Sprachreinigung,
die Ausscheidung fremdartiger, im weitern Sinn auch fehlerhafter Beimischungen (Solözismen) aus einer Sprache und die Ersetzung derselben durch einheimische und regelrecht gebildete Wörter und Wortverbindungen. Das hierauf gerichtete Streben ist an sich löblich; doch muß dabei mit Vorsicht, gründlicher Sprachkenntnis, gesundem Urteil und geläutertem Geschmack zu Werke gegangen werden, da es leicht in Übertreibung (Purismus) ausartet.
Wörter wie Fenster, Wein, Pforte, opfern, schreiben etc. (v. lat. fenestra, vinum, porta, offerre, scribere) lassen nur für den Sprachforscher den fremden Ursprung erkennen; seit frühster Zeit eingebürgert, haben sich dieselben mit den auf deutschem Sprachboden erwachsenen Wörtern verschwistert und gleiche Rechte erworben (vgl. Fremdwörter). Auch werden heutzutage, wenn neue technische und wissenschaftliche Begriffe eine sprachliche Bezeichnung verlangen, die Ausdrücke dafür mit Recht vornehmlich dem griechischen und lateinischen Sprachschatz entnommen. Mit einheimischen vertauscht, sind diese häufig unverständlich oder zu unbestimmt oder müssen gar umschrieben werden; auch wird dadurch der Verkehr mit fremden Nationen erschwert. Mehr als lächerlich ist es aber, wenn der Purismus sich an solchen Wörtern vergreift, die nur scheinbar fremden Ursprungs sind, wie z. B. von Deutschtümlern für Nase der Ausdruck »Gesichtserker« vorgeschlagen wurde, während Nase keineswegs von dem
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lateinischen nasus stammt, sondern ein Urwort ist, das sich in allen indogermanischen Sprachen übereinstimmend wiederfindet (sanskr. nâs, nâsâ, altpers. nâha, lat. nâsus, altslaw. nosu etc.). Auch die S., die in neuester Zeit von einigen Germanisten an den durch Volksetymologie (s. Etymologie) entstandenen Wörtern Sündflut, Friedhof u. a. versucht wurde, ist, obwohl sie auf gründlicher Sprachkenntnis beruht, nicht zu billigen. In diesen Fällen hat die jetzige Schreibung und Deutung dieser Wörter längst das Bürgerrecht erlangt, wenn auch »Sinflut« und »Freithof«, wie man nach jenen Gelehrten schreiben sollte, früher »die große Flut« und den »eingefriedigten Hof« bedeutet haben.
Ihren triftigen Grund hat dagegen die S., wenn aus bloßer Nachlässigkeit oder Bequemlichkeit oder aus Vorliebe für das Ausländische ohne alle Not Fremdwörter eingeschwärzt werden. Einen solchen Kampf hatte namentlich die deutsche Sprache zu führen seit dem Anfang des 17. Jahrh., als der Verkehr mit den Franzosen zunahm und der Deutsche die größere Freiheit und Gewandtheit derselben auch durch Nachäffung ihrer Sprache sich anzueignen suchte. Energisch trat diesem Unwesen zuerst Martin Opitz in seinem Buch »Von der teutschen Poeterei« entgegen; weiter noch ging Philipp v. Zesen teils mit seiner Schrift »Rosenmond«, teils durch die Stiftung der Deutschgesinnten Genossenschaft (s. d.) in Hamburg.
Ähnliche Zwecke verfolgten: die Fruchtbringende Gesellschaft zu Weimar, der Blumenorden an der Pegnitz zu Nürnberg, der Schwanenorden an der Elbe und die Deutsche Gesellschaft zu Leipzig. Größern Erfolg aber als diese Verbindungen, die von abgeschmackt puristischen Bestrebungen sich nicht frei erhielten, hatten die Bemühungen einzelner für die Sache begeisterter Männer, namentlich Leibniz', der, obschon er nur selten in deutscher Sprache schrieb, dennoch die Kraft und Ausdrucksfähigkeit derselben wohl erkannte und in seinen »Unvorgreiflichen Gedanken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der deutschen Sprache« (1717) und der »Ermahnung an die Deutschen, ihren Verstand und ihre Sprache besser zu üben« (hrsg. von Grotefend, Hannov. 1846) gerade die deutsche Sprache als die geeignetste für die Darstellung einer wahren Philosophie erklärte.
Noch freilich fehlten Werke, die mit dem Streben nach reiner und edler Form auch gediegenen Inhalt verbanden. Sobald aber im 18. Jahrh. die große Blütezeit der deutschen Litteratur anbrach, erhob sich auch die Sprache aus ihrer tiefen Erniedrigung und gedieh durch unsre Klassiker noch vor dem Ende des Jahrhunderts zu hoher Vollendung. Nicht ohne Verdienst waren dabei auch die besondern, ausdrücklich auf S. gerichteten Bemühungen J. H. Campes (s. d.) und Karl W. Kolbes (gest. 1835; »Über Wortmengerei«, Berl. 1809), während Chr. Heinr. Wolke (gest. 1825) sich wieder in übertriebenen Purismus verirrte.
In der neuesten Zeit wurde der Kampf gegen den noch immer über Gebühr herrschenden Gebrauch von Fremdwörtern sowohl als von sprachwidrigen Wortbildungen und Redensarten von M. Moltke in seiner Zeitschrift »Deutscher Sprachwart« (1856-79) und namentlich von dem 1885 begründeten Allgemeinen Deutschen Sprachverein und der »Zeitschrift« desselben (hrsg. von Riegel in Braunschweig) wieder aufgenommen.
Vgl. Wolff, Purismus in der deutschen Litteratur des 17. Jahrhunderts (Straßb. 1888);
H. Schultz, Die Bestrebungen der Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts für Reinigung der deutschen Sprache (Götting. 1888);
Riegel, Der Allgemeine Deutsche Sprachverein (Heilbr. 1885).