[* 1] (Sprechen), vom physiologischen Standpunkt eine
Kombination von
Tönen und
Geräuschen, welche durch entsprechende
Verwendung der Ausatmungsluft, in gewissen
Fällen auch beim Einatmen
(Schnalzlaute der
Hottentoten und andrer
Völker) hervorgebracht
werden. Die
Vokale oder
Selbstlauter sind
Klänge, die an den
Stimmbändern entstehen und sich mit den auf
einem musikalischen
Instrument hervorgebrachten
Tönen vergleichen lassen; ihre besondere
Klangfarbe erhalten sie wie die
Töne
auf einer
Geige, einem
Pianoforte etc. durch die neben dem
Grundton erklingenden
Ober- oder
Nebentöne, welche ihrerseits durch
die wechselnde Gestaltung des Ansatzrohrs und Resonanzraums, d. h. der Mundhöhle,
[* 2] des
Gaumens etc., bedingt
werden.
Als die drei Grundvokale kann man
a, i, u bezeichnen; doch gibt es zwischen denselben eine unendliche
Menge von
Nüancen, die
durch kleine Verschiedenheiten der Mundstellung bedingt werden. Bei der
Aussprache des u senkt sich der
Kehlkopf, und die
Lippen
treten nach vorn, indem sie nur eine kleine rundliche Öffnung zwischen sich lassen
[* 1]
(Fig.
1). Von dem dumpfen u gelangt man zu dem heller klingenden a durch die Übergangsstufe des o, bei dessen
Bildung sich die
Lippenöffnung mäßig erweitert.
Bei der Hervorbringung des a liegt der
Kehlkopf höher, die
Zunge liegt platt auf dem
Boden der Mundhöhle, so
daß das Ansatzrohr einem vorn offenen Trichter gleicht
[* 1]
(Fig. 2). Den Übergang vom a zu
i, dem hellsten
Vokal, bildet
das e,
bei dem der hintere Teil der
Zunge und zugleich der
Gaumen sich etwas emporheben.
Beim i wird der
Kehlkopf sowohl als der hintere
Teil der
Zunge stark emporgehoben, so daß die Mundhöhle eine
Flasche
[* 3] mit sehr engem
Hals darstellt
[* 1]
(Fig.
3). Die
Diphthonge entstehen durch raschen Übergang der
Organe aus einer Mundstellung in die entsprechende andre, die zur
Hervorbringung des zweiten Teils des
Diphthongen erforderlich ist. Die
Konsonanten oder
Mitlauter kann man auf verschiedene
Weise einteilen.
Ihrer physiologischen oder akustischen
Beschaffenheit nach sind sie entweder tonlos oder
tönend, d. h. sie werden entweder
so kann man nach Brücke
[* 6] von den eigentlichen Dentalen die alveolaren, lingualen
und dorsalen Dentalen unterscheiden, auch gibt es neben den rein labialen die labiodentalen Konsonanten und drei Arten
von Gaumenlauten. Im Deutschen können als Dentale das t, d, s, sch, auch n, r, l angesehen werden;
guttural sind k, g, ch, j. Bis zu einem gewissen Grad kommt die Verschiedenheit der Artikulationsstellen auch
für die Vokale in Betracht, indem z. B. bei u ungefähr die labiale, bei
i ungefähr die dentale Artikulation stattfindet.
Drittens lassen sich die Konsonanten nach ihrer Artikulationsart einteilen,
wobei am meisten der Mundraum, außerdem der Nasenraum und der Kehlkopf in Betracht kommen. Wird die Stimmritze so weit verengert,
daß die ausgeatmete Luft an den Rändern der Stimmritze ein reibendes Geräusch erzeugt, so entsteht der
Hauchlauth; auch alle geflüsterten Laute werden auf diese Weise gebildet. Der Nasenraum erscheint an der Bildung der Nasalen
oder Nasenlaute n, m und ng (z. B. in »Ding«) beteiligt, indem er durch Senkung des Gaumensegels geöffnet wird, so daß die
Luft aus der Nase
[* 7] strömen kann (ein Vorgang, durch den auch das sogen. Näseln bedingt wird).
Die Artikulationsart des Mundraums kann wechseln und so entstehen:
1) Liquidä oder Zitterlaute, die entweder durch Biegung der Zungenspitze gebildet werden (r-Laute) oder an den Seitenwänden
der Zunge (l-Laute);
2) frikative oder Reibelaute, durch Verengerung des Mundkanals gebildet, indem die Ausatmungsluft an den
Rändern der Enge ein reibendes Geräusch erzeugt, wie z. B. beim deutschen s, sch, f, ch, j, w; 3) Explosiv- oder Verschlußlaute,
bei deren Erzeugung der Mundkanal an irgend einer Stelle plötzlich geschlossen und wieder geöffnet wird, z. B. an den Lippen
bei b, p, hinter oder an den Zähnen bei d, t, am Gaumen bei g, k. AndreSprachen kennen auch noch andre Artikulationsarten,
wie überhaupt die Mannigfaltigkeit der menschlichen Sprachlaute eine fast unbegrenzte und durch die Schrift nicht entfernt
ausdrückbare ist.
Ein sehr wichtiger Faktor bei der Lautbildung ist auch die Betonung,
[* 8] auf der namentlich die Silben- und
Wortbildung und daher auch die landläufige Unterscheidung zwischen Vokalen und Konsonanten vornehmlich beruht. Ihrer akustischen
Beschaffenheit nach unterscheiden sich z. B. die Nasale n, m und die Zitterlaute r, l in keiner Weise von den Vokalen, da sie wie
die letztern mit dem auf regelmäßigen Schwingungen der Stimmbänder beruhenden Stimmton hervorgebracht
werden (daher auch Resonanten genannt); sie stimmen aber darin mit den übrigen Konsonanten überein, daß sie in der Regel
nicht als Träger
[* 9] des Silbenaccents fungieren. Doch gibt es auch hierin
Ausnahmen; man vergleiche z. B.
das silbenbildende l in dem deutschen Wort »Handel« (sprich: Handl) oder die r- und l-Vokale der slawischen
Sprachen und des Sanskrit. Eine künstliche Nachbildung der menschlichen Sprachlaute liefert der Phonograph
[* 10] Edisons, durch den
die schon im 18. Jahrh. von Kempelen konstruierte Sprechmaschine weit überboten wurde. Vgl. auch Lautlehre.
[* 1] und Sprachwissenschaft. Unter Sprache versteht man, ohne beide Bedeutungen streng zu sondern, einesteils
die Sprachthätigkeit oder das Sprachvermögen, d. h. nach W. v.
Humboldts treffender Definition der Sprache »die ewig sich wiederholende Arbeit des menschlichen Geistes, den artikulierten Laut
zum Ausdruck des Gedankens fähig zu machen«; andernteils wird damit etwas Konkretes, Individuelles bezeichnet, nämlich die
Summe der Wörter, welche bei einem bestimmten Volk als Mittel zur Verständigung in Anwendung sind oder
(bei toten Sprachen) gewesen sind.
Die einzelnen Sprachen sind das Produkt des Sprachvermögens oder mit andern Worten des Triebes nach Äußerung und Mitteilung,
und die Sprache im allgemeinen ist eine nicht minder wichtige Seite in der Eigenart des Menschen als Recht und Sitte,
Religion und Kunst und zwar eine solche, welche sich schon auf den frühsten Stufen der geistigen Entwickelung, beim Kind und
unzivilisierten Menschen, geltend macht. Gerade bei den rohesten Naturvölkern ist die Sprachthätigkeit besonders lebendig
und das Leben der Sprache, die man bei ihnen gewissermaßen in ihrem natürlichen Zustand studieren kann,
ein ungemein rasches. So herrscht im Innern von Brasilien
[* 11] eine so große Sprachverschiedenheit, daß bisweilen an einem Fluß
hin, dessen Länge 300-500 km nicht übersteigt, 7-8 völlig verschiedene Sprachen gesprochen werden.
Genaue Kenner des Landes erklären dies daraus, daß es ein Hauptzeitvertreib der Indianer ist, während sie an ihrem Feuer
sitzen, neue Wörter zu ersinnen, über die, wenn sie treffend sind, der ganze Haufe in Gelächter ausbricht und sie dann beibehält.
Bei südafrikanischen Negerstämmen, unter denen der englische MissionärMoffat lebte, wurden die Kinder manchmal von ihren
Eltern so sehr sich selbst überlassen, daß sie genötigt waren, sich eine besondere Sprache zu ersinnen,
wodurch im Lauf einer Generation die Sprache des ganzen Stammes eine andre Gestalt annahm.
Missionäre in Zentralamerika
[* 12] hatten von der Sprache des Volkes, dem sie das Christentum predigten, ein sorgfältiges Lexikon
angelegt; als sie nach zehn Jahren zu dem nämlichen Stamm zurückkehrten, fanden sie, daß dasselbe veraltet
und unbrauchbar geworden war. Die kleinen melanesischen Inseln des StillenOzeans haben jede eine besondere Sprache, wenn dieselben
auch zu dem gleichen Sprachstamm
[* 13] gehören. Selbst auf den friesischen Inseln derNordsee hat die Isoliertheit der insularen
Lage die Folge gehabt, daß auf allen diesen Inseln verschiedene Dialekte herrschen, worin sogar ein so gewöhnlicher
Begriff wie »Vater« durch besondere Wörter ausgedrückt wird. Dieselbe sprachliche Isoliertheit wie bei Inselvölkern findet
sich auch bei Bergvölkern. So fand der russische GeneralBaron v. Uslar bei der ethnographischen und linguistischen Durchforschung
des nördlichen Kaukasus dort mindestens zehn total verschiedene Sprachen, und die auf etwa 800,000 Köpfe
geschätzten Basken der Pyrenäen sprechen acht Dialekte, die so stark voneinander abweichen wie das Französische vom Englischen.
Bei Kulturvölkern erscheint die Veränderung der
¶
mehr
Sprache ungemein verlangsamt. Ganz neue Wörter werden meist nur von Kindern erfunden, deren Neuerungsversuche in der Regel
keine bleibende Wirkung hinterlassen. So berichtet CharlesDarwin von einem englischen Kinde, das im Alter von einem Jahr alles
Eßbare mit der Silbe »umm« bezeichnete; Taine beobachtete ein französisches Kind, das etwa im gleichen
Alter einen Hund »na-na«, ein Pferd
[* 15] »da-da« nannte; und der Schreiber dieser Zeilen kannte ein deutsches Kind, das umherflatternde
Tauben
[* 16] als »Wattel-Wattel« bezeichnete.
Aber wenige Jahre später waren diese Wörter vergessen. Dem gebildeten Deutschen, Engländer, Franzosen etc. sind daher noch
jetzt Bücher, die in den zwei oder drei letzten Jahrhunderten geschrieben wurden, fast ohne Mühe verständlich.
Das Englische
[* 17] hat sich über alle Weltteile verbreitet, ist aber dabei vollkommen stabil geblieben. Namentlich bildet die Schrift
und in der Neuzeit auch der Buchdruck, dann die ungeheure Vermehrung und Verbesserung der Verkehrsmittel die wirksamste Schranke
gegen die sprachliche Neuerungssucht.
Dennoch wäre es ein vollkommener Irrtum, irgend eine moderne Sprache für vollkommen abgeschlossen zu
halten. Vor allem ist auch in der Sprache unaufhörlich ein Gesetz der Trägheit wirksam, das sich besonders in der Vereinfachung
oder gänzlichen Beseitigung schwer sprechbarer oder unbetonter Laute und Lautverbindungen geltend macht. Durch diese stufenweise
fortschreitende Abschleifung und Verwitterung der Laute ist z. B. im Englischen überall das ch und das
vor einem n stehende k abgestoßen worden, so daß knight, das deutsche »Knecht«, wie neit gesprochen wird; im Deutschen ist
das tonlose e in Schlußsilben in völligem Rückzug begriffen, wodurch z. B. erst in neuester Zeit »des
Königes, dem Könige« in »Königs, König«, »befestiget« in »befestigt«
verwandelt wurde u. dgl. Anderseits führt der
Nachahmungs- und Analogietrieb zur Erfindung und Ausbildung neuer Wörter, Formen und Bedeutungen, die entweder aus fremden Sprachen
entlehnt werden, wie z. B. unsre aus dem Französischen herübergenommenen zahlreichen Verba auf -ieren, oder aus den Mundarten
in die Schriftsprache eindringen, oder an ältere einheimische Wörter und Formen angelehnt werden, wie
z. B. die deutsche Form der Vergangenheit auf -te, welche zusehends die alten ablautenden
Verba verdrängt, wofür unser »backte« für das noch im vorigen Jahrhundert übliche »buk« als Beispiel dienen kann. Überhaupt
hat die Sprachforschung dargethan, daß der Grad, bis zu dem sich Laute, Wörter, Wort- und Satzformen verändern
können, an und für sich ein völlig unbegrenzter ist und oft die scheinbar unähnlichsten Sprachen durch eine Reihe von
Mittelgliedern hindurch auf eine und dieselbe Grundsprache zurückgeführt werden können.
Denkt man sich die Entwickelung sämtlicher geschichtlich nachweisbarer Grundsprachen in einer vorgeschichtlichen
Periode bis an ihren Ausgangspunkt fortgesetzt, so liegt es nahe, die Frage aufzuwerfen, ob nicht dieser Ausgangspunkt der
gleiche, alle Grundsprachen in letzter Linie aus der nämlichen Ursprache entsprungen seien. Diese Frage, die man früher,
teilweise aus religiösen Vorurteilen, voreilig zu bejahen pflegte, muß auf dem heutigen Stande der Wissenschaft
entschieden verneint werden.
Standen auch eine Reihe wichtiger Sprachen einander früher viel näher als jetzt, so weichen doch die Grundsprachen, auf die
sie zurückgehen, sowohl hinsichtlich der Wurzeln als des grammatischen Baues so entschieden voneinander ab, daß alle Versuche,
sie (z. B. die indogermanische und
semitische Grundsprache) auf eine gemeinsame Ursprache
zurückzuführen, vollständig scheitern mußten. Man muß im Gegenteil annehmen, daß eine Reihe ursprünglicher Sprachtypen
jetzt entweder völlig oder nur mit Hinterlassung vereinzelter Überreste, wie das rätselhafte Baskisch der Pyrenäen und
die Sprachen des nördlichen Kaukasus, vom Erdboden verschwunden sind; denn je mehr die Kultur zunimmt, desto mehr nimmt die
Sprachverschiedenheit ab und ist daher in Europa
[* 18] trotz seiner dichten Bevölkerung
[* 19] weit geringer als in
allen übrigen Erdteilen. Auch die bestehenden Sprachen werden von der heutigen Sprachforschung auf eine beträchtliche Anzahl
selbständiger Ursprachen zurückgeführt.
Mit dieser Erkenntnis hat sich die Frage nach dem Ursprung der Sprache, die schon Platon und Aristoteles,
Epikur und die Stoiker beschäftigt und die griechischen und römischen Grammatiker in zwei Lager
[* 20] gespalten hat, später mit
unbegründetem Hinweis auf die Bibel,
[* 21] welche die Erfindung der Sprache dem ersten Menschen beilegt, im Sinn eines übernatürlichen
Ursprungs beantwortet wurde, in eine Frage nach der Entstehung der einzelnen thatsächlich nachgewiesenen Grundsprachen
verwandelt.
Wie man sich dieselbe zu denken habe, läßt sich freilich historisch nicht feststellen; auch gehen die Ansichten darüber
sehr auseinander, indem die einen, wie W. v. Humboldt, M. Müller, Steinthal etc., annehmen, daß sich unwillkürlich bestimmte
Laute an bestimmte Begriffe oder Anschauungen anschlossen (Nativismus), die andern dagegen, wieWhitney, L.Geiger, Bleek, Marty, Madvig u. a., von der jetzigen Unabhängigkeit des Lauts vom Gedanken und des Gedankens vom Laut ausgehend,
einen solchen Zusammenhang der Laute mit dem Gedanken abweisen (Empirismus).
Doch ist neuerdings eine Vermittelung zwischen den beiden sich entgegenstehenden Ansichten angebahnt und namentlich die früher
versuchte Zurückführung der Sprache auf ein eigentümliches, später verlornes Vermögen der ursprünglichen
Menschheit durchweg aufgegeben worden. Überhaupt ist es bei allen Mutmaßungen über den Sprachenursprung nötig, sich durchaus
auf den thatsächlichen Boden zu stellen, welchen das Leben der Sprache während der durch die Geschichte beleuchteten Strecke
ihrer Entwickelung und besonders bei unzivilisierten Völkern darbietet, und es sind dabei namentlich
folgende Sätze festzuhalten, die sich also ebenso auf das Wesen wie auf den Ursprung der Sprache beziehen:
1) Sprache und Vernunft sind nicht identisch, so vielfach sie sich gegenseitig beeinflussen, und zwar ist das Sprechen eine
weitaus beschränktere Fähigkeit als das Denken, da selbst die gebildetsten Sprachen, die das Sprachvermögen
erzeugt hat, bei weitem nicht alle Gedanken auszudrücken vermögen. Es gibt Gedanken und Empfindungen, welche ein Ton oder eine
Gebärde viel bezeichnender ausdrückt als ein Wort, und namentlich beim Kind und bei einem Menschen von lebhaftem Naturell ist
die Gebärdensprache höchst entwickelt.
Die Taubstummen, denen gewiß niemand die Vernunft absprechen wird, haben eine höchst künstliche und
ihnen gleichwohl völlig geläufige Zeichensprache. Viele Lehrsätze der Mathematik, welche sich in Worten nur mit Mühe oder
gar nicht ausdrücken lassen, können durch ein paar einfache Zeichen oder eine Zeichnung leicht demonstriert werden. Musik
und Malerei stehen der Poesie als selbständige Künste zur Seite. Auch sind die Gesetze der Denklehre oder
Logik von den Gesetzen der Sprachlehre oder Grammatik verschieden, wie z. B. der deutsche Satz: »die
¶
[* 1] der lautliche Ausdruck des Gedankens. Jeder Ausdruck von Gedanken, der nicht durch Laute geschieht, sondern z. B.
durch Gebärden oder Zeichen, kann nur im uneigentlichen Sinne S. genannt werden (s. Fingersprache, Zeichensprache).
S. kommt allein dem Menschen zu. Die von Tieren hervorgebrachten Laute sind der Ausdruck nicht von Gedanken, sondern von Empfindungen,
unsern Ausrufen des Schmerzes, der Freude u. s. w. vergleichbar; von einer Tiersprache läßt
sich daher nur bildlich reden. In jenem allgemeinsten Sinne ist E. gleichbedeutend mit Sprachvermögen. Die besondere Art aber,
in der sich das Sprachvermögen bei einem Volke äußert, nennt man seine S. Diese umfaßt den gesamten
Vorrat von Worten und deren Formen, in denen das Volk seine Gedanken ausdrückt.
Von jeher hat die Menschheit die Frage des Ursprungs der S. beschäftigt. Nachdem bereits der griech.
Philosoph Epikur betont hatte, daß der Mensch beim Sprechen instinktiv verfahre, indem seine Natur ihn
zum Sprechen antreibe, daß das Sprechen eine Leistung sei, welche die Sprechorgane, die leiblichen und die geistigen, mit
derselben Notwendigkeit vollzögen, wie der Mensch die Sehorgane ohne weiteres zum Sehen,
[* 23] die Gehörorgane zum Hören gebrauche,
machte Herder («Über den Ursprung der S.», Berl. 1772) den naiven Vorstellungen ein Ende, weise Männer
der Vorzeit hätten die S. erfunden oder die Gottheit habe gleich einem Schulmeister die Menschen die E. gelehrt.
Herder sagte,
die S. sei eine Naturgabe; der Mensch habe von jeher instinktmäßig seine Empfindungen und Vorstellungen durch
Töne kundgegeben, die dadurch zu Sprachlauten wurden, daß sich der Mensch der Beziehung, die zwischen dem
Ton und dem den Eindruck hervorbringenden Gegenstand besteht, bewußt wurde; hierdurch sei der Mensch dazu gelangt, den Ton
als Merkmal des Gegenstandes zu benutzen. Diese Anschauung wurde zunächst von W. von Humboldt wesentlich vertieft (s. auch
Sprachwissenschaft), und sie ist für alle folgenden Behandlungen dieses Problems die Grundlage geblieben.
Die ersten Sprachlaute können nicht mit der Absicht der Mitteilung hervorgebracht sein, sie waren vielmehr nur Reflexbewegungen,
befriedigten als solche lediglich ein Bedürfnis des einzelnen Individuums ohne Rücksicht auf sein Zusammenleben mit andern.
Sobald aber ein solcher Reflexlaut von andern Individuen aufgefaßt (percipiert) wurde zugleich mit der
sinnlichen Wahrnehmung, die ihn hervorgerufen hatte, konnte beides in Beziehung zueinander gesetzt werden.
Waren die verschiedenen Individuen im wesentlichen gleich angelegt, so erzeugte der gleiche sinnliche Eindruck in ihnen ungefähr
den gleichen Reflexlaut und sie mußten sich, wenn sie ihn von andern hörten, sympathisch berührt fühlen.
Die ersten derartigen Laute bezogen sich auf Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung, nicht auf Übersinnliches. War der Eindruck,
den ein bewegtes oder tönendes Ding machte, zugleich ein solcher, durch den Freude oder Schmerz, Begierde oder Furchtu. dgl.
erregt wurde, so hatte der Sprachlaut einen interjektionalen Charakter (s. Interjektionen).
Die Zahl der ersten Laute kann aber nur eine geringe gewesen sein. Meist trat unterstützend noch die Gebärdensprache hinzu
(Finger-, Zeichensprache), und erst allmählich, je größer die Zahl der Laute wurde und je feiner ihre Artikulation (s. d.),
ward diese Unterstützung entbehrlich. Man darf nun nicht glauben, daß eine Lautgruppe, wie sie einmal
von einem Individuum hervorgebracht wurde, nun sogleich von andern hätte nachgeahmt werden können. Nicht einmal dasselbe
Individuum konnte sie absichtlich genau wiederholen.
Die Sache lag für den Urmenschen noch viel schwieriger als für ein Kind unserer Tage. Denn dieses ist in der Regel von
Menschen umgeben, die schon im wesentlichen dieselbe Lautbildung haben, von denen es also aus der ganzen Menge der möglichen
Laute eine bestimmt abgegrenzte Anzahl immer von neuem zu hören bekommt. Für den Menschen der Zeit der ersten Sprachschöpfung
dagegen gab es keine Norm, keine Autorität. Es scheint demnach, daß das Sprechen mit einem Durcheinander
der verschiedensten Artikulationen begann, aus dem sich nur dadurch Gleichmäßigkeit und gemeinsamer Gebrauch entwickeln
konnte, daß gewisse Laute besonders häufig nicht nur von denselben, sondern auch von verschiedenen Individuen aus ihnen
selbst, d. h. ohne Mitwirkung irgend welcher Nachahmung, erzeugt wurden. So weit war aber noch
nichts da, was uns erlaubte, die menschliche S. in einen principiellen Gegensatz zur Tiersprache, z. B.
zu den Lock- und Warnrufen der Vögel,
[* 24] zu stellen. Denn daß die Zahl der unterschiedenen Anschauungen bei dem Menschen weit
über das Maß irgend einer Tiergattung hinausgeht, bedingt nur einen Gradunterschied. Der entscheidende Schritt vorwärts,
das, was diejenige Art von S. entstehen ließ, die
¶
mehr
wir jetzt bei dem gesamten Menschengeschlecht finden, war, daß man zwei Worte für zwei Dinge in Beziehung zueinander setzte,
daß man mehrere Wörter zu einem Satze verband. Erst dadurch wurde dem Menschen auch die Möglichkeit, sich von der unmittelbaren
Anschauung loszumachen und über etwas nicht Gegenwärtiges zu berichten. -
Vgl. Steinthal, Der Ursprung
der S. (Berl. 1851; 3. Aufl. 1877);
H. Paul, Principien der Sprachgeschichte
(2. Aufl., Halle
[* 26] 1886): O. Jespersen, Ursprung der S. (in «Tilskueren»,
udg. af N. Neergaard, 1892, S. 839 fg.);
W. Wundt, Grundzüge der physiol. Psychologie, Bd. 2 (4. Aufl.,
Lpz. 1893), S. 621 fg.