit fortlaufender Interlinearübersetzung versehen ist, so lange gelesen, übersetzt und abgefragt, bis der Schüler es vollständig innehat. So schafft man durch unablässige Wiederholung einen festen Besitz von Wörtern und Phrasen und bringt mit diesem Grundstock das jedesmal hinzutretende Neue in lebendige Verbindung. Erst spät tritt grammatische Analyse und bei Jacotot auch Synthese hinzu. Die bessere Durcharbeitung und Durchführung der Methode ist unbedingt Jacotot nachzurühmen; ihre größte Schwäche bestand in der Gefahr, das Interesse der Schüler durch die mechanische Behandlung des Stoffes abzustumpfen und sie zu einer Oberflächlichkeit zu erziehen, welche äußerliche Fertigkeit und Dressur mit wirklichem Wissen und Können verwechselt. Dennoch erwarben die unzweifelhaften Erfolge, welche die Erfinder aufzuweisen hatten, ihrer Methode viele Freunde, und wenn auch die Versuche andrer, nach derselben zu unterrichten (z. B. von L. Tafel in Württemberg, L. Lewis in Österreich, W. Blum in Leipzig), scheiterten, so haben doch einige Lehrbücher, in denen die analytische Methode mehr ausgebildet wurde und zwar durch stärkere Betonung der grammatischen Synthese, große Verbreitung gefunden, z. B. die englischen Lehrbücher von Gesenius, Fölsing u. a. Großes Aufsehen haben die Reformvorschläge von Perthes in Karlsruhe erregt, welche die analytische Methode auch auf den lateinischen Unterricht (und zwar zur leichtern Erlernung der Sprache) anwenden wollen und zuerst in der »Zeitschrift für Gymnasialwesen« 1873-75 veröffentlicht wurden. Seine Methode besteht hauptsächlich darin, daß der Knabe von Anfang an zur Induktion angeleitet wird, daß die Wörter und Phrasen, die ihm entgegentreten, nicht aus ihrem natürlichen Zusammenhang gerissen werden, daß das Neue stets nach der sogen. gruppierenden Repetitionsmethode an das Gelernte angeknüpft werde, und daß der Unterricht durch Hinweisung auf abgeleitete Wörter und naheliegende oder leicht abzuleitende Begriffe aus der unbewußten Aneignung derselben möglichst Nutzen ziehe. Die Hauptsache sind, wie bei allen Methodikern, seine Hilfsbücher, welche mit großem Fleiß und Geschick gearbeitet sind und eine treffliche Anleitung zur Präparation geben. Allein trotz der Anerkennung, welche diese Vorschläge gefunden haben, verhält sich die überwiegende Mehrzahl der Fachmänner ablehnend; besonders wird das Prinzip der unbewußten Aneignung bestritten sowie die Anwendbarkeit der Induktion auf die Erlernung der Grammatik. Auch im Französischen sind in neuester Zeit Versuche gemacht worden, die rein analytische Methode in den Anfangsunterricht einzuführen. Man geht von kleinen Erzählungen aus, übt sie mechanisch ein, lehrt daran lesen, sprechen, schreiben und, durch Zusammenstellung des Gleichartigen, die Grammatik, doch nur, soweit sie am Übungsstoff in die Erscheinung tritt. Diese Methode, welche sich auf die Lehrbücher von Mangold und Coste, von Ulbrich u. a. stützt, rühmt sich großer Erfolge, findet aber auch starken Widerspruch und wird ihn ebenso wie die Perthessche finden, solange an den Schulen die Erreichung einer logisch-formalen Bildung als das Hauptziel des Unterrichts gilt.
Wer zur Erlernung einer Sprache auf Privatunterricht oder Selbststudium angewiesen ist, hat die Auswahl unter einer Anzahl von Lehrbüchern, welche sich zwar alle einer ihnen eigentümlichen Methode rühmen, aber doch samt und sonders an die natürliche Art der Spracherlernung durch den Gebrauch anknüpfen. Zu den verbreitetsten gehören die von Ollendorff. In ihnen sind die Regeln auf ein geringes Maß beschränkt, Vokabeln und Sätze dem gewöhnlichen Leben entnommen und außer den fremdsprachlichen Musterbeispielen nur deutsche Übungssätze gegeben, welche, auf Einführung in die Konversation berechnet, hauptsächlich Fragen und Antworten enthalten. Der eng begrenzte Kreis von Wörtern und Gedanken, in denen sich diese Sätze bewegen, bedingt eine fortwährende Wiederholung des meist trivialen und absurden Stoffes und führt zu einer mechanischen, geistlosen Dressur. Ebenso wie Ollendorff geht Robertson darauf aus, den Lernenden möglichst bald zum Sprechen zu befähigen. Diese Methode (weitergebildet von Ölschläger und A. Boltz) nähert
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sich der Hamiltonschen, unterscheidet sich aber darin, daß auf jeden Textabschnitt mit der Interlinearversion eine möglichst ausführliche Erläuterung grammatischer, lexikologischer und andrer Schwierigkeiten folgt, die dem Schüler am besten vorbehalten bleibt. Eine andre viel angepriesene Methode, das Meisterschaftssystem von Rich. S. Rosenthal, welche in drei Monaten bei täglich halbstündiger Arbeit eine fremde Sprache lesen, sprechen und schreiben lehren will, kann ihr Programm nur erfüllen durch weise Beschränkung auf die für den Reisenden und Geschäftsmann notwendige Sprache. Von »System« ist allerdings wenig zu merken; die Grammatik wird vollständig zerpflückt, und in Bezug auf die Aussprache muß der Verfasser den Schüler an einen ausländischen Lehrer verweisen! Einen großen Teil seiner Regeln, Beispiele etc. hat das »Meisterschaftssystem« der sogen. Konversationsmethode von Gaspey-Otto-Sauer entnommen, deren Lehrbücher für Französisch, Englisch, Italienisch, Spanisch, Holländisch, Russisch großen Nachdruck auf Sprechübungen legen und die oben erwähnten Lehrbücher durch größere Einfachheit und Zuverlässigkeit übertreffen. Das Meisterschaftssystem unter gleichzeitiger Anwendung der Robertsonschen Methode hat F. Booch-Árkossy in Leipzig für seine modernen Grammatiken benutzt, die für Schul- und Selbstunterricht eingerichtet sind und nicht nur alle neuern Sprachen, sondern auch Latein und Griechisch lehren wollen; er »berechnet das Studium dieser letztern auf je ein Jahr, welches bei ausschließlicher Verwendung dieser Zeit auf den betreffenden Gegenstand hinreichen wird, dem fleißig Studierenden die betreffende klassische Litteratur zum selbständigen nützlichen und angenehmen Gebrauch zu erschließen«. Nützlich und empfehlenswert sind die von Thum herausgegebenen Lehrbücher des Englischen, Französischen etc. für den Kaufmann und Gewerbtreibenden; sie beschränken sich auf die dem geschäftlichen Leben angehörigen Phrasen, Vokabeln und Übungen und führen leicht und sicher in den kaufmännischen Stil ein. Eine ausgezeichnete Hilfe für das Selbststudium bieten die Unterrichtsbriefe von Toussaint-Langenscheidt für Französisch und Englisch. Diese, von vortrefflichen Kennern der beiden Sprachen zusammengestellt, geben nicht nur Anleitung zur richtigen Aussprache, sondern auch klar und präzis gefaßte Regeln und einen durchaus korrekten Sprachstoff (»Atala« von Chateaubriand und »The Christmas Carol« von Dickens). Durch die Reichhaltigkeit des Stoffes, die leichte Verständlichkeit der Darstellung sowie die Richtigkeit des Gebotenen übertreffen diese »Briefe« alle ähnlichen Werke, stellen aber an den Lernenden so hohe Anforderungen, daß er nur mit »großer Anstrengung, Ausdauer und Einsetzung der edelsten Kräfte« sein Ziel in der angegebenen Zeit (9 Monate) erreichen wird. Diese »Briefe« sind häufig nachgeahmt worden. In allerneuester Zeit macht die Methode von Berlitz aus Nordamerika viel von sich reden, welche darin besteht, daß der Lehrer sich beim Unterricht ausschließlich des fremden Idioms bedient und auch die Schüler zwingt, in demselben zu antworten. Sie ist also im Grund nichts andres als die systematisierte Form der Erlernung einer fremden Sprache im fremden Lande durch den wirklichen Gebrauch.