Sprache
,
[* 3] der lautliche
Ausdruck des
Gedankens. Jeder
Ausdruck von
Gedanken, der nicht durch
Laute geschieht, sondern z. B.
durch
Gebärden oder Zeichen, kann nur im uneigentlichen
Sinne S. genannt werden (s.
Fingersprache, Zeichensprache
).
S. kommt allein dem
Menschen zu. Die von
Tieren hervorgebrachten
Laute sind der
Ausdruck nicht von
Gedanken, sondern von Empfindungen,
unsern Ausrufen des Schmerzes, der Freude u. s. w. vergleichbar; von einer Tiersprache
läßt
sich daher nur bildlich reden. In jenem allgemeinsten
Sinne ist E. gleichbedeutend mit Sprachvermögen. Die besondere
Art aber,
in der sich das Sprachvermögen bei einem
Volke äußert, nennt man seine S. Diese umfaßt den gesamten
Vorrat von Worten und deren Formen, in denen das
Volk seine
Gedanken ausdrückt.
Von jeher hat die Menschheit die Frage des Ursprungs der S. beschäftigt. Nachdem bereits der griech. Philosoph Epikur betont hatte, daß der Mensch beim Sprechen instinktiv verfahre, indem seine Natur ihn zum Sprechen antreibe, daß das Sprechen eine Leistung sei, welche die Sprechorgane, die leiblichen und die geistigen, mit derselben Notwendigkeit vollzögen, wie der Mensch die Sehorgane ohne weiteres zum Sehen, [* 4] die Gehörorgane zum Hören gebrauche, machte Herder («Über den Ursprung der S.», Berl. 1772) den naiven Vorstellungen ein Ende, weise Männer der Vorzeit hätten die S. erfunden oder die Gottheit habe gleich einem Schulmeister die Menschen die E. gelehrt.
Herder sagte, die S. sei eine Naturgabe; der Mensch habe von jeher instinktmäßig seine Empfindungen und Vorstellungen durch Töne kundgegeben, die dadurch zu Sprachlauten wurden, daß sich der Mensch der Beziehung, die zwischen dem Ton und dem den Eindruck hervorbringenden Gegenstand besteht, bewußt wurde; hierdurch sei der Mensch dazu gelangt, den Ton als Merkmal des Gegenstandes zu benutzen. Diese Anschauung wurde zunächst von W. von Humboldt wesentlich vertieft (s. auch Sprachwissenschaft), und sie ist für alle folgenden Behandlungen dieses Problems die Grundlage geblieben.
Die ersten Sprachlaute können nicht mit der Absicht der Mitteilung hervorgebracht sein, sie waren vielmehr nur Reflexbewegungen, befriedigten als solche lediglich ein Bedürfnis des einzelnen Individuums ohne Rücksicht auf sein Zusammenleben mit andern. Sobald aber ein solcher Reflexlaut von andern Individuen aufgefaßt (percipiert) wurde zugleich mit der sinnlichen Wahrnehmung, die ihn hervorgerufen hatte, konnte beides in Beziehung zueinander gesetzt werden.
Waren die verschiedenen Individuen im wesentlichen gleich angelegt, so erzeugte der gleiche sinnliche Eindruck in ihnen ungefähr den gleichen Reflexlaut und sie mußten sich, wenn sie ihn von andern hörten, sympathisch berührt fühlen. Die ersten derartigen Laute bezogen sich auf Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung, nicht auf Übersinnliches. War der Eindruck, den ein bewegtes oder tönendes Ding machte, zugleich ein solcher, durch den Freude oder Schmerz, Begierde oder Furcht u. dgl. erregt wurde, so hatte der Sprachlaut einen interjektionalen Charakter (s. Interjektionen).
Die Zahl der ersten
Laute kann aber nur eine geringe gewesen sein. Meist trat unterstützend noch die Gebärdensprache
hinzu
(Finger-, Zeichensprache
), und erst allmählich, je größer die Zahl der
Laute wurde und je feiner ihre
Artikulation (s. d.),
ward diese Unterstützung entbehrlich. Man darf nun nicht glauben, daß eine Lautgruppe, wie sie einmal
von einem Individuum hervorgebracht wurde, nun sogleich von andern hätte nachgeahmt werden können. Nicht einmal dasselbe
Individuum konnte sie absichtlich genau wiederholen.
Die Sache lag für den
Urmenschen noch viel schwieriger als für ein
Kind unserer
Tage. Denn dieses ist in der Regel von
Menschen umgeben, die schon im wesentlichen dieselbe Lautbildung haben, von denen es also aus der ganzen Menge der möglichen
Laute eine bestimmt abgegrenzte Anzahl immer von neuem zu hören bekommt. Für den
Menschen der Zeit der ersten Sprachschöpfung
dagegen gab es keine Norm, keine
Autorität. Es scheint demnach, daß das Sprechen mit einem Durcheinander
der verschiedensten
Artikulationen begann, aus dem sich nur dadurch Gleichmäßigkeit und gemeinsamer Gebrauch entwickeln
konnte, daß gewisse
Laute besonders häufig nicht nur von denselben, sondern auch von verschiedenen Individuen aus ihnen
selbst, d. h. ohne Mitwirkung irgend welcher Nachahmung, erzeugt wurden. So weit war aber noch
nichts da, was uns erlaubte, die menschliche S. in einen principiellen Gegensatz zur Tiersprache
, z. B.
zu den Lock- und Warnrufen der
Vögel,
[* 5] zu stellen. Denn daß die Zahl der unterschiedenen
Anschauungen bei dem
Menschen weit
über das
Maß irgend einer Tiergattung hinausgeht, bedingt nur einen Gradunterschied. Der entscheidende Schritt vorwärts,
das, was diejenige Art von S. entstehen ließ, die
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wir jetzt bei dem gesamten Menschengeschlecht finden, war, daß man zwei Worte für zwei Dinge in Beziehung zueinander setzte, daß man mehrere Wörter zu einem Satze verband. Erst dadurch wurde dem Menschen auch die Möglichkeit, sich von der unmittelbaren Anschauung loszumachen und über etwas nicht Gegenwärtiges zu berichten. -
Vgl. Steinthal, Der Ursprung der S. (Berl. 1851; 3. Aufl. 1877);
Lazarus Geiger, Ursprung und Entwicklung der menschlichen S. und Vernunft (2 Bde., Stuttg. 1868-72);
ders., Der Ursprung der S. (ebd. 1869);
A. Marty, Über den Ursprung der S. (Würzb. 1875);
H. Paul, Principien der Sprachgeschichte (2. Aufl., Halle [* 7] 1886): O. Jespersen, Ursprung der S. (in «Tilskueren», udg. af N. Neergaard, 1892, S. 839 fg.);
W. Wundt, Grundzüge der physiol. Psychologie, Bd. 2 (4. Aufl., Lpz. 1893), S. 621 fg.